Zum Inhalt springen

Bedingtes Entstehen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 14. April 2010 um 14:17 Uhr durch Hdamm (Diskussion | Beiträge) (Änderung 73071401 von 89.247.96.123 wurde rückgängig gemacht.). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Das bedingte Entstehen oder Entstehen in Abhängigkeit (skt. pratītya-samutpada; pi. paṭicca-samuppāda; chinesisch 緣起, Pinyin yuánqǐ, W.-G. yüan-ch'i; jap. 縁起, engi; hgl. 연기, yeongi; tib. rten cing 'brel bar 'byung ba; viet. duyên khởi) gilt im Buddhismus als ein von dem Buddha entdecktes Gesetz. Es erklärt, wie es zu der leidhaften Kette der Wiedergeburten kommt und wie sie aufzuheben ist. Da dieses bedingte Entstehen durch zwölf Glieder beschrieben ist, wird es auch die Zwölfgliedrige Kette des Bedingten Entstehens genannt (skt. dvādaśa-nidāna, dvādaśâṅgaḥ pratītya-samutpādaḥ, dvādaśa-pratītya-samutpāda; chinesisch 十二因緣, Pinyin shíèr yīnyuán, W.-G. shih-erh yin-yüan; jap. 十二因縁, jūni innen; hgl. 십이인연, sibi inyeon; tib. rten `brel yan lag bcu gnyis; viet. thập nhị nhân duyên).

Textstelle aus dem Pali-Kanon

"Zu jener Zeit weilte der Erhabene am Fuße des Bodhi Baumes in Uruvelá am Ufer des Flusses Nerañjara, gerade eben vollkommen erwacht. So saß der Erhabene am Fuße des Bodhi Baumes sieben Tage mit ver­schränkten Beinen, das Glück der Befreiung (pi.vimutti-sukha-paṭisaṃvedī) erfah­rend.

Am Beginn des ersten Nachtabschnittes durchdachte der Erhabe­ne im Geiste vorwärts und rück­wärts die Kette des bedingten Ent­stehens: Es entsteht in Abhängigkeit von: Unwis­sen Formationen, von Formationen Bewußtsein, von Bewußtsein Geistigkeit und Körperlichkeit, von Geistigkeit und Körperlichkeit die sechs Sinnestore, von den sechs Sinnestoren Kontakt, von Kontakt Empfindung, von Empfindung Begehren, von Begehren Anhaften, von Anhaften gewohnheitsmässige Tendenzen, von gewohnheitsmässige Tendenzen Geburt, von Geburt Alter, Tod, Kummer, Jam­mer, Schmerz, Leid und Ver­zweiflung. In dieser Weise entsteht diese ganze Masse von Leid. Durch die restlose Auflö­sung und Vernichtung der Unwissenheit lösen sich die Formationen auf, durch die Auflösung der Formationen löst sich das Bewußtsein auf, durch die Auf­lösung des Bewußtseins lösen sich Geistigkeit und Körperlichkeit auf, durch die Auflö­sung von Geistigkeit und Körperlichkeit lösen sich die sechs Sinnestore auf, durch die Auflö­sung der sechs Sinnestore löst sich der Kontakt auf, durch die Auflösung des Kontakts löst sich Empfindung auf, durch die Auflösung der Empfindung löst sich das Begehren auf, durch die Auflösung des Begehrens löst sich das Anhaften auf, durch die Auflösung des Anhaftens lösen sich die gewohnheitsmäßigen Tendenzen auf, durch die Auflösung der gewohnheitsmäßigen Tendenzen löst sich die Ge­burt auf, durch die Auf­lösung der Ge­burt lösen sich Alter, Tod, Kummer, Jammer, Schmerz, Leid und Ver­zweiflung auf. In dieser Weise vergeht die ganze Masse von Leid.

Da also der Erhabene diesen Sachverhalt erkannt hatte, sprach er zu jener Zeit diesen Satz:

Wenn bei einem Eifrigen, Meditierenden, Edlen wirklich die Wahrheit entsteht, dann schwinden ihm die Zweifel alle, denn er schaut das Gesetz der Bedingtheit."[1]

Die zwölfgliedrige Kette des Bedingten Entstehens

Die zwölfgliedrige Kette, bei der das Nachfolgende immer abhängig vom Vorhergehenden entsteht, hier in ihrer einfachsten und häufigsten Form:

  1. Nichtwissen, Unwissen, Ignoranz (skt. avidyā, pi. avijjā). Bezieht sich auf die Unwissenheit von den Vier Edlen Wahrheiten und des unpersönlichen Vorgangs der Bedingten Entstehung. Daraus entstehen die
  2. Bildungen/Anordnungen/Gestaltungen/Formationen (skt. sanskāra, pi. sankhāra). Diese Gestaltungen werden auch karmische Formationskräfte genannt. Diese können heilsam (sa. kuśala, pi. kusala), nicht heilsam (sa. akuśala, pi. akusala) oder neutral sein. Aus den Gestaltungen entsteht das
  3. Bewusstsein (skt. vijñāna, pi. viññana), welches das Potential für eine erneute Identifikation birgt.
  4. Geistigkeit und Körperlichkeit (skt., pi. nāmarūpa) sind alles, was das Geistige und Körperliche eines Neugeborenen bildet. Geist und Körper entstehen bedingt zusammen.
  5. Sechs Sinnestore,(sa. salāyatana, pi. salāyatana), das sind Augen(Sehen), Ohren(Hören), Nase(Riechen), Zunge(Schmecken), Körper(Tasten) und Geist(Denken).
  6. Kontakt (skt. sparśa, pi. phassa). Abhängig vom Sinnesorgan/Geist und Sinnesobjekten/Geistobjekten entsteht Objektbewusstsein, das Zusammentreffen der drei ist Kontakt. Bsp.: Auge + Form&Farbe + Augen-Bewusstsein=Augen-Kontakt[2]. Durch Kontakt entsteht
  7. Empfindung (skt., pi. vedanā). Drei Arten von Empfindung: 1. angenehm, 2. unangenehm, 3. weder-angenehm-noch-unangenehm. Aus der Empfindung entsteht
  8. Begehren, Verlangen (skt. tanhā, pi. tanhā). Es ist das Verlangen nach Sein, nach Werden, nach Identifikation; der 'Ich-will-' oder 'Ich-will-nicht'-Geist. Aufgrund des Verlangens entsteht
  9. Anhaften, Denken, Ergreifen, Identifizieren (skt., pi. upādāna). Die Geschichte des 'Warum' des Begehrens, ausprägenden Bewusstseins von "Ich und Mein", sämtlichen Gedanken, Ideen, Konzepten und Vorstellungen führt zu den
  10. gewohnheitsmäßige Tendenzen (skt., pi. bhava), häufig mit '(Da-)Sein' übersetzt. Ein persönliches 'Archiv' gewohnheitsmäßiger Re-Aktionen, diese führen zu einer neuen
  11. Geburt (skt., pi. jāti). Aufgrund von Geburt gibt es
  12. Alter und Tod, Schmerz und Klagen, Leid, Betrübnis und Verzweiflung (sa. jarāmaranaśokaparidevaduḥkhadaurmanasyopāyāsāḥ, pi. jamāranaṃ sokaparidevadukkhadomanassupāyāsā).

Das Erkennen des Bedingten Entstehens war laut Pali-Kanon das Ergebnis der meditativen Praxis des historischen Buddha und ist, neben den Vier Edlen Wahrheiten, eine der zentralen buddhistischen Lehren. Die Einsicht in diese Gesetzmäßigkeit bedeutete für den historischen Buddha sein Erwachen (skt., pi. bodhi), seine Befreiung (skt. vimukti, pi. vimutti). Sie erklärt den Werdeprozess des Menschen, ohne auf Vorstellungen eines Schöpfers oder eines Selbst zurückzugreifen.

Man kann diese zwölfgliedrige Kette des bedingten Entstehens unter verschiedenen Aspekten analysieren. Zeitlich: Die Glieder 1-2 gehören dem vorangegangenen Leben, während die Glieder 3-10 die Bedingungen (3-7) und Früchte (8-10) des aktuellen Lebens darstellen. 11-12 gehören zum zukünftigen Leben. Funktional: Die Glieder 2-3 sind Potentiale, die Glieder 4-7 unpersönliche Eigenschaften des physischen Körpers eines jeden fühlenden Wesens, 8-11 sind die persönlichen Aspekte. Jedes Glied ist gleichzeitig bedingt durch die vorhergehenden und selber wiederum Bedingungen für die folgenden Glieder.

Während in den anfänglichen Zeiten des Buddhismus der (Werdens-)Durst als einziger Grund für das Sich-Verstricken im Kreislauf der Wiedergeburten gilt, kommt später das Nichtwissen als Ursache hinzu. Die zwölfgliedrige Ursachenkette vereint die beiden (letzten) Leidensursachen in einem Konzept.

Die Ansichten des Theravada- und Mahāyāna-Buddhismus decken sich, was die letzten Gründe für das Leiden angeht, nicht vollständig. Während der Theravada mit dem Gesetz des bedingten Entstehens das Nichtselbst der bedingten Dharmas erschöpfend dargestellt haben will, versucht das Mahāyāna, durch dieses Gesetz die Unwirklichkeit der Erscheinungswelt zu beweisen. Die Mādhyamikas, "Vertreter der Lehre von der Mitte", setzen die zwölfgliedrige Kette des bedingten Entstehens mit Leerheit (skt. śūnyatā) gleich.

Einzelnachweise

  1. http://www.palikanon.com/vinaya/mahavagga/ Mahāvagga, I. Die grosse Abteilung, 1. Kapitel: Die Erwachung
  2. http://www.palikanon.com/majjhima/zumwinkel/m148z.html

Quellen

  • Erich Frauwallner: Geschichte der indischen Philosophie. I. II. (S. 197f.), Salzburg 1953, 1956.

Literatur

  • Der Buddha: Samyutta Nikaya, Gruppierte Sammlung. Verlag Beyerlein & Steinschulte 2007. ISBN 978-3-931095-16-1
  • Khensur Jampa Tegchok: Leerheit und Abhängiges Entstehen. Die Essenz der buddhistischen Philosophie. Diamant Verlag, München 2004, ISBN 3-9807572-7-7
  • Erich Frauwallner: Philosophie des Buddhismus. 4. Auflage, Akademie Verlag, Berlin 1994
  • P.A. Payutto: Dependent Origination – The Buddhist Law of Conditionality. Buddhadamma Foundation, Bangkok 1994-1999, ISBN 974-89148-2-8
  • Ñānavīra Thera: Notizen zu Dhamma und andere Schriften. Aus dem Englischen übersetzt von Bhikkhu Mettiko. Verlag Beyerlein & Steinschulte 2007, ISBN 978-3-931095-63-5
  • Samanera Bodhesako: Veränderung - erlebte Vergänglichkeit im Lichte der Buddhalehre, in: Die Fährte der Wahrheit - Drei buddhistische Essays. Aus dem Englischen übersetzt von Kay Zumwinkel, Jhana Verlag 2001, ISBN 3-931274-20-9
  • Fritz Schäfer: Realität nach der Lehre des Buddha. Beyerlein-Steinschulte Verlag 2007, ISBN 978-3-931095-60-4