Reichspräsidentenpalais
Das Reichspräsidentenpalais (oder auch Palais des Reichspräsidenten) war von 1919 bis 1934 als Residenz des Reichspräsidenten Amtssitz des deutschen Staatsoberhauptes.

Das Palais befand sich in dem Gebäude Wilhelmstraße Nr. 73 und beherbergte zum einen das Büro des Reichspräsidenten, das alle mit der Funktion des Reichspräsidenten als staatliche Institution zusammenhängenden Angelegenheiten regelte, die Privatwohnungen des Präsidenten und einiger seiner Mitarbeiter sowie diverse Repräsentations- und Empfangsräume.
Geschichte des Gebäudes
Bau und Nutzungen
Das Gebäude wurde zwischen 1735 und 1737 auf Veranlassung von König Friedrich Wilhelm I. von Preußen errichtet. Für die westliche Friedrichstadt-Erweiterung sollten an der späteren Wilhelmstraße ansehnliche Gebäude entstehen; im Gegenzug vergab der König preiswerte Grundstücke und steuerte Baumaterial bei. Als Bauherren beteiligten sich die Brüder Bogeslav und Kurd von Schwerin, der sich aber kurz darauf von seinem Anteil trennte.
Baumeister sei der Berliner Conrad Wiesend gewesen; bei der Ausgestaltung des im repräsentativen Louis-Quinze-Stil gehaltenen Gebäudes könnten auch Franzosen (aus der Berliner Hugenotten-Gemeinde) beteiligt gewesen sein. Später wurde die Gestaltung durch mehrere großflächige Wandgemälde von Bernhard Rode vervollständigt.
1769 kaufte Staatsminister Ewald von Massow die Immobilie. 1777 wurde Reichsgraf Carl von Sacken genannt von Osten Eigentümer, danach dessen Witwe, sein Enkel und eine Erbengemeinschaft bis 1815.
Ab 1816 nutzte der Hofbuchdrucker Reimer die Repräsentationsräume für seine Familie, seinen Verlag und einen literarischen Salon, während in den Flügeln auch fabrikmäßig gearbeitet wurde. Einer seiner Söhne erbte das Anwesen und nutzte es weiter, bis nach seinem Tod 1857 die Witwe das Palais verkaufte.
Hausministerium
1858 kaufte es der preußische König Friedrich Wilhelm IV. Anschließend beherbergte es das königliche Hausministerium und damit unter anderem die private Vermögensverwaltung des Hauses Hohenzollern. Alexander Graf von Schleinitz (1862–1885) und August zu Eulenburg (1914–1918) gehörten zu den Hausministern, die im Palais residierten.
1919 erwarb das Deutsche Reich die Immobilie vom abgedankten deutschen Kaiser Wilhelm II., der zu dieser Zeit dringend auf Devisen für den Ankauf des niederländischen Schlosses Doorn angewiesen war. Als Vermittler der – lange Zeit streng geheim gehaltenen – Transaktion fungierte der Bankier Eduard von der Heydt.
Reichspräsidenten
Nachdem von 1919 bis 1934 die Reichspräsidenten Friedrich Ebert und Paul von Hindenburg in dem Gebäude residiert hatten, diente es von 1934 bis 1939 nur noch als Sitz der Präsidialkanzlei des Führers, der Nachfolgeorganisation des Büros des Reichspräsidenten. Adolf Hitler, seit August 1934 deutsches Staatsoberhaupt und de facto Reichspräsident ohne diesen Titel offiziell zu führen, residierte stattdessen in der so genannten „Führerwohnung“ in der alten Reichskanzlei sowie in seinen Privatwohnungen in München und auf dem Berghof bei Berchtesgaden. Seit 1939 wurden die ehemaligen Privatgemächer des Reichspräsidenten vom nationalsozialistischen Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop bewohnt. Zu diesem Zweck war das Gebäude nach Plänen von Albert Speer umgebaut worden.
Nach dem Krieg
Hinter dem wuchtigen Äußern verbarg sich bautechnisch eine eher leichte Holzkonstruktion ähnlich einem Fachwerkbau. Auch ohne Volltreffer wurde die Substanz durch Druckwellen in der Nähe explodierender Bomben im Zweiten Weltkrieg für die damalige Zeit unrettbar beschädigt. Im Auftrag der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik wurde es abgerissen. Das Balkongitter über dem Mittelportal blieb erhalten und befindet sich bis heute am Wohnhaus Berlin-Köpenick, Bahnhofstraße 4. Die beiden Sandsteinlöwen, die die Pfeiler des Tors an der Wilhelmstraße krönten, kamen zunächst zum Tierpark Berlin-Friedrichsfelde.
Der Garten lag ab 1961 im absoluten Sperrbereich der Berliner Mauer.
Die DDR ließ in den 1980ern eine einheitliche Plattenbaufront entlang der Wilhelmstraße und damit auch über dem alten Gebäude errichten, um die Erinnerung an die preußische Wilhelmstraße auszulöschen. 1964 war die Straße bereits umbenannt worden in Otto-Grotewohl-Straße,[1] das Grundstück hatte dann etwa die Hausnummer 92.
Eine Erinnerungsstele schildert mittlerweile die Geschichte. Sie steht vor der Nummer 78 – die 1993 wiedervereinigte Wilhelmstraße benötigte nun fortlaufende Hausnummern. Der Südrand des Grundstücks entspricht ungefähr der heutigen Hannah-Arendt-Straße in voller Länge. Ein Teil des Holocaust-Mahnmals überdeckt den ehemaligen Park. Sein Ort der Information liegt im früheren Garten.
Bauliche Struktur und Organisation der Anlage
Das Gebäude des eigentlichen Palais bestand aus drei Flügeln. Hinzu kamen einige Nebengebäude wie eine Garage für den Fuhrpark des Präsidenten, ein Hinterhaus sowie verschiedene kleine Gartenhäuser, Gewächshäuser und ein Hühnerstall.
Auf dem Vorplatz an der Frontseite des Palais befand sich ein mit Kies bedeckter sogenannter „Ehrenhof“ auf dem der Reichspräsident ausländische Botschafter und Staatsoberhäupter sowie andere hochstehende Gäste empfing. In späteren Jahren war es üblich, dass eine zwanzigköpfige Ehrenformation der Reichswehr auf dem Hof Stellung bezog wann immer der Reichspräsident sein Amtsgebäude betrat oder verließ. Auf dem Ehrenhof befand sich ein mit allegorischen Figuren verzierter Springbrunnen hinter dem eine breite mit Glas überdachte Freitreppe zum Eingangsportal des Palais führte.
Neben dem Büro des Reichspräsidenten im linken Flügel des Gebäudes („Kanzlei“) und den repräsentativen Räumlichkeiten für offizielle Anlässe (Empfänge, Bankette, Tanzabende usw.) im Zentralteil umfasste die Residenz diverse private Unterkünfte. Während der Präsident und der Chef des Büros des Reichspräsidenten als die ranghöchsten Hausbewohner jeweils eigene weitläufige Apartments – der Bürochef hatte im rechten Flügel („Meissnerflügel“) sechsundzwanzig Zimmer zu seiner Verfügung – zu ihrer Verfügung hatten, mussten andere Hausbewohner mit kleineren Wohnungen Vorlieb nehmen. So lebte der Hausmeister des Gebäudes (in den meisten Jahren ein Mann namens Horst Tappe) in einer Wohnung im Dachgeschoss, während der Chauffeur des Staatsoberhauptes (Heinrich Demant) in den Räumen über den zur Garage für den Fuhrpark umgebauten ehemaligen kaiserlichen Stallungen lebte.
Das Gebäude wurde von einem großen Park umsäumt, der neben Spazierwegen, Rasenflächen und Blumenbeeten auch einige hinter Hecken verborgene Gemüsebeete umfasste. 1925 wurde die am Gartentor entlangführende Straße nach dem soeben verstorbenen Bewohner Friedrich-Ebert-Straße benannt.[2]
Bewohner des Palais
Die „Bewohner“ des Reichspräsidentenpalais lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Einmal jene, die den Palais im engeren Sinne „bewohnten“, also die im Palais nicht nur ihrer Arbeit nachgingen, sondern auch privat dort lebten. Und zum zweiten solche Personen, die tagsüber ins Palais kamen um dort bestimmte Aufgaben wahrzunehmen, jedoch nicht privat dort lebten.
Unter den Bewohnern der ersten Gruppe sind zunächst die jeweiligen Inhaber des Amtes des Reichspräsidenten zu nennen. Neben der Reichspräsidenten Ebert und von Hindenburg war der Chef des Büros des Staatsoberhauptes, Staatssekretär Otto Meissner, von 1920 bis 1939 ständig im Palais zu Hause. Hinzu kamen die Familien dieser drei Männer. Während der Präsidentschaft Eberts lebten seine Ehefrau und seine zwei Söhne im Palais, Hindenburg brachte dagegen seinen Sohn Oskar und seine Schwiegertochter Margarete und die drei Kinder des Paares, von denen das jüngste im Palais geboren wurde, mit. Meissners Haushalt bestand wiederum aus dessen Ehefrau und beiden Kindern, darunter der Sohn Hans-Otto Meissner. Weitere Personen die nicht nur im Palais arbeiteten, sondern auch eigene Wohnungen dort hatten, waren der Hausinspekteur (Chef des hauswirtschaftlichen Personals) Wilhelm Tappe, Hindenburgs Leibdiener Oskar Putz (genannt „Karl“, um Verwechselungen mit dem gleichnamigen Sohn des Staatsoberhauptes zu vermeiden) sowie der Präsidentenchauffeur Otto Demant[3] und der Chauffeur des Präsidentenbüros Kurt Nehls.[4]
Nur während der Arbeitszeiten des Palais war der Stab des Präsidenten und die Mitarbeiter des Haushaltes in den Räumlichkeiten anzutreffen. Der Stab des Reichspräsidenten bestand in der Regel aus fünfzehn mittleren und höheren Beamten, zehn weiblichen Schreibkräften und acht Amtsdienern. Die Haushaltsmannschaft bestand aus Köchinnen, Putzfrauen, Zimmermädchen, Gärtnern, einem Schreiner, der Reparaturarbeiten erledigte, und dem Wachpersonal.
Unter den Angehörigen des Stabes des Reichspräsidenten, dessen wichtigste Mitarbeiter Ebert und Hindenburg in gleicher Weise zur Seite standen, sind hervorzuheben: Der Ministerialrat Heinrich Doehle, der die Angelegenheiten der inneren Politik bearbeitete, und der Legationsrat Oswald Baron von Hoyningen-Huene, der dem Reichspräsidenten als Vertreter des Auswärtigen Amtes zugeordnet war, sowie Oberregierungsrat Wilhelm Geilenberg[5], der die Kassengeschäfte führte. Hinzu kamen ein bis zwei Offiziere, die als Verbindungsoffizier zum Reichswehrministerium fungierten. Unter Hindenburg übernahm sein Sohn Oskar von Hindenburg den Posten des ersten militärischen Adjutanten des Reichspräsidenten und Wedige von der Schulenburg den des zweiten Adjutanten.
Literatur
- Laurenz Demps: Berlin-Wilhelmstraße. Eine Topographie preußisch-deutscher Macht. 3. aktualisierte Auflage. Ch.Links, Berlin 2000, ISBN 3-86153-228-X.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Otto-Grotewohl-Straße. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins
- ↑ Friedrich-Ebert-Straße. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins
- ↑ Hans-Otto Meissner gibt Demant in seinen Lebenserinnerungen irrtümlicherweise den Vornamen Heinrich; die Berliner Adressbücher der Jahre 1911 bis 1943 kennen jedoch nur einen Otto Demant mit Beruf Chauffeur bzw. Kraftwagenfahrer; dass es sich bei ihm um den Präsidentenchauffeur handeln muss, ergibt sich aus dem Umstand, dass sein Wohnsitz ab 1928 in der Wilhelmstraße 73 (dem Reichspräsidentenpalais) angegeben wird. Demant arbeitete Meissner zufolge von 1911 bis 1918 als Chauffeur für Kaiser Wilhelm II. (die Adressbücher bestätigen dies, indem sie ab 1911 einen Otto Demant mit Beruf Kraftwagenfahrer aufführen vorher jedoch nicht); von 1919 bis 1934 arbeitete Demant dann als Chauffeur für die Reichspräsidenten Ebert und Hindenburg, danach bis 1945 als Chauffeur für den Leiter der „Präsidialkanzlei des Führers“, d.h. Otto Meissner; bis 1939 verzeichnen die Berliner Adressbücher Demant noch als wohnhaft in der Wilhelmstraße 73, danach von 1940 bis 1943, wie Otto Meissner, als wohnhaft im Schloss Bellevue, dem Gästehaus des Reiches im April 1945 brachte Demant Meissner Junior zufolge den Vater auf Schleichwegen aus Berlin hinaus und nach Schleswig ins Hauptquartier von Hitlers Nachfolger als Reichspräsident, Großadmiral Dönitz (vgl. Hans-Otto Meissner: Junge Jahre im Reichspräsidentenpalais, S. 61).
- ↑ Nehls wird, ohne Nennung eines Vornamens, bei Hans-Otto Meissner als zweiter Chauffeur des Büros aufgeführt. Den Vornamen enthüllt das Berliner Adressbuch für das Jahr 1932, Seite 2313, in dem Nehls auch als in der Wilhelmstraße 73 wohnhaft identifiziert wird. In den Adressbüchern 1931 bis 1939 wird er als wohnhaft in der Wilhelmsstraße 73, danach von 1940 bis 1943 als wohnhaft im Schloss Bellevue, dem Gästehaus des Reiches, geführt.
- ↑ Geilenberg wechselte auf Empfehlung Meissners aus dem Reichsamt für die Verwaltung der Reichseisenbahnen in das Büro des Reichspräsidenten, dem er von 1920 bis 1945 als Leiter der Registratur angehörte.
Koordinaten: 52° 30′ 50,3″ N, 13° 22′ 53,4″ O