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Methylphenidat

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Strukturformel
Strukturformel von Methylphenidat
Allgemeines
Freiname Methylphenidat
Andere Namen
  • 2-Phenyl-2-(2-piperidyl)essigsäure- methylester (IUPAC)
Summenformel C14H19NO2
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
  • 113-45-1 (Methylphenidat)
  • 298-59-9 (Methylphenidat-Hydrochlorid)
PubChem 4158
DrugBank APRD00657
Wikidata Q422112
Arzneistoffangaben
ATC-Code

N06BA04

Wirkstoffklasse

Sympathomimetikum, Stimulans

Wirkmechanismus

Dopamin-Wiederaufnahmehemmer

Eigenschaften
Molare Masse 233,31 g·mol−1
Schmelzpunkt

224–226 °C (Methylphenidat-Hydrochlorid) [1]

Siedepunkt

135–137 °C (79,98 Pa) (Methylphenidat) [1]

Löslichkeit

gut in Wasser, Ethanol und Chloroform (Methylphenidat-Hydrochlorid) [2]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung{{{GHS-Piktogramme}}}

H- und P-Sätze H: {{{H}}}
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Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Methylphenidat ist ein Arzneistoff mit stimulierender Wirkung. Er gehört zu den Amphetamin-ähnlichen Substanzen, die derzeit hauptsächlich bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eingesetzt werden. Daneben findet Methylphenidat Anwendung bei der Narkolepsie und zur Steigerung der Wirksamkeit[4] von Antidepressiva bei therapieresistenten Depressionen. Methylphenidat ist in der Anlage 3 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) aufgelistet[5] und unterliegt einer gesonderten Verschreibungspflicht.

Geschichte

Methylphenidat wurde erstmals 1944 von Leandro Panizzon, einem Angestellten der schweizerischen Firma Ciba (heute Novartis), synthetisiert. Zu der damaligen Zeit war es nicht unüblich, Selbstversuche mit neu entwickelten Substanzen durchzuführen – so probierten auch Leandro Panizzon und seine Ehefrau Marguerite („Rita“) Methylphenidat aus. Besonders beeindruckt war Marguerite davon, dass sich ihre Leistung im Tennisspiel unter Einnahme dieses Medikaments steigerte. Von ihrem Spitznamen Rita leitet sich der bekannte Handelsname Ritalin für Methylphenidat ab.[6] Ritalin wurde 1954 von Ciba auf dem deutschsprachigen Markt eingeführt.[7] Das Medikament wurde in Deutschland zunächst rezeptfrei abgegeben, aber 1971 dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt.[8]

Pharmakologie

  • Bioverfügbarkeit: 30 %
  • Proteinbindung: 20 %
  • Verteilungsvolumen: 13 l/kg
  • Plasmahalbwertszeit: Kinder ca. 2,4 h, Erw. ca. 2,1 h

Wirkungsweise

Methylphenidat hemmt die Wiederaufnahme von Dopamin und Noradrenalin in den Präsynapsen und erhöht so deren Konzentration im synaptischen Spalt. Dies führt zu erhöhtem Signalaufkommen am Rezeptor und unter anderem zu einer Erhöhung des Sympathikotonus. In geringem Maße sorgt Methylphenidat für die Freisetzung von Katecholaminen, die große Erhöhung der Dopaminkonzentration wird aber in erster Linie durch Wiederaufnahmehemmung erreicht.[9]

Hypothesen zur Wirkung bei ADHS

Für die Wirkung von Methylphenidat gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze. Eine Hypothese besagt, dass bei ADHS bestimmte Bereiche im frontalen Gehirn, die u. a. Impulse kontrollieren, weniger aktiv seien und durch Stimulanzien angeregt würden, wodurch das Gehirn seine Kontrollfunktionen besser wahrnehmen könne.

Laut einer weiteren Hypothese weisen Menschen mit ADHS eine erhöhte Anzahl und Aktivität von sogenannten Dopamin-Transportern auf. Dieses Rücktransportsystem der Nervenzellen sauge das von diesen Nervenzellen in den synaptischen Spalt freigesetzte Dopamin wie eine Art „Staubsauger“ wieder auf. Methylphenidat blockiere dieses Rücktransport-System vorübergehend, das heißt in aller Regel für drei bis fünf Stunden. Dadurch werde ein Zustand erzielt, der die Verfügbarkeit des Dopamins verbessert.

Ein anderer Erklärungsansatz (Plastizitäts-Hypothese) vermutet, dass in den besagten Hirnarealen zu wenig Rezeptoren für Dopamin existierten. Dieser Mangel an Rezeptoren führe dazu, dass hemmende Neuronen nicht ausreichend aktiviert würden. Durch die Gabe von Methylphenidat würden die Rezeptoren vermehrt mit Dopamin versorgt, so dass die Erregungsweiterleitung besser funktioniere. Auf Dauer könne sich jedoch das Rezeptorsystem verändern und immer unempfindlicher gegen den Botenstoff werden.

Während die genannten Ansätze die Dopamin-Mangel-Hypothese als Grundlage haben, dreht Hüther diese um. Er geht davon aus, dass das dopaminerge System bei ADHS-Patienten sogar besonders stark ausgebildet ist. Nach seiner Theorie kommt es durch Methylphenidat bei einer geringen Dosierung, die langsam anflutet, zunächst zu einer Hemmung der Dopaminwiederaufnahme. Durch den daraus resultierenden Anstieg der Dopaminkonzentration im synaptischen Spalt werden Dopamin-Autorezeptoren an den dopaminergen Präsynapsen aktiviert. Dies führt dazu, dass jede weitere impulsgetriggerte Dopaminfreisetzung durch diese Präsynapse blockiert wird. Demnach wird durch eine orale Aufnahme von Methylphenidat oder anderen Psychostimulanzien in geringer Dosierung das dopaminerge System „abgeschaltet“.[10]

Methylphenidatpräparate verschiedener Hersteller

Dosierung

Methylphenidat ist angezeigt zur Behandlung des ADHS bei Kindern ab 6 Jahren, wenn sich andere therapeutische Maßnahmen allein als unzureichend erwiesen haben.[11] Die Dosierung erfolgt individuell nach einer sorgfältigen Diagnosestellung, da die optimale Wirkung bei unterschiedlichen Dosen erreicht wird. Die individuell optimale Wirkung lässt sich weder auf das Körpergewicht noch auf die Plasmakonzentration zurückführen.

Arzneilich verwendet wird das Methylphenidat-Hydrochlorid. Für die Therapie stehen Tabletten oder Kapseln in verschiedenen Stärken und mit entweder rascher, verlangsamter (retardierter) oder kombinierter (anfangs rasch, danach verlangsamt) Wirkkstofffreisetzung zur Verfügung. Entsprechend resultiert eine unterschiedliche Wirkdauer, die von ein bis vier Stunden (nicht retardierte Formen)[11] bis zu zwölf Stunden (retardierte Formen) reichen kann. Nach Ende der Wirkungsdauer können sich die Symptome von ADHS verstärkt zeigen (ein sogenannter Rebound).

Die medikamentöse Therapie wird mit einer niedrigen Einzeldosis (z. B. 2,5 oder 5 mg bei Kindern) begonnen und wöchentlich um 5−10 mg gesteigert (sog. Titrationsmethode), bis die optimale Dosis erreicht ist, die im Mittel bei 10−20 mg[12] liegt. In vielen Fällen ist nach einigen Monaten eine neue Einstellung mit eventuell nochmals erhöhter Dosis erforderlich. Die Höchstdosis liegt bei 1 mg/kg Körpergewicht bis zu maximal 60 mg pro Tag. Zu Beginn der Therapie wird Methylphenidat in einer rasch freisetzenden, kurzwirksamen Form verabreicht, weil es so besser zu steuern ist. Später kann dann auf ein Retard-Präparat umgestellt werden. Eine grundsätzliche Aussage über die richtige Dosis zu treffen ist nicht möglich: in manchen Fällen genügt bereits eine Tagesdosis von 5–10 mg, während in anderen Fällen bis zu 60 mg erforderlich sind. Gewöhnlich wird die Tagesdosis auf zwei bis drei Einzeldosen einer kurzwirksamen Arzneiform oder eine bis zwei Dosen einer retardierten Form verteilt. Zur Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter wird anfangs gewöhnlich eine Einzeldosis von 10 mg gegeben. Eine Steigerung auf höhere Dosierungen als auf die maximale Dosis von 60 mg/Tag, die für Kinder gilt, sind keine Seltenheit. Eine Tagesdosis von bis zu 120 mg/Tag für Personen über 70 kg Körpergewicht ist eine anerkannte therapeutische Option.[13]

Seit Juni 2006 ist in den USA als eine weitere Darreichungsform ein transdermales Pflaster (Daytrana® von Shire Pharmaceuticals) zur Applikation von Methylphenidat über die Haut erhältlich.[14] Das Pflaster wird täglich für bis zu neun Stunden getragen, wobei sich eine Wirkdauer von bis zu zwölf Stunden erreichen lässt. Wirkung und Nebenwirkungen von transdermal appliziertem Methylphenidat sind mit denen der Retardkapseln vergleichbar. Zusätzlich können am Applikationsort Hautreizungen und allergische Reaktionen auftreten, aus denen sich eine generelle Methylphenidatüberempfindlichkeit entwickeln kann.[15]

Früher wurde empfohlen, Methylphenidat nur an Schultagen zu verwenden. Heute ist vielfach auch die durchgehende Medikation (d.h. auch an schulfreien Tagen) praktikabel,[16][17][18] wenn zusätzlich das außerschulische Sozialverhalten im Ziel der Therapie steht.

Bei therapiebedürftigem AD(H)S ist regelmäßig eine multimodale Therapieform angezeigt,[18] die ausschließlich medikamentöse Behandlung mit Methylphenidat ist normalerweise nicht ausreichend und als unsachgemäß zu betrachten.

Ein Nicht-Ansprechen auf Methylphenidat kann dafür sprechen, dass es sich beim Patienten um einen Non-Responder handelt, bei dem Methylphenidat nicht wirkt oder dass die Diagnose nicht richtig gestellt wurde.

Nebenwirkungen

Wachstum

Methylphenidat kann bei Langzeitanwendung auch bei angemessener Dosierung bei Kindern zu einer Wachstumsverzögerung und zu reduzierter Gewichtszunahme führen[19] und sollte dann abgesetzt werden. In den meisten Fällen normalisiert sich der Wachstumsverlauf der Kinder später.

Appetit

Rückgang des Appetits und der Flüssigkeitsaufnahme ist eine häufige Nebenwirkung. Dies kann dadurch gemildert werden, dass das Methylphenidat nach dem Essen verabreicht wird oder die Hauptmahlzeit auf den Abend verlegt wird, wenn die Wirkung abgeklungen ist. Gewöhnlich verliert sich diese Nebenwirkung innerhalb einiger Monate.[19]

Gastrointestinale Störungen

Da Methylphenidat in der Regel als Hydrochlorid vorliegt, reagiert es beim Lösen leicht sauer. Wenn Methylphenidattabletten ohne Flüssigkeit eingenommen werden, kann es zu Übelkeit oder unangenehmem Brennen in der Speiseröhre kommen. Zu Beginn der Behandlung treten häufig Bauchschmerzen oder Erbrechen auf, eine Linderung kann im Normalfall erreicht werden, wenn Methylphenidat mit einer Mahlzeit eingenommen wird.[19] Hin und wieder kann die Trägersubstanz der Arzneizubereitung Unverträglichkeiten auslösen. In solchen Fällen kann auf wirkstoffidentische Präparate anderer Hersteller ausgewichen werden.

Haut, Unterhaut

Vermehrtes Schwitzen, Dermatitis (entzündliche Reaktion der Haut), Pruritus (Juckreiz), angioneurotische Ödeme (Quincke-Ödem) können bei der Behandlung von Kindern auftreten, [20] ebenso kann es zu Effluvium (Haarausfall) kommen.

Psychische Nebenwirkungen

Sehr häufige Nebenwirkungen sind Nervosität und Schlaflosigkeit. Diese treten bei mehr als einem von zehn Patienten auf. Sie treten zu Beginn der Behandlung auf und können jedoch in der Regel durch Reduktion der Dosis und/oder durch Auslassen der Nachmittags- oder Abenddosis kontrolliert werden.[19] Einige Patienten können durch die Einnahme von Methylphenidat vorübergehend oder andauernd empfindsamer, „weinerlicher“ und auch gereizter und aggressiver werden, dies kann bis hin zu depressiven Zuständen führen. Patienten, die Methylphenidat einnehmen, klagen bisweilen darüber, dass sie „ganz anders“, „gar nicht mehr sie selbst“, „zu ernst“, „wie eine Maschine“ seien, dass ihnen bestimmte Dinge nicht mehr so viel Spaß wie früher machten oder dass sie nur mit der Tablette „brav sein“ könnten. Vor allem letzteres kann auf Dauer dazu führen, dass Patienten nicht mehr aus eigener Kraft versuchen, ihre Situation zu verbessern, sondern sich auf die Medikation verlassen. Andererseits ist dies aber auch häufig dadurch zu erklären, dass zum Beispiel Kinder jetzt ihre Umwelt schärfer wahrnehmen und damit auch eine Reizüberflutung (etwa in der Schulklasse) stärker bemerken. Häufig geben Betroffene an, jetzt Zusammenhänge und belastende Lebensumstände oder Ausgrenzung stärker zu spüren. Dies ist dann weniger eine Nebenwirkung als vielmehr eine andere Wahrnehmung die aus der Hauptwirkung des Medikaments resultiert. Hier ist eine therapeutische Begleitung und Informationsvermittlung, häufig aber auch eine antidepressive Begleitmedikation erforderlich.

Herz-Kreislauf-System

Häufig (bei mehr als einem von zehn Patienten) kommt es zu Tachykardie (Herzrasen), Palpitationen (Herzklopfen), Arrhythmien (Herzrhythmusstörungen) und Veränderungen (meist Erhöhung) von Blutdruck und Herzfrequenz. Selten tritt Angina Pectoris auf.[19]

Wegen der kardiovaskulären Nebenwirkungen wurde gegen methylphenidathaltige Arzneimittel ein Stufenplanverfahren (Gefahrenstufe II) zur Abwehr von Arzneimittelrisiken eingeleitet.[21]

In einer Fall-Kontroll-Studie wurde ein Zusammenhang mit ungeklärten Todesfällen gesehen.[22]

Wirkung auf die Fahrtüchtigkeit und auf das Bedienen von Maschinen

Bei der Behandlung mit Methylphenidat können Schläfrigkeit und Schwindel auftreten. Dies kann beim Bedienen von Maschinen und beim Autofahren zu Beeinträchtigungen führen und muss beachtet werden.[19] Grundsätzlich erlaubt der Gesetzgeber das Führen von Kraftfahrzeugen unter Einwirkung von Methylphenidat. In einigen Studien wurde nachgewiesen, dass durch die Einnahme von Methylphenidat die Fahrtauglichkeit von Menschen mit ADHS merklich verbessert wird.[23]

Anwendung in der Schwangerschaft

Es wurden keine klinischen Studien durchgeführt, aus denen hervorgeht, ob die Anwendung von Methylphenidat während der Schwangerschaft sicher ist. Methylphenidat sollte aus diesem Grunde von schwangeren Frauen nur eingenommen werden, wenn es unbedingt erforderlich ist.[19]

Sonstige

Seltenere Nebenwirkungen sind Schwindel, Schweißausbrüche, Fieber, Kopfschmerzen, Psychosen, Störungen des Herzrhythmus und Trockenheit der Schleimhäute. Auch kann Appetitlosigkeit, v. a. bei missbräuchlicher Überdosierung, auftreten.

Abhängigkeitsgefahr

Methylphenidat wird seit Jahrzehnten in der Therapie von ADHS verwendet. Bei fachgerechter medikamentöser Therapie von ADHS mittels Methylphenidat konnte bisher kein Fall von Abhängigkeit festgestellt werden. Das plötzliche (eigenmächtige) Absetzen von Methylphenidat sollte jedoch unterlassen werden, da dies unter Umständen zu so genannten Absetzerscheinungen wie etwa verstärkter Hyperaktivität, Gereiztheit oder depressiver Verstimmung führen kann. Vor allem nach einer langfristigen und hochdosierten Behandlung sollte Methylphenidat daher nach ärztlicher Anweisung ausschleichend dosiert werden.

Studien zeigen, dass der Einsatz von Stimulanzien wie Ritalin die Suchtgefahr bei AD(H)S-Kindern senkt.

Bei ADHS-Betroffenen wird teilweise eine generell erhöhte Suchtneigung angenommen. Ursächlich hierfür ist jedoch nicht die Behandlung mittels Methylphenidat, sondern der gestörte Dopaminhaushalt. Die Betroffenen versuchten, sich mittels Nikotin und anderer Drogen, die sich auf den Dopaminhaushalt auswirken, selbst zu behandeln.[24]

Missbrauch als Rauschmittel

Bei hochdosierter Anwendung, insbesondere wenn es intravenös injiziert wird, wirkt Methylphenidat stark antriebssteigernd und kann zu überschwänglicher Euphorie führen – in seiner Wirkung ähnelt es dem Kokain.[25] Wegen der im Vergleich zu anderen Stimulanzien verzögerten Anflutung ist Methylphenidat ungeeignet, einen „Kick“ zu erzeugen. Es kann nur unter Verwendung extrem hoher Dosen und über die oben genannten Aufnahmewege eine Suchtentwicklung entstehen. Gefährlich daran ist jedoch weniger die Suchtentwicklung, sondern vielmehr eine mögliche Embolie (Verstopfung von Lungen- oder Hirngefäßen) durch die Tablettenstoffe (Talkumembolie). Aufgrund seiner Wirkung und der eingeschränkten Verfügbarkeit hat Methylphenidat kaum eine Bedeutung in der Drogenszene. Eine solche Entwicklung könnte aber bei leichterer Verfügbarkeit der Substanz nicht ausgeschlossen werden. So wird nach Medienberichten Methylphenidat, vor allem in den USA, missbräuchlich eingesetzt, um die Lernleistung oder berufliche Leistungsfähigkeit zu steigern.

Überdosierung

Eine moderate Überdosierung (zum Beispiel durch eine versehentlich doppelt eingenommene Dosis) von Methylphenidat kann zu Schwindel, Herzklopfen, Schlafstörungen, erhöhter Vigilanz („Wachheit“) oder auch zu übermäßiger Beruhigung führen. Durch die kurze Wirkungsdauer von wenigen Stunden ist normalerweise keine Behandlung erforderlich.

Eine starke Überdosierung kann zu Übererregtheit des zentralen Nervensystems, Krämpfen und Delirium bis zum Koma führen. Es können Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen auftreten. Ärztliche Behandlung ist in solchen Fällen dringend notwendig. Ein Delirium kann nur bei starkem Missbrauch über mehrere Wochen, durch plötzliches Absetzen des Medikamentes auftreten.

Wechselwirkungen

Methylphenidat darf nicht mit MAO-Hemmern kombiniert werden. Ausnahmen bilden hier selektive MAO-A-Hemmer, die den Metabolismus von Methylphenidat, bei gleichzeitiger Gabe, verlangsamen und damit die Wirkdauer verlängern können.

Bei gleichzeitiger Anwendung kann Methylphenidat die Wirkung von blutdrucksenkenden Mitteln, insbesondere von Guanethidin, herabsetzen. Andererseits kann die anfängliche sympathomimetische Wirkung von Guanethidin und Amantadin verstärkt werden.

Da Methylphenidat den Abbau von Antikoagulanzien des Cumarintyps – Antiepileptika (zum Beispiel Phenobarbital, Phenytoin, Primidon), Neuroleptika und trizyklischen Antidepressiva (zum Beispiel Imipramin, Desipramin) sowie Phenylbutazon – im Organismus hemmt, muss deren Dosis bei gemeinsamer Gabe reduziert werden.

Der kombinierte Konsum von Methylphenidat und Alkohol führt zu einer Umesterung in der Leber und zur Bildung der Substanz Ethylphenidat im Körper. Ethylphenidat bewirkt ebenso wie Methylphenidat nicht nur eine Wiederaufnahme-Hemmung von Dopamin sondern wirkt auch als Dopamin-Releaser, womit es zu einer überhöhten Dopamin-Konzentration im präsynaptischen Spalt kommen kann. Da in diesem Fall der Körper selbst einen weiteren Wirkstoff produziert, anstatt die Substanz wie vorgesehen abzubauen oder auszuscheiden, wird eine korrekte Dosierung des eigentlichen Wirkstoffs erschwert bis unmöglich gemacht. Während der Einnahme von Methylphenidat sollte daher auf Alkoholgenuss verzichtet werden.[19]

Methylphenidat sollte nicht zusammen mit Antazida eingenommen werden.

Chemie

Isomerie

Etliche Synthesen von Methylphenidat sind in der Literatur beschrieben.[26][27] Methylphenidat besitzt zwei stereogene Zentren. Es gibt also vier Konfigurationsisomere: (2R,2′R)-Form, (2S,2′S)-Form, (2R,2′S)-Form und die (2S,2′R)-Form. Bei der Synthese entstehen die (2R,2′R)-Form und die (2S,2′S)-Form als Racemat in gleicher Menge. Weiterhin wird bei der Synthese das Racemat aus der (2R,2′S)-Form und der (2S,2′R)-Form gebildet. Arzneilich verwendet wird das Racemat der threo-Form, das (2RS,2′RS)-Methylphenidat, wenngleich aus grundsätzlichen Überlegungen die Verwendung eines besser bzw. nebenwirkungsärmer wirksamen Enantiomers zu bevorzugen wäre.[28] Die pharmakologische Wirkung ist hauptsächlich auf die D-(+)-Form zurückzuführen (D-(+)-Methylphenidat, D-threo-Methylphenidat, d-TMP, (2R,2′R)-Methylphenidat).

Stereoisomere

In den USA und der Schweiz ist als Arzneimittel (Focalin XR®) zugelassen, das ausschließlich das (2R,2′R)-Methylphenidat-Stereoisomer enthält und in circa der halben Dosierung angewendet wird.

Struktur-Aktivitäts-Beziehungen

Zur Ergründung von Struktur-Aktivitäts-Beziehungen (engl. SAR) wurden zahlreiche MPD-Analoga synthetisiert. Die Einführung eines einzelnen Bromatoms im Aromaten erhöht am stärksten in meta-Stellung die Hemmung bestimmter Monoamintransporter (Doapmin-Transporter (DAT), Norepinephrintransporter, (NAT), Affinitätserhöhung etwa jeweils 20-fach).[29][30] Wie anderweitig gezeigt, ist die elektrostatische Eigenschaft des Amino-Stickstoffs für die Monoamintransporter-Bindung (MAT-Bindung) von geringer Bedeutung; dass dagegen das räumliche Profil von entscheidendem Einfluss ist, zeigt der Ersatz durch Bausteine ähnlicher räumlicher Gestalt (Isostere).[31] Durch Ringverengung zum Pyrrolidinyl können zum Serotonintransporter affine (SERT-affine) Verbindungen erzeugt werden.[32] Die Ester-Gruppe ist nach bewährtem Muster austauschbar gegen Alkyle oder Carbonyle.[33]

Siehe auch

Literatur

  • Schulte-Markwort, Warnke: Methylphenidat. Georg Thieme Verlag, ISBN 3-13-133441-X.
  • Michael Huss: Medikamente und ADS Gezielt einsetzen – umfassend begleiten – planvoll absetzen. Urania Verlag, ISBN 3-3320-1347-5.
  • Johanna Krause, Klaus-Henning Krause: ADHS im Erwachsenenalter. Verlag Schattauer, ISBN 3-794-52371-7.
  • Roswita Spallek: Große Hilfe für kleine Chaoten: Ein ADS-Ratgeber. Patmos Verlag, ISBN 3491698138.
  • Gerald Hüther, Helmut Bonney: Neues vom Zappelphilipp: ADS: verstehen, vorbeugen und behandeln. Patmos Verlag, Düsseldorf und Zürich, 2005, ISBN 3491401216.

Einzelnachweise

  1. a b c Thieme Chemistry (Hrsg.): RÖMPP Online - Version 3.4. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 2009.
  2. CliniPharm -Wirkstoffdaten Methylphenidat
  3. Sicherheitsdatenblatt für Methylphenidat-HCl – Sigma-Aldrich 22.Dezember 2007
  4. Brigitte Woggon: Behandlung mit Psychopharmaka. 2. Auflage. Verlag Hans Huber, Bern 2005, ISBN 3-456-83538-8.
  5. Anlage 3 des BtmG
  6. Jörg Auf dem Hövel: Stefan und die Geschichte vom Ritalin
  7. http://www.epsy.de/psychopharmaka/zeittafel.htm
  8. [1]
  9. Informationen der Universität Zürich
  10. Gerald Hüther, Helmut Bonney: Neues vom Zappelphilipp – ADS verstehen, vorbeugen und behandeln. Patmos Verlag, Düsseldorf und Zürich 2005, S. 73
  11. a b Fachinformation Medikinet 5/10/20 mg. Stand Mai 2009
  12. E. Mutschler, G. Geisslinger, H. K. Kroemer, P. Ruth, M. Schäfer-Korting: Arzneimittelwirkungen. Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. 9. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2008, ISBN 3-80-471952-X
  13. http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.7.47.3161.3163.3169
  14. Shire's transdermales Pflaster DAYTRANA(TM) erhält FDA-Zulassung für Behandlung von ADHS
  15. Fachinformation zu Daytrana von Shire Pharmaceuticals
  16. B. Blanz, C. Filz: Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn der Kindheit, aus: Kasper et. al: Psychiatrie und Psychotherapie, Thieme Verlag 2008
  17. W. Kiess (Herausgeber) et al.: Therapie in der Kinder- und Jugendmedizin: Strategien für Klinik und Praxis. Elsevier, München, 2007, S. 284 hier online einsehbar
  18. a b Leitlinie Nr. 028/019, Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, online auf den Seiten der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)
  19. a b c d e f g h Fachinformation des Arzneimittel-Kompendium der Schweiz: Ritalin®/- SR/- LA; Stand der Informationen: Juli 2006
  20. Rote Liste 2003
  21. Methylphenidat-haltige Arzneimittel: Artikel 31-Verfahren, Schreiben des BfArM vom 4. März 2008.
  22. Gould et al in American Journal of Psychiatry. AiA:1–10; doi:10.1176/appi.ajp.2009.09040472.
  23. Psychostimulanzien und Fahrtauglichkeit
  24. Dr. M. Winkler: ADHS und Drogensucht
  25. Volkow ND, Wang GJ, Fowler JS, Fischman M, Foltin R, Abumrad NN, Gatley SJ, Logan J, Wong C, Gifford A, Ding YS, Hitzemann R, Pappas N: "Methylphenidate and cocaine have a similar in vivo potency to block dopamine transporters in the human brain", in: Life Sci. 1999; 65(1): PL7-12; PMID 10403500.
  26. Axel Kleemann, Jürgen Engel, Bernd Kutscher, Dieter Reichert: Pharmaceutical Substances. 4. Auflage. 2 Bände. Thieme-Verlag, Stuttgart 2000, ISBN 978-1-58890-031-9; seit 2003 online mit halbjährlichen Ergänzungen und Aktualisierungen.
  27. D. Russowsky, B. A. da Silveira Neto: A concise and stereoselective synthesis of (+/−)-erythro-methylphenidate. 2003
  28. E. J. Ariëns: Stereochemistry, a basis for sophisticated nonsense in pharmacokinetics and clinical pharmacology. In: European Journal of Clinical Pharmacology.' Band 26, 1984, S. 663–668.
  29. L. A. Duckworth, G. W. Van Horn: A Computational Investigation of the Structures and Properties of Derivatives of Methylphenidate and Cocaine with Comparisons to Experimental Activity Data. 2002
  30. D. Pan, S. J. Gatley, S. L. Dewey et al: Binding of bromine-substituted analogs of methylphenidate to monoamine transporters. In: European Journal of Pharmacology. 264. Jahrgang, Nr. 2, 1994, S. 177–182, PMID 7851480 (elsevier.com).
  31. P. C. Meltzer, P. Wang, P. Blundell, B. K. Madras: Synthesis and evaluation of dopamine and serotonin transporter inhibition by oxacyclic and carbacyclic analogues of methylphenidate. In: Journal of Medical Chemistry. 46. Jahrgang, Nr. 8, 2003, S. 1538–1545, doi:10.1021/jm0205292, PMID 12672255.
  32. H. M. Davies, D. W. Hopper, T. Hansen, Q. Liu, S. R. Childers: Synthesis of methylphenidate analogues and their binding affinities at dopamine and serotonin transport sites. In: Bioorg. Med. Chem. Lett. 14. Jahrgang, Nr. 7, 2004, S. 1799–1802, doi:10.1016/j.bmcl.2003.12.097, PMID 15026075.
  33. M. Froimowitz, Y. Gu, L. A. Dakin et al.: Slow-onset, long-duration, alkyl analogues of methylphenidate with enhanced selectivity for the dopamine transporter. In: Journal of Medical Chemistry. 50. Jahrgang, Nr. 2, 2007, S. 219–232, doi:10.1021/jm0608614, PMID 17228864.

Handelsnamen

Concerta (D, A, CH), Daytrana (USA), Equasym (D, A, CH), Medikinet (D, A, CH), Ritalin (D, A, CH), diverse Generika (D)


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