Walter Scheel

Walter Scheel (* 8. Juli 1919 in Solingen) ist ein deutscher Politiker (FDP). Er war von 1961 bis 1966 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und von 1969 bis 1974 Bundesminister des Auswärtigen sowie Vizekanzler. Nach dem Rücktritt von Bundeskanzler Willy Brandt am 7. Mai 1974 war Scheel neun Tage lang geschäftsführender Bundeskanzler. Von 1974 bis 1979 war er der vierte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland.
Ausbildung und Beruf
Scheel kam in Höhscheid (heute: Solingen-Höhscheid) als Sohn eines Stellmachers zur Welt; er ist evangelischer Konfession. Nach dem Abitur auf dem Gymnasium Schwertstraße absolvierte Scheel von 1938 bis 1939 eine Banklehre bei der Volksbank Solingen, die er mit "Gut" abschloss. Ab 3. September 1939 leistete er Kriegsdienst. Walter Scheel diente bei einem Nachtjagdverband der Luftwaffe und war bei Kriegsende Oberleutnant. Nach 1945 war er bis 1953 als Geschäftsführer in der Industrie und in Verbänden tätig. Danach arbeitete er als selbständiger Wirtschaftsberater in Düsseldorf. 1958 wurde er Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts Intermarket. Im gleichen Jahr gründete er zusammen mit Gerhard Kienbaum und Carl Zimmerer die Düsseldorfer M&A Firma InterFinanz, die er zusammen mit Carl Zimmerer bis Ende 1961 führte. Seine Gesellschaftsanteile (42%) veräußerte er 1964 an die Mitgesellschafter.
Familie

Nach 24-jähriger Ehe starb seine erste Frau Eva Charlotte geb. Kronenberg (1921–1966). Aus dieser Ehe ging Scheels erstes Kind Ulrich hervor. Von 1969 bis zu ihrem Tod im Jahr 1985 war er mit Mildred Scheel (1932–1985) verheiratet. Sie brachte die Tochter Cornelia Scheel mit in die Ehe. Mildred Scheel war Begründerin der Deutschen Krebshilfe. Aus dieser Ehe ging 1970 Andrea-Gwendoline Scheel hervor, der Sohn Simon Martin Scheel wurde 1971 aus Bolivien adoptiert. Seit 1988 ist Walter Scheel mit Barbara geb. Wiese (* 1938) verheiratet. Frau Barbara Scheel führte über 20 Jahre lang eine Praxis für Rehabilitationsmedizin und Psychosomatik in Ascona (Tessin). Das Ehepaar lebte von 2001 bis 2008 in Berlin und zog Anfang 2009 nach Bad Krozingen.
Parteimitgliedschaften
NSDAP
Walter Scheel war seit 1942 NSDAP-Mitglied. Die Mitgliedschaft habe jedoch während seiner Militärzeit geruht. Dies hatte Scheel im Rahmen einer Diskussion um die NSDAP-Mitgliedschaft von Karl Carstens 1978 mitgeteilt.[1]
Ab 1946 in der FDP
Seit 1946 ist Scheel Mitglied der FDP. Seit 1954 war Scheel Mitglied des FDP-Landesvorstandes in Nordrhein-Westfalen und ab 1956 zusätzlich Mitglied des Bundesvorstandes der FDP. Im selben Jahr gehörte Scheel zu den sog. Jungtürken (u.a. mit Erich Mende, Willi Weyer, Hans Wolfgang Rubin und Wolfgang Döring), die den Koalitionswechsel der FDP in Nordrhein-Westfalen von der CDU zur SPD einleiteten und damit die Abspaltung der Euler-Gruppe und die Gründung der kurzlebigen Freien Volkspartei (FVP) provozierten. 1968 wurde er schließlich als Nachfolger von Erich Mende zum Bundesvorsitzenden der FDP gewählt. Anfang der 1970er Jahre gehörte er mit Werner Maihofer und Karl-Hermann Flach zu den Autoren der Freiburger Thesen, des neuen Grundsatzprogramms der FDP. Mit seiner Wahl zum Bundespräsidenten 1974 legte er dann alle Parteiämter nieder. Nach dem Ende seiner Amtszeit als Bundespräsident wurde er 1979 zum Ehrenvorsitzenden der FDP ernannt.
Von 1968 an war er Vizepräsident der „Liberalen Weltunion“ (Vorgänger der Liberalen Internationale).
Abgeordneter

Von 1948 bis 1950 war Scheel Stadtrat in seiner Heimatstadt Solingen. Von 1950 bis 1954 war er Mitglied des Landtages von Nordrhein-Westfalen. 1953 schließlich wurde er Mitglied des Deutschen Bundestages, dem er bis zum 27. Juni 1974 angehörte, er legte sein Mandat wegen der Wahl zum Bundespräsidenten nieder. Von 1967 bis 1969 war er Vizepräsident des Deutschen Bundestages.
Vom 1. Juli 1956 bis 20. November 1961 war er außerdem Mitglied des Europäischen Parlamentes. Hier war er von 1959 bis 1962 Vorsitzender des Ausschusses für Fragen der Assoziierung der überseeischen Länder und Gebiete und seit 1958 stellvertretender Vorsitzender der liberalen Fraktion.
Öffentliche Ämter
Nach der Bundestagswahl 1961 wurde Scheel am 14. November 1961 im Kabinett von Bundeskanzler Konrad Adenauer zum Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ernannt. Am 19. November 1962 trat er anlässlich der Spiegel-Affäre zusammen mit den anderen FDP-Bundesministern aus Protest zurück. Dem daraufhin am 13. Dezember 1962 ohne den umstrittenen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß gebildeten Kabinett gehörte er dann aber mit gleicher Funktion wieder an. Er behielt dieses Amt auch in der von Bundeskanzler Ludwig Erhard geführten Bundesregierung. Wegen eines Streits über den Bundeshaushalt trat er am 28. Oktober 1966 gemeinsam mit den anderen FDP-Bundesministern von seinem Amt zurück.

Nach der Bundestagswahl 1969 wirkte er maßgeblich auf die Bildung einer sozialliberalen Bundesregierung hin und wurde im Kabinett von Willy Brandt am 22. Oktober 1969 zum Vizekanzler und zum Bundesminister des Auswärtigen ernannt. 1970 besuchte Scheel als erster deutscher Außenminister Israel, das 1965 diplomatisch anerkannt worden war. Scheel gilt gemeinsam mit Willy Brandt als „Vater der Entspannungspolitik“ und der neuen Deutschlandpolitik, die zunächst von den Unionsparteien scharf bekämpft wurde und auch zu Fraktionsaustritten bei den Regierungsparteien SPD und FDP führte, so dass diese die Mehrheit im Deutschen Bundestag verloren. Die Neuwahlen 1972 stärkten sowohl die SPD als auch Scheels FDP und bewiesen die allgemeine Akzeptanz der sozialliberalen Politik.
Nach dem Rücktritt von Bundeskanzler Brandt am 7. Mai 1974 nahm Scheel auf Bitten des Bundespräsidenten die Amtsgeschäfte des Bundeskanzlers wahr, bis Helmut Schmidt am 16. Mai 1974 zum neuen Bundeskanzler gewählt wurde. Am selben Tag schied Scheel aus dem Bundeskabinett aus. Damit war Scheel neun Tage lang geschäftsführender Bundeskanzler.

Bei der Wahl des deutschen Bundespräsidenten 1974 am 15. Mai 1974 wurde er mit 530 Stimmen von SPD und FDP in der Bundesversammlung gegen Richard von Weizsäcker (CDU, 498 Stimmen) zum vierten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt und trat am 1. Juli 1974 sein neues Amt an.
Somit war Scheel für zwei Tage geschäftsführender Bundeskanzler und gewählter Bundespräsident in einem, ein verfassungsgeschichtlich einmaliger Vorgang.
Als Bundespräsident verweigerte er 1976 einem Gesetz zur Abschaffung der Gewissensprüfung bei Kriegsdienstverweigerern seine Unterschrift, da er die Zustimmung des Bundesrates für notwendig erachtete.
Für die Wahl des deutschen Bundespräsidenten 1979 stellte er sich angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung nicht erneut zur Verfügung und schied damit am 30. Juni 1979 aus dem Amt.
Seit 1979 ist Scheel Pensionär.
Staatsbesuche
Jahr | Monat | Staaten |
---|---|---|
1975 | 21.–25. April | Frankreich |
15.-20. Juni | USA | |
10.–15. November | Sowjetunion | |
28. November | Spanien | |
1976 | 15.–18. Juni | Finnland |
18.–19. Juni | Schweden | |
1977 | 5.–6. Juni | Bahamas |
6.–9. Juni | Costa Rica | |
9.–15. Juni | Mexiko | |
22.–24. September | Schweiz | |
1978 | 16.–19. Januar | Mexiko |
16.–21. April | Japan | |
21.–24. April | Iran | |
16.–18. Oktober | Cookinseln | |
18.–23. Oktober | Neuseeland | |
23.–27. Oktober | Australien | |
27.–28. Oktober | Mauritius | |
1979 | 19.–23. Februar | Österreich |
16. Juni | Dänemark |
Ehrenämter
Von 1967 bis 1974 war Scheel stellvertretender Vorsitzender der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, 1979 wurde er deren Kuratoriumsvorsitzender; seit 1991 ist er Ehrenvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung. Von 1980 bis 1985 war er Vorsitzender der Bilderberg-Konferenz und 1980 bis 1989 Präsident der Europa-Union sowie Ehrenmitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Von 1995 bis 2000 war Scheel 1. Kuratoriumsvorsitzender der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, einer Bundesstiftung des öffentlichen Rechts, mit Sitz in Berlin. In Nachfolge von Theodor Heuss und Carlo Schmid ist Scheel seit 1980 Ehrenpräsident des Deutschen Künstlerbundes. Von 1980 bis 1985 war Walter Scheel Präsident des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung, dessen Ehrenpräsident er bis heute ist.[2]
Scheel ist Ehrenvorsitzender des Kuratoriums von Plan International und Ehrenpräsident der Deutsch-Britischen Gesellschaft.
Außerdem ist er Schirmherr der Darul-Aman Stiftung, die den Wiederaufbau des Darul-Aman-Palastes als zukünftiges Parlamentsgebäude von Afghanistan fördert.
Auszeichnungen und Ehrungen (Auszug)
1971 wurde Scheel der Theodor-Heuss-Preis und das Großkreuz des Verdienstordens der Italienischen Republik verliehen, 1974 folgte der Orden wider den tierischen Ernst. 1977 wurde er mit dem Karlspreis ausgezeichnet. Walter Scheel ist seit 1976 Ehrenbürger seiner Heimatstadt Solingen, seit 1978 von Berlin und Bonn, seit 1979 von Düsseldorf und seit 2006 von Kranichfeld. Er ist wie alle deutschen Bundespräsidenten Träger des höchsten deutschen Ordens (Sonderstufe des Bundesverdienstkreuzes).
Scheel ist Ehrendoktor der Universitäten Georgetown, Maryland (beide USA), Auckland (Neuseeland), Bristol (Großbritannien) und Heidelberg.
Walter Scheel wurde mit über 60 internationalen Orden ausgezeichnet.
Sonstiges
Sehr bekannt wurde auch Walter Scheels musikalischer Auftritt mit dem Volkslied „Hoch auf dem gelben Wagen“, das er zusammen mit dem Düsseldorfer Männergesangsverein aufnahm. Die Aufnahme wurde am 6. Dezember 1973 in der Fernsehshow Drei mal Neun aufgeführt; im Januar 1974 belegte das Lied Platz 5 der deutschen Musikcharts.
2006 sang Scheel mit einem Chor das erwähnte Lied in einer Fernsehshow des Moderators Gunther Emmerlich. Scheel war dort zu Gast, weil ihm von Hans-Dietrich Genscher ein Preis überreicht wurde.
Walter Scheel ist der letzte noch lebende Minister der Kabinette von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard.
Veröffentlichungen
- Opposition als Auftrag. In: Liberal. 1967, Heft 8, Seiten 575 bis 580.
- Opposition: Kritik und Kontrolle. In: Liberal. 1967, Heft 11, Seiten 806 bis 809.
- Formeln deutscher Politik. 1968.
- Warum Mitbestimmung – und wie?, 1970.
- mit Karl-Hermann Flach und Werner Maihofer: Die Freiburger Thesen der Liberalen. Rowohlt, Hamburg 1972, ISBN 3-499-11545-X
- Vom Recht des Anderen – Gedanken zur Freiheit. 1977.
- Die Zukunft der Freiheit - Vom Denken und Handeln in unserer Demokratie. Econ Verlag, 1979.
- Wen schmerzt noch Deutschlands Teilung?, 1986.
- mit Otto Graf Lambsdorff: Freiheit in Verantwortung, Deutscher Liberalismus seit 1945. Bleicher 1988, ISBN 3-88350-047-X
- mit Jürgen Engert: Erinnerungen und Einsichten. Hohenheim-Verlag, Stuttgart 2004, ISBN 3-89850-115-9
- TV-Duell 1969. In: Sascha Michel/Heiko Girnth (Hgg.): Polit-Talkshows - Bühnen der Macht. Ein Blick hinter die Kulissen. Bonn: Bouvier. 2009. S. 161-164.
- Hoch auf dem gelben Wagen – Schallplatte, 1974
Literatur
- Hans-Roderich Schneider: Präsident des Ausgleichs. Bundespräsident Walter Scheel. Ein liberaler Politiker. Vlg. Bonn aktuell, 1975, ISBN 3-87959-045-1
- Walter Henkels: … aber der Wagen der rollt. Walter Scheel anekdotisch. Econ Verlag.
- Hermann Otto Bolesch: Typisch Scheel. Geschichten, Anekdoten, Pointen. Bertelsmann.
- Hans-Dietrich Genscher (Hrsg.): Heiterkeit und Härte: Walter Scheel in seinen Reden und im Urteil von Zeitgenossen. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1984, ISBN 3-421-06218-8
- Jürgen Mittag: Vom Honoratiorenkreis zum Europanetzwerk. Sechs Jahrzehnte Europäische Bewegung Deutschland. In: 60 Jahre Europäische Bewegung Deutschland. Berlin 2009, S. 12–28. Online
Siehe auch
- Kabinett Adenauer IV – Kabinett Adenauer V – Kabinett Erhard I – Kabinett Erhard II – Kabinett Brandt I – Kabinett Brandt II
- Liste ehemaliger NSDAP-Mitglieder, die nach Mai 1945 politisch tätig waren
Weblinks
- Literatur von und über Walter Scheel im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Deutsches Historisches Museum
- Webseite des Bundespräsidenten
- Informationen über Walter Scheel und die Geschichte des Liberalismus nach 1945
- Informationen über die Darul-Aman-Stiftung
Einzelnachweise
- ↑ zitiert aus der ZEIT, 47/1978
- ↑ Mittag 2009: 29
Personendaten | |
---|---|
NAME | Scheel, Walter |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Politiker (FDP), Bundespräsident der BRD (1974–1979) |
GEBURTSDATUM | 8. Juli 1919 |
GEBURTSORT | Solingen |
- Bundespräsident (Deutschland)
- Außenminister (Bundesrepublik Deutschland)
- Vizekanzler (Deutschland)
- Entwicklungsminister (Deutschland)
- Bundestagsabgeordneter
- MdEP für Deutschland vor 1979
- Landtagsabgeordneter (Nordrhein-Westfalen)
- Bundesvorsitzender der FDP
- NSDAP-Mitglied
- Ehrenbürger von Berlin
- Ritter des Ordens wider den tierischen Ernst
- Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
- Träger des Verdienstordens der Italienischen Republik (Großkreuz)
- Träger des Verdienstordens des Landes Nordrhein-Westfalen
- Karlspreisträger
- Ehrenbürger von Düsseldorf
- Ehrenbürger von Bonn
- Person (Solingen)
- Deutscher
- Geboren 1919
- Mann