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Wechselbalg

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Ein Wechselbalg ist ein untergeschobener Säugling (veraltet „Balg“). Dies ist häufig ein negativ besetztes Synonym für ein Kuckuckskind beim Menschen. Dazu haben sich Mythen herausgebildet, die für den untergeschobenen Säugling böse Geister verantwortlich machen. Die genaue Herkunft des Begriffes ist ebenso wie seine Entstehungsgeschichte unbelegt.

In der Vergangenheit wurden auch Missbildungen und Behinderungen des Neugeborenen als Zeichen für das Vorliegen eines Wechselbalges fehlgedeutet. Wechselkinder wurden oft nicht als menschliche Wesen angesehen und ihre Tötung wurde deswegen nicht unbedingt als ein Verstoß gegen das offizielle Verbot der Kindstötung angesehen. Selbst eine Autorität wie Martin Luther glaubte an Wechselbälger. Er hielt sie für Kinder des Teufels ohne eine menschliche Seele, die „nur ein Stück Fleisch“ seien und deren Tötung er zum Beispiel in einem Fall empfahl. Es begenen in der Literatur zwei häufig genannte Tischreden Martin Luthers (WA Tischreden 4513 und 5207) in denen sich Luther zu „Wechselbälgen“ äußert. Diese Tischreden sind von ihm selbst nie autorisert worden und weder theologische noch wissenschaftliche Äußerungen. Die Beschreibung des Wechselbalges bei Luther (WA 4513)gleicht wörtlich einem Märchen (Dem dritten Märchen der Wichtelmänner) das die Gebrüder Grimm überliefert haben. Luther selbst, so scheint es, hat nie Menschen mit einer geistigen Behinderung selbst getroffen, so dass er auf eine alte Sage zurück greift, die sich weitertradierte. Zwar gibt es den Rat in jenen unautorisierten Tischreden tatsächlich jenen Wechselbalg zu ersaufen, da er bloß eine massa carnis sei. Als dieser Rat aber ausgeschlagen wird, empfiehlt Luther dann ein Vaterunser für das Kind zu beten. Theologisch ist dies eine Absurdität, die Luther entweder nicht gesagt hat, oder ihm im nüchternen Zustand aufgefallen wäre. Luther als Autorität in Sachen Menschen mit Behinderung anzuführen ist kaum möglich! Letztlich muss man sagen, das Thema Menschen mit Behinderung war nicht Luthers Thema. Ihn als Autorität anzuführen, was er nie war, hat immer Gründe. Entweder soll die Kirche im Ganzen in ihrem Umgang mit Menschen mit Behinderung so kritisiert werden, was ja häufig geschieht. Oder aber man will die Eugenik und die Euthanasie rechtfertigen in dem man in die bioethische Diskussion scheinbare Autoritäten wie Martin Luther einbringt. Sollte Martin Luther sich tatsächlich zu Menschen mit Behinderung geäußert haben, so wünschte man sich er hätte es nicht getan.(Vgl. Nils Petersen: Geistigbehinderte Menschen in Kirche, Diakonie und Gesellschaft, Münster 2003, Martin Luthers Äußerungen zu geistigbehinderten Menschen S. 58-69.) [1][2]

Definition aus Naturwissenschaftliche Untersuchung über Untergeschobene Kinder von M. Gottfried Voigt, Wittenberg 1667, zitiert aus Walter Bachmann, 1985: „Untergeschobene Kinder sind ein Foetus, eine einen Menschen darstellende Gestalt, die vom Teufel in der Gebärmutter der Zauberinnen aus Blut oder einer anderen Materie gestaltet und erzeugt worden sind und an die Stelle der richtigen Kinder untergeschoben wurden, die er selbst durch seine Gegenwart bewegt und lenkt, um mit den Menschen sein Spiel zu treiben.“

Siehe auch: Malleus Maleficarum

Mythologie

Ein Wechselbalg ist in der Mythologie das Kind eines Elfen, Naturgeistes, Gnomes oder ähnlichem, welches gegen ein Menschenkind ausgetauscht wurde. Hexen und andere mythologische Wesen werden je nach Volksglauben ebenfalls des Balgwechselns verdächtigt.

Der Wechselbalg hat angeblich einen unfreundlichen Charakter und besitzt unschöne Verhaltensweisen. So soll er sehr viel schreien und Unmengen an Nahrung vertilgen. Der Wechselbalg wird oft als verkrüppelt beschrieben. So könnte durch Abneigung gegen behindert geborene Kinder, wirtschaftliche Not und einem resultierenden Wunsch nach Entfremdung der Glaube an den Wechselbalg entstanden sein.

Es gibt je nach Region verschiedene rituelle Abwehrmechanismen, um das Auswechseln des Balges (Säuglings) zu verhindern. So sollen zum Beispiel die Plazenta unter der Wiege liegen gelassen, das Kind nach seinem wahren Alter befragt oder drei Lichter im Kinderzimmer entzündet werden.

Die Sagen um Wechselbälge sind auch in die Science-Fiction, Fantasy und das Rollenspielgenre eingeflossen. In der deutschen Übersetzung der Serie Star Trek: Deep Space Nine werden Mitglieder der Spezies der Gründer auch als Wechselbalg bezeichnet.

Siehe auch

Literatur

  • Walter Bachmann: Das unselige Erbe des Christentums: Die Wechselbälge. Zur Geschichte der Heilpädagogik. Gießen 1985, ISBN 3-922346-13-8
  • Christine Lavant: Das Wechselbälgchen. Otto Müller Verlag, Salzburg 1998, ISBN 3-7013-0983-3
  • Selma Lagerlöf: Das Wechselbalg. In: Die schönsten Sagen und Märchen. 7. Auflage, DTV 1992
  • Nils Petersen: Geistigbehinderte Menschen in Kirche Diakonie und Gesellschaft, Münster 2003, ISBN 3-8258-6645-9

Einzelnachweise

  1. M. S. Pernick: The Black Stork: Eugenics and the Death of "Defective" Babies in American Medicine and Motion Pictures since 1915. Oxford University Press (1999) S.20, ISBN 0-19-513539-3
  2. D. L. Ashliman: Changelings, An Essay
  3. Eine von sieben Sagen vom Wechselbalg. In: Wilhelm Kuehs: Die Saligen. Sagen aus Kärnten. Band 1. Verlag Hermagoras, Klagenfurt 2006, ISBN 3-7086-0059-2, S. 258–262.