Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Sichtbares Zeichen ist der gegenwärtige Arbeitstitel der deutschen Bundesregierung für eine geplante Institution zur Erinnerung an die Vertreibung von 60–80 Millionen Menschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Geplant ist, im Deutschlandhaus im Berliner Bezirk Kreuzberg ein „Erinnerungs- und Dokumentationszentrum zu Flucht und Vertreibung“ mit einer Dauerausstellung einzurichten und ein Dokumentations- und Forschungszentrum der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen.
Konzeption
Der größte Teil der Dauerausstellung soll sich mit den Erfahrungen der deutschstämmigen Vertriebenen befassen. Es soll aber auch das Schicksal anderer europäischer Völker berücksichtigt werden, auch der Völker, für deren Vertreibung Deutsche verantwortlich sind. Auch an die Vertreibungen im Zug der Jugoslawienkriege soll erinnert werden. Die Dauerausstellung soll auf der Ausstellung „Flucht, Vertreibung und Integration“ des Bonner Haus der Geschichte beruhen, die sich mit Flucht und Vertreibung von Deutschstämmigen in Folge des vom nationalsozialistischen Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieges sowie ihrer anschließenden Integration in der Bundesrepublik und der DDR auseinandersetzte. Wechselausstellungen sollen die Dauerausstellung ergänzen. Übergreifender Aspekt des Zentrums soll die Verständigungspolitik der Bundesregierung sein.
Das Konzept für diese Institution wurde federführend vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Staatsminister Bernd Neumann und vom Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages Wolfgang Thierse erarbeitet.
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Nach einem Beschluss des Bundeskabinettes, der im März 2008 zwei Jahre nach einer entsprechenden Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD gefasst wurde, wurde am Jahresende die unselbständige Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin errichtet. Träger der Stiftung ist das Deutsche Historische Museum. Zweck der Stiftung ist, „im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert wachzuhalten“.
Im Verlaufe des Jahres 2009 wurden ein Stiftungsrat und ein wissenschaftlicher Beirat berufen. Direktor wurde der Historiker und Politikwissenschaftler Manfred Kittel. Der Stiftungsrat besteht aus dreizehn Mitgliedern. Kraft ihres Amtes sind die Präsidenten der Stiftungen Deutsches Historisches Museum und Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Mitglieder des Stiftungsrates. Die übrigen elf Mitglieder werden zunächst von verschiedenen Institutionen benannt und dann von der Bundesregierung für die Dauer von fünf Jahren bestellt. :
- zwei Mitglieder für den Deutschen Bundestag,
- je ein Mitglied für das Auswärtige Amt, das Bundesministerium des Innern und die Beauftragte bzw. den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien,
- drei Mitglieder für den Bund der Vertriebenen e.V. (BdV),
- je ein Mitglied für die Evangelische Kirche in Deutschland, die Katholische Kirche in Deutschland und den Zentralrat der Juden in Deutschland. [1][2]
Zehn der elf Mitglieder wurden bisher bestellt. Für einen ihm zustehenden Sitz hat der BdV bisher vorläufig keinen Kandidaten benannt. Die vom BdV dafür vorgesehene Politikerin Erika Steinbach wurde vom Auswärtigen Amt nicht akzeptiert.
In den neunköpfigen "Wissenschaftlichen Beirat", unter derzeitigem Vorsitz von Professor Manfred Kittel, wurden auch ausländische Wissenschaftler berufen:
- Kristina Kaiserová, Tschechien
- Tomasz Szarota, Polen
- Kristián Ungvary, Ungarn
Der polnische Historiker Tomasz Szarota hat sich bereits wieder zurückgezogen, weil der bestellte Direktor nicht die Versöhnung mit Polen in den Vordergrund stelle, sondern die Versöhnung zwischen den Vertriebenen und den anderen Deutschen.[3] Auch Kristina Kaiserová ist aus dem Beirat ausgetreten [4]. Mit der Publizistin Helga Hirsch trat ein weiteres Beiratsmitglied zurück. [5]
Auseinandersetzungen im In- und Ausland
Über den Standort eines Dokumentationszentrums zu Flucht und Vertreibung gab es mit Regierungsvertretern Polens einen Dissens.
Gegenüber den früheren Stellungnahmen der Brüder Kaczyński nahm der derzeitige polnischen Premierminister Donald Tusk eine aufgeschlossenere Haltung ein. Anstelle einer Institution in Berlin schlug er den Standort Danzig vor, um dort ein „Museum des Zweiten Weltkriegs“ einzurichten.[6] Bisher lehnt die polnische Regierung eine direkte Zusammenarbeit zum Thema Flucht und Vertreibung aber weiterhin ab. Im In- wie Ausland wird kritisiert, dass die "unterschiedslose 'Empathie' für die Opfer (...) jeden Unterschied von Tat und Tätern" einebnet.[7]
Die Kosten für das Dokumentationszentrum der Bundesregierung werden auf 29 Millionen Euro geschätzt und der Betrieb auf weitere 2,4 Millionen pro Jahr.
Weblinks
- Website der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung"
- Die Zeit 15/2010: Während die Berliner Vertriebenen-Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung von einer Krise in die nächste taumelt, macht sich das Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität in Warschau an die Arbeit
Einzelnachweise
- ↑ Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Bundeskabinett beschließt Errichtung der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung"
- ↑ Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Das Bundeskabinett hat mit heutigem Beschluss die Mitglieder des Stiftungsrates der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" bestellt.
- ↑ Vertreibung aus dem Leben, Interview mit dem polnischen Historiker Tomasz Szarota, in: DER SPIEGEL, Nr. 1/2010, S. 15
- ↑ http://www.pressrelations.de/new/standard/result_main.cfm?r=402608&aktion=jour_pm&quelle=1 Angelica Schwall, Wolfgang Thierse Stiftung Flucht Vertreibung Versoehnung von Dominanz des BdV befreien
- ↑ FAZ: Unsichtbares Zeichen
- ↑ Süddeutsche.de: „Tusk schlägt Kriegs-Museum in Danzig vor“ vom 10. Dezember 2007.
- ↑ Dirk Burczyk, Neue Wege der Versöhnung - Der Weg zum "sichtbaren Zeichen gegen Vertreibung". In: Jan Korte u. Gerd Wiegel (Hg.): Sichtbare Zeichen. Die neue deutsche Geschichtspolitik - von der Tätergeschichte zur Opfererinnerung. Köln 2009, S. 14-29, hier S.29