Qasr Ibrim

Qasr Ibrim (arabisch قصر إبريم, DMG Qaṣr Ibrīm ‚Fort des Ibrim‘) ist ein Ruinenort in Unternubien im heutigen Ägypten. Die Stätte war mindestens seit der Zeit des Neuen Reiches um 1500 v. Chr. und bis Anfang des 19. Jahrhunderts durchgängig bewohnt. Die Reste der befestigten Stadt auf einem Felshügel blieben als Insel im aufgestauten Nassersee erhalten.
Lage
Qasr Ibrim liegt etwa halbwegs zwischen Assuan und dem sudanesischen Grenzort Wadi Halfa am östlichen Ufer des ab 1964 durch den Bau des Assuan-Staudamms bis wenige Meter unterhalb der Befestigungsmauer angestiegenen Nassersees. Die antiken Gebäudereste in den tiefer gelegenen Außenbereichen und die Friedhöfe der Umgebung sind seither verschwunden. Vor der Flutung erhob sich eine weit in die Ebene vorgeschobene Felskuppe etwa 70 Meter über der Wasseroberfläche des Nil. Nach einem weiteren Anstieg des Wasserspiegels im Jahr 2000 liegen auch Teile der äußeren Befestigung unter Wasser. Der Ort liegt etwa 60 Kilometer nordöstlich von Abu Simbel und wenige Kilometer flussaufwärts von Amada. Etwas nördlich auf der anderen Flussseite befanden sich die Ruinen von Karanog.
Geschichte
Die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts v. Chr. regierende Königin Hatschepsut beauftragte neben ihrer Bautätigkeit in Ägypten auch in einigen Orten in Unternubien Tempel und in Qasr Ibrim eine Felskapelle. Der wichtigste Vizekönig ihres Nachfolgers Thutmosis III. (um 1486–1425) namens Nehi ließ unterhalb des Ortes einen Schrein aus der Felswand höhlen und zahlreiche Felsinschriften in ganz Nubien anbringen. Von Amenemope (reg. 996–985) stammt eine weitere Felsinschrift in Qasr Ibrim. Von den pharaonenzeitlichen Bauten fanden sich auf der Hügelkuppe die Reste eines Amun-Tempels aus der Zeit des kuschitischen Königs Taharqa (um 691–664).[1]
Seit der 25. Dynastie war Qasr Ibrim unter dem Namen Pedeme eine befestigte Siedlung, die zusammen mit Meroe und Napata zu den Fundorten für Inschriften nubischer Könige gehört. Eine Stele der Königin Amanishakheto (regierte um die Zeitenwende) und des Prinzen Akinidad war wohl als Stiftung oder Schenkung für den Amun-Tempel gedacht. Die Stele befindet sich im British Museum in London.[2]
Die befestigte Stadtanlage wurde vermutlich von einheimischen Nubiern im 2. Jahrhundert v. Chr. gegründet. 23. v. Chr. erstürmte der römische Präfekt Petronius die Stadt. Er gab ihr den Namen Primis und machte sie zu einem Teil der römischen Provinz Aegyptus. Die Römer drangen laut römischen Quellen weiter südlich bis Napata vor. Zwei Jahre später konnte die in der Stadt zurückgelassene römische Garnison einen Angriff der Kuschiten abwehren, mussten sich jedoch nach einem weiteren Angriff 20 v. Chr. zurückziehen. Die befestigte Stadt wurde von Blemmyern besetzt.
Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr. vertrieb der nobadische König Silko die seit langem verfeindeten Gegner. Für Qasr Ibrim begann die christliche Zeit. Der kleine Taharqa-Tempel am Südrand des Ortes wurde in eine Kirche verwandelt und im Zentrum wurde eine Kathedrale gebaut. Qasr Ibrim erhielt einen Bischof und blieb neben Faras bis zur Eroberung durch die Truppen des muslimischen Ayyubiden-Herrschers Saladin 1173 ein bedeutendes Verwaltungszentrum. Die Einwohner blieben auch danach christlich, wie aus Textfunden hervorgeht, darunter zweier 1372 datierter Schriften eines Bischofs Timotheos in koptischer und arabischer Sprache, die zusammen mit dessen Kreuzstab in seiner Grabstätte gefunden wurden.[3]
1528 eroberten bosnische Söldner des Osmanischen Reiches die Stadt. Die große Marienkathedrale diente nach einem Umbau als Moschee. Im Kampf gegen mamlukische Fürsten, die sich hinter die Stadtmauern zurückgezogen hatten, wurde Qasr Ibrim von Ibrahim Pascha als Befehlshaber für Oberägypten im Auftrag seines Vater Muhammad Ali zerstört. Die Stadt wurde anschließend verlassen.[4]
Seit 1959 finden Ausgrabungen statt. Vor der Überflutung des Gebietes waren es Rettungsgrabungen; seit den 1970er Jahren konzentrieren sich die Bemühungen auf die frühere Geschichte des Festungshügels und die Konservierung der dort verbliebenen Reste. Es wurden zahlreiche Funde von altnubischen, griechischen, arabischen und osmanische Manuskripten gemacht. Kleine Holztafeln mit kurzen Texten behandeln überwiegend wirtschaftliche Themen.
Stadtbild
Die nach dem Abzug der Römer gebauten Pyramidengräber lagen in der Ebene am diesseitigen Nilufer. Das gegenüber am Westufer gelegene Begräbnisfeld war für die Priester des Amun-Tempels reserviert. Es gab mehrere Tempel aus Lehmziegel, die noch in den ersten Jahrhunderten n. Chr. verehrt wurden. Ein wahrscheinlich unter Petronius entstandener römischer Tempel zeigt durch die sorgfältige Mauerschichtung, dass er von aus Ägypten gekommenen Handwerkern erbaut wurde. Die meisten Tempel in Nubien, die südlich der römischen Reichsgrenze lagen, wurden ebenfalls von Ägyptern geplant und ausgeführt; im Unterschied zu den christlichen Bauten, die ab dem 6. oder 7. Jahrhundert von der ortsansässigen Bevölkerung erbaut wurden. Qasr Ibrim und Faras waren die einzigen Orte, in denen in größerem Umfang Feldsteine vermauert wurden, üblich war ansonsten, nur die unteren Lagen mit Steinen zu schichten und darüber mit getrockneten Lehmziegeln fortzufahren. Über die Bevölkerungszahl zur Blütezeit gibt es keine Angaben. Allgemein hatten die obernubischen Siedlungen in christlicher Zeit 200 bis 400 Einwohner, selbst in der größten Stadt Faras lebten möglicherweise nur wenige 1000 Menschen.[5]
Große Kirche
Die Große Kirche, auch als Marienkathedrale bezeichnet, ist in Resten im Zentrum der alten Stadt erhalten. Bei der fünfschiffigen Weitarkadenbasilika sind im unteren Bereich wiederverwendete Steinquader eines Tempels zu sehen. Ihr Baukern wird in das 7. Jahrhundert datiert. In osmanischer Zeit wurde sie zu einer Moschee umgebaut.
→ Hauptartikel: Kathedrale von Qasr Ibrim
Nordkirche
Direkt am Fluss und heute vom Stausee überflutet lag eine kleine dreischiffige Kirche mit einigen, für nubische Kirchenbauten ungewöhnlichen Bauformen. Der Grundplan wurde Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals von Ugo Monneret de Villard vermessen. Der Hauptraum wurde von zwei Pfeilern unterteilt, die ein etwas breiteres Mittelschiff bildeten. Der rechteckige Altarraum im Osten wurde von zwei kleineren Kammern flankiert, deren Zugänge asymetrisch angeordnet waren. Die nördliche Kammer war nur vom Altarraum aus zu betreten, der südliche Raum dagegen direkt vom Seitenschiff. Auf der Westseite fehlten die sonst üblichen seitlichen Räume. Das etwas schiefwinklige Gebäude war an der Nordseite etwa zehn Meter und an der südlichen Längsseite neun Meter lang, die Breite betrug rund sieben Meter. Die beiden Eingänge an den Längsseiten lagen auf Linie der Pfeiler gegenüber. Die hohe Zentralkuppel spannte sich auf Querbögen zwischen den Pfeilern und der Altarwand. Die Eckübergänge zur Kuppel wurden durch Trompen aus diagonalen Ziegelringschichten übergeleitet. Die 1960 noch erhaltene Zentralkuppel besaß an allen vier Seiten Fenster, die anderen Dachkonstruktionen waren eingestürzt. Über dem Altarraum und dem westlichen Mittelteil befanden sich flache Halbkuppeln, die Seitenschiffe waren durch Tonnengewölbe überdeckt.
Alle Außenwände besaßen einen hohen Sockel aus Bruchsteinen, der teilweise bis auf die Kämpferhöhe der seitlichen Tonnengewölbe reichte. Die Außenfenster waren alle recht klein und mit einem Rundbogen, Spitzbogen oder als schmale Schlitzfenster ausgebildet. In allen drei Altarräumen gab es in der Ostwand eine kleine Wandnische.
Die Datierung auf das Ende des 12. oder Anfang des 13. Jahrhunderts wird mit dem etwas breiteren Mittelschiff begründet, das auf Einflüsse aus Ägypten verweist und in dieser Form nur bis zum 13. Jahrhundert bekannt ist.[6]
Bilder von Funden
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Buchseite in altnubischer Schrift aus dem 9. bis 10. Jahrhundert, gefunden in Qasr Ibrim. Heute im Britischen Museum EA 71305
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Nubisches Gefäß, aus Qasr Ibrim. Heute im Britischen Museum
Literatur
- M. Horton: Africa in Egypt: new evidence from Qasr Ibrim. In: W. V. Davies: Egypt and Africa. British Museum Press, London 1991, S. 264–277
- László Török: Geschichte Meroes. Ein Beitrag über die Quellenlage und den Forschungsstand. In: Wolfgang Haase, Hildegard Temporini (Hrsg.): Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. De Gruyter, Berlin/New York, Bd. 2. 10.2, 1988
- Joachim Willeitner: Nubien. Antike Monumente zwischen Assuan und Khartum. Hirmer, München 1997
Weblinks
- Qasr Ibrim study season. The Egypt Exploration Society
- Qasr Ibrim (Primis). University College, London
- Forschungsprojekt auf Qasr-Ibrim. Julius-Maximilians-Universität Würzburg
- Sending out an SOS. Al Ahram Weekly, 30. August 2007
- Adam Łajtar: Varia Nubica III. Ein liturgisches Gebet aus Qasr Ibrim. Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 112, 1996, S. 140–142
Einzelnachweise
- ↑ Willeitner, S. 42 f, 46, 58
- ↑ László Török, S. 155–159, 193, 208
- ↑ Cross of Timotheos. The British Museum
- ↑ Willeitner, S. 115
- ↑ László Török, S. 193 f / Deichmann, Grossmann, S. 98, 172
- ↑ Deichmann, Grossmann, S. 22–25
Koordinaten: 22° 39′ 0,7″ N, 31° 59′ 29,5″ O