Tiempo Nuevo
Tiempo Nuevo (Neue Zeit) gehörte zu der von Violeta Parra und ihrem Bruder Nicanor Parra in das Leben gerufene Sammlungsbewegung des Nueva Cancion Chilena. Sie verbreitete sich über ganz Lateinamerika und umfasste vor allem die Folkloremusik aus den ländlichen Zonen, mit deren indianischen Wurzeln. Sie entdeckte diese Kultur neu und trug dazu bei, dass sie von bedeutenden Künstlern wieder aufgenommen, zusammenzustellen und weiterentwickelt wurde.
Die Lieder rückten die ursprüngliche, volksnahe Poesie dieser Musik und die folkloristischen Elemente der Kunst zurück in das Zentrum der kulturellen Traditionen der verschiedenen Regionen Chiles und darüber hinaus. Diese Arbeit förderte den enormen verborgenen Reichtum der Traditionen zu Tage, die neu zur Popularkultur verschmolz. Von hier begann der Kampf gegen die stereotype ausländische Musik und Kunst, die Lateinamerika überflutete und die eigenen kulturellen Wurzeln verbarg.
Das Nueva Cancion brachte die authentische Volkskultur wieder zurück und schuf die Basis für eine neue kulturelle Integrität und eine auf breiter Basis beruhenden Gesangsbewegung, die die Folkloremusik umfassend erneuerte. Diese Bewegung breitete sich in den sechziger und siebziger Jahren aus. Da sie folkloristische Musikelemente mit religiösen Formen und Inhalten der Protestbewegung und Sozialkritik der sechziger Jahre vereinte, wurde sie der Kopf einer mächtigen kulturellen Strömung und erfasste nach und nach den ganzen Kontinent. Schnell wurden auch andere Bereiche der Kunst und Kultur einbezogen, wie die Malerei, Textilgestaltung und Keramik.
Sie blieb auch in den Zeiten der konserativen Gegenbewegung mit den Militärputschen in Chile, Argentinien und in anderen Regionen für viele fortschrittliche, demokratische Kräfte das Synonym für die unter den Militärdiktaturen leidende und kämpfende Völker Lateinamerikas und war somit ein Mittel der Konzentration auf fortschrittliche, nationale Wurzeln, mit denen man die Rückkehr zur Demokratie zu erreichen hoffte.
Tiempo Nuevo als Mitglied der Bewegung Nueva Canción Chilena
Mitte der sechziger Jahre formierte sich in Chile die auf der Folklore basierende Liedbewegung Nueva Canción Chile. Junge Musiker, Studenten und Arbeiter folgten dem Beispiel von Violeta Parra und ihren Kindern. Die Bewegung ist im Kontext der Entwicklung in den meisten lateinamerikanischen Ländern zu sehen und ging einher mit einem stärkeren nationalen Bewustsein und einer eigenen kulturellen Identität. Das führte auch zu einer stärkeren Einbeziehung der indianischen Kultur und einer Emanzipation von der übermächtigen nordamerikanischen Hegemonie, die sich auch im kulturellen Alltagsleben widerspiegelte. Mit den neuen Liedern, deren rhythmische und instrumentale Wurzeln den ursprünglichen Traditionen des Volkes entsprachen, setze sie fortschrittliche Akzente. In dieser Zeit entstanden Gruppen wie Quilapayun, Inti Illimani, Tiempo Nuevo, profilierten sich Künstlerpersönlichkeiten wie Victor Jara, Isabel Parra und Angel Parra oder Patricio Manns.
Zur Geschichte von Tiempo Nuevo bis 1973
Tiempo Nuevo entstand ursprünglich 1965, zuerst in Valparaiso als Gruppe der Música Popular. Der endgültige Name wurde aber erst ab 1969 bekannter, als die Musiker profesionell zu arbeiten begannen. Im Wahlkampf von Salvador Allende und der Vereinigten Linken (Unidad Popular) um die Präsidentschaft Chiles war Tiempo Nuevo führend beteiligt. Ebenso an den kulturellen Aktivitäten in der Zeit der Regierung der Unidad Popular. Die Gruppe stammte aus dem direkten Umfeld der Kommunistischen Partei Chiles (KPC), die Mitglied der Unidat Popular war.
Vier Langspielplatten aus dieser Zeit der Unidad Popular fassen diese Arbeit von Tiempo Nuevo in Chile zusammen. Die Konzerte während der Zeit der Regierung der Vereinigten Linken sind nicht zu überblicken. Hinzu kamen eine Vielzahl von Auftritte bei Massenveranstaltungen und Manifestationen, auch im Radio und im Fernsehen. Jetzt führten auch umfangreiche Tourneen durch viele lateinamerikanische Länder und nach Europa. Von Tiempo Nuevo stammen Kompositionen zu chilenischen und lateinamerikanischen Filmen.
Mit dem Putsch vom 11. September 1973 veränderten sich auch für Tiempo Nuevo alle Bedingungen. Freunde konnten die Gruppe, die gerade von einer Tournee zurückkam noch am Flughafen in Santiago warnen. Ohne nach Hause zurückkehren zu können, führte die Flucht direkt über die Anden in das Nachbarland. Wochenlang suchte die Geheimpolizei des General Augusto Pinochet nach den Mitgliedern der populären Gruppe. Erste Station des lange anhaltenden Exils, war Argentinien, wo in Buenos Aires als erste Reaktion auf den Putsch die LP „Por Chile! Venceremos“ produziert wurde. Wie viele andere progressive Künstler Chiles musste auch Tiempo Nuevo lange im politischen Exil verbleiben.
Der Weg in das Exil und das Exil in der DDR
Der weitere Weg der Gruppe führte dann nach Europa und in die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Hier lebte die Gruppe auch fortan. Der ehemalig Zahnarzt Roberto Rivera, vor 1973 auch Vorsitzender der Gesellschaft für Freundschaft zwischen der Chilenischen Republik und der DDR lebt bis heute in Deutschland. Er ist derzeit das einzige Gründungsmitglied der Gruppe, das noch bei Tiempo Nuevo aktiv ist.
Die erste Zeit nach der glücklichen Flucht aus Chile 1973 wurde in Chemnitz (Karl-Marx-Stadt) verbracht. Dort lernte Roberto Rivera auch seine heutige Partnerin die bekannte Schauspielerin Cornelia Schmaus kennen lernte. Später zog die Familie nach Berlin, wo sie heute noch leben.
Tiempo Nuevo schuf in den Jahren des Exils mehr als 100 Kompositionen, in denen die Hoffnung Lateinamerikas, das Heimatland Chile und das Leben fern von der Heitmat beschrieben werden. Auf mehreren Langspielplatten, die in den Niederlanden, der Schweiz, der Bundesrepublik und Frankreich editiert wurden, hat Tiempo Nuevo dieses künstlerisches Schaffen dokumentiert. In Chile selbst wurden in den Jahren der Diktatur Kassetten unter dem Namen „Ahora“ mit den Titeln der Gruppe verbreitet („Ahora Chileno ahora/Gerade jetzt Chilenen, gerade jetzt“ auch Titel eines sehr populären Liedes der Gruppe aus dem Jahr 1983 das auf einem gemeinsamen Sampler mit weiteren chilenischen Gruppen erstmals veröffentlicht wurde).
Tiempo Nuevo war ein fester Bestandteil der chilenischen Exilgemeinde in der DDR. Sehr erfolgreich ist in Berlin eine Veranstaltungsreihe, die von der Gruppe initiiert und gestaltet wurde: die Peña. Tiempo Nuevo knüpft bei der Peña an eine künstlerische Begegnungsform an, die in Chile sowie anderen lateinamerikanischen Ländern eine große Tradition besitzt. In Berlin steht der Treffpunkt von Kulturen in Mittelpunkt dieser Veranstaltung. Die Peña in Berlin (die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ist: Fels, aber auch: Stammtisch), Peñas sind in ganz Chile verbreitet und durch das Exil demokratisch gesinnter Chilenen wurden sie weit verbreitet, Peñas werden allgemein mit Veranstaltungen der fortschrittlichen, demokratischen und linken Bewegung in Verbindung gebracht) fand zuerst in Berlin Weißensee statt, dann zog man nach Berlin Marzahn in den Klub der Mittzwanziger (heute Springpfuhlhaus e.V.) um und noch heute finden solche Veranstaltungen gelegentlich in der Wabe im Berliner Thälmannpark statt.
Die Gruppe trat mehrfach beim beliebten Festival des politischen Liedes in Ostberlin auf und unternahm nahezu ständig kleinere Touneen durch die DDR. Die Konzerte fanden oft vor vielen hundert Zuschauern in Jugendlagern und Bertrieben statt. Auch in der Bundesrepublik hatte die Gruppe ein festes Umfeld. Mehrfache Auftritte bei Veranstaltungen der Friedensbewegung in den ausgehenden siebziger- und beginnenden achtziger Jahren sowie bei der alternativen Buchmesse in Frankfurt/Main sind Beispiele dafür.
Tiempo Nuevo spielte in den Jahren des Exils bei zahlreichen Festivals, nahm an Radio und TV-Sendungen teil. Von Tiempo Nuevo stammen eine Vielzahl von Kompositionen für Theaterinszenierungen, so unter anderem für Pablo Nerudas Glanz und Elend des Joaquín Murieta am Städtischen Theater Chemnitz und für Erinnerung an das Feuer an der Berliner Volksbühne, ebenso die Musik für eine Reihe von Spiel- und TV-Filmen.
Tourneen führten Tiempo Nuevo in viele europäische Länder, nach Moçambique und Argentinien. Zum Zeitpunkt des Plebiszits gegen die Diktatur des General Augusto Pinochet traten sie erstmals nach 15 Jahren Exil wieder in der chilenischen Heimat auf. Von den Gründungsmitgliedern der Gruppe Tiempo Nuevo ist heute allein Roberto Rivera dabei. Er ist der musikalische Kopf der Gruppe. Die überwiegende Zahl der Texte, Kompositionen und Arrangements stammen aus seiner Feder.
Tiempo Nuevo nach dem Ende der Diktatur in Chile
In den achtziger Jahren kam es zu ersten, noch geheimen Reisen nach Lateinamerika. Erste Auftritte führten dann 1988 Roberto Rivera, Alejandro Quintana, Patricio Padilla und die Gruppe über Argentinien nach Chile, wo man mit dem Programm: „Rumbo a la Libertad“ („Zielrichtung Freiheit“) mit Texten von Pablo Neruda (1904 bis 1973) Erfolge feierte. Zum Zeitpunkt des Plebiszits gegen die Pinochet Diktatur trat Tiempo Nuevo erstmals nach 15 Jahren Exil wieder in der chilenischen Heimat auf. Die Gruppe griff bei ihrer Rückker in das sich von der Militärdiktatur befreiende Chile auf Texte des grösstem Dichter dieser Nation zurück. Die flammenden Poeme des Nobelpreisträgers wurden in Verbindung mit Liedern der Gruppe zu einem Fanal für das NEIN beim Plebszit über die weitere Herrschaft Pinochets.
1989 entstand dann die Schallplattenproduktion die auf der Arbeit bei der Rückkehr nach Chile beruhte. Das Programm wurde unter dem Namen „Rumbo a la Libertad ... – Ich erkläre dir meine Liebe ...“, in Deutschland bei der Büchergilde Gutenberg in Frankfurt am Main veröffentlicht.
Tiempo Nuevo heute
Noch heute findet sich in Teilen dieser Programme, die Euphorie, die Begeisterung dieser ersten Zeit nach der Rückkehr nach Chile wieder. In aktuellen Projekten wie dem Programm „Canto General – Pablo Neruda“, das Tiempo Nuevo gemeinsam mit Alejandro Quintana aufführt, zeigt sich dies besonders. Der Schauspieler und Regisseur begleitet die Musik der Gruppe dabei mit seinen in rezitativ-musikalisch Form gestalteten Texten.
Über die Jahre hat Tiempo Nuevo die Programme immer wieder aufgenommen, ergänzt und verändert. In den heutigen Fassungen sind sie ein Extrakt der gesamten bisherigen Arbeit der Gruppe und geben nicht nur den geschichtskritischen Charakter der Amerika-Hymnen des Canto General (Der Große Gesang) wieder, sondern spannen auch einen Bogen von den detailverliebten, animistischen und elementare Oden, bis zu den letzten Gedichten, die sich bisweilen schon zur Jahrtausendewende vorausgetastet hatten. Die Lieder der Gruppe reichen, ihrem Entstehungsdatum nach, von jenen letzten, den Gipfel seines Ruhms bedeutenden Jahren des Dichters bis in das Jahr 2000 und darüber hinaus. Sie paraphrasieren, illustrieren und kommentieren das lyrische Werk Nerudas und bilden so die musikalische Seele eines Programms, das zwischen gesprochenem Wort, „europäischen“ Harmonien und lateinamerikanischen Klangfarben und Rhythmen einen beinahe dramatisch zu nennenden Bogen spannt.
Tiempo Nuevo tritt oft mit anderen Künstlern auf. So arbeitet die Gruppe immer wieder eng mit Alejandro Quintana zusammen. Auch die Zusammenarbeit mit der Schauspielerin Cornelia Schmaus ist seit Jahren ein fester Bestandteil der Gruppenarbeit. Seit mehreren Jahren gibt es gemeinsame Auftritte mit Dichtungen aus verschiedene Zeiten und Ländern in speziellen Arrangements.
Die Musik von Tiempo Nuevo setzt die bekannten Traditionen chilenischer und lateinamerikanischer Folklore – Vals, Cumbia, Corrido, Guaracha, usw. – fort. Tiempo Nuevo suchte und fand für sich ein eigenes Profil. Heute führen die Gruppe regelmäßige Tourneen durch Deutschland, Europa und auch Lateinamerika.
Heutige Besetzung von Tiempo Nuevo
Roberto Rivera:
Quena, Gitarre und Gesang;
Luis Gonzales:
Percussion und Gesang;
David Sandoval:
Gitarre, Strings, Gesang;
Carlos Mejía:
Flöten, Gitarre, Charango, Gesang.
Aktuelle Programme der Gruppe
Peña auf Tournee
Pablo Neruda – Canto General
Eduardo Galeano: Erinnerungen an das Feuer
Die Oliven gedeihen – Der Krieg ist vorbei
Lieder aus Lateinamerika