Europäische politische Partei
Eine politische Partei auf europäischer Ebene (auch europäische politische Partei oder umgangssprachlich Europapartei genannt) ist eine Partei, die auf Ebene der Europäischen Union politisch tätig ist. Diese Parteien basieren überwiegend auf Verbünden nationaler Mitgliedsparteien mit ähnlicher politischer Richtung; es gibt jedoch auch europäische Parteien, in denen die Mitgliedschaft auch für Einzelpersonen möglich ist. Die europäischen Parteien wurden formal mit dem Vertrag von Maastricht 1992 eingeführt, allerdings bestanden auch schon vorher europaweite Parteiverbünde. Anfang Februar 2009 erfüllte mit Libertas erstmals eine Organisation, die sich nicht aus nationalen Mitgliedsparteien zusammensetzt, die Voraussetzungen zur Gründung einer europäischen Partei, ihr wurde dieser Status jedoch kurz darauf wieder entzogen.
In Art. 10 EU-Vertrag (zuletzt geändert durch den Vertrag von Lissabon 2007) werden die Aufgaben der europäischen politischen Parteien wie folgt beschrieben: „Politische Parteien auf europäischer Ebene tragen zur Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins und zum Ausdruck des Willens der Bürger der Union bei.“ Die europäischen Parteien werden daher nach Anerkennung durch das Europäische Parlament von der EU finanziert. Trotzdem die Parteien eigentlich im EU-Vertrag definiert sind, haben viele der Parteien Mitglieder in europäischen Ländern außerhalb der EU, zum Teil als assoziierte Mitglieder.
Die Parteien auf europäischer Ebene entstanden aus europaweiten Parteibündnissen und aus den Fraktionen im Europäischen Parlament, wobei sich heute umgekehrt auch wieder die Fraktionen des Europaparlaments vor allem aus den europäischen Parteien bilden. Dabei entsprechen sich Parteien und Fraktionen nicht völlig, einige Fraktionen bestehen aus mehreren europäischen politischen Parteien, in vielen Fraktionen finden sich außerdem Abgeordnete nationaler Parteien, die keiner europäischen Partei angehören. Derzeit gehören 578 der 736 Mitglieder des Europaparlaments, also 79%, einer europäischen politischen Partei an. Die Parteien bilden auch die Grundlage für die Fraktionen bzw. Gruppen im Ausschuss der Regionen und in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.
Voraussetzungen
Anerkannte Parteien haben einen Anspruch auf Förderung aus EU-Finanzmitteln. Damit ein Parteienbündnis als europäische politische Partei anerkannt wird, muss es folgende Bedingungen erfüllen, die in der Verordnung (EG) 2004/2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung festgelegt sind:
- Rechtspersönlichkeit in dem Mitgliedstaat, in dem sich der Sitz der Partei befindet
- Europaabgeordnete oder Abgeordnete in nationalen oder regionalen Parlamenten in mindestens einem Viertel der Mitgliedsstaaten; oder mindestens drei Prozent der Stimmen bei den letzten Europawahlen in mindestens einem Viertel der Mitgliedsstaaten
- Plan zur Teilnahme an Europawahlen
- Anerkennung der Grundsätze der EU (z. B. Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit)
Im Vergleich dazu sind zur Bildung einer Fraktion im Europaparlament seit 2009 mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens einem Viertel der Mitgliedsländer erforderlich.
Geschichte
Erste Parteienbündnisse auf EG-Ebene (1957-1991)
Bereits seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1952 gab es eine Zusammenarbeit der nationalen Parteien, die die verschiedenen Fraktionen im Europäischen Parlament bildeten. Diese basierten jedoch zunächst einzig auf einer gemeinsamen politischen Richtung und nicht auf einem echten organisatorischen Zusammenschluss. Der erste Schritt zu festeren Organisationsstrukturen erfolgte 1957 durch die Mitgliedsparteien der Sozialistischen Internationale in den EGKS-Mitgliedstaaten, die sich auf einem Kongress auf die Schaffung eines Verbindungsbüros verständigten. 1974 entstand daraus der Bund der Sozialdemokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft, der erste formelle Parteienverbund auf Ebene der Europäischen Gemeinschaften.
Die 1976 beschlossene Einführung von Direktwahlen zum Europäischen Parlament war dann der entscheidende Punkt zur Entstehung einer Vielzahl von transnationalen Parteizusammenschlüssen. Es wurde erkannt, dass diese einen wichtigen Schritt zur Legitimation des politischen Systems der EG darstellen müssten, durch die der supranationale Charakter des Europäischen Parlaments gestärkt würde. Transnationale Parteien sollten eine weniger stark nationale Betrachtungsweise der politischen Prozesse auf europäischer Ebene ermöglichen. Noch 1976 wurde daher die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) gegründet, die von Anfang an den Anspruch erhob, nicht nur ein Parteienbündnis, sondern eine gesamteuropäische Partei werden zu wollen. Im gleichen Jahr entstand auch die Föderation der Liberalen und Demokratischen Parteien in der Europäischen Gemeinschaft; 1979 folgte die Europäische Föderation Grüner und Radikaler Parteien, 1981 die Europäische Freie Allianz (EFA), in der sich verschiedene Regionalparteien zusammenschlossen. 1978 wurde zudem die Europäische Demokratische Union (EDU) als Bündnis konservativer Parteien gegründet, nachdem die EVP sich einer Aufnahme nicht-christlicher Mitglieder verschlossen hatte. Erst 1991 öffnete sich die EVP auch dem nicht konfessionellen konservativen Spektrum, sodass die EDU 2002 in ihr aufgehen konnte.
Trotz der programmatischen Arbeit, die im Vorfeld der Europawahl 1979 von den Gremien der europäischen Parteienverbünde geleistet wurde,[1] war der Wahlkampf bei dieser und auch bei den folgenden Wahlen vor allem einzelstaatlich geprägt. Zwar existierten transnationale programmatische Entwürfe, im Wahlkampf präsentierte sich aber jede einzelne nationale Partei mit einem eigenen Wahlprogramm, das meist primär von nationaler Thematik bestimmt war.[2] Die transnationalen Programme waren auch im Detail nicht gleich: Jeder Mitgliedsstaat konnte eigene Fußnoten hinzufügen, die die nationalen Interessen verdeutlichten.
Vertragliche Verankerung (1992-2003)
Der Maastrichter Vertrag von 1992 stärkte die Rolle der europäischen Parteien, die nun erstmals eine Grundlage im EU-Vertragssystem erhielten. In Art. 138a (nach späterer Nummerierung Art. 191) EG-Vertrag hieß es: „Politische Parteien auf europäischer Ebene sind wichtig als Faktor der Integration in der Union. Sie tragen dazu bei, ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürger der Union zum Ausdruck zu bringen.“ Obwohl mit dieser vertraglichen Festschreibung zunächst keine materiellrechtlichen Folgen verbunden waren, konstituierten sich in den folgenden Jahren mehrere der europäischen Parteienbündnisse unter Berufung auf Art. 138a EG-Vertrag neu. Der Bund der Sozialdemokratischen Parteien benannte sich im Herbst 1992 in Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) um, die Föderation der Liberalen und Demokratischen Parteien wurde im Dezember 1993 zur Europäischen Liberalen, Demokratischen und Reformpartei (ELDR). Ein neues Statut gaben sich auch die Europäische Föderation Grüner Parteien (1993) und die Europäische Freie Allianz (1994).
Mit dem Vertrag von Amsterdam 1997 erhielt der Status als europäische Partei eine neue Relevanz, da die Parteien nun die Möglichkeit einer Finanzierung aus dem EU-Haushalt erhielten. In der Folge wurden 2003 in einer EG-Verordnung erstmals auch Mindestkriterien etabliert, die ein Parteizusammenschluss erfüllen musste, um als politische Partei auf europäischer Ebene im Sinne des EG-Vertrags anerkannt zu werden.[3].
Jüngere Parteigründungen (seit 2004)
Vor der Europawahl 2004 entstand schließlich aus der Europäischen Föderation Grüner Parteien die Europäische Grüne Partei (EGP), die sich als erste europäische Partei nicht mehr nur aus ihren Mitgliedsparteien zusammensetzte, sondern auch Einzelpersonen eine Mitgliedschaft ermöglichte. Zudem führte die EGP als erste Partei eine europaweit einheitliche Wahlkampagne mit einem gemeinsamen Manifest. Ebenfalls im Jahr 2004 entstanden auch die zentristische Europäische Demokratische Partei (EDP), die Europäische Linke (EL) sowie die nationalkonservative Allianz für ein Europa der Nationen (AEN), die erste europaskeptische Europapartei. Im folgenden Jahr wurden mit der Allianz der Unabhängigen Demokraten in Europa (ADIE) und den EUDemokraten zwei weitere Europaparteien gegründet, die eine weitere Integration ablehnten. Beide erreichten jedoch nur einen geringen Einfluss, die ADIE löste sich Ende 2008 wieder auf.
Ein Novum bildete schließlich die irische Bürgerbewegung Libertas, die Anfang 2009 als erste rein transnationale Partei, das heißt ganz ohne nationale Mitgliedsparteien, von der EU anerkannt wurde. Libertas war 2008 als irische Bürgerbewegung für die Kampagne gegen den Vertrag von Lissabon entstanden und dann zu einer Partei umgegründet worden. Nachdem Abgeordnete aus sieben EU-Mitgliedstaaten ihre Mitgliedschaft in der Partei bekanntgegeben hatten, erfüllte sie die formalen Kriterien für eine Anerkennung als europäische Partei.[4] Allerdings widerriefen einige der Abgeordnete bereits kurz darauf ihre Parteimitgliedschaft wieder, sodass Libertas den Status bereits im selben Jahr wieder verlor und schließlich ihre Tätigkeit einstellte.
Als bislang letzte Organisationen erüllten Anfang 2010 die Europäische Christliche Politische Bewegung (ECPM) sowie die Allianz der Europäischen Konservativen und Reformisten (AECR) die Kriterien, um als Europapartei anerkannt zu werden. Allerdings gibt es noch verschiedene andere europäische Parteibündnisse, die eine Anerkennung als Europapartei anstreben.
Europäische politische Parteien im Einzelnen
Von der EU anerkannte politische Parteien
Assoziierte Mitglieder und Mitglieder mit Beobachtungsstatus sind in kursiv gesetzt.
Ehemalige Parteien
- Die rechtskonservative Allianz der Unabhängigen Demokraten in Europa (AIDE) bestand vom 28. Oktober 2005 bis zum 31. Dezember 2008. Ihre Mitglieder gehörten größtenteils der Fraktion IND/DEM an. Nach der Auflösung schlossen sich einige ihrer Mitglieder der neu gegründeten Libertas an, andere blieben ohne europäische Partei.
- Libertas war im Februar 2009 kurzfristig als europäische politische Partei anerkannt, nachdem zwei Abgeordnete des Europaparlaments aber ihre Unterstützerunterschriften zurückzogen, wurde ihr Status als Partei bis auf weiteres suspendiert. Nach dem Scheitern von Libertas bei der Europawahl 2009 und dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon stellte sie ihre Tätigkeiten ein.
- Die nationalkonservative Allianz für das Europa der Nationen existierte von 2004 bis 2009 und umfasste vor allem die Mitglieder der Fraktion UEN. Nach der Auflösung der Fraktion in Folge der Europawahl 2009 stellte die Partei ihre Tätigkeiten ein; die meisten ihrer Mitglieder schlossen sich der AECR an.
Weitere europäische Parteienbündnisse ohne offiziellen Parteienstatus
Name | Ausrichtung | Europaparlament | Mitgliedsparteien | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Abgeordnete | Fraktion | ![]() |
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Weitere (Auswahl) | |||
AENB | Allianz der europäischen nationalen Bewegungen | nationalistisch, postfaschistisch | 8 | - | - | - | - | ![]() ![]() ![]() |
NGL | Nordisch grün-linke Allianz | sozialistisch, grün | 3 | Grüne/EFA, GUE/NGL | - | - | - | ![]() ![]() ![]() |
PPI | Pirate Party International | Informationsfreiheit, Bürgerrechte | 1 | Grüne/EFA | PIRATEN | PPÖ | PPS | ![]() |
EAL | Europäische Antikapitalistische Linke | kommunistisch, anti-kapitalistisch | - | - | RSB, isl, DKP | KPÖ | - | ![]() ![]() |
ENF | Europäische Nationale Front | nationalistisch, rechtsextrem | - | - | NPD | - | - | ![]() ![]() |
Transnationale Parteien
Neben den genannten Parteibündnissen gibt es einige weitere europaweite Gruppierungen, die ausschließlich transnational organisiert sind und teilweise bei Europawahlen antreten, ohne jedoch die Voraussetzungen zur Gründung einer europäischen Partei zu erfüllen:
- Die Newropeans sind eine von dem französischen Aktivisten Franck Biancheri gegründete Organisation, die sich für die Demokratisierung der EU einsetzt [5]. Die Partei trat zur Europawahl 2009 unter anderem in Deutschland und in Frankreich an, in Deutschland erreichte sie 0,05%.
- Europa – Demokratie – Esperanto (E-D-E) setzt sich für den Gebrauch der Plansprache Esperanto auf europäischer Ebene ein [6]. Die Partei nahm erstmals 2004 in Frankreich an der Europawahl teil (0,15%) und trat 2009 auch in Deutschland an (0,04%).
- Die Organisation Vereintes Europa setzt sich ebenfalls für eine Demokratisierung der EU und eine stärkere Betonung der transnationalen Elemente ein.[7] Die Partei trat bisher noch nicht bei Europawahlen an.
Siehe auch
Quellen
- ↑ Jansen, Thomas (2002), Europäische Parteien, in: Weidenfeld, Werner, Europa Handbuch, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 396.
- ↑ Hrbek, Rudolf (1984), Die europäischen Parteienzusammenschlüsse, in: Weidenfeld, Werner und Wolfgang Wessels (Hrsg.), Jahrbuch der Europäischen Integration 1984, S. 274.
- ↑ Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung.
- ↑ EurActiv, 3. Februar 2009: Lissabon-Gegner erhalten Anerkennung und Gelder von EU.
- ↑ Offizielle Homepage der Newropeans.
- ↑ Offizielle Homepage von E-D-E.
- ↑ Offizielle Homepage von Vereintes Europa.
Weblinks
- Francesco Molica: Eine Führung durch Europas Parteienlandschaft Analyse der Fortschritte und Rückschritte bei der Herausbildung eines europäischen Parteiensystems; Vorstellung der europäischen politischen Parteien und der rechtlichen Aspekte (Die Euros, 28. Mai 2009)
- Andreas von Gehlen: Europäische Parteiendemokratie? Publikation mit ausführlicher Untersuchung der Geschichte, Organisationsform und Programmatik der EVP, SPE, ELDR und EGP (EFGP)
- Vertrag von Mastricht
- Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003, enthält die Vorschriften für die Bildung von Parteien auf europäischer Ebene und die Regeln für ihre Finanzierung.
Literatur
- Jürgen Mittag (Hrsg.): Politische Parteien und europäische Integration. Entwicklung und Perspektiven transnationaler Parteienkooperation in Europa. Essen 2006.
- Triantafyllia Papadopoulou: Politische Parteien auf europäischer Ebene. Auslegung und Konkretisierung von Art. 191 (ex 138a) EGV. Nomos Verlag, Baden-Baden 1999