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Jean-Paul Sartre

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Datei:Sartre.jpg
Jean-Paul Sartre

Jean-Paul Sartre (* 21. Juni 1905; † 15. April 1980) war ein französischer Schriftsteller und Philosoph.

Sartre war Mitbegründer der Denkschule des Existenzialismus und gilt als Vordenker der revoltierenden Studenten von 1968.

Leben

Sartre wird in intellektuell-großbürgerlichen Verhältnissen geboren. Sein Vater stirbt, als Sartre zwei Jahre alt ist; Sartre wächst in Paris bei seiner Mutter und Großmutter auf. Auf dem Gymnasium (Lycée Henri IV) begegnet er Paul Nizan. Nach dem Besuch eines Vorbereitungskurses am Lycée Louis-le-Grand (1922 bis 1924) wird er 1924 in die Eliteschule École Normale Supérieure aufgenommen. Dort lernt er Simone de Beauvoir kennen, die für den Rest seines Lebens seine Lebensgefährtin wird.

Für ein Jahr geht er als Stipendiat an das Institut français in Berlin, wo er seine Arbeit über die Phänomenologie von Husserl abschließt. Von 1936 bis 1939 unterrichtet er in Le Havre, in Laon und in Paris. Er wird in Nancy zum Militärdienst eingezogen, gerät in Gefangenschaft und wird 1942 von der Résistance befreit.

Sartre wird Lehrer und veröffentlicht philosophische Aufsätze. Er wird zur Leitfigur des beginnenden Existenzialismus in Frankreich. Er erlangt Berühmtheit mit seinen Romanen (Der Ekel, frz: La nausée - 1938), seinen Novellen (Die Mauer, frz: Le mur - 1939), seinen Theaterstücken (Die Fliegen, frz: Les mouches - 1943), mit denen er seine philosophischen Ideen einer breiten Öffentlichkeit darlegt.

Nach der Befreiung Frankreichs 1945, gründet er die Zeitschrift Temps Modernes (dt: Moderne Zeiten, hist. Fachterminus auch Die Neuzeit). Nachdem er bis dahin ein linientreues Mitglied der kommunistischen Partei war, verurteilt er 1956 die Unterdrückung des ungarischen Aufstands und 1968 den sowjetischen Einmarsch in der Tschechoslowakei. Während des Algerienkriegs ergreift er entschieden Partei für die algerische Unabhängigkeitsbewegung Front de Libération Nationale (F.L.N.).

Sartre ist das Musterbeispiel eines engagierten Intellektuellen, der politische Positionen vertreten und verbreiten will. 1964 wird ihm der Literaturnobelpreis zuerkannt, den er ablehnt, da es "kein Mensch verdient, dafür verehrt zu werden, dass er lebt". Sartre stirbt am 15. April 1980 im Hôpital Broussais in Paris. Seine Beerdigung wird zum Demonstrationszug für seine Popularität, etwa 50.000 Menschen erweisen ihm die letzte Ehre. Sein Grab findet sich im Friedhof von Montparnasse in Paris.

Und seither?

"Wir haben keinen zeitgenössischen Philosophen mehr, an den wir uns wenden können, keinen Schriftsteller, der ohne (embages???) Partei ergreift. Wir leiden unter einem Mangel an Antworten und mehr noch vielleicht, unter einem Mangel an Fragen. Das Podest, auf dem sich die Statue des kleinen Mannes aufrichtet, ist völlig leer." J.J Brochier, in Le Magazine littéraire, 1996

Werk

Philosophie

Hauptpunkt seiner früheren Thesen (allen voran in L'être et le néant, 1943, und La nausée, 1938) ist, dass der Mensch zur Freiheit verurteilt sei: er trifft in jeder seiner Handlungen eine Wahl, und sei es nur die (z.B. unter Folter), zu leben oder zu sterben. Äußerliche Zwänge aufgrund äußerer gesellschaftlicher, natürlicher oder göttlicher Direktiven leugnet Sartre - dies sind Konstruktionen, die dem Menschen die Verantwortung für das, was er tut, nicht abnehmen. Er sagt: "Die Hölle, das sind die anderen": die Erwartungen und Projektionen, die durch Mitmenschen an einen gerichtet werden, manipulieren dessen Handeln, wenn er ihnen gerecht zu werden versucht - aus Bequemlichkeit, weil er der Verantwortung ausweicht, sich selbst stets neu erfinden zu müssen. Am bündigsten formuliert er seine These mit dem Satz "Die Existenz geht dem Wesen voraus" ("L'existence précède l'essence") - einzig sein nacktes Dasein ist dem Menschen vorgegeben; was ihn am Ende ausmacht, muß er erfinden.

Dass diese Haltung angesichts der historischen Wirklichkeit (Krieg, Holocaust) abstrakt ist, erfährt Sartre am eigenen Leibe, als er einberufen wird. Aus dieser Erfahrung, die ihm nicht freiwillig widerfährt, modifiziert er seine Philosophie hin zu einer politischen, auf dem Prinzip des Engagements fundierten Stellung: die große Bedeutung des Bildes, das sich Mitmenschen von einem machen und dessen Handeln modifizieren, veranlaßt ihn spätestens seit Le diable et le bon dieu (1951) und der Critique de la raison dialectique (1960) zur Einsicht, dass das Wesen des Menschen, die Realität seines Daseins und Tuns, nachhaltig gesellschaftlich geprägt ist.

Literatur

Sein erster Roman, La nausée, erschienen am Vorabend des Krieges, sichert Sartre einen Platz in der Literaturgeschichte zu. Indem er sich am amerikanischen Montageroman (Manhattan Transfer von John Dos Passos) orientiert, leitet er neben Albert Camus, André Malraux, Antoine de Saint-Exupéry und Blaise Cendrars eine Phase der französischen Literatur ein, die stark vom amerikanischen Realismus geprägt ist: charakteristisch der lakonische Sprachstil, mit welchem Sartre seine mitunter komplexe Philosophie einer breiten Öffentlichkeit vermitteln will. Neben dem Roman dienen ihm hierzu vor allem Theaterstücke wie Huis-clos, Les mains sales, Le diable et le bon dieu, in denen wieder die Ökonomie der Mittel, angewandt auf konstruierte Extremsituationen (Krieg, Hölle, Revolution), charakteristisch ist. Mit Les mots (1964), in denen er eine an Rousseau's Confessions orientierte Autobiografie vorstellt, gelingt ihm eine Synthese von Roman und Essay, die seiner Zwischenrolle als Schriftsteller und (politischer) Philosoph gerecht wird.


Bibliographie

  • L'imagination (1936) -- Die Vorstellung
  • La nausée (1938) -- Der Ekel
  • Le mur (1939) -- Die Mauer
  • L'imaginaire (1940)
  • Les mouches (1943) -- Die Fliegen
  • L'être et le néant (1943) -- Das Sein und das Nichts
  • Huis-clos (1945)
  • Morts sans sépulture (1946)
  • Baudelaire (1947)
  • Les mains sales (1948) -- Die schmutzigen Hände
  • Le diable et le bon dieu (1951) -- Der Teufel und der liebe Gott
  • Critique de la raison dialectique (1960) -- Kritik der dialektischen Vernunft
  • Les mots (1964) -- Die Wörter
  • Situations (1947-1965)
  • L'Idiot de la famille (1971-1972)
  • Cahiers pour une morale (posthume, publié en 1983)

Originalzitate

  • "Die Existenz geht dem Wesen voraus." / "L'existence précède l'essence." (L'existentialisme est un humanisme)
  • "Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt." / "L'homme est condamné à être libre" (L'existentialisme est un humanisme)
  • "Nie waren wir so frei wie unter der deutschen Besatzung." (Situations, III)
  • "Die Hölle, das sind die anderen." / "L'enfer, c'est les autres"(Huis-clos)
  • "Du bist nichts als das, was du lebst." (Huis-clos)
  • "Oreste: Fremd mir selbst, ich weiß. Jenseits der Natur, gegen die Natur, ohne Rechtfertigung, ohne anderen Gewähr als in mir selbst. Aber ich kehre nicht unter dein Gesetz zurück: es sind tausend Wege gezeichnet, die zu dir führen, ich will jedoch einzig meinem Weg folgen. Denn ich bin ein Mensch, Jupiter, und jeder Mensch muß seinen Weg erfinden. Die Natur empfindet Schrecken vor dem Menschen, und du, du, Höchster der Götter, auch du betrachtest die Menschen mit Schrecken." (Les Mouches)
  • "Heute würde ich den Begriff Freiheit folgendermaßen definieren: Freiheit ist jene kleine Bewegung, die aus einem völlig gesellschaftlich bedingten Wesen einen Menschen macht, der nicht in allem das darstellt, was von seinem Bedingtsein herrührt." (Sartre über Sartre, Interview mit Perry Anderson, Ronald Fraser und Quintin Hoare, 1969)
  • Quelle: Sartre über Sartre

Literatur

  • Bernard-Henri Lévy: Sartre. Der Philosoph des 20. Jahrhunderts. München: Hanser, 2002.
  • Walter van Rossum: Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2001.
  • Traugott König (Hg.): Sartre-Lesebuch. Den Menschen erfinden Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1986.
  • dies.(Hg.): Sartre über Sartre. Aufsätze und Interviews 1940-1976 Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1977
  • Arthur C. Danto: Jean Paul Sartre. Steidl-Verlag. Göttingen, 1992.
  • Peter Sloterdijk (Hg.): Sartre. Ausgewählt und vorgestellt von Thomas H. Macho. Reihe Philosophie jetzt! dtv-Verlag. München, 1998.
  • Heiner Wittmann, L'esthétique de Sartre. Artistes et intellectuels,traduit de l'allemand par N. Weitemeier et J. Yacar, Éditions L'Harmattan (Collection 'ouverture philosophique), Paris 2001.
  • H. Wittmann, Sartre und die Kunst. Die Porträtstudien von Tintoretto bis Flaubert, Gunter Narr Verlag, Tübingen 1996.