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Renaissance der Straßenbahn

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Renaissance der Straßenbahn bezeichnet die Entwicklung und Errichtung neuer Straßenbahnbetriebe in jüngster Zeit. Obwohl Mitte des 20. Jahrhunderts weltweit Straßenbahnen stillgelegt wurden, begann in den 1980er Jahren, zunächst vorwiegend in Frankreich, der Wiederaufbau von Straßenbahnnetzen. Besonders in Frankreich, Spanien, Großbritannien, Osteuropa und den USA wird diese Entwicklung heute durchgeführt. In Deutschland findet die Entwicklung als Ausbau bestehender Netze statt. Neue Netzplanungen erfolgten in Oberhausen, Saarbrücken und Heilbronn (jeweils eine Linie). In Heilbronn ist für 2015 ein weiterer Ausbau des Netzes geplant.

Stilllegungswelle im 20. Jahrhundert

Nach dem Straßenbahnen in vielen Städten vorwiegend in Europa, errichten worden waren, verlor sie mit der Zunahme des Individualverkehr an Bedeutung. Außerdem konnten viele Städte nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Betriebe nicht mehr halten. So kam es weltweit zu einem Stilllegungsboom; die Anzahl der Straßenbahnen wurde etwa gedrittelt. Nur die großen und bedeutenden Städte konnten ihre Straßenbahnbetriebe halten. Auch Metropolen wie Paris oder Berlin-West entschieden sich für den Abriss des Netzes. Vielerorts wurden Vorortbahnen sukzessive stillgelegt oder wenig befahrene Linien durch Bustrassen ersetzt. In dieser Zeit war auch der Obus ein häufig anzutreffendes Verkehrsmittel, da er in kleinen Städten wie Trier, Idar-Oberstein, Koblenz oder Neuwied für zwei bis drei Jahrzehnte die Trams ersetzte. Besonders auffällig ist, dass die meisten Straßenbahnen in den 1950er und 1960er Jahren aufgegeben wurden; in dieser Zeit herrschte das Leitmotiv der autogerechten Stadt, sodass vielerorts die Straßenbahn beim Ausbau der Straßen im Weg war.

Anfänge der Renaissance der Straßenbahn in Frankreich

Während in Deutschland in Kiel, Bremerhaven und Wuppertal noch Straßenbahnen stillgelegt wurden, entbrannte die Diskussion über die Wiedereinführung der Straßenbahn in die französischen Großstädte. Die Regierung förderte diese Projekte, von denen als letzte Stadt Valenciennes profitierte. Es gab quasi von 1986 bis 1997 bzw. 2006 ein Gesetz, in dem stand, dass jede Stadt, die eine Straßenbahn baut, einen Zuschlag vom Staat bekommt. Trotz Einstellung dieses Zuschlages 2006 wollen andere Städte weiter bauen, da die bestehenden Betriebe Vorbildcharakter haben.

1985 errichtete als erste Stadt der neuen Ära Nantes ihre erste Straßenbahnstrecke. Diese führt relativ unabhängig, meist auf einem eigenen Bahnkörper, der weit von Hauptverkehrstrassen verläuft. Inzwischen gibt es zwei weitere Linien, die auch auf Straßen führen. 1987 folgte Grenoble. Dieses Netz stellt das erste Straßenbahnnetz der Welt dar, das von Anfang an nur Niederflurwagen einsetzt. In Grenoble verkehren inzwischen drei Straßenbahnlinien.

Neue Straßenbahn von Bordeaux

Die Renaissance der Straßenbahn in Frankreich führte dazu, dass es in fast allen französischen Großstädten (wieder) Straßenbahnen gibt. Auch in Spanien, Italien und Großbritannien haben sich wieder Straßenbahnen etabliert.

Eines der Beispiele für die Rekultivierung von Straßenbahnen in Frankreich ist Bordeaux. Das alte Netz war 1958 stillgelegt worden. In den 1990er Jahren entschied sich die Stadt, die Verkehrsprobleme mit einer Straßenbahn zu lösen. Um zu vermeiden, das Strommasten das Bild der Altstadt stören, wurde das APS eingeführt. Mittig zwischen den Gleisen liegt eine Stromschiene vor, von der die Bahnen ihren Strom bekommen, weitere Strecken ohne Fahrdraht gibt es auch in Orléans und Le Mans. Dieses Konzept soll noch in weiteren Städten durchgeführt werden. In Nizza gibt es eine Straßenbahn, die mit einem Akku fährt, um an einem wichtigen Platz die Strommasten zu vermeiden.

Spurbusse

Spurbus in Nancy

In Nancy fahren auf einem Abschnitt in der Innenstadt und im Vorort Vandoeuvre-lés-Nancy Spurbusse, die nur mittels einer Schiene in der Mitte fahren. Dabei handelt es sich um eine Mischung zwischen Obus und Straßenbahn. Diese neue Innovation im ÖPNV entstand im Zusammenhang der Renaissance der Straßenbahn, da aufgrund von Kosten oder Gefälle der Straßen oder häufigen Baustellen und Umleitungen in der Stadt eine "echte" Straßenbahn nicht rentabel ist.

In Frankreich tragen die Spurbusse den Namen Tramway (sur Pneus) oder Translohr (nach einem Unternehmen). Weitere bedeutende Betriebe befinden sich in Caen und Clermont-Ferrand in Frankreich sowie in Padua in Italien. Die einzige deutsche Spurbustrasse befindet sich bislang in Essen.

Straßenbahn-Musterbeispiel Straßburg

Neue Straßenbahn in Straßburg

Als Beispiel für die Renaissance der Straßenbahn in Frankreich wird die Straßenbahn Straßburg angesehen. Das Netz wurde 1994 eröffnet. Inzwischen besteht das Konzept aus fünf Linien (bezeichnet von A bis E), die nahezu alle Stadtteile von Straßburg erschließen. Demnächst soll auch die deutsche Nachbarstadt Kehl in das Konzept integriert werden.

Das Besondere bei der Straßenbahn Straßburg sind die durch die Fußgängerzone/Innenstadt führenden Trassen und die vielen begrünten Bahnkörper im Stadtbereich. Dabei wurden die Trassen oft aufwändig ins Stadtbild integriert. Bemerkenswert sind auch die Straßenbahnzüge selbst, die durch ihre futuristische Form mittlerweile schon zur Touristenattraktion geworden sind. Damit war das Konzept von Straßburg Vorbild für viele nachfolgende Konzepte in Frankreich, aber auch in anderen Ländern Europas.

Light Rail Transit in den USA

Eigentlich entstanden die ersten Straßenbahnstrecken in der westlichen Welt nach dem Zweiten Weltkrieg bzw. nach der großen Stilllegungswelle in den 1950er und 1960er Jahren um 1980 in den USA. Damit hatte die USA wie auch mit der Erfindung dieses Verkehrsmittels durch die dortige Wiedereinführung wieder Vorbildcharakter. Hier übernehmen die Straßenbahnen seitdem unter dem Namen "Light Rail Transit" (vergleichbar mit dem deutschen Wort Stadtbahn) meist städteverbindende Funktionen: Sie verbinden die Kernstadt mit ihren großen Stadtteilen und Trabantenstädten. In vielen Fällen führen sie dabei aber nicht direkt ins Stadtzentrum, sondern nur in dessen Nähe oder umfahren es. In diesem Sinne lassen sie sich eher mit den europäischen Stadtbahnen vergleichen, auch wenn sie teilweise straßenbahnähnliche Trassen und Fahrzeuge benutzen.

Als in den 1970er Jahren nur noch die klassischen Straßenbahnen von San Francisco, New Orleans und Cleveland verkehrten, begann die großen Metropolen die Straßenbahn wieder einzuführen. Mittlerweile finden sich Straßenbahnen unter anderem wieder in Detroit, Houston, Los Angeles, New Jersey und Phoenix. Im Bundesstaat New York haben nahezu alle Großstädte wieder Straßenbahnen - nur in New York selbst fehlt die Straßenbahn noch. Jedes Jahr kommen neue Betriebe hinzu.

Einige Straßenbahnen in den USA sind als klassische Straßenbahnen ausgelegt. Sie benutzen eingleisige und zweigleisige mittig auf der Straße geführte Trassen. Häufig kommen hier auch alte Fahrzeuge zum Einsatz. Bekannte Beispiele sind Memphis (Tennessee) und Seattle.

Ausblick

Die neuen französischen Straßenbahnen hatten nicht nur in französischen Städten Vorbildcharakter, sondern auch in anderen Ländern, insbesondere in Südeuropa. Da findet man mittlerweile moderne (und neue) Straßenbahnen auch in Spanien, z. B. Valencia und Sevilla, oder Italien, z. B. in Florenz. Momentan tendiert die Entwicklung daher dahin, dass insbesondere in diesen Ländern noch weiterhin große Straßenbahnnetze gebaut werden. Auch in anderen Ländern im Mittelmeerraum sollen noch weitere Projekte entstehen oder wurden schon durchgeführt.

In Deutschland hingegen ist eine langsame derartige Entwicklung zu erkennen. Bis auf einige wenige Beispiele von Städten, in denen neue Straßenbahnbetriebe entstanden sind, z. B. Oberhausen, oder entstehen sollen, z. B. Kiel, und von Städten, in denen die Netze ausgebaut werden, z. B. Karlsruhe und Mannheim, geschieht in der Straßenbahnpolitik nur wenig.

Neue Straßenbahnstrecken sind außerhalb des Mittelmeerraumes und außerhalb von Europa geplant. Insbesondere in einigen chinesischen und südostasiatischen Städten entstehen neue Bahnstrecken. Gerade in diesen wirtschaftlich und demographisch sehr schnell wachsenden Ländern gibt es ein großes Potential für neue Straßenbahnlinien. Dort könnte die Straßenbahn einen ähnlichen Aufschwung erleben wie in der westlichen Industrialisierung. Für Afrika sind mit Ausnahme von Planungen in einigen algerischen Großstädten keine Baumaßnahmen bekannt.

Karlsruher Modell als Leitbild der Straßenbahn-Renaissance

Im Zusammenhang mit der Straßenbahn-Renaissance spielt seit den 1990er Jahren auch das Karlsruher Modell eine entscheidende Rolle. Die Erfolgsgeschichte des Karlsruher Modells begann mit der Umwidmung der Albtalbahn zur Straßenbahnstrecke. Die erste richtige Verbindung, bei der Straßenbahn Eisenbahngleise mitbenutzten, war die Neubaustrecke in Neureut. Wichtige Strecken der Karlsruher Stadtbahn führen nach Bruchsal, Wörth am Rhein/Germersheim und Pforzheim.

Stadtbahn Karlsruhe am Marktplatz von Heilbronn

In zwei deutschen Städten, in denen wieder Straßenbahnen gebaut wurden, fand dies im Zusammenhang mit einer Wiederbetriebsnahme von Eisenbahnstrecken statt:

  • Im Raum Saarbrücken sollen die Strecken nach Heusweiler wieder befahren werden, wenn sie für die Saarbrücker Saarbahn vorbereitet worden sind. Außerdem entstand auf der Bahnstrecke nach Saargemünd (Frankreich) eine Art S-Bahn-Verkehr.
  • Auch am Beispiel Heilbronn wurden Bahnstrecken wieder in Betrieb genommen. Hier geschah dies im Zusammenhang mit einer Ausbaumaßnahme direkt aus Karlsruhe. Seit 2001 kann man daher von Heilbronn nach Karlsruhe mit der Straßenbahn fahren.

Viele französische Städte wollen auch Überlandstrecken nach der Idee des Karlsruher Modells bauen. Derartige Verbindungen gibt es beispielsweise bereits in Paris und Lyon. In Straßburg wird auch über eine Stadtbahnlinie nach dem Karlsruher Modell nachgedacht.

Eine besondere Umsetzung des Modells ist das "Nordhäuser Modell" im thüringischen Nordhausen mit Straßenbahnen, die auf nicht elektrifizierten Bahnstrecken mit Dieselantrieb fahren.

Nicht verwirklichte Planungen

In Deutschland gibt es ähnlich viele Planungen für Straßenbahnstrecken wie in Frankreich, unter anderem Straßenbahnkonzepte für Aachen, Hamburg, Kaiserslautern, Kiel, Wiesbaden und Tübingen geplant. Diese können aber aufgrund der finanziellen Lage vieler Städte nicht verwirklicht werden.

Auch Luxemburg plant seit den 1990er Jahren eine Straßenbahn. Die Planungen konnten aufgrund von Bürgeriniativen und dem Streitigkeiten über den Streckenverlauf jedoch bislang nicht realisiert werden.[1] Aufgrund der Bedeutung Luxemburgs als EU-Standort und dem wachsenden Individualverkehr von Luxemburg als eines der mitteleuropäischen (Banken-)Zentren bleibt eine Straßenbahn jedoch immer noch notwendig.

Auch die Planung einer Spurbustrasse auf den Petrisberg in Trier wird wohl nicht mehr realisiert werden.

Literatur

  • Christoph Groneck: Neue Straßenbahnen in Frankreich. EK-Verlag, Freiburg 2003, ISBN 3-88255-844-X.
  • Reinhart Köstlin, Hellmut Wollmann: Renaissance der Straßenbahn. Birkhäuser, Basel 1998, ISBN 3-7643-1729-9.
  • Stadtwerke Heilbronn (Hrsg.): Stadtbahn Heilbronn. Verlag für Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2005, ISBN 3-89735-416-0.
  • Klaus Bindewald: Die Albtalbahn: Geschichte mit Zukunft. Verl. Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 1998, ISBN 3-929366-79-7.
  • Michael Krische, Stefan Vockrodt u. a.: Straßenbahn-Magazin. erscheint monatlich, ISSN 0340-7071.

Einzelnachweise

  1. Ons Stad: Thema "Straßenbahnen"