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Grigori Petrowitsch Goldstein

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Grigori Petrowitsch Goldstein (russisch Григо́рий Петро́вич Гольдштейн, wiss. Transliteration Grigorij Petrovič Gol’dštejn; * 1870, † 1941) war ein russischer Maler, Grafiker und Fotograf, der vor allem durch seine Aufnahmen Lenins und anderer führender Bolschewiki aus der Zeit der Oktoberrevolution und des Bürgerkriegs bekannt wurde.

Leben

Grigori Goldstein war Kind einer jüdischen Familie und hieß eigentlich Gerschon-Lejzer Perezowitsch Goldstein. Er absolvierte eine Ausbildung zum Maler und Grafiker. Seit 1907 arbeitete er als Illustrator bei verschiedenen Moskauer Zeitungen. Er wandte sich den Bolschewiki zu und widmete sich nach der Oktoberrevolution auf dem Agitationsschiff Roter Stern der politischen Propaganda. In den 1920er Jahren war er Mitarbeiter der Allrussischen Kino- und Fotoabteilung des Bildungsministeriums der Sowjetunion und arbeitete für die staatliche Filmproduktions- und Zensurbehörde Goskino. Im Zusammenhang mit den Stalinschen Säuberungen wurde er Ende der 1930er Jahre kurzzeitig verhaftet, kam aber wieder frei. Er starb 1941.

Die Aufnahmen vom 5. Mai 1920

Am 5. Mai 1920 hielt Lenin von einer Holztribüne aus auf dem ehemaligen Theaterplatz vor dem Bolschoi-Theater in Moskau Ansprachen an Rotarmisten, die kurz darauf in den Krieg gegen Polen ziehen sollten. Anwesend waren auch Leo Trotzki und Leo Kamenjew. Goldstein hatte gemeinsam mit seinem Kollegen Leo Leonidow den Auftrag, dieses Ereignis zu dokumentieren. Während sich Leonidow unter das Publikum mischte und bis unmittelbar vor die Holztribüne gelangte, machte Goldstein seine Aufnahmen von einem kleinen Hügel. Er benutzte dazu eine Stereoskop-Kamera der Marke Hertz-Anschütz. Trotz der wenig günstigen Umstände gelangen ihm seine Aufnahmen so gut, dass sie später zu sowjetischen Ikonen wurden. Die Bilder wurden zunächst 1923 in der Zeitschrift Krasnaja Nida veröffentlicht und wiederholt nachgedruckt . 1927 erschien sie in einem repräsentativen Album mit 100 Aufnahmen des 1924 verstorbenen Revolutionsführers.

Der auf den Bildern gut zu erkennende Trotzki war in einem Machtkampf innerhalb der Kommunistischen Partei unterlegen, 1927 wurde er aus der Partei ausgeschlossen und 1929 des Landes verwiesen. Nun versuchten der neue Machthaber Stalin auch die Erinnerung an den Gründer der Roten Armee aus dem öffentlichen Gedächtnis zu tilgen – Trotzki verfiel der damnatio memoriae. Goldsteins Fotos wurden daher seit den dreißiger Jahren in der Sowjetunion nur noch in einer kupierten Fassung gedruckt, die den rechten Bildrand mit Trotzki und dem 1936 nach einem Schauprozess hingerichteten Kamenew nicht mehr zeigte. Dadurch wurde aber Lenin aus der Bildmitte gerückt, die Zentralperspektive und die Dynamik des Bildes ging verloren. Ersatzweise hielt der sowjetische Künstler Isaak Israilewitsch Brodski das Ereignis 1933 in einem sozialistisch-realistischen Historiengemälde fest, dass sich an Goldsteins Aufnahmen anlehnte, Trotzki und Kamenew aber nicht mehr zeigte. Auch die zuhörenden Soldaten sind bei Brodski deutlich disziplinierter auf Lenin ausgerichtet, tragen Transparente mit bolschewistischen Losungen oder schreiben Lenins Worte mit.

Als zu Lenins 100. Geburtstag 1970 in der Sowjetunion ein Prachtband geplant wurde, der sämtliche Aufnahmen ihres Gründers enthalten sollte, wurde Goldsteins Foto retuschiert. Kaum noch kupiert zeigte es jetzt wieder die ganze Rednertribüne, doch statt der Unpersonen Trotzki und Kamenew war jetzt die kleine Treppe zu sehen, die zu ihr hinaufführte. In dieser Form wurde Goldsteins Foto bis in die Ära von Glasnost und Perestrojka hinein verbreitet. Heute wird vielfach in kontrastiver Zusammenstellung mit Goldsteins Originalaufnahme veröffentlicht, um die sowjetische Praxis der Bildmanipulation und Geschichtsfälschung zu dokumentieren.[1]

Literatur

  • David King: Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulation in der Sowjetunion. HIS Verlagsgesellschaft, Hamburg 1997, ISBN 3-930908-33-6.
  • Klaus Waschik, Wo ist Trotzki? Sowjetische Bildpolitik als Erinnerungskontrolle in den 1930er Jahren, in: Gerhard Paul (Hrsg.), Das Jahrhundert der Bilder , Bd. 1: 1900-1949, Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2009, S. 252-259, ISBN 978-3-89331-949-7

Einzelnachweise

  1. so z.B. im Kursbuch Geschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart, Cornelsen, Berlin 2000, S. 281, wo die Retusche aber in die Stalinzeit datiert wird.