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Ship-to-Gaza-Zwischenfall

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Der Ship-to-Gaza-Zwischenfall war die Enterung eines vom Free Gaza Movement organisierten, internationalen Konvois von sechs Schiffen, beladen mit rund 10.000 Tonnen Hilfsgütern und 700 Aktivisten an Bord, am 31. Mai 2010 durch die Israelische Marine[1] Dabei kamen mindestens neun Menschen ums Leben.[2] Der Konvoi wollte die Seeblockade des Gazastreifens durchbrechen, die seit der gewaltsamen Machtübernahme der Hamas von Israel streng kontrolliert wird. Aufforderungen, die Fahrt zu stoppen, wurden von den Aktivisten abgelehnt.

Nach israelischen Angaben seien die israelischen Soldaten bei der Enterung an Bord des Schiffes Mavi Marmara mit Messern und mit scharfer Munition angegriffen worden.[3][4] Israel gab bekannt, sieben Soldaten seien verletzt worden, zwei davon schwer.[5] Nach Angaben der Organisatoren hätten die Angreifer beim Betreten des Schiffs Mavi Marmara sofort das Feuer auf schlafende Zivilisten eröffnet.[6]

Die Mavi Marmara am 22. Mai 2010

Israel erklärte, es bestehe der Verdacht, dass der Konvoi illegal Waffen in den Gazastreifen transportiere. Die türkische Organisation IHH, die den Konvoi maßgeblich mitgeplant habe, unterhalte Verbindungen zur Hamas, al-Qaida und anderen islamistischen Organisationen in Algerien, Libyen und der Türkei.[7]

Im Vorlauf der Aktion hatte die Familie des von der Hamas entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit Free Gaza angeboten, deren Anliegen bei der israelischen Regierung zu unterstützen, falls diese sich bei Hamas dafür einsetzten, dass ihrem Sohn ein Paket mit Lebensmitteln und Briefen übergeben werden dürfe.[8]

Reaktionen

Die israelische Regierung erklärte, sie bedauere, dass Menschen bei der Aktion umgekommen seien, betonte jedoch, israelische Soldaten seien von bewaffneten Aktivisten bei der Enterung angegriffen worden. Israel hatte im Vorfeld mehrmals erklärt, eine direkte Durchfahrt in den Hafen von Gaza nicht zu gestatten und die Schiffe notfalls gewaltsam zu stoppen. Ein Angebot Israels, die Ladung der Schiffe in Aschdod zu löschen und von dort aus in den Gazastreifen weiterzutransportieren, war von den Organisatoren des Konvois abgelehnt worden.[9][10]

Offizielle der Türkei kritisierten Israels Vorgehen heftig. Israel habe „auf unschuldige Zivilisten gezielt“. Das Entern der Schiffe sei in internationalen Gewässern erfolgt und somit ein „Akt der Piraterie“. Die Türkei zog als Reaktion ihren Botschafter aus Israel ab. Der Konvoi war von dem türkisch besetzten Teil Zyperns aus aufgebrochen. Der größte Teil der Aktivisten soll türkischer Herkunft sein. Eines der Schiffe fuhr zudem unter türkischer Flagge.[11]

Die Europäische Union sowie die Vereinten Nationen zeigten sich betroffen von den Vorkommnissen und verlangten umfangreiche Aufklärung über den Fall. Ähnlich äußerten sich auch Deutschland und Frankreich. Die spanische EU-Ratspräsidentschaft bezeichnete die Tatsache, dass Menschen umgekommen seien, als „äußerst schwerwiegend und inakzeptabel“. US-Präsident Barack Obama bedauerte, dass es zu Todesfällen kam und hofft auf eine schnelle Aufklärung.[12]

Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Musa, erklärte, der Vorfall sei ein Zeichen dafür, dass Friedensverhandlungen mit Israel nichts bringen würden. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bezeichnete den Vorfall als „Massaker“ und „abscheuliches Verbrechen“.[13]

Die Organisation rief nach dem Vorfall zu Demonstrationen in der Türkei auf. Medienberichten zufolge zeigte sich dabei die Nähe der Organisation zur Muslimbruderschaft und anderen radikalen Gruppen.[14][15]

Prominente Passagiere

Internationales Recht

Nach dem Seerechtsübereinkommen erstreckt sich das Hoheitsgebiet eines Staates zwölf Seemeilen von der Basislinie der Küste, das sogenannte Küstenmeer. Israel beansprucht zwar Hoheitsgewässer in diesem Ausmaß, hat jedoch das Seerechtsabkommen nicht unterschrieben.[16] Außerhalb der Hoheitsgewässer dürfen zivile Schiffe nur unter bestimmten Bedingungen angehalten und durchsucht werden. Diese Grenzen legt Artikel 110 des Abkommens fest; es betrifft dies Sklavenhandel, Piraterie, illegale Rundfunksendungen, Schiffe ohne Staatsangehörigkeit und Schiffe des Flaggenstaates, die keine oder eine fremde Flagge zeigen. Ein begründeter Verdacht ist hierbei ausreichend.[17]

Das beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz in Genf hinterlegte San Remo Manual on International Law Applicable to Armed Conflicts at Sea verbietet in Absatz 67(a) die Anhaltung und Durchsuchung von zivilen Schiffen und auch den Angriff auf solche Schiffe, es sei denn, es bestünde der begründete Verdacht, dass das Schiff eine Blockade durchbrechen soll oder konfliktrelevante Schmuggelgüter transportiert. Absatz 98 ermöglicht die Kaperung von blockadebrechenden Schiffen. Schiffe, die sich der Kaperung widersetzen dürfen angegriffen werden. Eine solche Blockade muss erklärt sein, und die zivilen Schiffe, die diese zu brechen versuchen, müssen vor dem Angriff gewarnt werden. Ist die von der Blockade betroffene Zivilbevölkerung unzureichend mit Lebensmitteln und anderen grundlegenden Gütern versorgt, muss nach Absatz 103 der die Blockade verhängende Staat die Versorgung von außen zulassen; er kann allerdings die Art und Weise der Versorgung vorschreiben und Kontrollen vornehmen.[18]

Einzelnachweise

  1. Angriff auf Gaza-Konvoi. sueddeutsche.de;
  2. Mindestens neun Tote bei israelischer Militäraktion. tagesschau.de;
  3. FAZ, 31. Mai 2010: Israelische Streitkräfte entern „Solidaritätsflotte“
  4. Die Welt, 31. Mai 2010: Israelisches Kommando stürmt gewaltsam Flottille
  5. http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/israel-navy-commandos-gaza-flotilla-activists-tried-to-lynch-us-1.293089
  6. Civilians Under Attack by Israel
  7. http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/IHH-Hilfsorganisation-oder-Terrorhelfer/story/25586983
  8. Haaretz, 27. Mai 2010: Gaza aid convoy refuses to deliver package to Gilad Shalit
  9. http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/barak-organizers-of-gaza-flotilla-to-blame-for-deadly-clashes-1.293187
  10. http://www.juedische.at/TCgi/_v2/TCgi.cgi?target=home&Param_Kat=3&Param_RB=5&Param_Red=13061
  11. http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~EF497051C30624783B5D36C79F691F74E~ATpl~Ecommon~Scontent.html
  12. Readout of the President's Call with Prime Minister Netanyahu of Israel. White House Press Office; (englisch).
  13. http://www.stern.de/politik/nach-angriff-auf-gaza-schiffe-angst-vor-krieg-1570332.html
  14. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,697788,00.html
  15. http://welt.de/politik/ausland/article7861577/Regierung-laesst-radikale-Israel-Gegner-gewaehren.html
  16. Chronological lists of ratifications of, accessions and successions to the Convention and the related Agreements as at 01 March 2010. United Nations, 1. März 2010, abgerufen am 1. Juni 2010 (englisch).
  17. Art. 110 Recht zum Betreten. In: Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft, abgerufen am 1. Juni 2010.
  18. San Remo Manual on International Law Applicable to Armed Conflicts at Sea. Abgerufen am 1. Juni 2010 (englisch).