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Tom Waits

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Tom Waits bei der Glitter and Doom Tour, 2008

Thomas Alan Waits (* 7. Dezember 1949 in Whittier, Kalifornien) ist ein US-amerikanischer Sänger, Komponist, Schauspieler und Autor. Seit Beginn seiner Karriere in den 1970ern werden seine Songs von unzähligen Musikern erfolgreich gecovert. Er wird auch als der bei den Mainstream-Medien beliebteste Musiker jenseits des Mainstream bezeichnet.[1]

Leben und Werk

Kindheit und Jugend

Das Hoover Hotel in Whittier ist seit Waits Kindheit kaum verändert

Nach seinem Biographen Barney Hoskyns wurde Tom Waits in der Stadt Whittier im Los Angeles County geboren, einer Stadt, die auch lange nach seiner Geburt so typisch für das Bild Amerikas der 1950er Jahre war, dass deren Highschool noch 1985 als Kulisse für den Film Zurück in die Zukunft dienen konnte. Sein Vater Jesse Frank Waits (benannt nach Jesse und Frank James) war schottisch-irischer Abstammung und kam aus Texas. Er unterrichtete Spanisch in Pomona, Whittier, La Verne und Montebello und war ein unverbesserlicher Trinker. Waits Mutter Alma arbeite ebenfalls als Lehrerin, war streng puritanisch erzogen und in Oregon aufgewachsen. Nachdem sein Vater die Familie 1959 verlassen hatte und seine Eltern sich scheiden ließen, zog seine Mutter mit ihm und seinen beiden Schwestern nach Chula Vista. Dort besuchte er die Hilltop Highschool.[2]

In den letzten Jahren seiner Highschoolzeit begann Tom Waits bei Napoleone’s Pizza in National City als Geschirrspüler und Koch zu arbeiten. Er „machte gute Pizzen“, wie sich sein früherer Arbeitgeber Sal Crivello erinnerte. Diese Zeit bezeichnete er als seine glücklichste Zeit und die Gespräche der Gäste waren ihm eine große Inspirationsquelle für seine späteren Lieder. In der Jukebox von Napoleone’s Pizza entdeckte er die Musik von Ray Charles und James Brown. Er schwärmte für Bob Dylan, den er zeitweise imitierte, aber auch für Frank Sinatra und Cole Porter. Die Hippiebewegung der 1960er war und blieb ihm fremd, er „war ein Rebell gegen die Rebellen“, wie er 2004 sagen sollte.[2] In dieser Zeit brachte er sich selbst das Klavierspielen bei und begann in der Highschool Band The System, einer R&B-Combo, zu spielen.

Waits war fasziniert von den Vertretern der Beat Generation und deren Literatur. Er beschäftigte sich mit den Texten von Jack Kerouac, Allen Ginsberg und Delmore Schwartz. Inspiriert von der Rhythmik der Beatliteratur begann er seine ersten Lieder zu schreiben. Nach eigenen Aussagen ersetzte er dazu anfangs nur Stellen in Originaltexten bestehender Lieder durch Obszönitäten.

Anfänge der Karriere

1969 begann Tom Waits im Heritage, einem Club in San Diego, in dem größtenteils traditionelle Folkmusik und Bluegrass gespielt wurde und von dem Banjospieler Bill Nunn und dem Engländer Stewart Glennan betrieben wurde, als Türsteher zu arbeiten. Im Heritage wurde er bekannt als der Türsteher, der immer ein Buch unter dem Arm hatte, doch in seinem Job übte er auch seine Fähigkeiten als Entertainer. Während seiner Arbeit begann er Gespräche, die um ihn herum stattfanden, aufzuschreiben und kreierte aus diesen aufgeschnappten Schnipseln eigene Songs. „Ich fand, dass in den Unterhaltungen viel Musik drin war“, meinte Tom Waits in einem Interview zu dieser Angewohnheit. Die Dialogfetzen irgendwo zwischen Trunkenheit, Gewalt und Depression sind immer wieder Thema in seinen Liedern. Im Heritage hatte Waits am 20. und 21. November 1970 seinen ersten Auftritt gegen Gage, auch wenn sein Repertoire nicht ganz in das Programm des Clubs passte: es bestand hauptsächlich aus Bob Dylan-Titeln, gemischt mit Blues- und Country-Nummern und derben Witzen. Der erste von ihm öffentlich gespielte eigene Song war Poncho’s Lament, ein ironisierter Country-Walzer, wie er für die damalige San Diego-Szene typisch war. Die Gage betrug 6$, als Türsteher verdiente er 8$ am Abend.[2]

Das Talent des jungen Songwriters sprach sich in San Diego rasch herum und es folgten bald Auftritte in anderen örtlichen Clubs, wie dem In the Alley, wo er im Vorprogramm von Tim Buckley und Sonny Terry und Brownie McGhee spielte, was er als große Ehre empfand. Doch die Chance, außerhalb der begrenzten San Diego-Szene mit ihren mangelhaften Möglichkeiten bekannt zu werden, bot sich bei den Open-Stage-Hootenanny-Nächten am Montag in Doug Westons Club Troubadour in West Hollywood.

Die 1970er Jahre

Closing Time

Der amerikanische Traum, verkörpert am Sunset Boulevard

Bei einem der Hootenannies hörte der Manager Herb Cohen Tom Waits und nahm ihn unter Vertrag. Bei Cohens Label Bizarre Records waren auch solch unkonventionelle Künstler wie Frank Zappa und Captain Beefheart unter Vertrag, doch Waits wurde zu Beginn nur als Autor verpflichtet. Ihm gefiel zunächst die Vorstellung, für andere Sänger auf Bestellung zu schreiben und dafür ein Gehalt von 300$ zu bekommen. Ermutigt durch seinen Manager zog Tom Waits 1972 nach Los Angeles und nahm seine ersten Eigenkompositionen auf. Begeistert von einem Open-Stage-Auftritt und den Demoaufnahmen nahm David Geffen, der Besitzer von Asylum Records, Waits bei seinem Label unter Vertrag. Für Geffen war Waits „exakt das, was [er] bei Asylum haben wollte. Er sah nicht so aus, wie die Singer-Songwriter damals aussahen. Er hatte eine ganz eigene Stimme, seinen eigenen Stil, seine eigene Präsentation und augenscheinlich ein ganz eigenes Desinteresse an all diesen Dingen. Aber seine Songs bliesen mich weg. Ich liebte die Art, wie er sang.“[2]

Waits entdeckte zu dieser Zeit Charles Bukowski, den Chronisten der kalifornischen Unterschicht, durch dessen wöchentliche Kolumne Notes of a Dirty Old Man in der LA Free Press als Inspirationsquelle für sich.

1972 nahm Tom Waits unter der Anleitung von Produzent Jerry Yester in zehn Tagen und mit einer idealen Studioband sein erstes Studioalbum Closing Time auf. Das Album, das im März 1973 veröffentlicht wurde, stellt in Waits’ Diskographie eine Ausnahme dar, da es sich stilistisch noch deutlich von den späteren Platten unterscheidet. Die Promotiontour zur Platte mit einer eilig zusammengestellten Band kam zu Beginn gut beim Publikum an, auch wenn die Musik stilistisch nicht so recht in die Zeit passte. Waits freute sich, dass sein Traum, sich als Musiker zu etablieren, in greifbarer Nähe war. Er freute sich, „weg von zu Hause zu sein und durch die amerikanische Nacht zu fahren.“[3] Doch nach einem Auftritt in einer Kindershow in einem Einkaufszentrum in Atlanta und ähnlichen unangenehmen Erfahrungen kehrte Waits im Juni 1973 ernüchtert vom Tourgeschäft nach Los Angeles zurück. Eine weitere Desillusionierung stellte der Verkauf von Asylum an Warner Brothers dar. Doch als Trostpflaster für Waits begannen die ersten Musikerkollegen, den jungen Songwriter zu entdecken. Als eine der ersten Bands nahmen die Eagles 1974 den Song Ol’ 55 auf und Martha wurde von Lee Hazlewood und Tim Buckley gecovert.

Während der Tour hatte Waits mit seinem Standbassisten Ben Webb in Lowell (Massachusetts) das Grab des 1969 verstorbenen Beatpoeten Jack Kerouac gesucht, allerdings nicht gefunden. Nicht nur Waits Poesie war bis dahin von dem Dichter beeinflusst, er schwärmte auch für Poetry for the Beat Generation, eine Platte, auf der Kerouac 1959 seine Texte zur Musik des Komikers und Jazzpianisten Steve Allen gesprochen hatte. Für die Songs seines zweiten Albums ließ sich Waits zum Teil von dieser Musik inspirieren.

The Heart of Saturday Night

Waits hatte gehofft, Ende 1973 einen Studiotermin zu bekommen, doch Herb Cohen schickte ihn und Ben Webb erst einmal als Vorprogramm von Frank Zappa and the Mothers of Invention auf Tour. Der ursprüngliche Support-Act Kathy Dalton war abgesprungen, da die Zappa-Fans nicht mit ihr zurecht kamen. Waits war gezwungen, an George Dukes E-Piano zu spielen und Webb hatte keine Erfahrung an der ihm aufgezwungenen Bassgitarre. Schon der erste Auftritt in der Avery Fisher Hall im Lincoln Center in New York vor „viertausend vollbreiten und verärgerten Zappa-Fans [die] Toms Balladen-Stil überhaupt nicht schätzten und uns das auch spüren ließen“ (so Bob Webb 2007)[2] war eine echte Feuertaufe und während der gesamten Tour wurden die beiden meist wüst beschimpft und ausgepfiffen.

Von nun an begann Waits sich in das Kunstprodukt „Tom Waits“ zu verwandeln. Als ihn im Januar 1974 die LA Free Press interviewte, saß er im Duke’s, einem Coffeeshop am Santa Monica Boulevard im Schatten des Tropicana Motor Hotels. Diese heruntergekommene Herberge war in den frühen 1960ern von dem Baseballspieler Sandy Koufax eröffnet worden und hatte dem Regisseur Paul Morrissey 1972 für seinen Film Andy Warhol’s Heat als Kulisse gedient. In dem Motel verkehrten die Musiker und Künstler, die sich keine teurere Bleibe leisten konnten oder wollten. Man konnte dort Jim Morrison, Sam Shepard, Alice Cooper oder Warren Zevon zu Beginn seiner Karriere begegnen. Das Top Trop, wie es auch gelegentlich liebevoll genannt wurde, sollte für Waits die nächsten Jahre Teil seines Lebens sein und diese Zeit prägte sein Image als Rowdy und Trunkenbold. Er war jetzt ständig auf Achse, verfeinerte seine Bühnenshow und gab Gastspiele in Läden, wie dem Ebbet’s Field in Denver. Dort lernte er Chuck E. Weiss kennen, einen Paradiesvogel im Chinchillamantel und Plateaustiefeln, der zahlreiche Bluesheroen kannte und bereits mit ihnen gespielt hatte. Sie wurden Freunde und Weiss wurde eine Art Mentor für Waits, obwohl er sein erstes Album erst 1999 mit Waits’ Hilfe veröffentlichen konnte.

Am 23. April 1974 begannen die Aufnahmen für Tom Waits’ zweites Studioalbum The Heart of Saturday Night in Wally Heiders Studio 3 am Cahuenga Boulevard. Maßgeblich daran beteiligt war der Produzent Bones Howe, den David Geffen vermittelt hatte und der in seiner Karriere bisher für so unterschiedliche Künstler wie The Fifth Dimension, Elvis Presley, Frank Sinatra oder den Free Jazz-Pionier Ornette Coleman gearbeitet hatte. Ähnlich wie Howe kamen auch die anderen beteiligten Musiker aus den Bereichen zwischen Jazz und Pop, was die Aufnahmen deutlich in die von Waits gewünschte Richtung führte. Die Beteiligung von Musikern wie Mike Melvoin am Piano und Jim Hughart am Bass bestimmten nachhaltig den Stil des Albums, das weit jazziger war und noch weniger dem damaligen Pop-Mainstream entsprach als sein erstes Album. Auf dem Cover ist eine Zeichnung des Sängers in seinem typischen Outfit zu sehen: zerschlissenes Sakko über schmuddeligem Hemd, um den Hals eine schlecht gebundene Krawatte, gekrönt von einer Schiebermütze.

Nach dem Erscheinen von The Heart of Saturday Night im Oktober 1974 ging Waits auf Betreiben seines Managers Herb Cohen, diesmal allerdings solo, widerwillig wieder auf Tour mit Zappa. Die Reaktionen des Publikums waren zwar ähnlich wie beim ersten Mal, aber Waits hatte die Unterstützung des exzentrischen Frank Zappa und dadurch in den Augen der Branchenkollegen gewissermaßen das „Zappa-Gütesiegel“ erhalten, was ihm durchaus in seiner weiteren Karriere hilfreich war.[2]

Nighthawks at the Diner

Herb Cohen hatte aufgrund seiner Anregungen wesentlichen Anteil daran, wie sich Waits präsentierte, und diese Hilfe benötigte der Künstler auch für seine Performance. Im März 1975 äußerte Cohen die Absicht, ein Doppel-Live-Album zu veröffentlichen. Zwar war das Format durch die Rockbands der 1970er Jahre populär geworden, aber es sollte kein weiteres Live at the Fillmore East werden: gedacht war eher an eine ideale Waits-Location, eine anrüchige Spelunke oder einen verräucherten Nachtclub. Da kein geeignetes Lokal gefunden werden konnte, das Troubadour kam nicht in Frage, entschied man sich, den rückwärtigen Teil des Record Plant Studio, wo Barbra Streisand einige Stücke ihres letzten Albums aufgenommen hatte, komplett leerzuräumen und mit aufgestellten Tischen vor ausgewähltem Publikum eine Nachtclub-Atmosphäre zu erzeugen. Begleitband war weitgehend die gleiche Besetzung wie bei The Heart of Saturday Night. Neben Mike Melvoin und Jim Highart waren dies Pete Christlieb am Tenorsaxophon und Bill Goodwin, der vorher bei Mose Allison getrommelt hatte, ersetzte Jim Gordon am Schlagzeug.

Jim Highart erzählte: „Der Raum hatte eine angenehme Größe. Er war ausstaffiert wie ein Nachtclub: große Tische mit karierten Tischdecken, Erdnüssen, Brezeln, Wein und Bier. Wir spielten jede Nacht vier Shows und tauschten das Publikum nach jeder Show aus. Wir zogen die Sache wie in einem richtigen Nachtclub auf.“[4]

Als Sahnehäubchen trat auf Vorschlag von Herb Cohen zu Beginn die Stripperin Dewanna auf, während die Band Night Train oder das Pink Panther Theme spielte.

Die inzwischen legendären Aufnahmen zu Nighthawks at the Diner am 30. und 31. Juli 1975 waren ein Triumph. „Ein scheinbar authentischer Trip in die Untiefen eines Hipster-Lebens, das dazu noch urkomisch war. Waits’ Gestus und sein Timing […] hatten Stand-Up Comedy-Qualitäten.“[5] Während der letzten Töne des Albums bedankt sich Waits bei seiner Band mit den Worten: „Sie kommen alle aus guter Familie. Aber über die Jahre haben sie sich ein paar unschöne Angewohnheiten zugelegt.“ So hatte er sich selbst kurz zuvor auch schon charakterisiert.

Small Change

David Geffen mochte Nighthawks at the Diner nicht, da es ihm zu jazzig war und er auf ein Westküstenpendant zu Bruce Springsteens Erfolgsalbum Born to Run gehofft hatte. Die Verkaufszahlen waren enttäuschend.

Für ein einwöchiges Gastspiel in New York City stellte Bill Goodwin auf Bitte von Herb Cohen ein Jazz-Trio mit dem Saxophonisten Al Cohn zusammen, mit dem sich Waits auf Anhieb gut verstand, doch die Auftritte im Reno Sweeney’s waren ein echter Alptraum für Waits. Er trank zu viel, sah krank aus, war reizbar und misanthropisch. Auch die folgende Tour im Vorprogramm von Bonnie Raitt tat seinen Trinkgewohnheiten nicht gut.[2]

Im März 1976 stellte sich Waits ein Trio mit den New Yorker Musikern Frank Vicari (Tenorsaxophon), Alan „Chip“ White (Schlagzeug) und einem Bassisten mit dem denkwürdigen Namen Fitzgerald Huntington Jenkins III, der gerade seinen Abschluss in Medizin gemacht hatte, zusammen. Eine der ersten Shows war als Anheizer für Charles Bukowski in Pittsburgh. Im Verlauf der Tour ging es Waits immer schlechter. Ein entscheidender Moment für Waits wachsende Abneigung gegen die amerikanische Rockmusik war ein völlig verpatztes Konzert in New Orleans in Verbindung mit der Rolling Thunder Revue. „Mich hat man nicht einmal gefragt. Noch bevor ich wusste, wie mir geschah, spielte der beschissene Roger McGuinn da oben Gitarre und Joan Baez und Kinky Friedman sangen. Als ich schließlich auf die Bühne kam, war das Publikum vollkommen neben der Kappe. […] So einen Scheiß kann ich nicht gebrauchen, schließlich war das meine Show.“[6]

Herb Cohen organisierte Waits’ ersten Trip mit Vicari, White und „Fizz“ nach Europa. In London traf er eine Reihe von Musikjournalisten, doch der Londoner Zeitgeschmack mit dem aufkommenden Punk war nicht günstig gewählt für Waits’ Musik, und so lernten diese v. a. die reizbare Seite des Künstlers kennen. Doch London war auch der Ort, in dem Waits wieder einen kreativen Schub bekam und im Hotelzimmer begann, neue Songs zu schreiben. In kurzer Zeit schrieb er die elf Lieder für sein Album Small Change, das ihm endgültig den finanziellen Durchbruch bescheren sollte. Ein kurzer Abstecher nach Kopenhagen brachte ihm die Inspiration für einen seiner bekanntesten Songs Tom Traubert’s Blues, in dem er die „inoffizielle Nationalhymne“ Australiens Waltzing Matilda mit verarbeitete. Bei seinen Konzerten spielt Waits diesen langsamen Walzer häufig als Schlussnummer.[2]

Die Aufnahmen wurden innerhalb von fünf Studiotagen beendet. Sie begannen am 15. Juli 1976 und endeten am 30. Juli. Bones Howe schlug als Schlagzeuger den 30 Jahre älteren Veteranen des Bebop und West Coast Jazz Shelly Manne vor. Manne fand Waits auf Anhieb sympathisch und seine Gegenwart wirkte sich positiv auf die Stimmung im Studio aus. Nach der ersten Session fragte er die anderen Musiker: „Wer ist dieser Typ? Er ist der älteste junge Kerl, oder der jüngste Alte, den ich jemals getroffen habe.“[2] Waits’ Stimme hatte sich verändert und war ab nun für immer so rau und kratzig, wie es bis heute für ihn typisch ist. Auch in seinem Klavierstil hatte er Sicherheit gefunden und spielte selbst an Stelle von Mike Melvoin. Das Album wurde ein Kritikererfolg und erreichte als erstes von Waits’ Alben die Billboard 200.

Es folgte eine dreimonatige Tour zum Album, deren Höhepunkt eine Homecoming-Show in San Diego war. Um Waits’ Heimweh und Depressionen entgegen zu wirken organisierte der Promoter von Asylum Fred Toedtmann erstmals in Cleveland den Überraschungsauftritt einer Stripperin während des Intros der Band zu Pasties and a G-String. Nachdem sich Waits darüber riesig freute, sorgte der Roadmanager John Forscha dafür, dass künftig bei möglichst jeder Show eine Stripperin bei dem Song auf die Bühne kam.

Als er durch den Erfolg von Small Change immer interessanter für Musikzeitschriften und Talkshows wurde, entwickelte Waits bei Interviews beinahe eine Paranoia, denn er fürchtete, dass Lügen über ihn veröffentlicht werden könnten. „Bei einem Interview […] sprach er aus Angst, er könnte falsch zitiert werden, alles auf ein Tonbandgerät – und kündigte im gleichen Atemzug an, er werde dem Reporter von Zeit zu Zeit bewusst die Unwahrheit erzählen.“ schreibt Cath Carroll in ihrer Tom-Waits-Biografie über dessen Eigenheit.

Waits verlor sich immer mehr in seiner Rolle als „Tom Waits“ und die Grenze zwischen der Person und dem Kunstprodukt verwischte langsam, auch wenn er natürlich kein Original-Beatnik aus den 1950ern war. Im Rückblick argumentierte er, dass er dies tat, „um zu überleben“.[7] Er wurde zu einer „Figur in [seiner] eigenen Geschichte“.[8] Sein Alkoholkonsum stieg so stark an, dass er schließlich die Notbremse ziehen musste. „Ich fing an mich zu ermahnen, den Scheiß endlich sein zu lassen“ meinte er später dazu in einem Interview. Musikalisch hatte er die Gefahren des Trinkens mit Bad Liver and a Broken Heart auf der Platte Small Change behandelt. In diesem Stück versuchte Waits den Mythos des echten amerikanischen Trinkers und Musikers zu zerstören.

Foreign Affairs

1977 ging Waits auf seine erste erfolgreiche Japan-Tour. Zurück im Tropicana wurde er zunehmend das Zugpferd des Hotels, wo sich in dieser Zeit nicht nur diverse Punk- und Rockabilly-Bands einmieteten, sondern auch Künstler wie Elvis Costello und Blondie. Den auch in Amerika aufkommenden Punk betrachtete Waits als Frischzellenkur für das Musikgeschäft und er hieß ihn mit offenen Armen willkommen. Die Hipster von Mink DeVille, die er im CBGB kennenlernte, wiesen mit ihrem Musik- und Kleidungsstil eindeutige Parallelen zu seinen eigenen Vorlieben auf.

Sein nächstes Album Foreign Affairs wurde thematisch durch den Film noir beeinflusst. Für die aufwändigen Orchesterarrangements verpflichtete Bones Howe diesmal Bob Alcivar, der sich Waits durch seine Arbeit für Lord Buckley empfahl. Die Aufnahmen begannen am 26. Juli 1977 und gestalteten sich schwierig, so dass sie sich bis zum 16. August hinzogen. Die Fertigstellung des Albums sollte noch einmal mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Viele der Tracks wurden mehrmals aufgenommen, da Waits nie mit den Ergebnissen zufrieden war und ihn der massive Orchestereinsatz in Selbstzweifel stürzte. I Never Talk to Strangers schrieb er für Bette Midler, mit der er zu dieser Zeit liiert war und die bei dem Titel auch im Duett mit ihm zu hören ist. Das monochrome Cover des Albums ist unmissverständlich durch den Film noir geprägt, der Fotograf war Hollywoods Porträt-Veteran George Hurell.

Nachdem die Verantwortlichen bei der Plattenfirma Elektra die Bänder von Foreign Affairs zum ersten Mal in fertig produziertem Zustand gehört hatten, wusste keiner, wie es zu vermarkten wäre. Niemand bemühte sich mehr, Waits besonders zu unterstützen und zu Waits’ großer Enttäuschung erreichte das Album nicht die Billboard-Charts.

Über Chuck E. Weiss lernte Waits Rickie Lee Jones kennen und nachdem er die Sängerin mit ihren, den seinen thematisch ähnlichen, Songs gehört hatte, war es um ihn geschehen und es entflammte eine schnelle und heftige Beziehung der beiden. Wenn sie als Trio Partys sprengten und betrunken Arm in Arm durch Hollywood torkelten, schien es als wollten sie die berühmte Menage a trois zwischen Jack Kerouac und Neal und Carolyn Cassady nachspielen.[9] Nach Jones’ Erfolg als Musikerin mit dem Hit Chuck E’s in Love, bei dem es unverkennbar um Weiss ging, wurde ihre Beziehung allerdings immer schwieriger und sie trennten sich.

1978 begann Waits erstmals Filmluft zu schnuppern. Sylvester Stallone als Regisseur und Hauptdarsteller engagierte ihn für den Film Vorhof zum Paradies in der Rolle des verwahrlosten Kneipenpianisten Mumbles für einen Kurzauftritt. Außerdem schrieb er zwei Songs für den Soundtrack des Films, der allerdings floppte und von der Kritik verrissen wurde.[2]

Auf einer zweiten Japan-Tour experimentierte Waits mit seinem Bühnenauftritt. Er setzte verstärkt Requisiten, wie etwa eine Straßenlaterne bei seinem Crooning, ein. Er begann sich mit den Bereichen Film, Musical und der Schriftstellerei zu beschäftigen. Ein erster Imagewechsel zeichnete sich ab, als Waits sich ein kleines Zimmer am Sunset Boulevard bei Van Ness mietete. 1979 zog er dann endgültig aus dem Tropicana aus. Noch deutlicher zeigte sich der Wechsel allerdings am Stil seines folgenden Albums.

Blue Valentine

Die Aufnahmen zu Blue Valentine begannen am 24. Juli 1978. Als letzter der alten Garde von Musikern war Jim Hughart dabei, denn Waits wollte schwarze Musiker für ein schwärzeres Feeling; und er versuchte sich zur Überraschung aller Beteiligten an der E-Gitarre. Waits hatte sich zuvor ausgiebig mit der Musik aus New Orleans beschäftigt und sich von Musikern wie Dr. John oder Allen Toussaint inspirieren lassen. Nachdem er erfahren hatte, dass mehrere Musiker der „zweiten Garde“ aus New Orleans inzwischen in Los Angeles lebten, engagierte er u. a. Alvin „Shine“ Robinson an der Gitarre, Herb Hardesty am Tenorsaxofon und Harold Battiste an den Keyboards. Erstaunlicherweise kam auch George Duke mit seinem E-Piano dazu, an das Waits schlechte Erinnerungen von seiner Tour mit Frank Zappa hatte. Wegen Schwierigkeiten mit der Gewerkschaft nannte sich Duke allerdings auf dem Plattencover Da Willie Gonga.[2]

Mit der neuen musikalischen Ausrichtung am Blues wurden Waits Texte straffer und fokussierter. Er wollte realistischere und zeitgenössischere Geschichten als zuvor erzählen und tödliche Gewalt wurde für ihn in seinen Texten zum unumgänglichen Thema. Auch wenn Blue Valentine stark am elektrischen Blues orientiert ist, befinden sich dennoch mit Kentucky Avenue und Somewhere aus der West Side Story, welches das Album eröffnet, zwei Titel mit großem Streichereinsatz auf der Platte.

1964er Ford Thunderbird

Als Kulisse für das Foto-Shooting zum Cover wurde eine 24-Stunden-Tankstelle gewählt. Waits presst die mit einer knallroten Jacke aufgestylte Rickie Lee Jones gegen die Kühlerhaube eines mit einer Speziallackierung versehenen 1964er Ford Thunderbird, den er sich anstelle seines geliebten alten schwarzen Cadillacs angeschafft hatte. Im Hintergrund ist der unvermeidliche Chuck E. Weiss zu sehen. Eine komplette Tankstelle inklusive Reifenstapel und Zapfsäule ließ Waits auch für die Bühnenshow der folgenden Tour, die immer mehr einer kleinen Broadway-Aufführung ähnelte, nachbauen.

Barney Hoskyns schreibt: „Nach der letzten Aufnahmesession am 26. August hatte Waits endlich das Gefühl, sein eigenes Klischee [als Alkoholiker] zur ewigen Ruhe gebettet zu haben.“[10]

Um sich endgültig von seinem Alkoholproblem zu lösen, zog Waits zum Jahreswechsel 1980 für kurze Zeit nach New York. Kaum in New York angekommen, trat Francis Ford Coppola an ihn heran, um ihn für den Soundtrack seines Films One from the Heart zu gewinnen. Für Waits war dies der willkommene Anlass, wieder von der kalten Ostküste zurück an die Westküste zu ziehen. Musikalisch war der Soundtrack zwar ein Rückschritt in ein Genre, das Waits eigentlich hinter sich lassen wollte, aber zum ersten Mal durfte sich der Songwriter fühlen wie ein Auftragsschreiber der Tin Pan Alley, wie er es sich schon zu Beginn seiner Karriere erträumt hatte.

Bei der Arbeit in seinem Büro lernte Waits Kathleen Brennan, die als Script-Assistentin für Coppola arbeitete, kennen und verliebte sich auf der Stelle in sie. Die beiden heirateten am 10. August 1980 und sind bis heute nicht nur im Leben, sondern auch in künstlerischen Dingen Partner. Sie heirateten in der 24-Stunden-Always Forever Yours Wedding Chapel in Watts nach einem kurzen mitternächtlichen Anruf bei Reverend Donald W. Washington, dem Pastor der Kirche.[11] Brennan wurde die Stütze, die der Künstler immer gesucht hatte und nach einem Umzug an die ruhigere Union Avenue, die weit genug von seinem früheren Leben entfernt war, nahm Waits’ Leben endgültig geordnete Bahnen an. 1983 wurde sein erstes Kind Kellesimone geboren, zwei Jahre später folgte Sohn Casey Xavier und 1993 Sohn Sullivan. Casey Xavier Waits begleitet Waits inzwischen auf Konzerten an den Percussions und den Turntables und ist zudem als Musiker auf den Alben Orphans und Real Gone zu finden. Sullivan Waits ist ebenfalls bei einem Stück auf dem Album Orphans beteiligt.

Die 1980er Jahre

Heartattack And Vine

Da ihm die Arbeit an One from the Heart nicht zügig genug voran ging, zog Waits vorübergehend aus seinem Büro aus und schrieb nicht nur die Songs für das folgende Album Heartattack And Vine innerhalb kurzer Zeit, sondern nahm es auch gleich im Anschluss auf. Schon bei den ersten Akkorden ist klar, dass er nicht mehr nach dem Heart of Saturday Night suchte. „Die Instrumentierung war purer South-Side-Minimalismus: In dem rohen Gitarrensound verband sich Howlin’ Wolfs Mann an der Gitarre, Willie Johnson, mit einem durchgeknallten Keith Richards, die Basstöne hart und kurz, die Snare brutal scheppernd.“ „Auf keinem anderen Album erscheint Waits’ musikalische Persönlichkeit so schizophren wie auf Heartattack And Vine.“[12] Das Album enthält u. a. auch Jersey Girl, eine Ballade in der Waits’ ganz unerwartet einfach einen „Sha-la-la-Refrain“ singt und die später auch Springsteen in sein Repertoire aufnehmen sollte. Eine Rolle spielte sicherlich, dass Kathleen Brennan als Teenager eine Zeit lang in Morristown (New Jersey) gelebt hatte.

Auf dem Albumcover, das einem verdreckten Zeitungsblatt nachempfunden ist, findet sich rechts oben hinter einer falschen Manhattaner Telefonnummer der Name David „Doc“ Feuer. Es ist der Name des Psychiaters, den Waits während seines kurzen Aufenthaltes in New York mehrere Male aufgesucht hatte.[13]

Swordfishtrombones

Mit Swordfishtrombones veröffentlichte Waits 1983 das erste Album, das er nicht nur selbst geschrieben, sondern auch (gemeinsam mit Kathleen Brennan, auch wenn sie nicht auf dem Cover genannt wurde) produziert hatte. Der Sound des fertigen Albums entsetzte die Verantwortlichen bei seiner bisherige Plattenfirma Asylum Records und sie setzten ihn vor die Tür. Als jedoch Chris Blackwell, der Besitzer von Island Records, der Swordfishtrombones als „Geniestreich [und] total originär“[14] erkannte, davon hörte, bot er Waits umgehend einen neuen Vertrag an. Außerdem trennte sich Waits mit Unterstützung Brennans im Streit um finanzielle Angelegenheiten von seinem langjährigen Manager Herb Cohen. Waits hatte damit das letzte Verbindungsglied zu seinem bisherigen Leben gekappt.

Swordfishtrombones ist aber vor allem auch ein Wendepunkt in Waits’ musikalischem Schaffen: Er entfernte sich immer weiter von konventionellen Arrangements und forcierte den Einsatz von Geräuschen. Deutlich sind Einflüsse von Captain Beefheart zu bemerken, ebenso wie Einflüsse von Harry Partch, einem exzentrischen Komponisten, Erfinder skurriler Instrumente und eines 43-Ton-Notensystems, der seine letzten Lebensjahre in San Diego verbrachte. Weitere wichtige Ideengeber für den Sound des Albums waren Victor Feldman und Francis Thumm. Der Musiker setzt nun in seinen Liedern nicht mehr auf Gitarrenakkorde oder Klavierharmonien, sondern auf Dampfmaschinen, Hämmer, Schrottmaterialien und Marimbas. Der bewusste Einsatz von Lärm und Geräuschen wird immer stärker Teil seiner Platten. Die Musik stellt nun oft eine klangliche Kulisse für Waits’ Gesang dar, der von exotischen Rhythmen und Klängen begleitet wird. Waits sagt über seine neuen Songs, er habe die Musik und die Arrangements ganz auf die Eigenheiten des jeweiligen Stücks hin zugeschnitten. Vorher hätten zwar alle seine Songs eine individuelle Stimme gehabt. Die Kleidung sei aber immer die gleiche gewesen.

Eine Tour zum Album folgte nicht, denn Waits blieb lieber zuhause bei seiner schwangeren Frau. Dafür hatte das MTV-Zeitalter begonnen und mit dem Dokumentarfilmer Haskell Wexler und dem Künstler Michael Russ, der auch das Cover des Albums entworfen hatte, realisierte Waits sein erstes Video zu der langsamen Ballade In the Neighborhood, das auch in seiner direkten Nachbarschaft gedreht wurde. „Es ist unglaublich, wie viele Leute sich diese Clips ansehen“ stellte er ungläubig fest.[15]

Beginn der Filmkarriere

1983 verpflichtete Coppola Waits gleich für mehrere Filme. In Rumble Fish, einem Film über Teenager-Gewalt in einer Kleinstadt im Mittleren Westen, spielt er den Selbstgespräche führenden Diner-Besitzer Tom Benny. Den Text seiner Rolle schrieb sich Waits dabei selbst auf den Leib. Außerdem wirkte er in Die Outsider mit und in dem mit großem Budget gedrehten Cotton Club spielte er den Manager Irving Stark.

Jim Jarmusch 2003 im CBGB, New York

1984 zog Waits endgültig mit seiner Familie nach New York in das Viertel Little Spain. Ein wichtiger Grund war die Arbeit an seinem Musical Frank’s Wild Years, das er hoffte, als Off-Broadway-Produktion herausbringen zu können. Bald schloss er Freundschaft mit John Lurie, dem Kopf der Avantgarde-Jazzband The Lounge Lizards. Mit Lurie teilte er sich einen Proberaum in der Künstlerkommune Westbeth. Lurie führte Waits in die Kunstszene des Greenwich Village mit Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat ein. Waits traf dort auch Jim Jarmusch, mit dem er sich ebenfalls sehr schnell anfreundete. Gemeinsam mit Jarmusch und Lurie schrieb Waits das Drehbuch zu Down by Law. In seiner ersten Hauptrolle spielte er dabei den Radio-DJ Zack, der gemeinsam mit Roberto Benigni und Lurie aus dem Gefängnis ausbricht. Down by Law sollten noch weitere Projekte mit Jarmusch folgen. Unter anderem spielte er auch in einer Episode von Coffee and Cigarettes. Dort sinniert er mit Iggy Pop über Café, Zigaretten und die schlechte Auswahl der Jukebox.

Hal Willner hatte 1981 begonnen, ungewöhnliche Tribute-Alben zu produzieren. Die ersten beiden Projekte waren Nino Rota und Thelonious Monk gewidmet gewesen. Für sein Album mit Werken von Kurt Weill gewann er Waits hinzu, der sich schon vorher ausgiebig mit der Musik des deutschen Komponisten befasst hatte und auf dem Album Lost in the Stars mit seiner Adaption von What Keeps Mankind Alive aus der Dreigroschenoper vertreten ist. 1988 steuerte Waits noch einmal einen Song zum Disney-Tribute-Album Stay Awake bei. Es war seine Interpretation von Heigh Ho, dem Lied der Zwerge aus Schneewittchen.

Darüber hinaus arbeitete Waits an den Kompositionen für sein Musical und in einem wahren zweimonatigen Schreibrausch komponierte er 1984 die Musik für ein neues Album, das ursprünglich den Titel Evening Train Wrecks erhalten sollte.

Rain Dogs

Rain Dogs, wie der endgültige Name des folgenden Album dann lautete, sind Hobos, Prostituierte, Menschen in Not, diese düstere Menagerie, die ich erschaffe, um mich zu motivieren.“[16] Das Cover zeigt Rose und Lily aus dem Buch Café Lehmitz des schwedischen Fotografen Anders Petersen über die Reeperbahn. Waits scherzte darüber, es handle sich um ihn „und Liza Minnelli, nachdem sie aus der Betty-Ford-Klinik entlassen wurde“.[17]

Bei den zweieinhalb Monate dauernden Aufnahmesessions waren Musiker wie der Tenorsaxofonist Ralph Carney, Marc Ribot von den Lounge Lizards und Michael Blair an der Marimba und den Percussions beteiligt. Dass Keith Richards sich zur Mitarbeit bereit finden könnte, war eher im Scherz angedacht gewesen. Doch da man nichts zu verlieren hatte, wenn man ihn anrief und Waits schon von jeher einen Narren an den Rolling Stones gefressen hatte, war die Überraschung dementsprechend groß, als der Gitarrist dann tatsächlich im Studio erschien und bei mehreren Songs mitwirkte.[18]

Das Album ist weitaus rhythmischer als Swordfishtrombones und Waits entwickelte sich immer mehr zum Technikfeind. An die Stelle des Pianos tritt nun häufig das Harmonium, statt auf dem Schlagzeug hämmert Michael Blair auf alte Möbelstücke ein oder lässt Türen knallen und gelegentlich ist das Jaulen einer Singenden Säge zu vernehmen.

Mit Hang Down Your Head enthält das Album die erste veröffentlichte Waits/Brennan-Komposition. Für Barney Hoskyns ist das Album ein „Meilenstein der Achtziger“.[19]

Frank’s Wild Years

1985 wählte der Rolling Stone Waits zum Songwriter des Jahres, doch dieser wollte mehr sein, als ein Songwriter – er dachte an Roman, Film und Oper. Als David Letterman Waits im Februar 1986 in seiner Show fragte, um was es in dessen neuem Stück gehe, erklärte der in seiner gewohnt ironischen Art, es sei eine Art Kreuzung aus dem Roman Die Liebesmaschine von Jacqueline Susann und dem Neuen Testament. Doch es gelang Waits nicht, sein Stück Frank’s Wild Years wie geplant in der New Yorker Theaterszene unterzubringen. Aufgeführt wurde das Musical dann ab dem 22. Juni 1986 für drei Monate am Briar St. Theatre in Chicago durch die Steppenwolf Theatre Company. Die Company war das Sprungbrett für so berühmte Namen wie John Malkovich, Joan Allen oder Laurie Metcalf und auch Waits wirkte als Frank im Ensemble mit. In einem Interview gestand er, dass er zu lernen hatte, „sich so aufrichtig wie möglich zu verhalten“, um als Schauspieler bestehen zu können. Der Protagonist Frank ist ein gescheiterter Akkordeonspieler, der erstmals im Album Swordfishtrombones aufgetaucht war und von Waits’ Vater inspiriert wurde.[2]

Viele Dialoge des Stücks stammen von Kathleen Brennan. Die mitwirkenden Musiker waren nahezu identisch, wie auf Raindogs, mit Ausnahme von Ribot, der New York nicht verlassen wollte. Am Akkordeon und verschiedenen Tasteninstrumenten wirkte der Juilliard School-Absolvent Bill Schimmel mit, der Waits schon in der Letterman-Show begleitet hatte und von Steppenwolf direkt angesprochen worden war. Waits forderte die Musiker auf, Fehler einzubauen, so dass die Musik durch die allabendliche Wiederholung nicht stagnierte. Die Kritiken waren wohlwollend, aber nicht euphorisch.[20]

Direkt an das Ende der Spielzeit wurden die Plattenaufnahmen angesetzt. Die Songs wurden allerdings stark verändert und es gibt keine Veröffentlichung der Originalfassung des Stücks. Waits verlangte, dass die Musiker immer wieder ihre Instrumente tauschten, ohne Rücksicht darauf, ob sie sie wirklich beherrschten. Der Einfluss von Brecht/Weill ist deutlich zu spüren. Auf dem Album setzte Waits erstmals zur Verstärkung seines Gesangs ein Megafon ein, wie er es bis heute immer noch bei Liveauftritten benutzt. Das Album trägt den Untertitel Un Operachi Romantico in two Acts, ein Wortspiel aus Oper und Mariachi – wobei in diesem Fall David Hidalgo von der Band Los Lobos aus East L.A. das mexikanische Element beisteuerte.

Es folgte eine Tour, bei der die Aufnahmen zum 1988 veröffentlichten Film und Live-Album Big Time stattfanden. Der Film ist eine Mischung aus Konzert und Spielszenen, die die Träume eines Platzanweisers von einer eigenen Karriere im Theater zeigen. Das Album enthält ausnahmslos altbekannte Titel. Erst 1992 sollte Waits mit dem Soundtrack des Films Night on Earth wieder ein eigenes Album veröffentlichen, ansonsten widmete er sich in diesen Jahren Film und Theater.

Nachdem mit dem Platzen der Träume eines Off-Broadway-Stückes einer der Gründe für den Umzug nach New York weggefallen war, zog es die Familie wieder ins heimatliche Los Angeles. Die Stadt hatte ihm ein Tourette-Syndrom eingebracht, scherzte er. „Mitten auf der Eigth Avenue schrie ich plötzlich Obszönitäten heraus.“[21]

Prozesse gegen Urheberrechtsverletzungen

Ab September 1988 bewarb die Firma Frito-Lay ihre Maischips SalsaRio Doritos mit Waits’ Song Step Right Up, bei dem der Sänger Stephen Carter Waits’ Stimme imitierte. Waits hatte zwar 1981 schon einmal Werbung für Hundefutter gemacht, aber danach immer wieder deutlich gemacht, dass er inzwischen generell gegen die Verwendung von künstlerischen Erzeugnissen für kommerzielle Zwecke eingestellt war. Eigentlich verspottet der Song Step Right Up das marktschreierische Verkaufsgebaren der Amerikaner, aber das war der Firma wohl entgangen. Nachdem Waits zuerst tagelang in seinem gesamten Freundeskreis herumtelefoniert hatte, um klarzustellen, dass es sich bei dem Sänger des Werbespots nicht um ihn handelte, verklagte er im November 1988 die Firmen Frito-Lay und Tracy-Locke. Die Klage kam im April 1990 vor Gericht in Los Angeles und im Urteil wurden dem Komponisten nach einem Widerspruch der Verteidiger 2,6 Mio. $ zugesprochen. Dies war mehr, als er bis dahin mit dem Verkauf sämtlicher Alben verdient hatte.[2] In einem weiteren Prozess verklagte er seinen früheren Manager Herb Cohen, da dieser Heartattack and Vine in einer Version von Screamin’ Jay Hawkins an die Jeansfirma Levi’s lizenziert hatte.[2] Ebenso verklagte er Cohen, da dieser gegen seinen Wunsch eine Kompilation mit alten Demoaufnahmen von 1971 herausbringen wollte. Dieses Album kam dennoch 1991 unter dem Titel The Early Years bei Edsel Records heraus. Da Waits sich inzwischen konsequent gegen die Kommerzialisierung seiner Musik wehrt, ging er in der Folgezeit beispielsweise auch gegen einige Autohersteller vor. Im Mai 2001 reichte er gemeinsam mit Randy Newman und den Geschwistern Nancy und Ann Wilson von Heart in Los Angeles eine Urheberrechtsklage gegen MP3.com ein.[2]

Theaterarbeit mit Robert Wilson

Thalia Theater in Hamburg

Ab dem Ende der 1980er widmete sich Waits verstärkt dem Theater. 1989 wirkte er nicht nur bei der Weltpremiere des Stückes Demon Wine von Thomas Babe in Los Angeles mit, er begann auch seine Zusammenarbeit mit Robert Wilson. Wilson war bei seiner Arbeit in Deutschland dem Sagenstoff begegnet, den auch Carl Maria von Weber zu seiner Oper Der Freischütz verarbeitet hatte. Er inszenierte seine Version der Geschichte vom Teufelspakt des Jägersburschen unter dem Titel The Black Rider: The Casting of the Magic Bullets am Hamburger Thalia Theater. Waits verbrachte ab Mai 1989 mehrere Wochen mit Greg Cohen in Hamburg und komponierte in Gerd Besslers Music Factory Studio die Musik für die Oper. Das Libretto schrieb William S. Burroughs, der auf eigene Erfahrungen zurückgreifen konnte, da er einst versehentlich seine Ehefrau erschossen hatte. Als Dramaturg wirkte Wolfgang Wiens.

Waits Musik basierte diesmal voll und ganz auf dem organischen Sound eines Theaterorchesters und verzichtete nahezu vollständig auf Percussion. Das Album zum Stück erschien 1993.

Trotz ihrer unterschiedlichen Art verstanden sich Waits und Wilson von Anfang an sehr gut und Waits sagte Jahre später über den Avantgarde-Regisseur: „Es gibt niemanden, der mich so stark als Künstler beeinflusst hat.“[22]

Anfang der 1990er nahm Waits unermüdlich die verschiedensten Filmrollen an. Dabei ist für viele seine beste Darstellung der Trinker Earl Piggot in Robert Altmans Episodenfilm Short Cuts. Für Altman ist „Tom […] einzigartig, eine ganz eigene Persönlichkeit. Er ist völlig verquer, aber auf eine gute Art und Weise.“[23]

Eine weitere Zusammenarbeit mit Wilson, ebenfalls am Thalia Theater war Ende 1992 die Aufführung von Alice. Das Stück verarbeitet das Buch Alice im Wunderland und die reale Beziehung zwischen dessen Autor Lewis Carroll und Alice Liddell. Musikalisch steuerte Waits nicht nur seine Musik sondern auch eine Anzahl experimenteller Musikinstrumente bei, die eine Gruppe von Künstlern aus der Bay Area entworfen und gebaut hatte. Die Premiere des Stücks fand am 19. Dezember 1992 statt. Es war allerdings bei weitem nicht so erfolgreich wie The Black Rider.

2000 kam es erneut zu einer Zusammenarbeit mit Wilson. Wilson bat Waits um die Musik zu seiner Adaption von Georg Büchners Woyzeck. Das Werk feierte am Betty Nansen Theater in Kopenhagen Premiere.

2002 veröffentlichte Waits die Musik von Alice und Woyzeck jeweils in überarbeitete Form zeitgleich als Album. Die beiden Alben wurden nicht nur zeitgleich veröffentlicht, auch die Aufnahmen fanden zur gleichen Zeit mit den selben Musikern statt. Zwei ungewöhnliche Percussionisten sind hierbei vertreten: einerseits ist auf einigen Stücken Stewart Copeland zu hören, andererseits spielte zum ersten Mal Waits’ Sohn Casey auf dem Track Knife Chase mit. An Stelle des Titels Woyzeck wählte man allerdings Blood Money, da das Stück in den Vereinigten Staaten nicht die gleiche Popularität genießt, wie in Europa. Die beiden Alben erreichten Platz 32 und 33 in den Billboard-Top-200.

Von den 1990ern zur Gegenwart

Bone Machine

Anfang der 1990er Jahre zog die Familie Waits/Brennan in das Anwesen um, das sie noch heute bewohnt. Das Haus liegt irgendwo einsam zwischen Santa Rosa und dem Pazifik. Journalisten werden nicht in seine Nähe gelassen. Als ihn ein Journalist nach seinem Wohnort fragte, entgegnete Waits kurz angebunden: „Sind Sie Polizist? Oder vom Amt für Volkszählung? Handelt es sich hier um eine eidesstattliche Aussage? Machen Sie in Immobilien? Ich sage nichts mehr!“[24]

Nach dem Soundtrack-Album zu Night on Earth und zwischen seinen diversen Verpflichtungen beim Film und Theater fand Waits im August 1992 noch die Zeit nach mehreren Jahren wieder ein reguläres Album einzuspielen. Bone Machine ist geprägt von Blues und Gospel und „Es geht wirklich um nichts anderes als Knochen, Friedhöfe und vergossenes Blut.“[25] Ein wichtiger Mitmusiker war dieses Mal Larry Taylor am Bass. Die Aufnahmen fanden teilweise in einer alten Lagerhalle ohne jeden Lärmschutz statt, so dass beispielsweise bei dem Song Jesus Gonna Be Here auch ein vorüberfliegender Hubschrauber zu hören ist. Waits setzte dieses Mal praktisch kein richtiges Schlagzeug mehr ein und spielt dafür rudimentär Percussion. Sein Freund Serge Etienne baute ein riesiges Conundrum genanntes Gestell um daran diverse Metallteile aufzuhängen und darauf eindreschen zu können. Die zärtliche Ballade Whistle down the Wind, die dem kurz zuvor unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommenen Songwriter Tom Jans gewidmet ist, spielt Waits ein Chamberlin (ein von 1946 bis 1956 von Harry Chamberlin entwickeltes elektromechanisches Tasteninstrument).[2]

Das Coverfoto und die Gestaltung des Albums sind von dem Fotografen Jesse Dylan, dem Sohn des berühmten Bob Dylan. Die Aufnahmen gingen schnell voran und wurden nur unterbrochen für die Aufnahmen von Francis Ford Coppolas Film Bram Stoker’s Dracula, in dem Waits den Käfer fressenden Makler R.M. Renfield spielte. Das Album erhielt den Grammy als bestes Alternative Album.

Pause in den 1990ern

Es sollten sieben Jahre vergehen, bis Waits wieder ein Album aufnahm. Sein enormes Arbeitspensum von 1992 machte sich bemerkbar und er brauchte dringend eine Pause. Nahezu die gesamten 1990er Jahre widmete er sich weitgehend seiner Familie. Er gab praktisch keine Konzerte und spielte auch nicht in Filmen mit. Die Abfindung aus dem Frito-Lay-Prozess, zahlreiche Songs, die in Filmen ihre Verwendung fanden und die Tantiemen aus diversen Coverversionen sicherten ihm ein gutes Auskommen. Aufnahmen mit Waits-Titeln gab es in diesen Jahren u. a. von Rod Stewart, Johnny Cash und Holly Cole. Das Waits-Tribute-Album Step Right Up aus dem Jahr 1995, das hauptsächlich aus Titeln der Asylum-Ära bestand, fand nicht das Wohlwollen des Komponisten, obwohl alle Künstler und Indie-Bands, die beteiligt waren, um eine ernsthafte Hommage bemüht waren. An dem auf Initiative von Evan Cohen, dem Sohn Herb Cohens, entstandenen Album wirkten Künstler wie die Tindersticks, die Violent Femmes und Jeffrey Lee Pierce mit. Dave Alvin schrieb in den Liner Notes: „Als ich mit 18 Jahren in einem Laden in Whittier arbeitete, hörte ich Tom Waits im Radio. Das inspirierte mich, Songwriter zu werden.“

Gelegentlich gab Waits Gastauftritte auf den Veröffentlichungen befreundeter Künstler. 1993 wirkte Waits auf der Neuauflage des Albums Jesus’ Blood Never Failed Me Yet von Gavin Bryars mit. Ebenso war er auf den Veröffentlichung der Gatmo Sessions als Sänger beteiligt. Hierbei handelt es sich um Aufnahmen mit experimentellen Musikinstrumenten der Künstlergruppe um Bart Hopkin und Richard Waters, die ihre Instrumente für Alice zur Verfügung gestellt hatten. Den Beginn verschiedener Auftritte auf Benefiz-Alben und -Festivals markierte das AIDS-Benefizalbum Red Hot + Blue.

Mule Variations

Erst nach dem Wechsel von Island zu ANTI-Records, einem Ableger des Independant-Punk-Labels Epitaph, erschien im März 1999 Waits’ erstes Studioalbum nach sieben Jahren Pause. Bei ANTI-Records sind zwar hauptsächlich Bands wie Rancid oder Offspring unter Vertrag, aber „sie sind künstlerfreundlich, sie sind fortschrittlich und ich mag ihren Geschmack was Musik, Barbecues und Autos betrifft“ (wie sich Waits nach seinem Wechsel äußerte).[26]

Im Vorfeld hatte Waits sich mit den Field Recordings des Musikforschers Alan Lomax und seinen historischen Aufnahmen von Bluesmusikern des amerikanischen Südens beschäftigt. Der Einfluss ist deutlich zu hören, der Sound ist ländlich geprägt und zwischen drin ist auch mal ein Hund oder ein Hahn zu hören. Die Aufnahmen fanden nicht nur im Prairie Sun Studio mit seinen zahlreichen unterschiedlichen Räumen und unterschiedlichsten Klangeigenschaften statt – einige Aufnahmen wurden auch mit Richtmikrofonen im Freien mitgeschnitten. Waits/Brennan bezeichneten den von ihnen entwickelten Sound als „surrural“, was den Eindruck von etwas vertrautem und dennoch verstörenden vermitteln soll.[26] Beteiligt waren zahlreiche Musiker aus allen Schaffensperioden Waits’ wie Larry Taylor, Marc Ribot, Greg Cohen und Ralph Carney. Dazu kamen Neulinge, wie Smokey Hormel von Beck an den Gitarren und DJ Ill Media an den Turntables, aber auch Veteranen wie Charlie Musselwhite und John Hammond an der Mundharmonika. Auch die Band Primus war vollständig beteiligt. Als äußerst wichtig für die Produktion erwies sich Kathleen Brennan. Häufig wurden für die Veröffentlichung die ersten Takes gewählt.

Der Titel Mule Variations bezieht sich auf den Song Get Behind the Mule, der in verschiedenen Arrangements eingespielt wurde. Der Ausdruck wird dem Vater Robert Johnsons zugeschrieben, der dies über seinen Sohn sagte und jemanden bezeichnet, der nicht rechtzeitig aus dem Bett kommt und deshalb „dem Maultier hinterher läuft“.[27]

Das Album erreichte Platz 30 in den Billboard-Top-200 (und damit die höchste Notierung aller Waits-Alben) und den Grammy als bestes zeitgenössisches Folk-Album. Der Musiker ging mit seinem neuen Album noch einmal auf eine große Amerika- und Europatournee. Danach machte er sich noch rarer als vorher und Live-Auftritte wurden zu einer Seltenheit.

1999 begann Waits sich auch als Produzent zu betätigen. Anfangs nur aus Freundschaftsdienst für Chuck E. Weiss’ Album Extremely Cool tätig, verpflichtete ihn John Hammond im gleichen Jahr auch für das Album Wicked Grin, das allerdings auch aus zahlreichen Waits-Covern im Blues-Gewand bestand. Hier spielte Waits auch die Rhythmusgitarre.

Real Gone

Real Gone wurde in der „Geisterstadt“ Locke aufgenommen

Nach Alice und Blood Money 2002 sollte das nächste Album Real Gone, das im Oktober 2004 veröffentlicht wurde, wieder einen abrupten Wechsel darstellen. Nachdem Gitarren auf den beiden vertonten Theaterstücken praktisch gefehlt hatten, setzte Waits sie nun mit Macht ein. Dafür fehlte überraschenderweise das Klavier fast vollständig. Schon vorher hatte Waits angekündigt: „Ich möchte meine Stimme wie ein Schlagzeug benutzen.“[28]

Musikalisch vom Blues und Hip-Hop gleichermaßen beeinflusst, war dieses Album nach den Erfahrungen der Terroranschläge am 11. September 2001, des Irak-Konflikts und der „gewissenlosen Praktiken“ der Bush-Regierung die politischste Waits-Veröffentlichung seiner Karriere. Hoist that Rag ist „ein donnernder Wutschrei gegen Rumsfeld[29] und Day after Tomorrow, der Brief eines Soldaten von der Kriegsfront an die Daheim gebliebenen, erinnert an die Protestsongs eines Woody Guthrie oder jungen Bob Dylan. „Die Regierung betrachtet die 18-jährigen Kids doch als Kanonenfutter. Was, wir haben nicht genug Waffen? Schicken wir doch ein paar Soldaten los. Wir stecken bis zum Hals in der Scheiße, aber der große Boss erzählt uns, wir sollen weitermachen und unsere Kinder opfern.“[30]

Für die Aufnahmesessions wurde eine alte Schule in dem ehemals von Chinesen gegründeten und bewohnten Museumsdorf Locke, einer National Historic Landmark, umgebaut.

Orphans

Direkt im Anschluss an Real Gone machten sich Waits und Brennan an die Zusammenstellung der Triple-CD-Anthologie Orphans. Das Album erschien im November 2006 und ist als Buch mit umfangreichem Booklet mit Texten und zahlreichen Fotografien aufgemacht. Es ist als Antwort auf die fünf CDs umfassende Bootlegserie Tales from the Underground. Das Album vereint älteres Material ab Mitte der 1980er mit neuen Aufnahmen. Um die 54 unterschiedlichsten Songs unter einen Hut zu bringen wurden sie auf die einzelnen CDs unter den Stichworten Brawlers (Krakeeler), Bawlers (Heulbojen) und Bastards Bastarde) verteilt. Einen wichtigen Anteil hatte dabei der als „Frontsanitäter“ tätige Toningenieut Karl Derfler.[31] Die Zusammenstellung umfasst Songs aus Filmen, Compilationen, Outtakes und Spoken-Word-Raritäten. Die Auswahl der Coverversionen reicht von Leadbelly und Frank Sinatra bis zu den Ramones und schottischen Madrigalen aus dem 18. Jahrhundert.

2008 führte die Glitter and Doom-Tour Waits durch die USA und Europa. Im November 2009 wurde das gleichnamige Doppelalbum veröffentlicht. Neben einer CD mit den Songs enthält es auch eine zweite CD mit dem Titel Tom Tales. Auf ihr sind ausführlich Geschichten, Witze und Anekdoten des Künstlers zu hören.

Über das späte Werk von Tom Waits urteilte der Kritiker Simon Schama: „Manchmal übertreibt Waits seine konsequente Verweigerung, den liebenswürdigen Sänger zu geben, bis an die Grenze zur Selbstparodie.“[32] Als Beispiel für die ungebrochene Anziehungskraft der Waits/Brennanschen Kompositionen kann das Tribute-Album von Scarlett Johansson aus dem Jahr 2008 gelten, das unter Mitwirkung so unterschiedlicher Künstler wie David Sitek von TV on the Radio, Nick Zinner von den Yeah Yeah Yeahs und David Bowie entstand.

Diskografie

Reguläre Alben

  • 1973: Closing Time
  • 1974: The Heart of Saturday Night
  • 1975: Nighthawks at the Diner (Live)
  • 1976: Small Change
  • 1977: Foreign Affairs
  • 1978: Blue Valentine
  • 1980: Heartattack and Vine
  • 1983: Swordfishtrombones
  • 1985: Rain Dogs
  • 1987: Franks Wild Years
  • 1988: Big Time (Live)
  • 1992: Night on Earth (Filmmusik)
  • 1992: Bone Machine
  • 1993: The Black Rider
  • 1999: Mule Variations
  • 2002: Alice
  • 2002: Blood Money
  • 2004: One from the Heart (Filmmusik, 2-CD-Reissue)
  • 2004: Real Gone
  • 2006: Orphans: Brawlers, Bawlers & Bastards (Boxset mit 56 Tracks, davon 30 Erstveröffentlichungen)
  • 2009: Glitter and Doom (Live)

Kompilationen

  • 1981: Bounced Checks
  • 1984: Anthology of Tom Waits
  • 1984: Asylum Years
  • 1991: The Early Years
  • 1992: The Early Years Vol. 2
  • 1998: Beautiful Maladies: The Island Years 1983–1993
  • 2001: Used Songs: 1973–1980

Filmmusik

Soundtracks von Tom Waits

Auswahl an Songs in Filmen

  • 1978: Meet Me in Paradise Alley und ''Annie’s Back in Town in Vorhof zum Paradies
  • 1979: The One That Got Away in Tom Waits for No One
  • 1981: Jitterbug Boy in Wolfen
  • 1984: Take Care of All My Children in Streetwise (TV-Dokumentation )
  • 1986: Jockey Full of Bourbon und Tango Till They're Sore in Down By Law
  • 1987: The Big Rock Candy Mountain und Once More before I Go in Candy Mountain
  • 1989: Singapore in Ausgespielt - Bearskin
  • 1989: Sea of Love in Sea of Love
  • 1992: River of Men und World of Adventure in Fishing with John
  • 1992: Never Let Go in American Heart
  • 1992: Temptation in Léolo
  • 1995: Earth Died Screaming in 12 Monkeys
  • 1995: You are innocent when you dream in Smoke
  • 1996: The Fall of Troy in Dead Man Walking
  • 1999: Goin' Out West in Fight Club
  • 2004: Saw Sage und Moanin’ Parade in Coffee and Cigarettes (2004 Re-Release)
  • 2004: Little Drop Of Poison in Shrek 2
  • 2005: Jesus Gonna Be Here in Domino
  • 2005: You Can Never Hold Back Spring in Der Tiger und der Schnee
  • 2005: Soldier's Thing in Jarhead
  • 2006: Dead and Lovely in Wristcutters - A Love Story
  • 2007: All The World Is Green in Schmetterling und Taucherglocke

Anthologien (Auszug)

  • 1987: What Keeps Mankind Alive auf der Kurt-Weill-Anthologie Lost In The Stars
  • 1988: Heigh Ho (Dwarf's Marching Song) auf der Walt-Disney-Anthologie Stay Awake
  • 1990: It's All Right With Me auf der Cole-Porter-Anthologie Red Hot + Blue

Filmografie

Auszeichnungen

  • 1983: Academy Awards-Nominierung für One From The Heart
  • 1992: Grammy Award für Bone Machine als Bestes Album in der Kategorie Bestes Alternative-Album
  • 1994: Golden Globe für Short Cuts in der Kategorie Best Ensemble Cast
  • 2000: Grammy Award für Mule Variations in der Kategorie Bestes zeitgenössisches Folkalbum
  • 2005: Grammy Award-Nominierung für den Song Metropolitan Glide in der Kategorie Best Solo Rock Vocal Performance
  • 2006: David di Donatello-Nominierung für You Can Never Hold Back Spring als Titelsong in der Kategorie Bester Originalsong
  • 2008: Grammy Award-Nominierung für Orphans in der Kategorie Bestes zeitgenössisches Folk/Americana-Album

Literatur

  • Patrick Humphries: Gestohlene Erinnerungen. Sonnentanz-Verlag, Augsburg 1990, ISBN 3-926794-08-9
  • du Nr. 9, Tom Waits - Die Ballade vom anderen Amerika, TA-Media AG, Zürich 1997
  • Cath Carroll: Tom Waits. Hannibal-Verlag, Höfen 2001, ISBN 3-85445-190-3
  • Patrick Humphries: Die vielen Leben des Tom Waits. Bosworth-Edition, Berlin 2008, ISBN 978-3-86543-233-9
  • Jay S. Jacobs: Tom Waits: Musik & Mythos. Stagecraft Entertainment, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-00-026953-0
  • Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand. Heyne-Verlag, München 2009, ISBN 978-3-453-26633-9 (nichtautorisierte Biografie)
  • Gregor Herzfeld: Zur Romantikrezeption in The Black Rider von William Burroughs, Robert Wilson und Tom Waits. In: Ulrich Müller u. a. (Hrsg.): Die Schaubühne in der Epoche des Freischütz: Theater und Musiktheater der Romantik, Vorträge des Salzburger Symposions 2007. Verlag Müller-Speiser, Salzburg/Anif 2009, ISBN 978-3-902537-14-0, S. 330–343

Einzelnachweise

  1. Southwest Airlines Spirit. März 2007
  2. a b c d e f g h i j k l m n o p Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand.
  3. Waits zu Adam Sweeting, Guardian, 15. September 1992
  4. Hughart zu Joseph Scott, Bassics, Juli 2000
  5. Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand. Seite 178
  6. Waits zu David McGee, Rolling Stone, 27. Januar 1977
  7. Waits zu Mick Brown, Telegraph Magazine, 11. April 1999
  8. Waits zu Dave Zimmer, BAM 26. Februar 1982
  9. Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand. Seite 249
  10. Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand. Seite 267
  11. Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand. Seite 317
  12. Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand. Seite 311 und 313
  13. Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand. Seite 316
  14. Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand. Seite 362
  15. Waits zu Kristine McKenna, New Musical Express, 1. Oktober 1983
  16. Waits zu Robert Scabbag, Los Angeles Times, 22. Februar 1987
  17. Radio-Interview vom 24. April 1985
  18. Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand. Seite 384
  19. Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand. Seite 390
  20. Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand. Seite 404
  21. Waits zu Steve Oney, Playboy, März 1988
  22. Waits zu Tom Laneam, Paste, Dezember 2004
  23. Altman zu Mick Brown, Telegraph Magazine, 11. April 1999
  24. Waits zu Michael Barclay, Exclaim, April–Mai 1999
  25. Waits zu Michael Fuchs-Gamböck, Rock World, Oktober 1992
  26. a b Waits zu Rip Rense, Performing Songwriter, Juli-August 1999
  27. Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand. Seite 507
  28. Waits zu James Nicholas Joyce, Impress, 1. Mai 2002
  29. Barney Hoskyns: Tom Waits: Ein Leben am Straßenrand. Seite 559
  30. Waits zu Richard Grant, Telegraph Magazine, 2. Oktober 2004
  31. www.ANTI.com, 20. Mai 2008
  32. Simon Schama im Guardian, 9. Dezember 2006

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