Wasserstoffatemtest
Der Wasserstoffatemtest oder H2-Atemtest ist ein bestimmter Atemgastest. Diese wenig belastende medizinische Diagnosemethode zur Erkennung von verschiedenen Syndromen des Magen-Darm-Traktes wird seit 1969[1][2][3][4] eingesetzt bei Beschwerden wie chronischem Durchfall, chronischen oder wiederkehrenden Bauchschmerzen und anderen Beschwerden im Bauchraum. Erkannt werden können so z.B. die relativ häufige Laktoseintoleranz / Laktosemaldigestion und die Fruktosemalabsorption. Einen umfassenden deutschsprachigen Überblick gibt das Buch H2-Atemteste[5].
Testprinzip
Der Test beruht auf der Messung der Konzentration des Wasserstoffs = H2 in der Ausatemluft. Wasserstoff entsteht bei jedem Menschen nur durch bakterielle Zersetzung. Sofern keine Fehlbesiedlung des Dünndarms vorliegt, findet eine solche bakterielle Zersetzung von Kohlenhydraten (beispielsweise Zucker und Zuckeralkohole) nur im Dickdarm statt. Dieser Wasserstoff wird aus dem Dickdarm in das Blut aufgenommen und über die Lunge abgeatmet. Die Menge des aufgenommenen und anschließend abgeatmeten Wasserstoffs ist abhängig von der Menge der Kohlenhydrate, die in den Dickdarm gelangen. Dieser Umstand wird diagnostisch genutzt: Der Proband erhält einen Kohlenhydrat(Zucker)-Trunk (z. B. Laktose oder Fruktose). Der Wasserstoff in der Ausatemluft wird vor und nach dem Trunk gemessen.
Der Kohlenhydrattrunk erreicht zunächst den Dünndarm. Der Dünndarm ist normalerweise kaum mit Bakterien besiedelt, so dass hier kein Anstieg der H2-Werte erfolgt. Wird ein Teil der Kohlenhydrate im Dünndarm nicht resorbiert, erreicht dieser Teil nach etwa einer Stunde (die genaue Passagezeit kann durch einen Lactuloseatemtest bestimmt werden[6], da Laktulose nicht resorbiert wird) den Dickdarm, wo H2 gebildet wird, und über die Atemluft nachweisbar ist.
Da Trennverfahren, wie hier die Aufnahme von Kohlenhydraten aus dem Darminhalt, nie zu 100% erfolgen, werden kleine Mengen an Testsubstanz, die den Dickdarm erreichen und somit nur zu einem leichten Wasserstoffanstieg führen, meist als unkritisch angesehen. Überschreitet der Wasserstoffanstieg nach dem Testtrunk aber einen bestimmten Wert (meist 20 ppm), liegt ein aussagekräftiges Ergebnis vor. Diese Grenze wurde jedoch mehr oder weniger willkürlich festgelegt (früher gab es viele Diskussionen, ob i.d.R. 10ppm oder 20ppm verwendet werden sollen) und hängt neben der Menge an Kohlenhydraten, die den Dickdarm erreicht, auch von der dort vorhandenen Bakterienflora ab.
Testdurchführung
Die Bestimmung der Ausatemluft-Wasserstoffkonzentration in der Einheit parts per million (ppm) erfolgt heutzutage in der Regel mit einem kleinen Handgerät ähnlich einem Alkoholmessgerät der Polizei. Nach einer maximalen Einatmung wird in das Gerät alles hineingepustet, was der Patient aus der Lunge herauspusten kann. Das Gerät zeigt dann die Wasserstoffkonzentration der Ausatemluft in ppm an. Gemeinsam ist allen Tests, dass zunächst am nüchternen Probanden der Basalwert gemessen wird, dieser sollte wegen der (vorgeschriebenen) langen Nüchternheit vor dem Test nahe 0 ppm liegen. Danach wird ein in einem Glas Wasser gelöstes Kohlenhydrat getrunken und alle 10 bis 30 Minuten über 1 bis 3 Stunden eine Messung Ausatemluft-Wasserstoffkonzentration vorgenommen.
Parallel zum Verlauf der Wasserstoffkonzentration in der Atemluft, wird bei dem Test auf Symptome (Gluckern, Blähungen, Krämpfe, Schmerzen, Durchfall, ...) geachtet, da diese auch ein Zeichen dafür sind, dass Bakterien die Kohlenhydrate verstoffwechseln.
Zwischen verschiedenen Tests sollten einige Tage Zeit liegen, damit sicher ausgeschlossen werden kann, dass das zuerst eingenommene Kohlenhydrat im folgenden Test noch für Symptome verantwortlich ist, denn diese können noch 1-2 Tage später auftreten und lange anhalten. Lediglich bei einem negativen Glucosetest (kein Wasserstoff und keine Symptome) und entsprechender Anamäse, könnte man einen zweiten Test danach durchführen - ggf. mit etwas höherer Unsicherheit bzgl. Ursprungs auftretender Symptome im zweiten Test.
Testarten
Es sind verschiedene Arten von Tests zu unterscheiden:
(1) Malabsorptionstest (Lactose[5], Fructose[7][5], Sorbit[7][5] und sonstige Zuckeralkohole[7][5])
(2) generelle Malabsorption (Xylose)[5]
(3) Dünndarmtransitzeit(Lactulose)[3][6][5]
(4) Test auf Dünndarmfehlbesiedlung (Glucose)[5]
(5) Test auf Dünndarmfehlbesiedlung (Lactulose)[6][5]
- Bei den Tests (1)-(3) wird davon ausgegangen, dass sich im Dünndarm keine nennenswerte Menge an Bakterien befindet und Wasserstoff nur von solchen Bakterien produziert wird, die im Dickdarm angesiedelt sind. Beträgt bei den Tests (1)-(2) der Unterschied zwischen Basalwert und maximal gemessenem Wert nach dem Trunk mehr als i.d.R. 20 ppm, weist der Befund auf eine Malabsorption der Testsubstanz.
- Da Lactulose immer den Dickdarm erreicht, da sie generell nicht im Dündarm resorbiert wird, ist bei Test (3) immer ein Antieg der Wasserstoffkonzentration zu erwarten, der Zeitpunkt entspricht dann dem Erreichen der Lactulose im Dickdarm, also der Dünndarmtransitzeit. Dieser Test eignet sich daher auch zur Ermittlung von sog. "Non-Respondern", das sind solche Personen, die keinen Wasserstoff ausatmen obwohl Kohlenhydrate in den Dickdarm gelangen.
- Falsche Testergebnisse:
- - Falsch positive Tests[6]: Da die normale Dünndarmtransitzeit normaler Weise zwischen 90 und 150min beträgt, kann eine Wasserstoffbildung deutlich vor 90min von einer Dünndarmfehlbesiedlung herrühren.
- - Falsch negative Tests[6]: Es kommt zu keinem Wasserstoffanstieg (oder nur zu einem verminderten), wenn die Bakterien das Kohlenhydrat nicht verstoffwechseln oder beim Stoffwechsel keinen Wasserstoff produzieren oder andere Bakterien, den produzierten Wasserstoff wieder weiterverarbeiten (sog. "Non-Responder").
- Bei Test (4) wird davon ausgegangen, dass die Glucose so schnell im Dünndarm resorbiert wird, dass sie keinesfalls in den Dickdarm kommt. Sollte es doch zu einem Anstieg des Wasserstoffs in der Atemluft kommen, so lässt sich daher daraus auf eine pathogene Besiedlung des Dünndarms mit Bakterien schließen. Da Glucose schnell aufgenommen wird, wird dieser Test meist nach 60min abgebrochen, da nach dieser Zeit nicht mehr zu erwarten ist, dass sich überhaupt noch irgendwelche Glucose im Darm befindet. Nachteil dieses Tests: Glucose kann so schnell resorbiert werden, dass diese nicht zu der Stelle des Dünndarms gelangt, die fehlbesiedelt ist, weil sie schon vorher komplett resorbiert wurde - dann erhält man ein falsch negatives Ergebnis.
- Bei Test (5) schaltet man im Vergleich zu Test (4) die Möglichkeit aus, dass das eingenommene Kohlenhydrat zu früh komplett resorbiert wurde, da Lactulose gar nicht resorbiert wird und daher immer in den Dickdarm gelangt. Dadurch wird erreicht, dass das Kohlenhydrat immer zur Stelle mit der Dünndarmfehlbesiedlung gelangt und dort somit Wasserstoff produziert werden müsste. Der Nachteil ist, dass die Laculose stets in den Dickdarm gelangt und somit nach der Dünndarmtransitzeit stets zu Wasserstoff in der Atemluft führt. Die Schwierigkeit besteht dann darin, zu deuten, welcher Wasserstoff durch eine Dünndarmfehlbesiedlung hervorgerufen wird und welcher daher resultiert, dass die Lactulose den Dickdarm erreicht hat. Es gibt mehrere Anhaltspunkte, die für eine Dünndarmfehlbesiedlung sprechen:
- - deutliche Wasserstoffmengen vor 75min
- - ein zwei-gipfliger Verlauf (z.B. viel Wasserstoff bei 90 min, danach wieder weniger und dann ein starkes Ansteigen bei 150min; in dem Fall würde man den ersten Peak einer Dünndarmfehlbesiedlung zuordnen und den zweiten Peak dem Erreichen der Lactulose im Dickdarm)
Da die Dünndarmtransitzeit von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ist (40 gesunde Probanden: 30-120min, Mittelwert 72min[3]; 8 gesunde Probanden: 38-136min, Mittelwert 77min[8]), ist die Interpretation der Testergebnisse nicht immer eindeutig, da schnelle Dünndarmpassagezeit und Dünndarmfehlbesiedlung ähnliche Testergebnisse liefern können.
Parallele Blutuntersuchung
Bei dem Lactose-Atemtest ist es nützlich, vor und während der Atem-Messungen auch den Blutzuckerspiegel (=Glucose) messen. Liegt eine Maldigestion vor, wird der getestete Zucker nicht gespalten und aufgenommen und der Blutzuckerspiegel bleibt damit gleich. Liegt keine Maldigestion vor, steigt der Blutzuckerspiegel an, da das Spaltprodukt der Lactose, die Glucose, in den Körper (Blut) aufgenommen wurde. Die Untersuchung der Änderung des Blutzuckerspiegels alleine ist aber wesentlich weniger geeignet als der Atemtest[9].
Bei einem Fructose-Atemtest ist die Messung des Blutzuckerspiegels sinnlos, da Fructose im Darm nicht in Glucose umgewandelt wird sondern erst stark zeitlich verzögert und sehr langsam in der Leber, so dass dadurch hervorgerufene Schwankungen im Blutzuckerspiegel minimal und nicht sicher detektierbar sind[10]. Statt dessen kann man den Fructosespiegel im Blut messen[10].
Die Blutuntersuchung ist insbesondere dann hilfreich, wenn der Verdacht auf "Non-Responder" besteht.
Hintergründe
Bei einer Laktoseintoleranz fehlt im Dünndarm eine bei uns im europäischen Raum eher übliche, ausreichende Produktion des Enzymes Laktase, das die Milchzuckermoleküle in die Bestandteile Glukose und Galaktose aufspaltet. Deshalb gelangt Milchzucker in den Dickdarm, wo er von bestimmten Darmbakterien verstoffwechselt wird[11]. Dabei entstehen kurzkettige Fettsäuren und Gase, unter anderem Wasserstoff (H2), der mit dem H2-Atemtest gemessen werden kann.
Bei einer Fruktosemalabsorption steht das Transportprotein GLUT 5 nicht in ausreichender Menge bzw. Qualität zur Verfügung, das zur Aufnahme des Fruchtzuckers durch die Dünndarmschleimhaut ins Blut erforderlich ist. Die in den Dickdarm gelangenden Fruchtzuckermoleküle werden dort analog zur Laktoseintoleranz von Darmbakterien unter Abgabe von Wasserstoff verarbeitet.
Dosierung der Kohlenhydrate
Bei Erwachsenen kann man folgende Mengenangaben als Richtwerte für die einzunehmenden Kohlenhydratmengen ansehen.
Testzucker Dosierung Nachweisbares Syndrom/Messgröße Laktose 50 g Laktoseintoleranz Fruktose 25 g Fruktosemalabsorption Glukose 50-80 g bakterielle Fehlbesiedlung des Dünndarms Laktulose 10 g Transitzeit vom Mund bis in den Dickdarm (Laktulose wird nicht resorbiert) Sorbit 10 g Sorbitmalabsorption
Hinweise:
- Die mancherorts verwendete Menge von 50g Fructose ist als zu hoch anzusehen, da
- aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen bekannt ist, dass bei dieser Menge bei 60% der gesunden Bevölkerung Fructose in den Dickdarm gelangt (vs. 43% bei 25g)[12] und somit aus einem positiven Testergebnis keine unterdurchschnittliche Fructoseaufnahme (Malabsorption) geschlossen werden kann und somit das Testergebnis ohne Wert ist. Die bei Gesunden gefundenen Raten von Malabsorbern entspechen erstaunlicher Weise auch denen bei Darmpatienten (65%bei 50g und 40% bei 25g)[6]
- die Menge von 50g Fructose unphysiologisch hoch ist und bei normaler Ernährung nicht auftritt, da es nicht als normal anzusehen ist, diese Menge Fructose zu trinken, die etwa einem Liter Obstsaft entsprechen würde, insbesondere nicht auf nüchternen Magen
- Sorbit wird von Individuen meist schlechter resorbiert als Fructose. Ferner reduziert Sorbit bei gleichzeitiger Einnahme von Fructose die Resorption von Fructose. Tests, bei denen Sorbit und Fructose verabreicht werden, haben daher eher rein wissenschaftliche Bedeutung, solange mit einem Fructosetest und einem Sorbittest nicht zuvor nachgewiesen wurde, dass die beiden Kohlenhydrate in reiner Form vertragen werden
- Körperliche Anstrengung während der Tests muss vermieden werden, da diese einen negativen Effekt auf die Absorption der Kohlenhydrate hat; nachgewiesen durch starke Malabsorption mittels Ergometernutzung während Fructose-H2-Atemtest von Nicht-Malabsorbern[13].
- Rauchen vor und während der H2-Atemtests muss ebenfalls unterbleiben, da das gebildete Kohlenmonoxid den Detektor des Wasserstoffmessgerätes stören kann (Querempfindlichkeit)[14].
- Von der Durchführung der Atemtests kurze Zeit nach Einnahme von Antibiotika oder Darmlavagen (zur Vorbereitung einer Koloskopie) ist abzuraten, da die Darmflora sich zunächst regenerieren muss, da es vorher passieren kann, dass aus Kohlenhydraten, die in den Dickdarm gelangen, kein Wasserstoff produziert wird.[15]
Literatur
- ↑ M.D. Levitt: Production and excretion of hydrogen gas in man. In: The New England Journal of Medicine. 281. Jahrgang, Nr. 5, 1969, S. 122–127.
- ↑ J.H. Bond, M.D. Levitt: Use of Pulmonary Hydrogen (H2) Measurements to Quantitate Carbohydrate Absorption. In: The Journal of Clinical Investigation. 51. Jahrgang, Nr. ., 1972, S. 1219–1225.
- ↑ a b c J.H. Bond, M.D. Levitt, R. Prentiss: Investigation of small bowel transit time in man utilizing pulmonary hydrogen (H2) measurements. In: J. Lab. Clin. Med. 85. Jahrgang, Nr. 4, 1975, S. 546–555.
- ↑ G. Barnes, W. McKellar, S. Lawrance: Detection of fructose malabsorption by breath hydrogen test in a child with diarrhea. In: The Journal of Pediatrics. 103. Jahrgang, Nr. 4, 1975, S. 575–577.
- ↑ a b c d e f g h i M. Ledochowski: H2-Atemteste, Verlag Ledochowski, 2008, ISBN = 978-3-9502468-0-3
- ↑ a b c d e f P. Born: Kohlenhydratmalabsorption – Symptomatik, Diagnostik, Therapie. In: Biologische Medizin. 6. Jahrgang, Dezember 1990, 1990, S. 356–361.
- ↑ a b c P. Born, J. Zeck, M. Stark, M. Classen, R. Lorenz: Zuckeraustauschstoffe: Vergleichende Untersuchung zur intestinalen Resorption von Fructose, Sorbit und Xylit. In: Medizinische Klinik. 89. Jahrgang, Nr. 11, 1994, S. 575–578.
- ↑ S.D. Ladas, C. Latoufis, H. Giannopoulou, J. Hatziioannou, S.A. Raptis: Reproducible Lactulose Hydrogen Breath Test as a Measure of Mouth-to-Cecum Transit Time. In: Digestive Diseases and Science. 34. Jahrgang, Nr. 6, 1989, S. 919–924.
- ↑ H.J. Wildgrube: Wasserstoff (H2)-Atemtests in der Diagnostik von Dünndarmerkrankungen. In: Z. Gastroenterologie. 21. Jahrgang, Nr. 11, 1983, S. 628–636.
- ↑ a b G.C. Cook: Absorption and metabolism of D(-)fructose in man. In: The American Journal of Clinical Nutrition. 24. Jahrgang, 1971, S. 1302–1307.
- ↑ D. Paas: Das Laktose-Intoleranz Buch, Verlag Monsenstein und Vannerdat, 2007, ISBN = 978-3865825315
- ↑ P. Born, W. Kamenisch, W. Barina, F. Paul: Hohe Raten von Fructose- und Sorbitmalabsorption. In: Das Ärztliche Laboratorium. 35. Jahrgang, Nr. 12/1989, 1989, S. 309–310.
- ↑ T. Fujisawa, K. Mulligan, L. Schumacher, J. Riby, N. Kretchmer: The effect of exercise on fructose absorption. In: The American Journal of Clinical Nutrition. 58. Jahrgang, 1993, S. 75–79.
- ↑ [ http://www.specialmed.de/download/bedienung/ga_gastro_plus2.pdf Bedienungsanleitung des Gastrolyzer H2-Atemtestgeräts der Firma Specialmed / Bedfont]
- ↑ T. Gilat, H. Ben Hur, E. Gelman-Malachi, R. Terdiman, Y. Peled: Alterations of the colonic flora and their effect on the hydrogen breath test. In: Gut. 19. Jahrgang, 1978, S. 602–605.
Weblinks
H2-Atemtest: Hintergründe, mögliche Testausgänge, Empfehlungen bei der Testdurchführung]
H2-Atemtest: Hinweise zur Durchführung des Tests und den Arztbesuch]