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Senfgas

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Begriffsklärung Für weitere Bedeutungen des Begriffs siehe Lost


Datei:Kopf eines Yperit Opfers.jpg
Lost - Opfer in Iran durch irakischen Einsatz 1980

Lost (benannt nach seinen Entwicklern Lommel und Steinkopf) ist ein gasförmiger chemischer Kampfstoff (Hautkampfstoff). Schwefellost (S-Lost; Code: HD) wird auch als Senfgas, Yperit, Schwefelyperit oder "HD" bezeichnet. S-Lost wurde im ersten Weltkrieg bei der 3. Flandernschlacht in Belgien erstmals eingesetzt.

Geschichte

im Juli 1917 setzten die Deutschen das erste mal Senfgas ein, um den britischen Angriff bei Ypern abzuwehren. Senfgas war wegen der entstellenden Verletzungen, die es verursacht, eine der gefürchtetesten Waffen des letzten Jahres des Ersten Weltkriegs; allerdings starben an Senfgas weitaus weniger Soldaten als an Phosgen.

Von den Nazis wurde bis 1942 in Halle-Ammendorf S-Lost produziert, allerdings kam es im Zweiten Weltkrieg nicht zum Einsatz. Neben einem Werk in der Lüneburger Heide war die Ammendorfer Firma „ORGACID“ der größte Giftgashersteller in Deutschland. Unter dem ehemaligen Firmengelände an der heutigen Camillo-Irmscher-Straße liegen acht weit verzweigte (und grün geflieste) Zisternen, die auf Grund fehlender Baupläne nur schwer zu entgiften waren und nach der Wende hermetisch versiegelt worden sind. Noch im Jahr 1990 wurden 30 Tonnen Giftreste durch das Grundwasser an die Oberfläche gespült.

Der irakische Diktator Saddam Hussein setzte am 16. März 1988 während des Iran-Irak-Krieges Senfgas gegen die kurdische Stadt Halabdscha (70.000 Einwohner, ca. 260km Nord-Östlich von Baghdad) ein: ca. 5.000 Tote, 7.000 Verletzte - vor allem Frauen und Kinder.

Nach den Weltkriegen wurde ein Großteil der verbliebenen deutschen Senfgasbestände in der Ostsee versenkt. Da das Lost aber allmählich aus mittlerweile lecken Fässern austritt, finden sich an Stränden der Ostsee immer wieder kleine Lost-Klumpen, die Bernstein sehr ähnlich aussehen, aber ziemlich weich sind. Bei Hautkontakt können sich Verätzungen bilden.[1]

Lost wurde in folgenden Konfilkten eingesetzt:

Toxizität

Es ist ein starkes Hautgift und wahrscheinlich carcinogen. Die Wirkung auf die Haut ist vergleichbar mit starken Verbrennungen oder Verätzungen. Es bilden sich große, stark schmerzende Blasen. Die Verletzungen heilen sehr schlecht. Das Gewebe wird nachhaltig zerstört und die Zellteilung gehemmt. Großflächig betroffene Gliedmaßen müssen meistens amputiert werden. Werden die Dämpfe eingeatmet, so werden die Bronchien zerstört. Eine Entgiftung der Haut kann durch eine sofortige Behandlung durch Abwaschen mit starker Seifenlauge oder durch Besprühen der betroffenen Stellen mit Chlorkalk erfolgen.

Die toxische Wirkung beider Lost-Varianten kommt durch die Bildung von hochreaktiven Verbindungen durch einen intramolekularen SN1-Angriffs des Nucleophils auf die DNA der Körperzellen. Dabei bildet sich im Falle von N-Lost ein Aziridin oder Thiiran im Falle des S-Lost. Da die DNA für die Steuerung einer Zelle notwendig ist, sterben die betroffenen Zellen ab oder mutieren zu Krebszellen.

Beide Gase schädigen vorwiegend die Haut und die Schleimhäute. Es kann jedoch auch zur tödlichen Vergiftung kommen, z.B. durch Einatmen hoher Konzentrationen oder direkter Kontamination durch den flüssigen Kampfstoff.

Das Auge reagiert am empfindlichsten auf S-Lostdampf. Die Folge ist eine, im glimpflichen Fall, vorübergehende Erblindung, da das massive Lidödem eine aktive Augenöffnung verhindert. Da die Augen bis zu einem gewissen Grad jedoch in der Lage sind, sich zu regenerieren bestehen oftmals nach einer Dauer von einigen Monaten gute Heilungschancen und das Wiedererlangen der Sehkraft.

Lost durchdringt poröses Material und bestimmte Gummi- und Kunststoffarten. Teilweise werden die Kampfstoffe mit Wachsen, Harzen oder Kunststoffen angereichert, um Zählost zu schaffen, welches an Materialien haften bleibt und somit sehr schwierig zu entgiften ist.

Lager

Stand 2003 (AC-Schutzzentrum Spiez):

  • Russland: 40.000t (Militärisch nicht mehr einsetzbar; Vernichtungsprogramm in den Anfängen)
  • USA: 31.500t (davon ca. 25% zerstört)
  • Indien: mehrere tausend Tonnen (Aktives Vernichtungsprogramm)
  • Südkorea: mehrere tausend Tonnen (Aktives Vernichtungsprogramm)

Eigenschaften

Schwefelloste (S-Lost)

Senfgas (Standard Schwefellost)

Bis(2-chlorethyl)sulfid
CAS: 505-60-2
Schmelzpunkt: 14.4°C (760 mm Hg )
Siedepunkt: 217.5°C (760 mm Hg )
Geruch: senfartig, meerettichähnlich
Wirkungsdauer bei 15°C: 3-5 Tage

Neben dem normalen S-Lost wurde auch das sogenannte Winterlost hergestellt, um den Gefrierpunkt zu senken gab man dem S-Lost Arsinöl zu. Reines S-Lost ist geruchlos, der typisch Knoblauch ähnliche Geruch entsteht, da das S-Lost in organischen Lösungsmitteln gelöst ist, deren Inhaltsstoffe chemische Ähnlichkeit mit dem Duftstoff von Knoblauch (Allicin) besitzen.

S-Lost

Sesqui-Yperit (Q)

1,2-Bis-(2-chlorethylthio)-ethan
CAS: 3563-36-8

Sesqui-Yperit

Sauerstofflost (O-Lost)

Bis-(2-chlorethylthioethyl)-ether
CAS: 63918-89-8

O-Lost

Stickstoffloste (N-Lost)

HN-1

Bis-(2-chlorethyl)-ethylamin
CAS: 538-07-8
Schmelzpunkt: -34 °C
Siedepunkt: 85 °C
Geruch: schwach fischig, tranartig

HN-1

HN-1 wurde Anfang der 30er Jahre als Warzenentferner entwickelt, erst später stellte sich seine militärische Nutzbarkeit heraus.

HN-2

Bis-(2-chlorethyl)-methylamin
CAS: 51-75-2
Schmelzpunkt: -65 °C
Siedepunkt: 75 °C
Geruch: seifig bis fruchtartig

HN-2

HN-3

Tris-(2-chlorethyl)-amin
CAS: 555-77-1
Schmelzpunkt: -4°C
Siedepunkt: 230°C
Geruch: geruchlos
Wirkungsdauer bei 15°C: 1-2 Monate

HN-3


Herstellung

S-Lost

Guthries Orginalmethode:

                             CH2-CH2-Cl
                            /
 SCl2 +    2H2C=CH2 -----> S
                            \
                             CH2-CH2-Cl
Schwefel-   Ethen           S-Lost
dichlorid


Modernes Verfahren:

1.

                                 CH2-CH2-OH
            CH2 - CH2           /
 NaHS  +   2  \  /     ----->  S
               O                \
                                 CH2-CH2-OH
 Natrium-  Ethylenoxid         Bis-(2-hydroxyethyl)sulfid
hydrogen-          
 sulfid

2. Durch Erwärmen mit Thionylchlorid in benzolischer Lösung wird das Bis-(2-hydroxyethyl)sulfid zu Lost chloriert.

                         Thionylchlorid
  CH2-CH2-OH                               CH2-CH2-Cl
 /                           +SOCl2       /
S                        --------------> S
 \                           -H2SO4       \
  CH2-Ch2-OH                               CH2-CH2-Cl
Bis-(2-hydroxyethyl)sulfid               S-Lost