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Deutsche Wiedervereinigung

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Bundesrepublik Deutschland
Bundesrepublik Deutschland
DDR
DDR
Heutige Bundesrepublik Deutschland, darüber die nach 1948 geteilten Gebiete:
• Bundesrep. Deutschl. (bis 1990),
• Berlin (West) (→ Berlin-Frage),
• DDR (Beitritt 1990) und
• Saarland (Beitritt 1957, → Saarstatut)

Als Deutsche Wiedervereinigung wird der durch die friedliche Revolution in der DDR angestoßene Prozess der Jahre 1989 und 1990, der zum Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 führte, bezeichnet. Die damit vollzogene Deutsche Einheit, die seither an jedem 3. Oktober als Nationalfeiertag begangen wird, beendete den als Folge des Zweiten Weltkrieges in der Ära des Kalten Krieges vier Jahrzehnte währenden Zustand der Deutschen Teilung.

Richtungweisend für diese Entwicklung war die Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989, die den endgültigen Zerfall des politischen Systems der DDR bewirkte. Notwendige äußere Voraussetzung der deutschen Wiedervereinigung war das Einverständnis der vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, die bis dahin völkerrechtlich noch immer die Verantwortung für Deutschland als Ganzes innehatten beziehungsweise beanspruchten. Durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag (Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland) wurde der Einheit der beiden deutschen Staaten zugestimmt[1] das deutsche Volk wiedervereinigt und dem vereinten Deutschland die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten zuerkannt. Staatsrechtlich spricht man, wie im Falle des Saarlands 1957, von „Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland“, politisch und sozioökonomisch von der Vereinigung der DDR mit der Bundesrepublik.

Maßgebliche Zwischenstationen auf dem Weg der deutschen Wiedervereinigung waren die Volkskammerwahl im März 1990 sowie der Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Am 20. September 1990 stimmte die Volkskammer der DDR und der Deutsche Bundestag dem Einigungsvertrag vom 31. August zu, am darauf folgenden Tag der Bundesrat.

Zwei deutsche Staaten als Erben des Zweiten Weltkrieges

Die parallele Existenz zweier deutscher Staaten in der zweiten Hälfte des kurzen 20. Jahrhunderts war der zeitgeschichtlichen Entwicklung geschuldet, die nach dem Ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik die Machtübernahme der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler ermöglicht sowie deren zum Zweiten Weltkrieg und in die bedingungslose Kapitulation führende großdeutsche Expansionspolitik zugelassen hatte. Winkler sieht den Zeitraum der deutschen Zweistaatlichkeit durch einen eigentümlichen 12-Jahres-Rhythmus gegliedert, der sich von der beiderseitigen Staatsgründung 1949 über das einschneidende Datum des Mauerbaus 1961 und das Inkrafttreten des Grundlagenvertrages zwischen der Bundesrepublik und der DDR 1973 bis zu der mit dem Amtsantritt Gorbatschows 1985 sich anbahnenden neuen Ära der internationalen Beziehungen im Ost-West-Konflikt erstreckte.[2]

Nachkriegssituation bis 1949

Deutsche Länder in den Besatzungszonen

Gemäß den in der Anti-Hitler-Koalition auf der Konferenz von Jalta getroffenen Vorvereinbarungen, die 1945 mit der Juni-Deklaration umgesetzt wurden, teilten die alliierten Siegermächte das nach der Westverschiebung Polens übrige Deutschland in vier Besatzungszonen auf: die sowjetische, die amerikanische, die britische und die französische. Eine entsprechende Aufteilung schuf die künftige Viersektorenstadt Berlin.

Als gemeinsames Verwaltungsorgan der vier Hauptsiegermächte für Deutschland als Ganzes sollte ein Alliierter Kontrollrat fungieren, der auch die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz hätte umsetzen sollen. Der aber bereits 1947 sich anbahnende Kalte Krieg, der den Westzonen im Zuge des Marshallplans wirtschaftliche Aufbauhilfen eintrug und getrennte Währungsreformen im Vereinigten Wirtschaftsgebiet und in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zur Folge hatte, gelangte 1948 mit Berlin-Blockade und Luftbrücke zu einer ersten Zuspitzung, die 1949 in die entgegengesetzte Gründung zweier deutscher Staaten mündete.

Die beiden deutschen Staaten 1949–1961

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland war vom Parlamentarischen Rat als vorläufige Verfassung angelegt und gemäß Präambel mit dem Wiedervereinigungsgebot verknüpft. Nach herrschender Lehre und der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist das Deutsche Reich als Staats- und Völkerrechtssubjekt nicht untergegangen, sondern war lediglich handlungsunfähig geworden. Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland stellte folglich eine staatsrechtliche Neuorganisation des bisherigen Staates im Gebietsstand von 1937 dar.[3] Das Fehlen freier Wahlen in SBZ und DDR wurde als Merkmal eines mangelnden Selbstbestimmungsrechts der Ostdeutschen angesehen und zur Grundlage eines Alleinvertretungsanspruchs der Bundesrepublik Deutschland für alle Deutschen. Eine eigene Staatsbürgerschaft der DDR erkannte die Bundesrepublik bis 1990 nicht an, sodass jeder DDR-Flüchtling in der Bundesrepublik gleichberechtigt als deutscher Staatsbürger anerkannt war.

Der niedergeschlagene Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR, in dem auch Forderungen nach Wiedervereinigung laut wurden und der als Folge in der Bundesrepublik zum alljährlichen Gedenk- und Feiertag erhoben wurde, dem Tag der Deutschen Einheit, bestärkte Tendenzen zur Abwanderung und Flucht aus der DDR. Bis Ende der 1950er-Jahre blieben die Abwanderungsverluste der DDR insbesondere nach West-Berlin so hoch, dass die sowjetische DDR-Garantiemacht mit Chrustschows Berlin-Ulimatum die zweite Berlin-Krise heraufbeschwor. Nachdem im Gegenzug US-Präsident Kennedy als westliche Kernpositionen den Verbleib der Westalliierten in Berlin, ihren freien Zugang dahin und die Wahrung der Freiheitsrechte der Westberliner betont hatte, löste die östliche Seite das massenhafte Abwanderungsproblem ab dem 13. August 1961 durch Grenzabriegelung und durch die Errichtung von Mauer und Todesstreifen.

Deutsch-deutsche Beziehungen 1961–1989

Berliner Mauer 1980

Nachdem sich die neue Teilungssituation – mit wiederkehrenden Maueropfern statt massenhaften Flüchtlingsströmen – als eine anhaltende Wirklichkeit im allseitigen Bewusstsein niedergeschlagen hatte, ging es im Westen bald zunehmend darum, auf menschliche Erleichterungen und grenzüberschreitende Begegnungsmöglichkeiten insbesondere zwischen Verwandten hinzuwirken. Als Impulsgeber fungierte dabei vor allem Willy Brandt, unter dessen Verantwortung als Regierendem Bürgermeister in West-Berlin es ab 1963 zu Passierscheinabkommen mit der DDR kam und der im Zeichen des von seinem engen Berater Egon Bahr entwickelten Konzepts „Wandel durch Annäherung“ als Bundeskanzler jene neue Ostpolitik vorantrieb, die Anfang der 1970er-Jahre nach vertraglichen Regelungen mit der Sowjetunion (Moskauer Vertrag) und der Volksrepublik Polen (Warschauer Vertrag) zum Viermächteabkommen über Berlin und zum Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten führte.

Der DDR-Führung kam es in diesem Prozess vor allem darauf an, nach dem Prinzip der friedlichen Koexistenz die gleichberechtigte Anerkennung der DDR als eigenständigen Staat auch im Westen durchzusetzen. Hoch verschuldet und für Importe aus dem Westen an notorischer Devisenknappheit leidend, suchte sie aus den innerdeutschen Beziehungen finanzielle Vorteile zu ziehen, sei es im Rahmen von Transitabkommen, sei es beim Häftlingsfreikauf.

Die von der sozial-liberalen Regierung begonnene neue Ostpolitik wurde durch die Regierung Kohl/Genscher bruchlos fortgesetzt. Bereits Ausdruck gravierender Probleme der DDR-Staatsfinanzen war der 1983 maßgeblich vom bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß eingefädelte Milliardenkredit für die DDR. Als besonderen Erfolg des Bemühens um Eigenständigkeit und Anerkennung konnte die DDR-Staatsführung noch 1987 den Besuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik verbuchen. Kurz davor war als Ergebnis über mehrere Jahre verteilter Beratungen ein gemeinsames „Streitkulturpapier“ von ostdeutscher SED und westdeutscher SPD veröffentlicht worden, in dem es u. a. hieß: „Keine Seite darf der anderen die Existentberechtigung absprechen. Unsere Hoffnung kann sich nicht darauf richten, daß ein System das andere abschafft. Sie richtet sich darauf, daß beide Systeme reformfähig sind und der Wettbewerb der Systeme den Willen zur Reform beider Seiten stärkt.“[4]

Krise, friedliche Revolution und Wende in der DDR

Hauptartikel: Wende (DDR)

Seit Mitte der 1980er-Jahre geriet die DDR mehr und mehr in einen Zustand der Stagnation und Krise, zum einen bedingt durch die weiter wachsende Staatsverschuldung, zum anderen durch eine zunehmende Isolierung innerhalb des Ostblocks, da die DDR-Staatsführung jedes Eingehen auf die von der Sowjetunion unter Gorbatschow angestoßenen Reformen im Zeichen von Glasnost und Perestroika ablehnte und auch sowjetische Publikationen nun der Zensur unterwarf. Noch im August 1989 bekräftigte Otto Reinhold, Rektor der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED und maßgeblicher Widerpart von Erhard Eppler bei den besagten SED-SPD-Konsultationen, was für ihn die Kernfrage der „sozialistischen Identität der DDR“ darstellte, indem er einen Unterschied zu allen anderen sozialistischen Ländern hervorhob: „Sie alle haben bereits vor ihrer sozialistischen Umgestaltung als Staaten mit kapitalistischer oder halbfeudaler Ordnung bestanden. Ihre Staatlichkeit war daher nicht in erster Linie von der gesellschaftlichen Ordnung abhängig. Anders als die DDR. Sie ist nur als antifaschistische, als sozialistische Alternative zur BRD denkbar. Welche Existenzberechtigung sollte eine kapitalistische DDR neben einer kapitalistischen Bundesrepublik haben? Natürlich keine. Nur wenn wir diese Tatsache immer vor Augen haben, wird klar erkennbar, wie wichtig für uns eine Gesellschaftsstrategie ist, die kompromißlos auf die Festigung der sozialistischen Ordnung gerichtet ist.“[5]

Ausreisewelle und erstarkende Reformkräfte

Im 40. Jahr nach der Staatsgründung geriet das SED-Regime nun auch von innen auf zweifache Weise unter Druck: Bei nachlassender Bereitschaft der „sozialistischen Bruderstaaten“, DDR-Bürger konsequent an der Flucht in bundesdeutsche Botschaften oder über noch bewachte Grenzen zu hindern und den DDR-Staatsorganen auszuliefern, gelang es einer zunehmenden Zahl politisch und ökonomisch frustrierter DDR-Bürger, sich über Drittstaaten in die Bundesrepublik abzusetzen. Zur „Wir-wollen-raus!“-Bewegung kam jedoch eine „Wir-bleiben-hier!“-Bewegung hinzu, die ein Ende der SED-Diktatur durch demokratische Reformen anstrebte.

Aus landesweiten Protestansätzen gegen die gefälschten Kommunalwahlen vom Mai 1989 entstanden Oppositionsgruppen wie das Neue Forum und Ansätze zu SED-unabhängiger Parteibildung wie im Falle der Ost-SPD. Insbesondere unter dem Dach kirchlicher Einrichtungen fanden Ausreisewillige wie Protestmotivierte Schutz und eigene Entfaltungsmöglichkeiten. Gotteshäuser waren auch die Ausgangspunkte der Leipziger Montagsdemonstrationen, durch die schließlich das Zurückweichen der Staatsmacht auf friedlichem Wege erzwungen wurde.

Untergang der SED-Diktatur

Der „Republikgeburtstag“ am 7. Oktober 1989 fand bereits unter sehr spannungsgeladenen Umständen statt mit Protestaktionen und polizeilichen Übergriffen am Rande der Festlichkeiten in Berlin. Zwei Tage später wichen in Leipzig die in großer Zahl drohend aufgebotenen Einsatzkräfte vor der schieren Masse von geschätzt 70 000 Demonstranten ohne Gewaltanwendung zurück. Es war nach Winkler eine „neuartige Revolution, die sich mit der Parole ‚Keine Gewalt!‘ selbst zügelte und nicht zuletzt deshalb ihr Ziel erreichte. Die ‚friedliche Revolution‘ hatte bewußte und unbewußte Teilnehmer: Die bewußten waren die Gründer der Bürgerrechtsgruppen und die Demonstranten, die am 2. Oktober zur Masse zu werden begannen, die unbewußten jene, die um ebendiese Zeit die DDR in Massen verließen.“[6]

Diesem zweifachen, zangenartigen Druck fortlaufend ausgesetzt, fiel das SED-Regime in sich zusammen. Wichtige Stationen dabei waren die Ablösung des Staatschefs Honecker durch Egon Krenz am 18. Oktober 1989, die Großdemonstration auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November, die Grenzöffnung an der Berliner Mauer am 9. November, die Kontrolle der neu gebildeten Regierung Modrow durch den Zentralen Runden Tisch und die erzwungene Auflösung des Stasi-Apparats.

Die DDR auf West- und Wiedervereinigungskurs

Mit der Maueröffnung und den nachfolgenden massenhaften Erkundungsbesuchen der DDR-Bewohner im Westteil Berlins und in der Bundesrepublik änderte sich die Stoßrichtung der politischen Willensbekundung im öffentlichen Raum und auf Demonstrationszügen, am sprechendsten festgehalten in einer Abwandlung des Slogans „Wir sind das Volk!“, der auf politische Beteiligungsrechte und innerstaatliche Reformen in der DDR zielte, zu „Wir sind ein Volk!“, was auf die Forderung nach Herstellung der deutschen Einheit hinauslief. Unter den besonderen innerdeutschen und außenpolitischen Umständen der Wende-Zeit wurde damit ein durchschlagender Impuls gesetzt.

Schnell erwiesen sich dadurch langfristige Pläne vertraglicher Bindungen und enger Zusammenarbeit bis hin zu konföderativen Strukturen, wie sie Bundeskanzler Kohls am 28. November 1989 vorgetragener 10-Punkte-Plan enthielt, als überholt. Die wirtschaftliche Zwangslage und politische Instabilität der DDR[7] ließen auch Regierungschef Modrow auf einen Kurs „Deutschland einig Vaterland“ einschwenken. Der Termin für die am Runden Tisch vereinbarte freie Wahl zu einer neuen DDR-Volkskammer wurde angesichts fortschreitenden Zerfalls der staatlichen Ordnung vom Mai auf den 18. März 1990 vorgezogen.

Joachim Gauck, der als Rostocker Mitglied des Neuen Forums zunächst seine örtlichen Mitstreiter und Ende Januar 1990 in Berlin auch die Mehrheit aller DDR-Delegierten des NF für die Idee der deutschen Einheit gewonnen hatte, beschreibt die eigenen Gefühle anlässlich der Stimmabgabe zur Volkskammerwahl, die mit einer Wahlbeteiligung von 93,4 % stattfand: „Dann kam der Wahltag, der 18. März 1990. Als ich meine Stimme abgegeben hatte, liefen mir die Tränen über das Gesicht. Ich musste fünfzig Jahre alt werden, um erstmals freie, gleiche und geheime Wahlen zu erleben. Und nun hatte ich sogar die Möglichkeit, ein wenig an der politischen Gestaltung der Zukunft mitzuwirken.“[8] Bei insgesamt enttäuschendem Ergebnis für die politisch organisierten DDR-Bürgerrechtler und einem in diesem Ausmaß als sensationell empfundenen Wahlsieg der Allianz für Deutschland zog Gauck als einer von 12 Abgeordneten für Bündnis 90 in die neue Volkskammer ein.

Von der Volkskammerwahl zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion (März bis Juli 1990)

Gauck war einer von insgesamt 409 Abgeordneten in der neuen Volkskammer, in der die drei größten Fraktionen mit 163 Mandaten die CDU, mit 88 die SPD und mit 66 Sitzen die PDS stellten. „Und was 40 Jahre eine Lüge gewesen war“, schreibt Gauck, „würde Wahrheit werden: eine Deutsche Demokratische Republik. […] Doch bei näherem Hinsehen trübten sich meine Freude und mein Stolz: Etwa 185 der neuen Abgeordneten hatten im untergegangenen System der SED oder einer Blockpartei angehört.“[9]

Neuer Ministerpräsident wurde am 12. April 1990 der CDU-Vorsitzende Lothar de Maizière, der bereits stellvertretender Ministerpräsident in der Regierung Modrow gewesen war und der für den Zentralen Runden Tisch die Geschäftsordnung entworfen hatte.[10] In der neuen Funktion lernte de Maizière das ganze Ausmaß der desolaten Wirtschafts- und Finanzsituation der DDR kennen: „Während in Westdeutschland 47 Prozent des Bruttosozialprodukts in die öffentlichen Haushalte und 53 Prozent in Investitionen gingen, waren es in der DDR 85 Prozent für den Konsum und nur 15 Prozent für Investitionen. Damit konnten nur die geringsten Reparaturen bezahlt und überhaupt keine Innovationen finanziert werden. Das gesamte Vermögen des Landes (Betriebe, Wohnungen, Infrastruktur) war veraltet, verwahrlost.“[11]

Gegenüber Modrow war de Maizière als frei gewählter Ministerpräsident für die Regierung Kohl nun allerdings in der Rolle des unverzichtbaren Verhandlungspartners und des nicht zu umgehenden Hauptverantwortlichen auf Seiten der DDR im Einigungsprozess. Dafür wurden in der Volkskammer Zwei-Drittel-Mehrheiten gebraucht, sodass die Regierungsbeteiligung der Ost-Sozialdemokraten an der Regierung de Maizière beiderseits in Frage und dann auch zustande kam.[12]

Weichenstellungen und Beschleunigungsfaktoren

Die nun eintretende Entwicklung war auf westlicher Seite zuerst vom vormaligen Chef des Kanzleramts und seinerzeitigen Innenminister Wolfgang Schäuble vorgedacht worden. Als enger Berater des Bundeskanzlers hatte er Kohl gegenüber schon im November 1989 die Erwartung geäußert, dass die deutsche Einheit binnen Jahresfrist erreicht sein werde und hatte Mitte Dezember im Kanzleramt den allerdings vorerst skeptisch aufgenommenen Vorschlag unterbreitet, der Regierung Modrow unverzüglich eine Wirtschafts- und Währungsunion anzubieten, um den Übersiedlerstrom aus der DDR in die Bundesrepublik zu stoppen.[13]

Bei anhaltender finanzieller Zwangslage und drohender Zahlungsunfähigkeit der DDR sowie einem im Januar 1990 ungebremsten Übersiedlerstrom – täglich verließen unterdessen zwischen zwei- und dreitausend Menschen die DDR, sodass die Produktion in vielen Betrieben nur mehr äußerst schwierig aufrecht zu erhalten war[14] – stellte die Bundesrepublik der DDR am 7. Februar 1990 die Wirtschafts- und Währungsunion in Aussicht. In Kohls Regierungserklärung vom 15. Februar hieß es dazu:

„Es geht jetzt darum, ein klares Signal der Hoffnung und der Ermutigung für die Menschen in der DDR zu setzen […] Für die Bundesrepublik Deutschland […] bedeutet das, daß wir damit unseren stärksten wirtschaftlichen Aktivposten einbringen: Die Deutsche Mark. Wir beteiligen so die Landsleute in der DDR ganz unmittelbar und direkt an dem, was die Bürger der Bundesrepublik Deutschland in jahrzehntelanger beharrlicher Arbeit aufgebaut und erreicht haben.[15]

Ein gravierendes Problem waren die Übersiedlerzahlen jedoch nicht nur für die DDR. Die Bundesregierung kam auch unter Druck seitens der westlichen Bundesländer und der Opposition. Wie eine Bombe sei die Leipziger Losung: „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr“, in Bonn eingeschlagen, bezeugt Richard Schröder.[16] Bereits im November 1989 hatte der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine, Kanzlerkandidat in spe der SPD, eine Änderung des Staatsbürgerrechts mit dem Ziel gefordert, sowohl Übersiedlern als auch „volksdeutschen“ Aussiedlern aus dem osteuropäischen Raum „den Zugriff auf die sozialen Sicherungssysteme der Bundesrepublik“ unmöglich zu machen. Der DDR und ihren Bewohnern sollten auf dem eingeschlagenen Demokratiekurs besser Hilfen zum „Dableiben“ als zum „Weggehen“ geboten werden.[17]

Durch seinen Erfolg bei den saarländischen Landtagswahlen im Januar 1990 zusätzlich gestärkt, fand Lafontaine für seine Position in Meinungsumfragen zeitweise bis zu 80 Prozent Zustimmung, was angesichts der Ende des Jahres bevorstehenden Bundestagswahlen in den Reihen von CDU und CSU bis in die Parteispitzen hinein entsprechenden Eindruck machte und einigen Unmut auslöste gegenüber der von Innenminister Schäuble vertretenen Position, der weder vor noch nach der Volkskammerwahl vom 18. März am bisherigen Aufnahmeverfahren rühren lassen wollte, sondern dessen Auslaufen mit der möglichst baldigen Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion verknüpfte.[18]

Anders als Lafontaine setzte Richard Schröder als Fraktionsvorsitzender der Ost-SPD ebenfalls auf Tempo bei der Realisierung einer Währungsunion. Es galt, „einen Pflock auf dem Weg zur deutschen Einheit einzuschlagen und den Weg unumkehrbar zu machen. Das war für mich ein ganz wichtiger Gesichtspunkt. Wir konnten nicht sicher sein, wie lange Gorbatschow sich hält. […] Lieber mit einer ruinierten Wirtschaft in die Einheit als mit einer fast ruinierten weiter im Sowjetblock.“[19]

Die Stunde der Exekutive

Aus der Entscheidung für eine rasch zu realisierende Währungsunion ergab sich die Verteilung der politischen Gewichte im Einigungsprozess, nämlich eine strukturelle Dominanz der bundesdeutschen Verantwortlichen, da es auf Seiten der DDR an ökonomischer und administrativer Expertise für die Angleichung von Wirtschaftsordnung und Sozialsystemen auf der Basis des bundesdeutschen Modells naturgemäß fehlte. „Die Bundesrepublik übernahm das Kommando“, heißt es lapidar bei Rödder.[20] Dabei hatte der am 7. Februar 1990 eingerichtete Kabinettsausschuss Deutsche Einheit mit seinen für bestimmte Sachbereiche zuständigen Arbeitsgruppen eine die Gesamtabläufe koordinierende Funktion; die detaillierte Ausgestaltung der politischen Vorgaben blieb aber wesentlich der Ministerialbürokratie überlassen, die dabei erheblich größere Spielräume ausfüllte als in den üblichen Gesetzgebungsverfahren.[21]

Bis zur Regierungserklärung de Maizières am 19. April stand der Bundesregierung noch nicht einmal ein einigermaßen handlungsfähiger Partner gegenüber, sodass die wichtigen Weichenstellungen zunächst allein von den westdeutschen Regierungs- und Verwaltungsstellen ausgingen. Die aber waren mit Plänen schon vordem zum Teil schnell bei der Hand. Der von Finanzstaatssekretär Horst Köhler am 26. Januar damit beauftragte Leiter des Referats Nationale Währungsfragen Thilo Sarrazin präsentierte bereits drei Tage später ein Konzept für die unverzügliche Einführung der D-Mark in der DDR zum Umstellungskurs 1:1, verbunden mit einer Freigabe der Preise sowie dem Ende von Subventionen und Planwirtschaft. Davon ließen sich durch Köhler erst Finanzminister Theo Waigel, dann auch Bundeskanzler Kohl überzeugen.[22] Zum Zeitpunkt der Offerte einer Währungsunion lagen folglich Grundzüge eines Umsetzungsplans bereits vor.

Mit der Ausarbeitung entsprechender Grundlagen für einen Staatsvertrag zwischen Bundesrepublik und DDR von Kohl beauftragt wurde Hans Tietmeyer, früherer Finanzstaatssekretär und Mitglied des Bundesbankdirektoriums. Der erste Entwurf dazu glich nach Ansicht des damaligen Leiters des Arbeitsstabes Deutschlandpolitik im Kanzleramt Claus J. Duisberg in Substanz und Sprache nahezu einem Unterwerfungsvertrag und musste, da er so der neuen DDR-Regierung nicht präsentabel war, überarbeitet werden. Fünf Tage nach de Maizières Regierungserklärung, am 24. April 1990, legten beide Seiten die Zeithorizonte für die Währungsunion fest: Schon zu den DDR-Kommunalwahlen am 6. Mai sollten die Bürger in etwa absehen, was sie erwartete; die Bundesbank wiederum sah sich zur Währungsumstellung in der DDR mit Datum 1. Juli 1990 technisch in der Lage.[23]

Wirtschaftlicher Umbruch in der DDR

Eine Währungsunion ohne entsprechende Umgestaltung des DDR-Wirtschaftssystems kam für die Bundesregierung und die sie tragenden politischen Kräfte nicht in Frage. Marktwirtschaftliche Strukturen, freie Preisbildung und Privatisierung der Staatsbetriebe gehörten folglich zu den Begleiterscheinungen des Einigungsprozesses. Zum wichtigsten Förderinstrument des wirtschaftlichen Umbruchs sollte die bereits von der Modrow-Regierung am 1. März 1990 gegründete „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“ werden, die der Umwandlung von Volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften dienen sollte.[24] Westliches Kapital wurde da aber noch außen vor gehalten, eine durch den Treuhand-Gründungsbeschluss der Volkskammer vom 17. Juni 1990 korrigierte Ausrichtung.

Mit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli 1990 übernahm die Treuhandanstalt 7.894 Volkseigene Betriebe mit vier Millionen Beschäftigten, etwa 40 Prozent aller Arbeitskräfte, sowie eine mehr als die Hälfte der DDR umfassende Grundfläche. Dazu gehörten auch Kraftwerke und Bergbauunternehmen, ausgedehnte Ländereien mit land- und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie Hotels und Gaststätten bis hin zu Zirkusbetrieben. „Praktisch war die Treuhandanstalt damit für den ganz überwiegenden Teil der DDR-Wirtschaft zuständig“, schreibt Duisberg.[25] Nur 2 % der Betriebe wurden als fähig eingeschätzt, rentabel zu arbeiten; 48 % hielt man für in diesem Sinne entwickelbar; 25 % galten mit Abstrichen als sanierungsfähig, 21 % für stillzulegen nötig (30 % wurden es schließlich).[26]

Auf Vorerfahrungen hinsichtlich der Überführung einer Zentralverwaltungs- bzw. Planwirtschaft in marktwirtschaftliche Strukturen konnte nicht zurückgegriffen werden. Die Treuhand-Führung verschrieb sich der Devise: „schnell privatisieren – entschlossen sanieren – behutsam stillegen”. An verlässlichem Wissen über die ostdeutsche Wirtschaft mangelte es im Westen; für eine sorgfältige Bestandsaufnahme war keine Zeit: „Rasch entfernten sich die tatsächlichen Erfahrungen von den ursprünglichen Erwartungen.“[27]

Die Produktivität der DDR-Wirtschaft im Vereinigungsjahr lag bei weniger als einem Drittel im Vergleich zur westdeutschen. Dies beruhte zu einem Gutteil auf einem Prunkstück der DDR-Sozialpolitik: dem Recht auf Arbeit als allgemeiner Beschäftigungsgarantie. Denn damit verbunden war eine unökonomische Überbeschäftigung in vielen Betrieben und Verwaltungen und als Folge „eine geringe Arbeitsmotivation und fast unüberwindliche Hindernisse für die Anpassung der Betriebe an veränderte Produktions- und Marktbedingungen.“[28] Der unmittelbare Übergang zur Marktwirtschaft auf allen Ebenen entpuppte sich daher für viele als Schockerlebnis.

„Die DDR-Wirtschaft verlor 1990 schlagartig fast alle ihre Kunden, nämlich die Inlandskunden, weil die DDR-Bürger nur noch Westwaren kaufen wollten. Sie verlor viele Auslandskunden aus dem Osten, weil der sozialistische Wirtschaftsverbund RGW Anfang 1990 in Sofia beschloss, den internen Handel auf Devisen umzustellen. Daraufhin kauften die Ungarn lieber japanische Autos als DDR-Autos. Und sie verlor ihre westdeutschen Kunden, weil die Ostwaren nicht mehr als Billigprodukte (z. B. IKEA) zur Verfügung standen, wenn die Löhne im Osten mit Westgeld bezahlt werden mussten.[29]

Zusätzlich beeinträchtigt wurde die Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Unternehmen im Einigungsprozess durch steigende Lohnkosten: Unter dem Eindruck der Diskussion um die Währungsunion setzten die Beschäftigten der ostdeutschen Unternehmen im zweiten Quartal 1990 eine Lohnerhöhung um etwa 20 Prozent durch, in den ersten 15 Monaten nach der Währungsunion um noch einmal 50 Prozent.[30]

Der Umstellungskurs im sozioökonomischen Spannungsfeld

Hundertmarkscheine West und Ost

Die zunehmend deutlicher hervortretende geringe Arbeitsproduktivität und Schwäche der DDR-Wirtschaft ließen Bundesbank und Bundesfinanzministerium von der geplanten 1:1-Währungsumstellung abrücken. Am 29. März 1990 kam es zu einer Entschließung des Zentralbankrats, wonach die Umstellung hauptsächlich im Verhältnis 2 Ost-Mark zu 1 DM durchzuführen sei. (Als marktgerechter Kurs konnte sogar die Relation von 4,3 zu 1 gelten.)[31]

Dies stand allerdings im Widerspruch zu den von allen Parteien im Volkskammer-Wahlkampf gemachten Versprechungen und führte zu Empörung und Protestdemonstrationen in der ostdeutschen Bevölkerung. Tenor der in Ost-Berlin und mehreren DDR-Städten abgehaltenen Demonstrationen: „Eins zu eins, oder wir werden niemals eins!“[32] Eine Halbierung der Nettolöhne (von 1988 durchschnittlich 854 Mark) hätte bedeutet, dass die Ostlöhne zunächst großteils bei weniger als einem Fünftel der Westlöhne gelegen hätten. Gewichtiger Fürsprecher des 1:1-Kurses in dieser Lage war Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der sich bereits am 27. März brieflich an Kohl gewandt und gemahnt hatte, „daß ein Umstellungssatz, der unter der Relation von 1:1 liegt, zu tiefgreifenden sozialen Verwerfungen sowie zu destabilisierenden politischen Folgewirkungen führen würde.“[33]

Die politisch Verantwortlichen in der DDR hielten durchgängig an der Forderung nach 1:1-Umstellung fest. Der Vorsitzende der Ost-SPD Markus Meckel machte die Regierungsbeteiligung seiner Partei davon abhängig; Ministerpräsident de Maizière legte sich ebenfalls darauf fest und bezeichnete ein solches Umtauschverhältnis in seiner Regierungserklärung vom 19. April 1990 als grundlegend. Hinsichtlich einer 1:1-Umstellung sämtlicher privaten Guthaben von geschätzt 190 Milliarden Mark wurde aber westlicherseits ein inflationstreibender Geldüberhang befürchtet, bei 1:1-Bewertung der Unternehmensschulden andererseits der finanzielle Ruin zahlloser Betriebe, die nun den üblichen Kapitalmarktzins bei der Bedienung ihrer Schulden zu erwarten hatten.[34]

Aus der internen Kompromisssuche von Bundesregierung und Bundesbank sowie den anschließenden Verhandlungen zwischen beiden Regierungsspitzen ergab sich am 2. Mai 1990 die letztgültige Regelung: Laufende Einkommen und Rentenzahlungen wurden im Verhältnis 1:1 umgestellt; Sparguthaben und Verbindlichkeiten (so auch die Unternehmensschulden) generell 2 : 1. Davon ausgenommen und wiederum 1:1 umgestellt wurden private Sparguthaben in bestimmter, nach Alter differenzierter Höhe: 2.000 Mark pro Kind im Alter bis zu 14 Jahren; 4.000 Mark für Personen bis 59 Jahren und 6.000 Mark für die noch Älteren.

Sozialunion in Wunsch und Wirklichkeit

Neben die Währungsunion und die anlaufende marktwirtschaftliche Transformation trat als drittes Element im Ersten Staatsvertrag zwischen Bundesrepublik und DDR die Sozialunion. Zwar hatten Wirtschaftskreise und Bundesbank zunächst Bedenken erhoben, dass die vollständige Übertragung der sozialen Sicherungssysteme auf die DDR private Investitionen und den wirtschaftsstrukturellen Umbau behindern könnten; doch behielten die hierin einigen Wirkkräfte von Bundesarbeitsministerium, Gewerkschaften, Sozialdemokraten und Volkskammerparteien die Oberhand.[35] In Anbetracht der vielfältig einschneidenden Änderungen der Lebensverhältnisse ging es schließlich darum, den Ostdeutschen eine neue Form sozialen Halts zu verschaffen, da die überschaubare und geregelte bisherige Existenz zu Ende ging. De Maizière als Regierungschef hatte dabei etwa folgenden typischen Werdegang eines in Kombinatsnähe geborenen DDR-Bürgers vor Augen:

„War er geboren, kam er in die kombinatseigene Krippe, um nach drei Jahren in den kombinatseigenen Kindergarten überzuwechseln. War er krank, ging er in die Polyklinik des Kombinats. Im Sommer besuchte er das Ferienlager, das dem Kombinat gehörte, und anschließend war er noch 14 Tage mit den Eltern in der kombinatseigenen Ferieneinrichtung. Seine Lebenserwartungen waren gradlinig, quasi schienenfahrzeughaft: 14. Lebensjahr Jugendweihe mit Moped-Geschenk und Trabant-Anmeldung; 16. Lebensjahr Facharbeiterabschluß; 20. Lebensjahr Ende der NVA-Dienstzeit und Eintritt ins volle Erwerbsleben. Nach dem Besuch der kombinatseigenen Betriebsberufsschule war die Übernahme in den Betrieb gesichert. Und wenn er nicht silberne Löffel stahl, blieb er dort. Es galt als ehrenrührig, seinen Arbeitsplatz zu kündigen. Man wechselte eben nicht. Dem folgte eine frühe Eheschließung, weil nur ein Ehepaar einen Antrag auf Zuweisung einer gemeinsamen Wohnung stellen konnte, auf die man ohnehin acht Jahre zu warten hatte.[36]

Die Erwerbsquote von Frauen im arbeitsfähigen Alter lag in der DDR 1989 bei 81 Prozent und damit weit über der in Westdeutschland. Sie wurde gefördert durch bezahlte Freistellung im Rahmen eines Babyjahres und durch ein weitreichendes Angebot an Kinderbetreuungsstätten.[37]

Als Orientierungsgrundlage für die DDR-Verantwortlichen diente in den Verhandlungen über die Sozialunion die noch vom Zentralen Runden Tisch entworfene und am 7. März 1990 von der Volkskammer beschlossene Sozialcharta. Man strebte die Einheit auf dem Wege eines „wechselseitigen Reformprozesses beider deutschen Sicherungssysteme“ an, woraus sich insgesamt ein höheres soziales Sicherungsniveau ergeben sollte. Gefordert wurden unter anderem die Bewahrung der Rechte auf Arbeit, Wohnung mit wirksamem Mietschutz, kostenlose Aus- und Weiterbildung sowie gesundheitliche Betreuung. Bei der aus der Sozialcharta resultierenden Kombination von bundesdeutschen Sozialleistungen mit sozialer Sicherheit nach DDR-Muster blieb allerdings die Frage der Finanzierung offen. Westdeutscherseits wurde das heftig kritisiert und als Ausdruck fehlenden Realitätssinns angeprangert.[38]

Akut besserungsbedürftig stellte sich unter DDR-Bedingungen vor allem die Lage von Rentnern, Invaliden, Behinderten und Hinterbliebenen dar, denen also, die nicht unmittelbar am Produktionsprozess beteiligt waren: „Die Alten- und Invalidenrenten aus der Pflichtversicherung boten nicht mehr als eine weitgehend nivellierte Grundversorgung auf sehr niedrigem Niveau, die nur wegen der hohen Subventionierung der Güter des Grundbedarfs nicht zur völligen Verarmung führte. […] Das durchschnittliche Haushaltseinkommen der ostdeutschen Rentner lag 1983 nominal nur bei einem Viertel, bei Berücksichtigung der Kaufkraftunterschiede bei etwa einem Drittel des westdeutschen Niveaus.“[39] Mit der Übertragung des westlichen Rentenrechts stiegen die Ostrenten von 30-40 Prozent des durchschnittlichen Arbeitseinkommens auf 70 Prozent nach 45 Beitragsjahren.

Auch insgesamt führte die Sozialunion zu einer Übertragung des westdeutschen sozialen Sicherungssysteme auf die DDR, wobei hier übergangsweise einige günstigere Regelungen z. B. für Frauen erhalten blieben. Nachdem der Staatsvertrag in der Volkskammer mit 302 gegen 82 Stimmen, im Bundestag mit 444 zu 60 Stimmen und im Bundesrat gegen die Stimmen des Saarlands und Niedersachsens schließlich am 22. Juni angenommen war, hatten vom Datum des Inkrafttretens am 1. Juli 1990 ab West- und Ostdeutsche die D-Mark als gemeinsame Währung.

Einigungsvertrag

Beide Exemplare des Einigungsvertrages vereinigt im Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin

Am Morgen des 23. August 1990 beschloss die Volkskammer mit 294 zu 62 Stimmen „den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit der Wirkung vom 3. Oktober 1990“.[40]

Am 31. August, um 2:08 Uhr morgens, wurde der ausgehandelte Einigungsvertrag paraphiert und vormittags von beiden Regierungskabinetten gebilligt. Am Mittag unterzeichneten die beiden Verhandlungsführer Wolfgang Schäuble und Günther Krause im Ost-Berliner Kronprinzenpalais das fast 1.000 Seiten umfassende deutsch-deutsche Vertragswerk, das noch durch eine „Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung“ am 18. September 1990[41] ergänzt wurde. Hierin wurden die Modalitäten des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland laut dem damaligen Wortlaut des Artikels 23 geregelt. Er sah insbesondere vor:

In ihrer 36. Tagung votierte die Volkskammer der DDR am Morgen des 20. September 1990 mit 299 von 380 Stimmen für den Einigungsvertrag[42] (siehe ausführlicher: Tag der Deutschen Einheit: Wahl des 3. Oktober), am gleichen Tag folgte der Bundestag (mit 442 von 492 Stimmen) und tags darauf der Bundesrat (einstimmig).[43] Die Einheit Deutschlands kam somit durch den Willen aller Deutschen demokratisch legitimiert zum Ausdruck.[44]

Allerdings wurde der Einigungsvertrag bereits mehrfach – naturgemäß nur noch durch den Bundestag, da mit dem Vollzug der Wiedervereinigung DDR und Volkskammer nicht mehr existieren – geändert.

Zwei-plus-Vier-Vertrag

Parallel zu der innerdeutschen Entwicklung vollzog sich die Einbeziehung ausländischer Staaten, insbesondere der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs und der Nachbarstaaten.

Um den Zwei-plus-Vier-Vertrag abzuschließen und den äußeren Rahmen der Wiedervereinigung zu besprechen, waren bereits am 13. Februar 1990 die Außenminister der beiden deutschen Staaten und die Außenminister der vier Mächte zusammengekommen. Dabei ging es in erster Linie um die Sicherheit der deutschen Nachbarn. In weiteren Folgekonferenzen einigte man sich darauf, den Deutschen den Modus der Wiedervereinigung zu überlassen. Allerdings wurde verlangt, dass eine formale Anerkennung der Westgrenze Polens erfolgte (Deutsch-polnischer Grenzvertrag). Das Problem der Einbindung eines deutschen Gesamtstaates in wie auch immer geartete Bündnissysteme blieb jedoch bestehen.

Nach diesem ersten Teilerfolg gelang Helmut Kohl gemeinsam mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher am 16. Juli der medienwirksame „Durchbruch im Kaukasus[45] bei einem Besuch in der Jagdhütte[46] von Gorbatschow, der die Zustimmung zur vollen Souveränität eines wiedervereinigten Deutschlands inklusive NATO-Mitgliedschaft erteilte, was für die Einwilligung der USA notwendig war. Damit hatte Deutschland (als Ganzes) – verstanden als Bundesrepublik Deutschland und DDR zusammen – erstmals seit Kriegsende das Recht, frei über seine Bündniszugehörigkeit zu entscheiden: seit 1945 waren beide Teile Deutschlands in ihrer Bündniswahl von den Alliierten abhängig, was bei der Verleihung der Souveränität 1955 im Deutschlandvertrag der Pariser Verträge festgeschrieben worden war; darüber hinaus regelten alliierte Vorbehaltsrechte von 1955 bis 1990 auswärtige Angelegenheiten „einschließlich völkerrechtlicher Abkommen, die von Deutschland oder mit Wirkung für Deutschland abgeschlossen werden.“ Die Siegermächte stimmten am 12. September in den „Zwei-plus-Vier-Gesprächen“ zu und gaben am 2. Oktober 1990 eine Erklärung ab, nach der ihre „Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Vereinigung Deutschlands bis zum Inkrafttreten des Vertrags über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland ausgesetzt“ seien,[47] bis sie wie vereinbart schließlich vollends aufgehoben wurden.

Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990

Hauptfeierlichkeiten vor dem Reichstagsgebäude
Richard von Weizsäcker beim Staatsakt zur Wiedervereinigung in der Berliner Philharmonie

Am 3. Oktober 1990 um 0:00 Uhr wurde vor dem Reichstagsgebäude unter dem Geläut der Freiheitsglocke, dem Hissen der Nationalflagge, dem Singen der deutschen Nationalhymne und dem Vorlesen der geänderten Präambel des Grundgesetzes durch Bundespräsident Richard von Weizsäcker das wiedervereinigte Deutschland proklamiert. Anschließend folgten in Berlin und in den meisten Städten und Gemeinden der „neuen“ Bundesrepublik farbenprächtige Feuerwerke. Mit der Eingliederung der auf dem Territorium der DDR gegründeten Länder wurde die Wiedervereinigung Deutschlands vollzogen und die DDR damit durch den Beschluss der ersten aus geheimer und freier Wahl hervorgegangenen eigenen Volksvertretung aufgelöst. Der Einigungsvertrag wurde zu diesem Termin wirksam, weil dies der frühestmögliche Zeitpunkt für die Vollziehung der Einheit war; das Bundeskabinett wollte zuvor die KSZE-Außenministerkonferenz über die Ergebnisse der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen informieren. Diese Konferenz sollte am 2. Oktober stattfinden. Der 3. Oktober war im Einigungsvertrag als „Tag der Deutschen Einheit“ und Nationalfeiertag festgelegt worden und ersetzte damit in der „alten“ Bundesrepublik als gesetzlicher Feiertag den 17. Juni, den damaligen „Tag der deutschen Einheit“ zum Gedenken an den Volksaufstand 1953 in der DDR.[48]

Am 22. Juli 1990 wurde von der Volkskammer das Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der DDR verabschiedet, nach dem mit Wirkung vom 14. Oktober die fünf Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die am 25. Juli 1952 aufgelöst worden waren, neu gegründet wurden.[49] Durch den Einigungsvertrag wurde die Ländergründung auf den 3. Oktober, den Tag der Wiedervereinigung, vorgezogen. Die wiedervereinigte Stadt Berlin bildete von nun an ein eigenes Land und wurde im Einigungsvertrag zur Hauptstadt Deutschlands erklärt. Schon 1949 war Bonn zur bloß vorübergehenden Hauptstadt erklärt worden, nach kontroverser Diskussion beschloss der Bundestag im Hauptstadtbeschluss 1991, Berlin auch zum Sitz von Parlament und Regierung zu machen und deren Umzug bis 1999 abzuschließen, wobei alle Ministerien auch einen Dienstsitz in Bonn behalten sollten. Das Amt Neuhaus beschloss 1993 die Rückkehr nach Niedersachsen, von dem es nach dem Zweiten Weltkrieg getrennt worden war.

Reaktionen auf die Wiedervereinigung

Aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland

In Westdeutschland hatten sich weite Teile der Bevölkerung seit Mitte der 1970er-Jahre (und der gegenseitigen Anerkennung der beiden deutschen Staaten) nach und nach mit der politischen Realität einer Teilung Deutschlands abgefunden und eine Wiedervereinigung in absehbarer Zeit nicht mehr als realisierbar betrachtet. Umso überraschter waren die Westdeutschen, als im November 1989 die Mauer fiel und im Laufe des folgenden Jahres die Einheit in immer greifbarere Nähe rückte.

Neben Dankbarkeit über die historische Entwicklung trat aber auch der Argwohn, dass der hohe Wirtschaftsstandard des Westens – gerade nach den ersten Bildaufnahmen der DDR-Industriegebiete – durch die materiellen und psychologischen Hinterlassenschaften der maroden Staatswirtschaft massiv gefährdet werden könnte. Billige, durch Konsumversprechen verführbare Arbeitsmigranten aus dem Osten könnten zudem im Westen hart erkämpfte Tariferrungenschaften gefährden. Vor allem in der SPD gab es ablehnende Stimmen; Hans-Jochen Vogel warf dem Spitzenkandidaten von 1990, Oskar Lafontaine, vor, er ziehe es vorgeblich in Betracht, nach dem Mauerfall „die Bürgerinnen und Bürger der DDR künftig nicht mehr als Deutsche im Sinne des Grundgesetzes zu behandeln. Nach Öffnung der Mauer könne ihnen der Zugriff auf die sozialen Sicherungssysteme der Bundesrepublik nicht mehr offengehalten werden“. In der SPD gab es Uneinigkeit über den Standpunkt zu einer möglichen Wiedervereinigung: Während Willy Brandt diese befürwortete und öffentlich dafür warb, waren Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder gegen eine schnelle Wiedervereinigung.[50]

Ergebnis der Bundestagswahl 1990 im früheren Bundesgebiet und dem ehemaligen West-Berlin: Wahlbeteiligung 78,6 %, SPD 37,5 %, CDU/CSU 46,4 %, B90/Grüne 5,5 %, FDP 6,8 %, PDS 0,0 %, Sonstige 3,8 %.[51]

Aus Sicht der Deutschen Demokratischen Republik

Demonstration gegen die Wiedervereinigung am 19. Dezember 1989 in Berlin
Vergleich der Ländergrenzen in der DDR 1947 und 1990

Die Regierung der DDR und ihre Organe sahen aufgrund des finanziellen Kollapses des realsozialistischen Systems keine Möglichkeit zur Beibehaltung des Status quo. Nachdem Erich Honecker, der entscheidende Befürworter des gescheiterten Systems, am 18. Oktober 1989 zurückgetreten war, folgte die SED-Führung unter Egon Krenz am 8. November geschlossen diesem Beispiel und ermöglichte so freie Wahlen. Obwohl namhafte Intellektuelle der DDR für politische Reformen in der DDR warben, hoffte die Mehrheit der DDR-Bürger auf die deutsche Einheit.[52] Dies wurde auch lautstark in den Montagsdemonstrationen gefordert.

In der einzigen freien Wahl in der DDR im März 1990 siegte die Allianz für Deutschland aus CDU, Demokratischem Aufbruch und Deutscher Sozialer Union, unter Lothar de Maiziere, die eine möglichst schnelle Wiedervereinigung erzielen wollte.[53]

Es gab zwar Angst oder Vorbehalte gegen die Abschaffung der Sicherheiten des sozialistischen Systems, insbesondere unter Anhängern der SED-PDS unter Gregor Gysi. Die Soziale Marktwirtschaft im Westen wirkte bei der Mehrheit der Menschen jedoch gerechter als die mangelhafte Versorgung des Sozialismus und der Widerstand gegen die Wiedervereinigung in Volk und Politik war bedeutend schwächer als im Westen. Nach der erfolgten Wiedervereinigung gewann die CDU die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl am 2. Dezember 1990, wie schon zuvor die Volkskammerwahl im März 1990.[54] Die SPD hatte ohne Erfolg gegen den frühen Wahltermin protestiert. Die CDU setzte in ihrem Wahlkampf auf das Versprechen baldiger blühender Landschaften im Osten, was von Wirtschaftsfachleuten jedoch als unrealistisch bezeichnet wurde.

Ergebnis der Bundestagswahl 1990 in den neuen Ländern einschließlich dem ehemaligen Ost-Berlin: Wahlbeteiligung 74,5 %, SPD 25,4 %, CDU 42,8 %, Grüne 6,2 %, FDP 11,7 %, PDS 11,7 %, Sonstige 2,3 %.[51]

Aus ausländischer Sicht

Aus Sicht der Sowjetunion

Die Sowjetunion war der maßgebliche Staat, der über die Entwicklung der DDR und der Wiedervereinigung entscheiden konnte, ohne ihre Zustimmung konnte es nicht vorangehen. Sie bestand zunächst auf der Bildung eines neutralen Deutschlands und warnte die beiden deutschen Staaten vor Alleingängen. Im Sommer 1990 gab Michail Gorbatschow nach vielen Gesprächen mit Bush und Kohl diese Position aber auf und billigte den Deutschen die Wiedervereinigung und volle Souveränität auch hinsichtlich der Entscheidung über ihre künftige politische Orientierung zu; Gorbatschows Einverständnis war das bedeutendste, und der Einfluss seiner Frau Raissa Maximowna Gorbatschowa sowie die persönliche Beziehung zu Helmut Kohl spielten eine wichtige Rolle. Deutschland verpflichtete sich zur finanziellen Unterstützung Russlands bei der Rückführung seiner Soldaten und verzichtete auf den Besitz eigener atomarer, biologischer oder chemischer Waffen.

Aus Sicht der USA

Bereits am 12. Juni 1987 hatte US-Präsident Ronald Reagan im Angesicht der Berliner Mauer gefordert: „Come here to this gate! Mr. Gorbachev, open this gate! Mr. Gorbachev, tear down this wall!“ Und so betonte der US-Botschafter Vernon A. Walters anlässlich der Öffnung der innerdeutschen Grenze am 9. November 1989 auch, dass die Deutschen selbst über ihre Einheit zu entscheiden hätten, dass jedoch nach einer Wiedervereinigung Gesamtdeutschland der NATO und der EG angehören müsse. George Bush war der erste Befürworter der Wiedervereinigung unter den westlichen Alliierten, der gemeinsam mit Helmut Kohl vor allem Großbritannien und Frankreich überzeugte.

Aus Sicht des Vereinigten Königreiches

Erheblich stärkere Bedenken wurden indes von der Premierministerin Großbritanniens Margaret Thatcher geäußert. Sie sah in der deutschen Wiedervereinigung eine nachhaltige Störung des europäischen Gleichgewichts (balance of powers), auf das die Briten von jeher besonderen Wert gelegt hatten. Die Gefahr bestehe dabei weniger in einer militärischen Bedrohung, sondern entspringe vielmehr einer weiteren Stärkung der in Europa ohnehin schon dominanten deutschen Wirtschaft. Die Wiedervereinigung dürfe man daher „nicht übereilen“. Mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und dem resultierenden Verzicht auf alle Gebietsansprüche (Artikel 1 Absatz 1) gab Großbritannien seine Zustimmung.

Aus Sicht Frankreichs

Ähnliche Vorbehalte trug auch Frankreich, das sich die gesamte Nachkriegszeit über als zentrale europäische Führungsmacht und insbesondere als informellen Hegemon in der Europäischen Gemeinschaft betrachtet hatte. Die Wiedervereinigung musste schon mit Blick auf die Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl eines vereinigten Deutschlands sowie seine zentralen Lage zu einer gravierenden Machtverschiebung in Europa führen, die von Frankreich mit Argwohn betrachtet wurde. Vielfach zitiert wurde in diesem Zusammenhang das Bonmot von François Mauriac: „Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich froh bin, dass es zwei davon gibt.“[55] Auch war bei vielen älteren Franzosen noch die Erinnerung an die Besatzung durch die Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges lebendig, die selbst die Entwicklung der Nachkriegs-Bundesrepublik zu einem verlässlichen Partner nur teilweise hatte tilgen können. Gleichwohl stimmte letztlich auch Frankreich der deutschen Wiedervereinigung zu, unter dem Versprechen, dass die Bundeswehr auf 370.000 Mann reduziert werden würde.

Aus Sicht Polens

Polen war, obwohl es kein den Siegermächten gleichwertiges Mitspracherecht hatte, insbesondere um seine territoriale Integrität besorgt und forderte bereits im Vereinigungsprozess die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze ein. Dass Helmut Kohl bei Vorstellung seines Zehn-Punkte-Programms die Frage der Anerkennung der polnischen Westgrenze zunächst offenließ, sorgte für einige Irritationen, auch in der Bundesrepublik selbst.

Nach der Wiedervereinigung bis 1994

Briefmarke zum fünften Jahrestag der Öffnung der innerdeutschen Grenze

In den ersten Jahren zeigten sich recht bald Schwierigkeiten bei der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse. Während beide Teile Deutschlands in staatlicher, wirtschaftlicher und weiteren Perspektiven eine Einheit bildeten, wollte sich die Angleichung der Lebensverhältnisse nicht einstellen.

Die 1990er-Jahre zeigten, dass die Wirtschafts-, Sozial- und Währungsunion, die mit Wirkung vom 1. Juli 1990 in Kraft getreten war, eine Maßnahme gewesen war, die zwar politisch korrekt und erforderlich war – denn schon riefen in der DDR große Sprechchöre: „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr!“[56] –, im Gegenzug aber zu einem fast vollständigen Zusammenbruch der zurückgebliebenen Wirtschaft führte. Dies resultierte nicht nur aus der missachteten Erkenntnis, dass nahezu alle Maschinen veraltet waren und ein Viertel gar noch aus den 1930er-Jahren stammte,[57] sondern auch aus dem Umstand, dass die bisherigen Absatzmärkte in den ehemaligen RGW-Staaten (COMECON) ersatzlos wegbrachen, da die bis dato übliche faktische Tauschwirtschaft entfiel und die Notwendigkeit bestand, mit (dort nicht ausreichend vorhandenen) Devisen zu bezahlen.

Als eine der Hauptursachen für die nur langsame Angleichung der Lebensverhältnisse nennt Uwe Müller[57], dass die in der ganzen deutschen Geschichte einmaligen Transferleistungen nicht den Kern der Sache änderten, nämlich dass die Firmen und Menschen, die das Gebiet des heutigen Ostdeutschlands bis 1945 zum wirtschaftsstärksten Gebiet des Reiches gemacht hatten, seit Errichtung der SBZ in die Bundesrepublik ausgewandert waren. Besonders schwer sei dies dadurch, dass alle großen Konzerne (etwa Dresdner Bank, Alte Leipziger und Zeiss), die mit ihren Zulieferbetrieben die Region belebten, weggezogen bzw. nicht nach der Wiedervereinigung zurückgekehrt seien. Und trotz niedrigerer Löhne sei die Arbeitslosigkeit gestiegen. Gerade die für die Wirtschaft interessantesten Arbeitskräfte seien aus Ostdeutschland abgewandert, allein zwischen 1945 und 1961 2,5 Millionen, trotz der Mauer wanderten auch danach noch Menschen aus. Eine Satireseite schreibt, bei der gegenwärtig anhaltenden Entwicklung würde Halle schon 2.068 menschenleer sein, denn seit 1990 sei jeder Dritte bereits abgewandert.[58] Dass dies nicht bloß hohle Zahlen sind, ist auch an der schlechter werdenden sozialen Situation zu erkennen, junge Menschen, insbesondere gut Ausgebildete allgemein und Frauen im besonderen wandern aus,[59] wodurch die demographischen Probleme der schon jetzt überalterten Bevölkerung absehbar sind, jährlich etwa 50.000 Personen.[60]

Ein wichtiger Schritt war der sofortige Beginn der Aufklärung von Verbrechen durch den Staatsapparat. Die umfangreichste Datensammlung darüber sind die Dokumente des Ministeriums für Staatssicherheit, die durch die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik mit dem Ziel der vollständigen Öffnung der Akten gesichert werden sollen. Viele Unterlagen waren zerkleinert oder verbrannt worden und sollen durch diese Behörde restauriert werden.

Wirtschaftliche Entwicklung

Es gab wirtschaftliche Probleme der ostdeutschen Betriebe aufgrund fehlender Investitionsmöglichkeiten, der daraus resultierenden veralteten Technik und der sehr personalintensiven Fertigung. Die Folgen sind bis heute spürbar, und auch im kommenden Jahrzehnt werden Löhne und Investitionen weit hinter denen in den alten Bundesländern zurückliegen.[61]

Ein großes Problem stellte der Zusammenbruch des Ostblocks insgesamt dar. Wichtigster Handelspartner für die DDR-Wirtschaft war bislang die UdSSR gewesen. Nach der Einführung der DM in der DDR und insbesondere nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schwand dieser Markt jedoch vollkommen. Wirtschaftlich besonders schädlich war dabei der politisch motivierte und von der Bevölkerung geforderte Umtauschkurs, der neben einem altersabhängigen Sockelbetrag von 1:1 den Wert von 1 DM zu 2 Mark der DDR betrug. Ein realer Wechselkurs bestand durch die fehlende Konvertibilität der DDR-Mark nicht, die Kurse am grauen Markt schwankten aber in der Bandbreite 1:6 bis 1:9 (bei den Banken in der DDR). Die Schulden der Firmen wurden mit 1:2 umgerechnet, obwohl wertmaßstäblich allenfalls ein Kurs von 1:4 zu rechtfertigen gewesen wäre.[62] Er sorgte dafür, dass die Kosten für Arbeit in Ostdeutschland noch vor der staatlichen Einheit derart explodierten, dass die Konkurrenzfähigkeit der meisten Betriebe empfindlich gestört wurde.

Protest gegen Arbeitsplatzabbau vor dem Werk der Faser AG in Premnitz am 10. Dezember 1990

Die Betriebsstätten der Kombinate, zu denen fast alle Betriebe zählten, waren häufig standörtlich stark zerrissen; zugleich waren Gebäude und Produktionsanlagen verschlissen und nicht mehr zeitgemäß. Der Strukturwandel bewirkte die Entflechtung der Großkombinate, die Umwandlung in Mittel- und Kleinbetriebe und die Stilllegung vieler Produktionsstätten. Verantwortlich für die Privatisierung war die Treuhandanstalt. Obgleich die Unternehmen aus der Bundesrepublik meist kein Interesse daran hatten, Betriebe zu übernehmen oder weiterzuführen, gelangten fast sämtliche größeren und mittleren Betriebe der alten DDR in westdeutsches Eigentum; „psychologisch kam das einer Kolonisierung nahe“. Die leeren ökonomischen Versprechungen waren für viele ostdeutsche Bürger „eine schwere Enttäuschung – und für manche eine Demütigung“.[63]

Der Arbeitsplatzabbau war enorm. Die offizielle Arbeitslosenquote spiegelt die Realität dieser Zeit nicht wider, da Arbeiter in „Kurzarbeit-Null-Stunden“, der „Warteschleife“, in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und im Vorruhestand nicht als Arbeitslose in die Statistik eingingen. Zum Beispiel führte die Einbindung der Landwirtschaft in die Agrarpolitik der Europäischen Union zur Stilllegung von landwirtschaftlicher Nutzfläche. In vielen Dörfern und Städten entstanden mit der Stilllegung von Betrieben Industriebrachen. Dies wurde Deindustrialisierung genannt, obwohl dieser Begriff prinzipiell eine Weiterentwicklung, eine Tertiarisierung zur Dienstleistungsgesellschaft, darstellt. In einigen Regionen brachen ganze Wirtschaftszweige weg, da diese unter marktwirtschaftlichen Bedingungen gegenüber der Konkurrenz nicht mithalten konnten – zu hoher Aufwand an Arbeitskräften und gleichzeitige Produktion von Erzeugnissen, die zu nicht konkurrenzfähigen Preisen und mit veralteten Maschinen hergestellt wurden. Dies führte dazu, dass u. a. die lange ostdeutsche Tradition des Erzbergbaus 1991 beendet wurde.

Soziodemografische Entwicklung nach der Wiedervereinigung

Für die arbeitslos gewordenen Menschen gab es danach kaum mehr Beschäftigungsalternativen, da neue Investitionen nicht ausreichend neue Arbeitsplätze schufen. Der mit diesen Gründen einhergehende völlige Zusammenbruch der alten DDR-Wirtschaft bewirkte schließlich einen Migrationsprozess von historischen Ausmaßen. Allein von 1990 bis 1991 kehrten zwei Millionen Ostdeutsche ihrer Heimat den Rücken und wanderten auf der Suche nach Arbeit in die alten Bundesländer aus.

Datei:19a Transport- Genehmigung.jpg
19a Transport-Genehmigung

Andererseits gaben die Behörden 1991 zusätzlich sogenannte 19-a-Transport-Genehmigungen für den Güterfernverkehr heraus, um den Nachholbedarf der fehlenden Güter besser bewerkstelligen zu können.

Die Wiedervereinigung war für den deutschen Staat schon in diesen ersten Jahren eine große finanzielle Herausforderung. War die Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl anfangs nach eigenen Angaben davon ausgegangen, die Folgen der sozioökonomischen Vereinigung „aus der Portokasse“ bezahlen zu können und der Markt die Einheit schon herbeiführen werde, offenbarte sich sehr schnell, dass die zu leistenden Aufwände alle bisherigen Vorstellungen überschreiten würden. Zur notwendigen Finanzierung wurde daher ein – zunächst befristeter – Solidaritätszuschlag auf die Einkommensteuer erhoben, zugleich wurde die Mineralölsteuer zum 1. Juli 1991 auf einen Schlag um den bis dahin nicht gekannten und auch bis heute nicht wieder erreichten Wert von 22 Pfennig (gut 11 Eurocent) je Liter Benzin erhöht, durch die zusätzlich anfallende Mehrwertsteuer betrug die tatsächliche Erhöhung rund 25 Pfennig (knapp 13 Eurocent). Die illusionären Erwartungen, „binnen vier Jahren werde die wirtschaftliche Landschaft erblühen [und] bis dahin würden die Deutschen im Osten die gleichen Löhne und Gehälter erzielen wie die Deutschen im Westen, […] wurden bereits 1992 von der Wirklichkeit eingeholt und als unhaltbar entlarvt“.[64]

Die Angaben über die für den Wiederaufbau aufgewendeten Summen schwanken, denn es ist strittig, welche Posten direkt der Wiedervereinigung zugerechnet werden können. Allein die 82 Milliarden aus dem Fonds Deutsche Einheit können klar zugeordnet werden. Schon bei den Kosten für die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, bei der aus 198 Mrd. Ost-Mark 120 Mrd. D-Mark wurden, ist wegen der stark unterschiedlichen Wechselkurse keine Kostenangabe möglich. Die Treuhandanstalt machte einerseits statt Gewinnen aus den Privatisierungen 200 Mrd. DM Schulden (als Erblastentilgungsfonds 336 Mrd. DM), andererseits konnte für die später entdeckten Betrugsfälle nur grob geschätzt werden, dass drei bis zehn Milliarden Mark verloren gegangen sind. Dabei sind ebenfalls nicht die durch Bestechung unter Wert verkauften Firmen eingerechnet, oder den Banken mitverkaufte Altschuldenforderungen in vielfacher Kaufpreishöhe.[65] Eine detaillierte Aufstellung über die einheitsbedingten Kosten selbst nur über die erste gesamtdeutsche Legislaturperiode, von der Neuausstattung der Volksarmee bei Vereinigung mit der Bundeswehr über den Verkauf der Auslandsvertretungen der DDR bis zur Änderung der Verkehrsschilder, ist bisher überhaupt nicht möglich, schon gar nicht inklusive der Folgen für die Wirtschaftslage der neuen Bundesländer.

Für die wirtschaftliche Entwicklung über die ersten fünf Jahre hinaus siehe Aufbau Ost

Innere Einheit

Ein wichtiger Punkt der Entwicklung nach der Wiedervereinigung ist zweifelsohne die angestrebte innere Einheit Deutschlands. Für viele Deutsche, die während der Teilung aufwuchsen, existiert nach wie vor die sogenannte „Mauer in den Köpfen“. Dieses Ost-West-Denken konnte bisher nicht völlig überwunden werden; so wird durch die beschriebenen niedrigeren Löhne im Osten eine Migration in den Westen gefördert, in den Osten erschwert, das gilt auch für staatliche Ämter. Kulturell sind besonders das Ampelmännchen und das ostdeutsche Sandmännchen zur gesamtdeutschen Alltagskultur geworden. Durch Übernahme verdrängte der Rotkäppchensekt den westdeutschen Mummsekt, eine Radeberger Biersorte wirbt mit der Dresdner Semperoper. Andere kulturelle Eigenheiten der DDR sind allerdings in Form der „Ostalgie“ ein rein verklärender Rückblick.

Die Wiedervereinigung führte zur Übernahme von Gesetzen, Normen, Standards und Strukturen aus dem Bereich des früheren Bundesgebietes. Zur Umsetzung wurden Beamte und Manager aus den alten Bundesländern entsandt und mit einer Sonderzahlung, der sogenannten Buschzulage, entlohnt.

Bis zur Deutschen Einheit galten in beiden deutschen Staaten jeweils eigene Systeme für Postleitzahlen und Telefonvorwahlen. Die Deutsche Bundespost, die ab der Wiedervereinigung für beide Bereiche zuständig war, führte zum 1. Juli 1993 mit den fünfstelligen Postleitzahlen ein die Grenzen der Bundesländer ignorierendes Modell ein. Damit wurden gleichzeitig die im Laufe der Jahre erkannten Schwächen des bisherigen Systems der Postleitzahlen behoben, dessen Konzeption durchaus eine Wiedervereinigung vorgesehen hatte. Im Bereich der Telefon-Vorwahlen blieb eine Reform aus, da durch Erweiterung der Vorwahl auf sechs Ziffern (einschließlich führender Null) genügend Vorwahlnummern im Bereich „03“ (bisher nur in Form der „030“ für Berlin genutzt) zur Verfügung standen. Die internationale Vorwahl „0037“ für die DDR entfiel mit der Reform. Reformen von Vorwahlen werden allgemein nur sehr restriktiv vorgenommen und waren auch in der Bundesrepublik vor 1990 selten. Bei der Umstellung der Vorwahlen in den neuen Ländern blieben die Rufnummern erhalten, soweit dies möglich war, sodass der Umstellungsaufwand ähnlich wie bei der Postleitzahl nur die Vorwahlen betraf. Eine große Reform hätte in West und Ost zu massiven Veränderungen auch bei den Rufnummern geführt. In Anbetracht der technischen Schwierigkeiten einer gleichzeitigen Umschaltung und vor dem Hintergrund des Aufwandes, der im privaten und vor allem im geschäftlichen Bereich durch Verlust der Kommunikationsdaten durch eine solche Maßnahme entstanden wäre, wurden derartige Pläne nicht weiter verfolgt.

Bei den Autokennzeichen war das Unterscheidungszeichen „L“ bei der Einführung der neuen Ortskennzeichen 1956 für die Stadt Leipzig reserviert, jedoch in dem vergleichsweise gering besiedelten Lahn-Dill-Kreis ausgegeben worden; ab dem 1. Januar 1991 wurde dort die Ausgabe eingestellt, und das Kennzeichen „LDK“ eingeführt, damit die Leipziger Kraftfahrzeuge künftig das Kennzeichen „L“ nutzen konnten. Für die Unterscheidung der langen Übergangszeit haben die alten Lahner Kennzeichen den Bereich der Erkennungsbuchstaben AA–ZZ und der Erkennungszahlen 1–100, die Leipziger aber vier Ziffern. Auch die anderen Kennzeichen waren schon 1956 weitgehend geplant. In der DDR waren die Kennzeichen aus Bezirkskürzel und Nummer gebildet. Zu Unzufriedenheit kam es dabei auch in Halle (Kennzeichen HAL), da der Stadt nach ihrer Einwohnerzahl eine zweistellige Buchstabenkombination zugeständen hätte. Allerdings waren alle denkbaren und logischen Kombinationen („H“, „HA“, „HE“ und „HL“) bereits an Städte bzw. Kreise vergeben. Chemnitz, das von 1953 bis 1990 durch Beschluss der Regierung der DDR Karl-Marx-Stadt hieß, erhielt im April 1990 per Bürgerabstimmung zum 1. Juni seinen alten Namen zurück.

Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler äußerte später die Hoffnung, dass durch ein „echtes Zusammengehörigkeitsgefühl“ die noch für längere Zeit bestehenden wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Ost und West leichter ertragen werden könnten. Doch bezeichnend für die „Mauer in den Köpfen“ ist beispielsweise, dass kein einziger westdeutscher Rundfunksender sich des reichhaltigen musikalischen Erbes der DDR angenommen hat; gerade einmal zum Tag der Deutschen Einheit wurden in den ersten Jahren noch ein paar bekanntere DDR-Titel gespielt.

Folgen der Deutschen Einheit seit 1995

Hauptartikel: Aufbau Ost

1995 änderten sich wesentliche Aspekte im „Aufbau Ost“ genannten Prozess: Auf die Abwicklung der Treuhandanstalt und das Ende des Fonds Deutsche Einheit (Höhe: 82 Milliarden D-Mark) traf der Solidarpakt, seit 2004 Solidarpakt I genannt. Außerdem änderte die Bundestagswahl 1994 die Machtverhältnisse, die schwarz-gelbe Koalition verlor an Einfluss. Die Kritik an der Einheit änderte sich, insbesondere wurden vergangene und laufende Entscheidungen in Frage gestellt, wie die umfangreichen Mittel verwendet wurden; der 1998 aufgedeckte Betrugsskandal bei der Treuhandanstalt, der einen Schaden zwischen drei und zehn Milliarden Mark verursacht haben soll, war das bekannteste Beispiel.

Obwohl die wirtschaftlichen Auswirkungen der Teilung noch Jahrzehnte anhalten werden, haben die Kinder und Jugendlichen bereits diese Epoche aus den Augen verloren; den Schülern werden die grundlegendsten Informationen vorenthalten, wie der Spiegel am 27. Dezember 2007 berichtete: fehlende Presse- und Meinungsfreiheit, der Unterschied der Stasi zu der Arbeit anderer Geheimdienste, die Staatsform der Diktatur und die Todesstrafe waren insbesondere in Brandenburg höchstens der Hälfte der Schüler bekannt. Durchschnittlich drei Viertel befürworten aber das friedliche Ende der DDR, die Wiedervereinigung und die Notwendigkeit der Aufbaukosten. Umfrageforscher Klaus Schroeder vermutete, veraltetes Lehrmaterial und Richtlinien, also die Kultusministerien, seien verantwortlich für das Ergebnis, und Eltern wie Lehrer idealisierten die sozialen Aspekte der DDR, während sie alle negativen Seiten ignorieren, die zur Wende führten.[66]

Satire

1990 erschien der Film „Das deutsche Kettensägenmassaker“ von Christoph Schlingensief, der die Wiedervereinigung unter dem Motto „Sie kamen als Freunde und wurden zu Wurst“ als Horrorfilm darstellt.

Der vielfach noch empfundene Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschen wird auch satirisch behandelt, unter anderem der Autor und Verleger Klaus Bittermann erstellte zwei Anthologien dazu.

Die SpaßparteiPARTEI“ um die Redaktionsmitglieder der Zeitschrift „Titanic“ hatte im Bundestagswahlkampf 2005 den „Wiederaufbau der Mauer“ als zentralen Punkt in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Der Wiederaufbau der Mauer aufgrund des Beklagens über hohe Kosten für den Solidarpakt und eine angebliche persönliche wirtschaftliche Benachteiligung sind ein häufiges Thema.[67][68]

Siehe auch

Literatur

Commons: Deutsche Wiedervereinigung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Vgl. Rudolf Bernhardt in: Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Rudolf Bernhardt, Norbert Achterberg, Dietrich Rauschning (Hg.), Deutschland nach 30 Jahren Grundgesetz, „II. Der völkerrechtliche Befund“ (5.), Ausgabe 38, Walter de Gruyter, Berlin / New York 1980, ISBN 3-1100-8364-7, S. 19 ff. (21 f.)
  2. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom «Dritten Reich» bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 447 f.
  3. BVerfGE 77, 137 – Teso, Absatz-Nr. 34, 36, 52–53, 75, 105
  4. Zit. n. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom «Dritten Reich» bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 452 f.
  5. Zit. n. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom «Dritten Reich» bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 487 f.
  6. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom «Dritten Reich» bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 513.
  7. Duisberg schildert die Lage zur Jahreswende 1989/1990: „Die Regierung verlor zunehmend an Autorität, nachgeordnete Stellen setzten sich über ihre Anordnungen hinweg und verfuhren nach eigenem Gutdünken. Hinzu kamen Racheakte gegen frühere Funktionäre. Selbst in den straff geführten Streitkräften lockerte sich die Disziplin; Soldaten, auch Offiziere, erschienen nicht mehr zum Dienst und bewarben sich sogar bei der Bundeswehr.“ (Duisberg 2005, S. 127)
  8. Joachim Gauck: Winter im Sommer – Frühling im Herbst. Erinnerungen. München 2009, S. 228, 231.
  9. Joachim Gauck: Winter im Sommer – Frühling im Herbst. Erinnerungen. München 2009, S. 235.
  10. De Maizière 1996, S. 65, 70.
  11. De Maizière 1996, S. 97 f.
  12. Der SPD-Fraktionsvorsitzende in der Volkskammer Richard Schröder merkt an: „Als die Fraktion der Ost-SPD – gegen den Widerstand des Parteivorstandes – in die Große Koalition eintrat, brach zu den befreundeten Mitgliedern der Fraktion Bündnis 90/Grüne eine Eiszeit aus. Sie hatten uns zuvor herzlich eingeladen, doch mit ihnen in die Opposition zu gehen, als lebten wir noch immer in der DDR.“ (Schröder 2007, S. 163)
  13. Schäuble 1991, S. 20.
  14. Klaus Schroeder 2000, S. 116.
  15. Zit. n. Klaus Schroeder 2000, S. 117.
  16. Richard Schröder 2007, S. 114.
  17. Zit. n. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band: Deutsche Geschichte vom «Dritten Reich» bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 527.
  18. Schäuble 1991 S. 72–78. Seinen Kurs fand Schäuble schließlich in Folgendem bestätigt: „Am Freitag, den 29. Juni 1990, dem letzten Tag, an dem es in der Bundesrepublik Deutschland noch ein Verfahren zur Registrierung von Übersiedlern gab, wurden noch 14 Übersiedler registriert. Zum Vergleich: in der Zeit bis zum 18. März wöchentlich mehr als 15.000.“ (ebda., S. 78)
  19. Richard Schröder 2007, S. 115.
  20. Rödder 2009, S. 209.
  21. Ritter 2006, S. 263.
  22. Rödder 2009, S. 210, 225.
  23. Duisberg 2005, S. 191, 193; Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band. Deutsche Geschichte vom «Dritten Reich» bis zur Wiedervereinigung. Fünfte, durchgesehene Auflage, München 2002, S. 568.
  24. “Allerdings war diese Ur-Treuhand ihrer Aufgabe nicht gewachsen und zum Teil mit fragwürdigem Personal besetzt. Hätte sie schalten und walten können, wäre das sogenannte Volksvermögen SED-Genossen zugeschanzt worden, so wie es die SED mit ihrem Vermögen (4 Mrd. Ost-Mark) trickreich versucht hat.“ (Richard Schröder 2007, S. 125)
  25. Duisberg 2005, S. 214.
  26. Richard Schröder 2007, S. 130 (mit Berufung auf Wolfram Fischer, Herbert Hax und Hans Karl Schneider (Hrsg.): Treuhandanstalt. Das Unmögliche wagen. Forschungsberichte. Berlin 1993, S. 138); Klaus Schroeder 2000, S. 143.
  27. Rödder 2009, S. 304, 306.
  28. Ritter 2006, S. 165 f.
  29. Richard Schröder 2007, S. 18.
  30. Klaus Schroeder 2000, S. 128.
  31. Richard Schröder 2007, S. 117, mit Berufung auf Wolfgang Herles: Wir sind kein Volk. Eine Polemik. München 2004.
  32. Duisberg 2005, S. 194.
  33. Rödder 2009, S. 302; Ritter 2006, S. 202 f.
  34. Duisberg 2005, S. 194.
  35. Ritter 2006, S. 13 f.
  36. De Maizière 1996, S. 153 f.
  37. Ritter 2006, S. 170 f.
  38. Ritter 2006, S. 189 f.; Rödder 2009, S. 186 f.
  39. Ritter 2006, S. 168 f.
  40. 30. Tagung der 10. Volkskammer der DDR: Volkskammerbeschluss zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, mit persönlicher Erklärung Gregor Gysis (PDS) im Anschluss (5'11")
  41. Vereinbarung zum Einigungsvertrag vom 31. August 1990, 18. September 1990, Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 112, 20. September 1990
  42. 36. Tagung der 10. Volkskammer der DDR: Abstimmung über den Einigungsvertrag (1'16")
  43. Abstimmungen zum Einigungsvertrag
  44. Josef Isensee, „Staatseinheit und Verfassungskontinuität“, in: Jochen Abr. Frowein: Deutschlands aktuelle Verfassungslage: Bericht und Diskussionen auf der Sondertagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Berlin am 27. April 1990, Ausgabe 49 von VVDStRL, Walter de Gruyter, Berlin / New York 1990, ISBN 3-11-012566-8, S. 42 f.
  45. Showdown in luftiger Höhe, einestages – Zeitgeschichten auf Spiegel Online
  46. Gorbi & Kohl – Weltpolitik im Jagdhaus, Focus Online
  47. „Suspendierungserklärung“ der Alliierten zu ihren Vorbehaltsrechten vom 2. Oktober 1990
  48. Kap. I, Art. 2 Abs. 2 Einigungsvertrag
  49. Das Ländereinführungsgesetz, DHM
  50. Franz Möller, Abgeordneter des Deutschen Bundestages: Aufzeichnungen und Erinnerungen, Band 17, Oldenbourg, München 2004, S. 235 f.
  51. a b Ergebnisse der Bundestagswahlen seit 1990 für das frühere Bundesgebiet und Berlin-West sowie für die neuen Länder und Berlin-Ost (PDF)
  52. Aus: DHM, LeMO, Wiedervereinigung
  53. Die freie Wahl 1990 in der DDR
  54. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Erste gesamtdeutsche Bundestagswahl 1990
  55. Siegmar Schmidt, Gunther Hellmann, Reinhard Wolf (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Außenpolitik, Springer, 2007, ISBN 3-531-13652-6, ISBN 978-3-531-13652-3, S. 378.
  56. DHM: Forderung der Wirtschaftsunion
  57. a b Uwe Müller, Supergau Deutsche Einheit, Hamburg 2006, ISBN 978-3-499-62153-6.
  58. Statistiken und Satire zu Halle
  59. FAZ, 30. Mai 2007 Frauenabwanderung
  60. FAZ, 30. Mai 2007 Westmigration
  61. Wochenbericht des DIW vom 1. Juni 2007.
  62. Müller, S. 48.
  63. Zit. n. Helmut Schmidt: Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral. Deutschland vor dem neuen Jahrhundert. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1998, S. 31 ff.
  64. Zit. n. Helmut Schmidt: Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral. Deutschland vor dem neuen Jahrhundert. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1998, S. 35.
  65. Banken erhalten Schuldscheine über 200 Mrd. D-Mark geschenkt, 1. Juli 2005.
  66. Spiegel Online, 27. Dezember 2007
  67. Satirische Zeitungstexte zur Wiedervereinigung
  68. Welt.de, Satire, Die deutsche Einheit – schlimmer als Britney (zum 18. Geburtstag 2007)

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