Tunceli (Provinz)
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Amtssprache: | Türkisch |
Volkssprache: | Kurdisch |
Hauptstadt: | Tunceli |
Einwohnerzahl: | 24.000 |
Fläche: | 7.774 km² |
Kfz-Kennzeichen: | 62 |
Tunceli - ehemals Dersim (kurd. „Silberne Tür“) genannt - ist die bevölkerungsmässig kleinste Provinz der Türkei. Ihre Hauptstadt trägt ebenfalls den Namen Tunceli.
Geografie
Das gebirgige Gebiet in Ost-Anatolien liegt zwischen den beiden Oberläufen des Euphrat am Treffpunkt des anatolischen Hochlands und der Berge des Schwarzen Meeres. Der Fluss Pere im Osten und der 3.250 m hohe Berg Munzur (das Wahrzeichen von Tunceli) im Norden teilen das Land. Die höchsten Stellen der zahlreichen Berge erreichen bis zu 3.600 m und sind sogar im Sommer mit Schnee bedeckt. Viele davon, besonders ihre Fussregionen, sind enorm dicht bewaldet.
Die Hauptstadt befindet sich genau dort, wo der Harcik-Fluss in den Munzur-Fluss mündet. Der sehr saubere Munzur versorgt die Menschen mit Wasser, in dem Fluss leben mehrere Arten von Fischen.
Seit Jahren arbeitet die türkische Regierung daran, acht Staudämme in Tunceli zu errichten und erhofft dadurch die Senkung der Arbeitslosenzahlen. Kritiker meinen, dass hierbei keine ökonomische sondern überwiegend politische Gründe zählen, denn es gäbe mit dem Bau auf langer Sicht weder für die Region noch für die türkische Wirtschaft einen wirklichen Nutzen. Dies würde letzlich die wundervolle Umgebung von Tunceli ruinieren.
Landkreise
Unter den Bezirken sind Cemisgezek, Ovacik, Pülümür, Hozat, Nazmiye, Pertek, Mazgirt und das mit der Provinz gleichnamige Tunceli, in dessen Zentrum auch die Hauptstadt ist.
Städte von den Bezirken der Provinz Tunceli | |||||||
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Cemisgezek | Ovacik | Pülümür | Hozat | Nazmiye | Pertek | Mazgirt | Tunceli |
Cedikler | Yesilyazi | Dagyolu | Geyilkoruyu | Dereova | Akdemir | Darikent | Südüce |
Akcipinar | Karaoglan | Ücdam | Caglarca | Dallibahce | Dere | Akpazar | Cicekli |
Kirmiziköprü | Pinarlar | Kocakoc | |||||
Balpayam |
Bevölkerung
Die Provinz hatte im Jahr 2000 ungefähr 86.000 Einwohner, derzeit (Stand 2004) leben nur noch rund 24.000 Menschen in Tunceli, da viele vom türkischen Militär vertrieben worden sind. Bereits im Jahr 2000 lebte die Mehrzahl der gezählten Einwohner (58%) in Städten und viele der Dörfer waren entvölkert. Dieses Verhältnis dürfte sich durch weitere Vertreibungen noch verschärft haben.
Die Bevölkerung besteht ausschliesslich aus Kurden. Es wird ein Dialekt gesprochen, der sich Kirmancki nennt und speziell in Tunceli Verbreitung findet und mit dem kurdischen Gorani Dialekt stark verwandt ist. International verwendet man hierfür die Bezeichnung Zazaki. Andere Dialekte wie Kurmanci machen eine kleine Minderheit aus (vornehmlich in den Kreisen Pertek und Ovacik). Für die Einheimischen ist die Ethnie nicht von grosser Wichtigkeit, so nennen sich die meisten aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit bloss Aleviten. Da Tunceli im Osmanischen Reich eine Autonomie bewahrte und die Dersimer sich von den anderen Kurden sprachlich sowie religiös unterscheiden, hat sich ein starkes regionales Bewusstsein entwickelt, das noch heutzutage selbst im Ausland gepflegt wird. Grosse Kreise neigen dazu, die Zazaki-Sprecher als eigenes Volk zu sehen. Die zaza Bevölkerung stammt mit grosser Wahrscheinlichkeit aus den iranisch kurdischen Gebieten. Im Gegensatz zum Kurmanci Dialekt, ist der Gorani Dialekt, welcher unumstritten zum Kurdischen gehört, mit dem Zazaischen stärker verwandt. Deshalb sehen sich manche Zazas nicht als Kurden, wobei andere Dialekte ebenfalls starke Unterschiede zum Kurmanci haben.
Unzählige ehemalige Bewohner von Tunceli leben heute in Deutschland, davon allein fast 10.000 in Köln und unmittelbarer Umgebung. Mit ihren in Köln geborenen Kindern dürfte die Zahl dieser Vertriebenen etwa 20.000 bis 30.000 betragen. Auch in Österreich gibt es eine größere Anzahl früherer Bewohner Dersims.
Für viele Armenier war Dersim bis zu seiner Vernichtung ein wichtiges Exil. Noch heute leben Armenier dort.
Bevölkerungsentwicklung
Bevölkerungsentwicklung der Provinz Tunceli:
1960: 140.048
1965: 154.175
1970: 157.293
1975: 164.591
1980: 157.974
1985: 151.906
1990: 133.143
1997: 86.268
2000: 93.584
2004: 24.000 (inoffiziell)
Im gleichen Zeitraum wuchs die Bevölkerung der Türkei von 29 Millionen (1961) auf 69 Millionen (2004), das entspricht einem mittleren jährlichen Wachstum von etwa 2%. Diese Wachstumsrate würde einer hypothetischen Einwohnerzahl in der Provinz Tunceli von etwa 340.000 im Jahr 2004 entsprechen.
Kultur
Nahezu alle verbliebenen Eingeborenen Tuncelis (Schätzung: 99%) sind Alevitischen Glaubens, das islamische Recht Scharia wird nicht anerkannt. Vorislamische Praktiken haben großen Einfluss auf die Sitten genommen, und das lokale Gewohnheitsrecht (Adat) besitzt eine viel stärkere Bedeutung als anderswo. Die Schriftkunde hat einen eher geringen Anteil. Bemerkenswert ist, dass es auch eine Religiosität abseits vom Islam gibt. Hierbei glauben die Menschen an wichtige Naturelemente wie Feuer, Wasser und Erde. Außerdem verehrt die Bevölkerung heilige Orte wie Munzur Bava und Sultan Bava.
Das Volk glaubt daran, auch wenn es wissenschaftlich eher unmöglich ist, dass der Munzur-Fluss entstanden ist, als der mit Milch gefüllte Topf von Munzur Bava („Vater von Munzur“) während dessen Flucht zerbrach. Die Milch verbreitete sich daraufhin im ganzen Land und entwickelte sich zu einem Fluss, dem Munzur-Fluss. Eine andere Sage erzählt, dass der Munzur-Fluss auftauchte, nachdem Munzur Bava mit einem Stock auf den Boden schlug und aus der Erde dann große Wassermengen ausbrachen.
Feste
Das nur in Tunceli heimische Gaxan-Fest beginnt Ende Dezember und dauert bis Anfang Januar. In dieser Zeit fasten die Gläubigen mindestens drei Tage lang, sind dabei aber nicht so streng wie die Sunniten. Gaxan ist ein Fest zum Jahreswechsel, andere Aleviten in der Türkei kennen weder so einen Begriff noch eine vergleichbare Fastenzeit.
Wie alle anderen iranischen Völker feiern die Dersimer zu Frühlingsbeginn am 21. März auch Newroz, was soviel wie "Neuer Tag" heisst, es steht auch heute noch als Symbol des Widerstandes. Laut der Legende regierte Dehak, ein brutaler Tyrann, das Land der Iranier, der durch die Ermordung des früheren Herrschers Camschid die Macht ergriff. Eines Tages wuchsen ihm zwei Schlangen aus seinen Schultern. Wann immer die Schlangen hungrig wurden, hatte Dehak große Schmerzen. So bekam er irgendwann von einem Weisen den Rat, dass er den Schlangen regelmäßig das Gehirn zweier junger Menschen zum Füttern geben solle, durch deren Verzehr würden die Schlangen dann sterben und die Qual beendet sein. Am Ende wussten sich die Unterdrückten durch einen geschickten Plan zu befreien. Diese Geschichte markiert bei den Kurden und Persern ein wichtiges Datum. Es ist nachzulesen im Epos „Schahname“.
Bei den Kurden spielt das Feuer eine sehr grosse Rolle, weil es die Sehnsucht dieses unterjochten Volks nach Freiheit verkörpert, darum wird jedes Jahr bei den Newroz-Feiern eine Flamme entzündet.
Sehenswertes
Hier ist eine Liste von den Sehenswürdigkeiten in Tunceli.
Kulturzentren in Hozat
- Ein Saal für Theater- und Konferenzaktivitäten etc. für 120 Personen
- Eine Bibliothek von 90 m² Größe
- Ein Ausstellungssaal von 42 m² Größe
- Ein Museum von 80 m² Größe
- Zwei Kunstateliers
Interessante Plätze
- Der Munzur-Tal -Nationalpark
- Die Burgen von Pertek und Mazgirt
- Die Kirchen von Ulukale und Korluca (früher Tilköy)
- Die Moscheen von Elti Hatun, Yelmaniye, Ulukale und Sağman, Yukarıcami (die Baysungur- Moschee) und Aşağıcami (die Çelebi Ali-Moschee)
- Die Brücken von Çemişkezek und Sivdi
- Das Hamam-ı Atik (altes Badehaus)
- Die Mausoleen von Ferruh Şad Bey, Uzun Hasan und Çoban Baba
- Die Brunnen von Ulukale Meydan
Geschichte
Einst gehörte das Gebiet des heutigen Tunceli zum medischen Grossreich. In der Geschichte hatte Tunceli neben Dersim auch die Bezeichnungen Mameki und Kalan, es war ständig ein Schlachtfeld der Großmächte.
Die Türken hatten Dersim nie unter ihrer Kontrolle. Im Osmanischen Reich besaß es immer eine gewisse Autonomie, deshalb war es der im Gegensatz zum Osmanischen Reich nationalistisch gerichteten jungen Türkei ein Dorn im Auge. Man erklärte Dersim zu einer Evakuierungszone, obwohl es an den ersten kurdischen Aufständen nicht teilnahm. Der Grund war wahrscheinlich, dass die sehr toleranten Dersimer den bedrohten Völkern Unterschlupf boten und den Assimilierungs- sowie Islamisierungsprozess der Türkei strengstens ablehnten. Damals war Dersim die Hoffnung für unterdrückte Kulturen in Mesopotamien. Die türkische Armee zwang die Bevölkerung Dersims darauf zur Auswanderung, doch die Dorfbewohner leisteten 1937 dagegen großen Widerstand. Nach der blutigen Niederschlagung des Aufstands im Jahr 1938 wurde das schwer zugängliche Territorium schließlich von den Türken unter dem General Abdullah Alpdogan erobert und in Tunceli (türk. "Land der Bronze") umbenannt.
Dersimaufstand
1937 und 1938 waren für Dersim Schicksaljahre. Es brach der größte und letzte Aufstand los, der mit großen Massakern und Deportationen endete. Die Zeit nach der Ausrufung der türkischen Republik 1923 bedeutete eine unruhige Zeit. Die Kurden forderten die Rechte, die Atatürk ihnen versprach und nicht einhielt. So kam es zu Aufständen, von denen zwei in Bezug auf Dersim wichtig waren, nämlich der Aufstand von Kocgiri 1920 und der Scheich Said Aufstand 1925. Beide Aufstände spielten in unmittelbarer Nähe von Dersim und Stämme aus Dersim unterstützen diese Aufstände materiell. Nach Niederschlagung der Aufstände, war der Regierung in Ankara klar, dass Dersim stets ein Unruheherd bleiben wird. So trafen die Türken Vorbereitungen, um die Stämme von Dersim zu entwaffnen und dort ihre militärische Präsenz aufzubauen. Es war auch von Anfang an die Absicht, einen Großteil der Bevölkerung zu deportieren, um sie zu türkisieren. Die Kurden ihrerseits bereiteten einen Aufstand vor, um die Pläne Ankaras zu verhindern. Allerdings waren nur wenige Stämme bereit für einen Aufstand. Einige andere stellten sich später auf die Seite der Türken. Zum Führer des Aufstandes wurde Said Riza, der ein angesehener Stammesführer und ein geistiger Führer war. Said Riza hatte schon vorher Kontakte zu Scheich Said und zum Führer des Kocgiri Aufstandes. Der Aufstand brach mit dem Angriff der Kurden auf eine Polizeistation am 21. März 1937 aus. Allerdings konnten die Dersimer gegen die Armeen und die Luftwaffe nicht bestehen. Die Türken gingen mit ungeheurer Härte und auch mit chemischen Kampftstoffen gegen die Leute vor. Dabei wurden ganze Dörfer zusammengetrieben und alle Menschen brutal hingerichtet. Die Kaltblütigkeit kannte keine Grenzen, man ermorderte auch Leute, die leichtsinnig den türkischen Versprechungen folgten und sich ergaben. Nach wenigen Monaten war der Aufstand niedergeschlagen und mehrere zehntausend Menschen getötet und hundertausende deportiert worden. Nach 1938 lag eine Friedhofsruhe über Dersim und wegen den Aufständen war es allen Journalisten verboten, nach Dersim und in die anderen kurdischen Provinzen zu kommen. Nachdem die türkische Regierung sich Dersin einverleibt hatte, wurde die alte Provinzhauptstadt Hozat durch Tunceli (Stadt) ersetzt. Tunceli wurde in einer Gegend gegründet, wo man sie leicht erreichen kann. Dahinter lag die Überlegung, die Stadt im Falle eines erneuten Aufstandes mit der Armee schneller zu erreichen.
Chronologie
Eine Übersicht der Geschichte von Tunceli.
Vor Christus
Nach Christus
- 17 - 395 Herrschaft der Römer
- 395 Herrschaft der Byzantiner
- 639 Herrschaft der Araber
- 648 2. Herrschaft der Byzantiner
- 651 2. Herrschaft der Araber
- 699 3. Herrschaft der Byzantiner
- 1226 Herrschaft der Seldschuken
- 1243 Herrschaft der Mongolen
- 1373 Herrschaft der Osmanen
- März 1916 1. Aufstand in Dersim
- März 1921 Aufstand in Kocgiri
- März 1937 2. Aufstand in Dersim
- 30. Juni Aufstand in Zîlan
Literatur
- Haydar Isik (2004): Die Vernichtung von Dersim. Historischer Roman - Edition arArat Bd. 3. ISBN 3-89771-852-9 Autor / Rezension SZ