Skopzen


Die Skopzen (von russisch скопец - Eunuch, Kastrat), auch Weiße Tauben («белые голуби») genannt, waren eine religiöse Gruppierung, die sich ca. 1775 als Splittergruppe der Chlysten bildete und in Russland vor allem im 19. Jahrhundert starke Verbreitung fand. Viele emigrierten damals nach Rumänien. Sie spaltete sich von der russisch-orthodoxen Kirche ab.
In Anlehnung an Mt 19,12 EU und Lk 23,29 EU praktizierten die Skopzen eine rituelle Verstümmelung bestimmter Geschlechtsmerkmale, primär der Genitalien. Auf diese Weise sollte die Fleischlichkeit des Menschseins überwunden werden, wodurch die Gläubigen dem Himmel nahezukommen glaubten. Ihrer Überzeugung nach war alles Unheil und alles Böse durch den Geschlechtsverkehr zwischen Adam und Eva in die Welt gekommen und Christi wahre Lehre habe auch die Praxis der Kastration umfasst.
Beim Mann erfolgte diese Verstümmelung in zwei Formen: die Entfernung der Hoden (das „kleine heilige Siegel“) oder die zusätzliche Entfernung des Penis („das große heilige Siegel“). Bei der Frau entsprachen jenem die Entfernung der Klitoris (Klitoridektomie) und diesem die zusätzliche Ablation der Brüste. Der Eingriff soll in alter Zeit mit Beilen und glühenden Messern vorgenommen sein, später auch mit Rasiermessern.
Die Gottesdienste der Skopzen fanden in der Nacht von Samstag auf Sonntag statt und bestanden zu einem erheblichen Teil aus rituellen Tänzen; da diese Tänze eine visionäre Ekstase herbeiführen sollten, tanzten die Gläubigen gelegentlich bis zum körperlichen Zusammenbruch.
Trotz Verfolgung breitete sich die Bewegung während des 19. Jahrhunderts im gesamten Zarenreich aus; religiös motivierte Verstümmelungen der Genitalien sind auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch belegt.
Von den Skopzen spalteten sich im Zuge der Verfolgung die „Geistlichen Skopzen“ und die „Neuskopzen“ ab, die anstelle der Verstümmelung eine rigide Askese durch sexuelle Enthaltsamkeit praktizieren.
Literatur
- Alexander Etkind: Chlyst. sekty, literatura i revoljucija. Moskau 1998
- Karl Konrad Grass: Die geheime heilige Schrift der Skopzen. Leipzig 1904
- Karl Konrad Grass: Geschichte und Persönlichkeit der Skopzensekte. In: MNR. Band 63, 1910, S. 97–114
- Karl Konrad Grass: Russische Sekten: 4. Skopzen. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 1. Auflage, Band 5, 1913, S. 74–90 oder Die russischen Sekten (Nachdruck der Ausgabe 1907–1914), Zentral-Antiquariat der DDR, Leipzig
- Karl Konrad Grass: Die russischen Sekten. Band 2. Die weissen Tauben oder Skopzen nebst geistlichen Skopzen, Neuskopzen u.a. Ostberlin 1966
- A. I. Klebanow: Is Mira Religiosnowo Sektantswa.
- Walter Koch: Über die Russisch-rumänische Kastratensekte der Skopzen, Fischer, 1921 (anthropolische Studien)
- Ionel Rapaport: Introduction a la psychopathologie collective la secte mystique des Skoptzy. Erka, Paris 1949
- F. von Stein: Die Skopzensekte in Russland, in ihrer Entstehung, Organisation und Lehre. In: Zeitschrift für Ethnologie. Band 7, 1875, S. 37-69.
- Nikolai Wolkow: La secte russe des castrats. Paris 1995
Siehe auch
- Valesianer
- Liste von russischen Glaubensgemeinschaften außerhalb der Russisch-Orthodoxen Kirche
- Skopzen-Syndrom
Weblinks
- The Skoptzy - Englisch
- The Skoptzy, the russian sect of the castrated - Englisch
- Wege der Erniedrigung: Die Angst vor der Sexualität in der russischen Kultur
- F. von Stein: Die Skopzensekte in Russland, in ihrer Entstehung, Organisation und Lehre. In: * [Zeitschrift für Ethnologie. Band 7, 1875, zum Online-Lesen: http://www.archive.org/stream/zeitschriftfure40urgegoog#page/n48/mode/1up/search/Skopzen