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Linksfaschismus

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Linksfaschismus (auch: roter Faschismus) ist ein politisches Schlagwort, das in verschiedenen Zusammenhängen meist zur Kennzeichnung und Bewertung linksgerichteter Staatssysteme, Parteien oder Gruppen und ihrer Politik als "faschistisch" verwendet wird:

  • von demokratischen Gegnern des italienischen Faschismus, die diesen 1926 mit dem Stalinismus verglichen, um beide als gleichermaßen demokratiefeindlich darzustellen;
  • in den Auseinandersetzungen zwischen deutschen Sozialdemokraten und Kommunisten seit etwa 1929, die einander als "Sozialfaschisten" oder "rotlackierte Faschisten" bezeichneten;
  • seit 1967 gegen die antiautoritären Aktionen der APO (Studentenbewegung), vor deren möglichen Folgen Jürgen Habermas mit diesem Begriff warnte;
  • seit dem sogenannten „Historikerstreit“ im Geschichtsrevisionismus, um damit den Nationalsozialismus als indirekte Folge des Stalinismus zu deuten und seine Verbrechen zu relativieren;
  • im Rechtsextremismus als Vokabel zur Diffamierung politischer Gegner, seltener auch als positive Bezeichnung sozialer Elemente der eigenen Ideologie.

Der Begriff dient seit 1967 zur Abwertung und Charakterisierung der politischen Linken. Er enthält den Vorwurf, ihre angestrebte Gesellschaftsordnung weise ihrerseits faschistische, anti-liberale und totalitäre Elemente auf und fördere eine Entdemokratisierung in der politischen Entwicklung. Anders als den Faschismusbegriff verwendet die Politologie den Begriff "Linksfaschismus" jedoch kaum zur wissenschaftlichen Beschreibung einer Ideologie.

Urprüngliche Verwendung im Kontext des Totalitarismusbegriffs

Nach dem Wahlsieg von Benito Mussolini in Italien bezeichnete der Liberale Giovanni Amendola zunächst die italienischen Faschisten, dann auch die Stalinisten 1925 als "totalitär" (totalitario): Faschismus wie Kommunismus seien eine "totalitäre Reaktion auf Liberalismus und Demokratie". Diesen Vorwurf griff die Parteiführung der Faschisten Anfang 1926 auf, um ihn positiv für ihre Ideologie und Politik in Anspruch zu nehmen. Nun übernahm die gesamte konservativ-liberale Opposition in Italien die These von der strukturellen Ähnlichkeit der beiden Diktaturen. In diesem Zusammenhang schrieb der Führer der Volkspartei – einem Vorläufer der späteren „Democrazia Cristiana“ -, Priester Don Luigi Sturzo, in seinem Buch „Italien und der Faschismus"(1926):

„Insgesamt kann man zwischen Rußland und Italien nur einen einzigen Unterschied feststellen, daß nämlich der Bolschewismus eine kommunistische Diktatur oder ein Linksfaschismus ist und der Faschismus eine konservative Diktatur oder ein Rechtsbolschewismus ist."

Der Begriff ist also wie die Totalitarismusthese ursprünglich ein polemischer Kampfbegriff, der zwei politische Systeme als Diktaturen ablehnt und dazu ihre Ideologien parallelisiert.

Die Philosophin Hannah Arendt hat dem Begriff des Totalitarismus besonders in ihrem Hauptwerk "The Origins of Totalitarianism" (1951) ein theoretisches Fundament gegeben und die Ähnlichkeiten von Nationalsozialismus und Stalinismus intensiv analysiert. Gerade sie verwendete den Begriff "Faschismus" als gemeinsamen Oberbegriff dazu jedoch nicht und begrenzte ihre Analyse ausdrücklich auf die Sowjetunion bis zu Stalins Tod 1953.

Anknüpfend an das faschistische Selbstverständnis, haben auch manche Historiker soziale, antikapitalistische Elemente innerhalb des europäischen Faschismus als "Linksfaschismus" etikettiert. Otto-Ernst Schüddekopf etwa schrieb in dem Buch "Bis alles in Scherben fällt - Die Geschichte des Faschismus" (Bertelsmann 1973):

"Andere faschistische Bewegungen in Europa aber nahmen den Sozialismus durchaus ernst, so daß in der Typologie auch von 'Linksfaschismus' gesprochen wird. Die französischen Faschisten Marcel Deat, Eugene Deloncle, Jaques Doriot und Valois kamen vom Sozialismus und waren bestrebt, ihn in einer nationalen Form zu realisieren. Auch im Faschismus Mosleys war die sozialistische Komponente durchaus ernst zu nehmen. Seine an Keynes orientieren wirtschaftspolitischen Auffassungen hatte er in der Labour-Party und sogar in der linksgerichteten Independent Labour Party entwickelt. Es ging ihm in erster Linie um die Überwindung der Arbeitslosigkeit und die Schaffung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse."

Hier wird der Begriff also nach Herkunft und Zielen als ein nationaler Sozialismus aufgefasst und tendenziell positiv gewertet.

Verwendung gegen Sozialdemokraten und Kommunisten

Um 1925 übernahm die KPD unter Ruth Fischer Stalins Sozialfaschismus-These: Danach galten die "Reformisten" der gescheiterten 2. Internationale, also die westeuropäische, vor allem die deutsche Sozialdemokratie nun als Steigbügelhalter des aufkommenden Faschismus. Diese ideologische Einordnung hatte den machtpolitischen Sinn, die Mitgliedsparteien der von Moskau gelenkten "Komintern" gegenüber ihren Konkurrenten zu stärken und zugleich den gesamteuropäischen Führungsanspruch der KPdSU in der Arbeiterbewegung zu untermauern. Faktisch wurden dadurch wirksame Koalitionen zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten im Abwehrkampf gegen den Faschismus verhindert.

Als Reaktion darauf verstärkte auch die SPD ihre antikommunistische Haltung. Für sie erklärte etwa der spätere Vorsitzende der SPD, Kurt Schumacher, 1930 vor dem Reichsbanner Württemberg:

"Der Weg der leider ziemlich zahlreichen proletarischen Hakenkreuzler geht über die Kommunisten, die in Wirklichkeit nur rotlackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten sind. Beiden ist gemeinsam der Hass gegen die Demokratie und die Vorliebe für Gewalt."

Dies wurde nach 1945 zum oft zitierten Diktum von den "rotlackierten Faschisten" verkürzt.

Otto Rühle, seit 1914 Antimilitarist, 1918 Mitgründer der KPD, 1920 Gründer der "Kommunistischen Arbeiterpartei" als Reaktion auf die Ruhrkämpfe, prägte 1939 wiederum im Rückblick auf das Scheitern der "Volksfront"-Bemühungen gegen den Aufstieg der NSDAP den mit Linksfaschismus verwandten Begriff Roter Faschismus. Er folgte damit der stalinistischen "Sozialfaschismus"-These, obwohl er selbst kein Stalinist war und die "Säuberungen" in der Sowjetunion ablehnte. In seiner Abrechnungsschrift von 1939 aus dem mexikanischem Exil mit dem Titel „Brauner und Roter Faschismus“ kritisierte er den Verlauf der Novemberrevolution von 1918, besonders Friedrich Eberts Anordnungen zur blutigen Niederschlagung der Rätebewegung, die weitergehende Sozialisierungen verhinderten, mit den Worten:

„Das Kriegsbündnis mit der Bourgeoisie hatte die deutsche Sozialdemokratie auf ihre wahre Wesensgrundlage zurückgeführt. Sie war immer nur scheinbar eine sozialistische Bewegung gewesen. Jahrzehntelang hatte sie über das im Grunde bürgerliche Prinzip ihrer Konstitution hinweggetäuscht. Doch niemals hatte sie es überwinden können. Sie war und blieb eine kleinbürgerliche Reformpartei der Enttäuschten, Zukurzgekommenen, am kapitalistischen Aufstieg Verhinderten. Keine revolutionäre Bewegung, sondern nur eine Revolte wildgewordener Möchte-gern-Kapitalisten."

Verwendung gegen die APO

Am 9. Juni 1967 fand im Anschluss an die Beerdigung von Benno Ohnesorg ein Kongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) in Hannover mit etwa 5.000 Teilnehmern statt. Jürgen Habermas, Soziologe und Philosoph der "Frankfurter Schule", sagte nach dem Ende der öffentlichen Diskussion mit Rudi Dutschke:

"Herr Dutschke hat als konkreten Vorschlag nur vorgetragen, dass ein Sitzstreik stattfinden soll. Das ist eine Demonstration mit gewaltlosen Mitteln. Ich frage mich, warum er das nicht so nennt und warum er eine dreiviertel Stunde darauf verwendet hat, um eine voluntaristische Ideologie hier zu entwickeln, die man im Jahr 1848 utopischen Sozialismus genannt hat, die aber unter heutigen Umständen - jedenfalls glaube ich, Gründe zu haben, diese Terminologie vorzuschlagen - 'linken Faschismus' nennen muss."

Dutschke hatte zuvor Sitzstreiks an den Universitäten bis zur Aufklärung der Erschießung von Ohnesorg und die Bildung von "Aktionskomitees" zur Politisierung der Universitäten als Teil einer "bewussten Durchbrechung der etablierten Spielregeln" vorgeschlagen. Er sah wie viele Studenten die Gewaltenteilung der "bürgerlichen Demokratie" im Gefolge der Erschießung Ohnesorgs als nicht funktionsfähig an: Die Opfer würden zu den Tätern gestempelt, der tatsächliche Täter bliebe in Freiheit, die politisch Verantwortlichen blieben in ihren Ämtern. Nach jahrelangen Erfahrungen mit angemeldeten Demonstrationen etwa gegen den Vietnamkrieg wollte er die "sublime Gewalt" der bürgerlichen Gesellschaft durch "organisierte Irregularität" zwingen, "manifest zu werden." Nichtangemeldete Aktionen sollten der Bevölkerung die herrschenden Unterdrückungsmechanismen bewusst machen. Damit wollte Dutschke erklärtermaßen weitere Todesopfer vermeiden und zugleich einer befürchteten Einschüchterung der Protestierenden durch die Erschießung Ohnesorgs begegnen.

Habermas griff die theoretische Begründung dieses Konzepts der gezielten antiautoritären Provokation an. Er verglich sie mit dem utopischen Sozialismus des 19. Jahrhunderts, der die Bedingungen einer erfolgreichen Revolution nicht berücksichtigte, und dem Voluntarismus, der einen gesellschaftlichen Umsturz allein vom bewussten "Willen zur Macht" der Revolutionäre abhängig machte, statt gut marxistisch von der ökonomischen Reife der Gesellschaft. Dahinter stand auch seine marxistische Erklärung des Faschismus: Dieser war für die "kritische Theorie" in den 30er Jahren die Konsequenz und der latente Knüppel des nach außen liberal auftretenden Kapitalismus. Werde dieser von links bedroht wie im Italien der frühen zwanziger Jahre oder im Deutschland der Weltwirtschaftskrise, lege er seine pseudodemokratische Maske ab und beauftrage den Faschismus sozusagen damit, die Bedrohung von links gewaltsam zu zerschlagen. Eben dies, befürchtete Habermas nun, könnte geschehen, wenn Dutschke und der SDS den bürgerlichen Staat mit illegalen Aktionen provozierten, ohne doch die Chance zu haben, ihn durch eine erfolgreiche Revolution zu überwinden. Von einer Gleichsetzung der linken Militanz der APO mit dem Faschismus war Habermas also weit entfernt.

In der damaligen aufgeheizten Lage griffen aber besonders die konservativen Medien den Vorwurf des Linksfaschismus auf, wenn auch ganz anders, als Habermas ihn gemeint hatte, und deuteten Dutschkes Konzept damit zur Gegengewalt, Herausforderung von Staatsgewalt und Inkaufnahme von Menschenverletzungen um. Aber auch führende Politiker benutzten das Etikett zur Charakterisierung der APO. So sagte etwa der spätere Bundesjustizminister Horst Ehmke (SPD) auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg 1968:

„Soweit sie (die anti-liberale action directe) Diskussionen sprengt, Vorlesungen stört, Zeitungen verbrennt und Fensterscheiben einschlägt, verdient sie durchaus als 'pseudo-linker Faschismus' bezeichnet zu werden. Diese Art von Protest wird an den bestehenden Mängeln unserer Gesellschaft nicht das Geringste ändern. Sie wird vielmehr die Reaktion in diesem Lande stärken, Faschismus nicht 'herauslocken', sondern mitproduzieren."

Der Tod Benno Ohnesorgs löste eine Radikalisierung von Teilen der außerparlamentarischen Opposition (APO) aus, aus der auch der Individualterror der "Rote Armee Fraktion" hervorging.

Habermas nahm seinen Vorwurf wiederholt öffentlich zurück, schon in seinem Aufsatz "Hochschulreform und Protestbewegung", dann auch in einem Brief an Erich Fried vom 26. Juli 1967:

Ich habe in Hannover vom 'linken Faschismus' in einem klar hypothetischen Zusammenhang gesprochen.

In einem Brief vom 13. Mai 1968 an C. Grossner schrieb er zudem:

"Erstens habe ich damals nicht gesehen, dass die neuen Formen der Provokation ein sinnvolles, legitimes und sogar notwendiges Mittel sind, um Diskussionen dort, wo sie verweigert werden, zu erzwingen.
Zweitens hatte ich damals Angst vor den irrationalistischen Implikationen eines Vorgehens, das unter dem Topos 'die Spielregeln brechen' eingeführt wurde. Diese Befürchtungen hege ich heute auch, daher hat sich die Intention meiner damaligen Bemerkung nicht geändert. Freilich würde ich [...] heute [...] das Etikett des linken Faschismus vermeiden, und zwar nicht nur, weil dieses Etikett das grobe Missverständnis einer Identifizierung des SDS mit den rechten Studenten Anfang der dreißiger Jahre hervorgerufen hat, sondern weil ich inzwischen überhaupt unsicher geworden bin, ob das eigentliche Neue an den gegenwärtigen Revolten durch geistesgeschichtliche Parallelen getroffen werden kann.
Drittens halte ich nach wie vor Gewaltanwendung in der gegenwärtigen Situation nicht für ein vertretbares Mittel des politischen Kampfes."

Besonders unter dem Eindruck der Medienberichterstattung gegen "Sympathisanten" der Linksterroristen 1977 nahm Habermas kritische Intellektuelle vor dem "Linksfaschismus" in Schutz; seine Kritik antiliberaler und antidemokratischer Züge der APO erhielt er dabei aufrecht.

Das Schlagwort Linksfaschismus wird gleichwohl seit 1967 immer wieder zur pauschal-pejorativen Charakterisierung linksprogressiver Aktionen und Zielen verwendet.

Verwendung im Geschichtsrevisionismus

Im Historikerstreit versuchte vor allem Ernst Nolte, die bis dahin übliche Faschismus-Definition so zu erweitern, dass der Stalinismus als eine Ursache des auf ihn reagierenden Nationalsozialismus erscheinen konnte. Seitdem wird der Begriff des Linksfaschismus gern von Geschichtsrevisionisten verwendet, um den Nationalsozialismus als eine "Spielart" des Faschismus zu relativieren. Diese Intention gilt besonders auch dem Holocaust: Stalins Verbrechen sollen als gleichrangige oder schlimmere Vorläufer und Vorbilder für die Verbrechen des Hitlerregimes erscheinen.

Der Revisionist Hans-Helmuth Knütter schrieb 1993 das Buch Die Faschismuskeule - das letzte Aufgebot der Linken. Es dient zur Abwehr von historischen Sichtweisen, die auf der Unvergleichbarkeit des Holocaust insistieren. Daran knüpfte auch Martin Walser mit seiner Friedenspreisrede von 1998 an. Er prägte dort den Begriff der Moralkeule Auschwitz: Die Erinnerung an den Holocaust werde missbraucht, um permanente Schuldgefühle wachzuhalten und den Deutschen zu verbieten, ein ganz normales Volk zu sein.

Diese Argumentationsweise gehört seither zum gemeinsamen Standardrepertoire von Rechtskonservativen, Rechtspopulisten und Rechtsextremisten. So formulierte das rechtsextremistische Deutsche Kolleg um Horst Mahler:

"Wir danken Martin Walser, dass er der Welt mit der Benennung der Auschwitzkeule die Waffe wahrnehmbar gemacht hat, mit der der keimende Widerstand der Deutschen jeden Tag aufs Neue niedergeschlagen wird", und forderte ein Verbot für alle jüdischen Gemeinden.

Von der relativierenden Verwendung des Faschismusbegriffs zur Verharmlosung der Naziverbrechen führt also eine historische Linie zur Wiederbelebung und Aufwertung faschistischer Ziele.

Verwendung von Rechtsextremisten

Rechtsextreme Gruppen und Parteien wie die NPD benutzen den Begriff heute wahllos gegen sämtliche Gruppen und Parteien, die sie als "links" einordnen: vom antifaschistischen Spektrum über die PDS bis zu den Grünen. Dabei nehmen sie auf historische Genese und Gehalt des Faschismusbegriffs keinerlei Rücksicht, so dass "Linksfaschismus" ihnen ausschließlich zur Diffamierung politischer Gegner und Selbstaufwertung als "demokratischer Rechter" dient.

Von einigen Gruppen, die der NPD nahestehen, wird der Begriff positiv verwendet, um Teile des linksextremen Wählerpotentials zu vereinnahmen: Demnach soll der Antikapitalismus der gemeinsame Nenner von Nationalisten und Sozialisten sein. So heißt es zu den "Überläufern" ehemaliger SDS-Mitglieder wie Horst Mahler, Henry Lefevre oder Bernd Rabehl:

"Diese 'rechten Leute von links' haben in der Tat durch ihren Kampf gegen die multikriminelle Massengesellschaft und die Amerikanisierung unseres Lebens die antikapitalistischen, antiimperialistischen und sozialistischen Wurzeln des Nationalismus wieder freigelegt. Als Linke haben sie bewußt einen Schlußstrich gezogen zur Antifa-Linken, die im Interesse des US-Imperialismus die eigene Nation beschmutzt. In gleicher Weise haben sie aber auch einer neoliberalen "Rechten" die antikapitalistischen Leviten gelesen."

Hier bieten sich also Rechtsextremisten als echte politische Heimat für heimatlose Antikapitalisten an und benutzen "Linksfaschismus", um innerhalb der sozialistischen Bewegung "Sozialnationalisten" oder "National-Sozialisten" auf ihre Seite zu ziehen.

Verwendung im Streit um die Gentechnik (Sloterdijk)

Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk propagiert seit 1999 in Vorträgen und Aufsätzen zu den Biowissenschaften u.a. die "Menschenproduktion" und benutzt dabei Begriffe wie "Menschenzucht" und "Anthropotechnik". Er will den Abbau staatlicher Vorschriften, um die Keimbahntherapie und vorgeburtliche Diagnostik samt Selektion von "fehlerhaften" Embryonen zum Regelfall zu erheben.

Dies löste eine heftige Debatte aus, in deren Verlauf Sloterdijk u.a. Rassismus vorgeworfen und er als "Kryptofaschist" bezeichnet wurde. Darauf reagierte er seinerseits mit dem Vorwurf des "Linksfaschismus" gegen seine Kritiker. In diesem Konflikt ging es auch um das Erbe der kritischen Theorie, die Sloterdijk für "tot" erklärte: Die Philosophie solle sich endlich zu einer "kopernikanischen Mobilmachung" bekennen und eine "ptolemäische Abrüstung" vornehmen. Er meinte damit das Ablegen von aus seiner Sicht überholten, dogmatischen Ideologien, besonders im Bereich der marxistisch beeinflussten Sozialwissenschaften.

Die Diskussion um den Faschismus-Begriff ist also durch die ethische Problematik der neuen biologischen und medizinischen Möglichkeiten, die die Gentechnik eröffnet, wieder in Gang gekommen. Die Sorge, dass die Idee einer Auswahl "höherwertigen" zu Ungunsten von "lebensunwertem" Leben unter der Hand durch das Schaffen von Fakten an Raum gewinnt, ist schon seit Beginn der 70er Jahre in der Theologie ausgesprochen worden (z.B. von Karl Rahner: Zum Problem der genetischen Manipulation aus der Sicht des Theologen).

Daniel Cohn-Bendits Selbstkritik

In einem Spiegel-Interview vom Mai 2001 räumte Daniel Cohn-Bendit, Europaabgeordneter der Grünen, "Alt-68er" und Weggenosse Joschka Fischers, teilweise linksfaschistische Tendenzen der damaligen Studentenbewegung ein. Er stellte zunächst beobachtend fest:

"Was uns angeht, so weiß ich heute, dass es keine Bewegung gibt, die clean ist. Bewegungen durchlaufen offenbar zwangsläufig einen ideologischen Dogmatisierungsprozess, weil sie auf diese Weise erst die Kraft aufbringen, gegen Widerstände anzugehen. Das lässt sich auch an der Ökobewegung oder der Frauenbewegung vorführen."

In diesem Zusammenhang kam er von sich aus auf die Kritik von Jürgen Habermas an der APO zu sprechen:

"Ich habe einmal mit Jürgen Habermas über 1968 und die Folgen diskutiert. Ich habe ihm gesagt, unser größter Fehler sei der Mangel an demokratischer Sensibilität gewesen, und ich habe ihm im Nachhinein Recht gegeben für seinen Satz vom Linksfaschismus der Studenten."

Auf die Rückfrage, ob die Ereignisse im Gefolge des 2. Juni 1967 bereits "Linksfaschismus" gewesen seien, antwortete Bendit:

"Es war antiautoritär, libertär, sozialromantisch, zärtlich und solidarisch, aber auch linksautoritär und linksstalinistisch. In der Erscheinungsform ähnelte es dann dem faschistoiden Gebaren."

Auf die weitere Rückfrage, ob auch Joschka Fischers Verhalten gegenüber einem Polizisten, den er mit vier "Straßenkämpfern" und Steinen in der Hand verprügelte, linksfaschistisch gewesen sei, antwortete er:

"Nein, es ist Linksmachismus. Wir hatten so oft Prügel von der Polizei bezogen, dass sie beschlossen, nicht mehr wegzulaufen - sie wollten endlich einmal ihren Mann stehen. Unsere Selbstgerechtigkeit, unsere Unfähigkeit zu offenen Diskussionen, die uns Peter Boenisch zu recht vorhält, ist ein wahrer wunder Punkt [...] Ich hätte schon viel früher zu dem Polizisten gehen sollen, der bei der Meinhof-Demonstration im Mai 1976 von einem Molotow-Cocktail schwer verletzt wurde."

Zusammenfassung

Angesichts der Tatsache, dass sich die deutsche Nachkriegslinke selbst als antifaschistisch versteht, wiegt dieser Vorwurf schwer. Er wirkte in der öffentlichen Debatte häufig als Gleichsetzung von linken Gesellschaftstheorien mit dem Faschismus und hat damit eine differenzierte Auseinandersetzung mit ihnen faktisch erschwert. Wie bei vielen Schlagworten im Bereich der Politik verselbstständigte sich der Gebrauch gegenüber dem ursprünglichen Sinn des Wortes: Es wurde oft nicht zur Kritik an Teilen einer Ideologie benutzt, sondern wird bis heute auch zur gezielten Diffamierung benutzt.

Literatur