Immunologie
Die Immunologie oder Immunbiologie ist die Lehre von den biologischen und biochemischen Grundlagen der körperlichen Abwehr von Krankheitserregern (Bakterien, Viren, Pilze) und anderen körperfremden Substanzen (z.B. biologische Toxine, Umweltgifte) sowie Störungen und Fehlfunktionen dieser Abwehrmechanismen. Zentraler Forschungsgegenstand ist dabei das Immunsystem, welches durch eine Reihe von zellulären und humoralen Reaktionen die Erkennung und Inaktivierung von Krankheitserregern und körperfremden Substanzen realisiert. Diese Reaktionen werden unter dem Begriff Immunantwort zusammengefaßt.
Geschichte der Immunologie
Die ältesten bekannten Aufzeichnungen, die Hinweise auf immunologisch relevante Beobachtungen enthalten, stammen aus dem Jahr 430 vor unserer Zeit. Der Geschichtsschreiber Thucydides stellte damals während einer Seuche in Athen zur Zeit des Peloponesischen Krieges fest, daß nur Menschen für die Versorgung der Erkrankten in Frage kamen, welche die Krankheit selbst bereits durchgestanden und überlebt hatten. Aus der Zeit um das Jahr 100 vor unserer Zeit sind erste Berichte aus China zu einer gezielten Übertragung der Pocken auf gesunde Menschen zum Zweck der Vorbeugung bekannt. Weite Verbreitung erlangtes dieses Verfahren, bei dem Eiter von leicht Erkrankten mit einer Nadel auf Gesunde übertragen wurde, unter der Bezeichnung "Variolation" seit dem 15. Jahrhundert vor allem in China, Indien und der Türkei. Durch die Ehefrau des britischen Botschafters in Konstantinopel, die ihren Sohn auf diese Weise impfen liess, gelangte die Variolation ab ca. 1722 nach England und verbreitete sich in den folgenden Jahren auch im Rest Europas.
Zur gleichen Zeit stellte der englische Landarzt Edward Jenner (* 1749; † 1823) fest, daß Melkerinnen, die sich mit den für den Menschen harmlos verlaufenden Kuhpocken infiziert hatten, bei den damals häufig auftretenden Pockenepidemien verschont blieben oder nur leichte Krankheitsverläufe zeigten. Nach intensiver Beobachtung dieses Phänomens impfte er am 14. Mai 1796 einen gesunden achtjährigen Jungen mit Gewebsflüssigkeit, die er einer Pustel von einer mit Kuhpocken infizierten Milchmagd entnommen hatte. Nachdem der Junge den leichten Verlauf der Kuhpocken überstanden hatte, infizierte ihn Jenner mit echten Pocken. Auch diese Infektion überstand der Junge ohne schwerwiegende Symptome. Im Vergleich zur Variolation bot Jenners Verfahren einige entscheidende Vorteile. Die mit Kuhpocken geimpften Personen wiesen nicht die für Pocken typischen Pusteln und die daraus resultierenden Narben auf, es gab keinen tödlichen Verlauf der Impfung und die geimpften Personen stellten selbst kein Ansteckungsrisiko dar. Edward Jenner gilt deshalb heute als Begründer der modernen Immunologie.
Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung der Immunologie war die gezielte Entwicklung eines Impfstoffes gegen die Tollwut im Jahr 1885 durch Louis Pasteur (* 1822; † 1895). Am 6. Juli 1885 impfte er damit den neunjährigen Joseph Meister, der zwei Tage zuvor von einem tollwütigen Hund gebissen worden war. Joseph Meister wurde damit der erste Mensch in der Geschichte der Medizin, der eine Tollwutinfektion überlebte. Innerhalb eines Jahres wurde diese Impfung bei 350 weiteren infizierten Personen angewendet, von denen keiner an Tollwut verstarb. Bereits drei Jahre vorher entdeckte Robert Koch (* 1843; † 1910) den Erreger der Tuberkulose und kurze Zeit später die Tuberkulin-Reaktion, die auf der Basis der Immunantwort den Nachweis einer Tuberkulose-Infektion ermöglichte.
1888 entdeckten Pierre Paul Émile Roux (* 1853; † 1933) und Alexandre Emile Jean Yersin (* 1863; † 1943) das Diphterie-Toxin. Zwei Jahre später konnten Emil Adolf von Behring (* 1854; † 1917) und Shibasaburo Kitasato (* 1852; † 1931) sogenannte Antitoxine im Serum von Patienten nachweisen, welche die Diphterie überstanden hatten. Emil Adolf von Behring begann auch damit, diese Antiseren zur Behandlung von Diphterie einzusetzen. Zum Beginn des 20. Jahrhunderts teilte sich damit die immunologische Forschung in zwei Denkrichtungen. Die Humoralimmunologen, die prominentesten von ihnen Paul Ehrlich (* 1854; † 1915) und Emil Adolf von Behring, vertraten die Ansicht, daß die Grundlagen der Infektionsabwehr in humoralen Substanzen, also den Antitoxinen zu suchen seien. Daneben entwickelte sich die Ansicht der Zellularimmunologen, insbesondere basierend auf den Arbeiten von George Nuttall (* 1862; † 1937) sowie Elie Metchnikoff (* 1845; † 1916) und dessen Entdeckung der Wirkung von weißen Blutkörperchen auf Bakterien, daß körpereigene zelluläre Prozesse für die Abwehr von Krankheitserregern verantwortlich sind. Wie sich später zeigen sollte, sind beide Aspekte gleichermaßen am Wirken des Immunsystems und an der Immunantwort beteiligt.
Im Jahr 1901 entdeckte Karl Landsteiner (* 1863; † 1943) das AB0-Blutgruppensystem und leistere damit einen weiteren wichtigen Beitrag zum Verständnis des Immunsystems. Clemens Peter Freiherr von Pirquet (* 1874; † 1929) stellte 1906 fest, daß Patienten bei einer wiederholten Gabe von Pferdeserum eine heftige Reaktion auf die zweite Behandlung zeigten. Er prägte für diese Überempfindlichkeitsreaktion den Begriff "Allergie". 1917 beschrieb Karl Landsteiner erstmals das Konzept der Haptene, kleine Moleküle, die bei Kopplung an ein Protein eine Immunreaktion mit Bildung spezifischer Antikörper auslösen können. Peter Gorer entdeckte bei Studien zur Transplantatabstoßung 1936 die H-2-Antigene der Maus und damit den ersten Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC). Im Jahr 1949 veröffentlichten Frank Macfarlane Burnet (* 1899; † 1985) und Frank Fenner (* 1914) ihre Hypothese der immunologischen Toleranz, und 1957 beschrieb Frank Macfarlane Burnet die Theorie der klonalen Selektion als dem zentralen Prinzip der adaptiven Immunität.
Rodney Porter (* 1915; † 1985) gelang zwischen 1959 und 1961 die Aufklärung der Struktur von Antikörpern. Zur gleichen Zeit entdeckte Jean Dausset (* 1916) den Haupthistokompatibilitätskomplex des Menschen, den sogenannten Human Leukocyte Antigen (HLA) Komplex. Ab ca. 1960 wurden von einer Reihe von Wissenschaftlern die Grundlagen der zellulären Immunologie aufgeklärt, was z.B. zur Differenzierung und Beschreibung der B- und T-Lymphozyten und der Entdeckung ihrer jeweiligen Funktionen führte. Die Zeit um 1960 wird allgemein als Beginn der modernen Immunologie angesehen. In den folgenden Jahrzehnten wurden unter anderem die verschiedenen Antikörper-Subtypen hinsichtlich ihrer Funktion untersucht. Weitere wichtige Entdeckungen betrafen die genetischen Grundlagen der Immunologie wie die Beschreibung der MHC-Restriktion durch Rolf Zinkernagel im Jahr 1974 oder die Identifizierung von Immunglobulin-Genen 1985 durch Tonegawa.
Medizinische Relevanz der Immunologie
Das Immunsystem ist an einer Vielzahl von Krankheiten direkt oder indirekt beteiligt:
- Bei Infektionen mit Bakterien, Viren oder Pilzen erfolgt im Normalfall eine Abwehr des Eindringens und der Ausbreitung der Krankheitserreger durch das Immunsystem. Unter bestimmten Bedingungen kann die Immunreaktion jedoch versagen oder nur ungenügend sein, so daß eine Infektion sich ausbreitet und vom Immunsystem nicht mehr unter Kontrolle gebracht wird. Eine generalisierte Infektion, also die Ausbreitung von einem lokalen Infektionsort über die Blutbahn über den gesamten Körper, wird als Sepsis bezeichnet. Aufgrund massiver Reaktionen des Körpers verläuft diese oft tödlich.
- Den sogenannten Autoimmunerkrankungen liegt eine fehlgeleitete Reaktion des Immunsystems gegen körpereigene Strukturen zugrunde. Diese Reaktionen können entweder zur irreversiblen Zerstörung von körpereigenem Gewebe führen oder aber körpereigene Moleküle wie z.B. Rezeptoren und Hormone in ihrer Funktion beeinträchtigen. Zu den Autoimmunerkrankungen zählen z.B. der Diabetes mellitus Typ 1, die Hashimoto-Thyreoiditis, die Myasthenia gravis oder der Morbus Basedow.
- Bei Allergien kommt es zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems auf bestimmte körperfremde Strukturen. Voraussetzung für die Entstehung einer Allergie ist ein harmlos verlaufender Erstkontakt mit dem als Allergen bezeichneten Fremdstoff. Durch diesen Erstkontakt kommt es zur sogenannten Sensibilisierung, daß heisst der Ausprägung einer spezifischen Immunantwort. Jeder erneute Kontakt mit dem Allergen kann dann zu einer übermäßig starken Reaktion des Immunsystems führen. Allergien sind besonders häufig gegen pflanzliche Pollen, Tierhaare, Lebensmittelbestandteile und Medikamente. Eine Mischform aus Allergie und Autoimmunerkrankung ist die Zöliakie, bei der es zu einer Kreuzreaktion auf das in den meisten Getreidesorten enthaltene Kleber-Eiweiß Gluten und bestimmte Strukturen im Dünndarmgewebe kommt.
- Von entscheidender Relevanz sind immunologische Prozesse bei der Organtransplantation. Da transplantierte Organe vom Immunsystem als körperfremd erkannt werden, kommt es zu einer entsprechenden Immunantwort. Unbehandelt führt diese zur Abstoßung und damit dem Funktionsverlust des transplantierten Organs. In der Folge ist zum Erhalt des Organs eine lebenslange Behandlung der betroffenen Patienten mit Medikamenten notwendig, welche die Immunreaktion unterdrücken (sogenannte Immunsuppressiva).
- Zu den Erkrankungen, die durch eine ungenügende Immunabwehr gekennzeichnet sind, zählen beispielsweise das erworbene Immunschwäche-Syndrom AIDS (Acquired Immunodeficiency Syndrome), welches durch eine Infektion mit dem HI-Virus ausgelöst wird. Angeborene Immunschwächeerkrankungen werden unter der Bezeichnung SCID (severe combined immunodeficiency) zusammengefaßt. Patienten mit einer angeborenen oder erworbenen Immunschwäche besitzen eine hohe Anfälligkeit für Infektionserkrankungen, welche mit fortschreitender Immunschwäche in der Regel auch die Todesursache darstellen.
- Auch bei Krebserkrankungen spielt das Immunsystem eine wichtige Rolle. Patienten mit einer Immunschwäche, z.B. durch eine immunsuppressive Behandlung nach einer Organtransplantation oder durch eine HIV-Infektion, zeigen eine deutlich erhöhte Häufigkeit bestimmter Krebserkrankungen. Das Immunsystem ist darüber hinaus für die Kontrolle entarteter Zellen verantwortlich, so daß diese inaktiviert werden, bevor ein manifester Tumor entstehen kann. Studien mit dem Ziel einer Sensibilisierung des Immunsystems auf tumorspezifische Strukturen haben das Potential einer Immuntherapie von Krebserkrankungen demonstriert. Darüber hinaus gibt es erste Erfolge hinsichtlich einer Impfung gegen krebsassoziierte Viren wie beispielsweise das Humane Papilloma-Virus.
Literatur
- Charles Janeway, Paul Travers, Mark Walport, Mark Shlomchik: Immunologie. 5. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag 2002, ISBN 3-82-741079-7
- Werner Luttmann, Kai Bratke, Michael Küpper, Daniel Myrtek: Der Experimentator: Immunologie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2004, ISBN 3-82-741450-4
Weblinks
- Deutsche Gesellschaft für Immunologie (DGfI)
- Microbiology and Immunology On-line (engl.)
- NCBI Bookshelf: Immunobiology - The Immune System in Health and Disease (engl.)
Siehe auch: