Flugunfall von Smolensk 2010
Flugunfall von Smolensk 2010 | |
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Die Regierungsmaschine vom Typ Tu-154M auf dem Flughafen in Sydney am 27. März 2007 | |
Unfall-Zusammenfassung | |
Unfallart | noch ungeklärt |
Ort | bei Smolensk, ![]() 54° 49′ 31,2″ N, 32° 3′ 10,3″ O |
Datum | 10. April 2010 |
Todesopfer | 96[1][2] |
Überlebende | 0 |
Luftfahrzeug | |
Luftfahrzeugtyp | Tupolew Tu-154 |
Betreiber | Polnische Luftwaffe |
Kennzeichen | 101[2] |
Abflughafen | Frédéric-Chopin-Flughafen Warschau, Warschau, ![]() |
Zielflughafen | Militärflughafen Smolensk-Nord, Smolensk, ![]() |
Passagiere | 89[3][4] |
Besatzung | 7 |
→ Listen von Luftfahrt-Zwischenfällen |
Der Flugzeugabsturz bei Smolensk ereignete sich am 10. April 2010 nahe der russischen Stadt Smolensk. Das Flugzeug der polnischen Regierung, eine Tupolew Tu-154 der polnischen Luftstreitkräfte, verunglückte während des Landeanfluges bei dichtem Nebel auf den Militärflughafen Smolensk-Nord, wobei keiner der Flugzeuginsassen überlebte.[5] Offiziellen Angaben zufolge waren insgesamt 96 Menschen an Bord,[6][7] darunter Polens Staatspräsident Lech Kaczyński, zahlreiche Abgeordnete des höchsten polnischen Parlaments, hochrangige Führungspersonen der polnischen Armee[8] sowie Angehörige von Opfern des Massakers von Katyn. Das Reiseziel der Delegation war eine geplante Gedenkfeier nahe dem russischen Dorf Katyn anlässlich des 70. Jahrestages des Massakers.
Hergang

Das Flugzeug startete um 07:23 Uhr MESZ (05:23 UTC) in Warschau und stürzte um 10:56 Uhr Ortszeit (06:56 UTC) in einem Waldstück zwischen der Siedlung Petschorsk und der Stadt Smolensk in Westrussland ab.[9] Die Unfallursache wird derzeit noch untersucht. Die Präsidentenmaschine befand sich, von Warschau kommend, bei dichtem Nebel im Landeanflug auf den Militärflughafen Smolensk-Nord (ICAO-Code XUBS).[10] Wegen der schlechten Sichtverhältnisse hatten die russischen Behörden den Piloten eine Landung in Minsk empfohlen, diese entschieden sich jedoch gegen eine Änderung des Zielflughafens und starteten mehrere Landeanflüge, die allesamt misslangen.[11] Kurz zuvor hatte sich bereits der Pilot eines anderen Flugzeugs nach zwei erfolglosen Landeversuchen zur Umkehr entschlossen.[12] Der Absturz der Präsidentenmaschine ereignete sich schließlich beim Anflug des vierten Landeversuches.[13] Nach Aussage des Gouverneurs der Oblast Smolensk, Sergei Antufjew, streifte das Flugzeug Baumwipfel und zerbrach beim Aufprall in mehrere Teile. Das Flugzeug ging nach dem Absturz in Flammen auf und brannte aus.[5] Beide Flugschreiber wurden bereits am Nachmittag des 10. April geborgen und werden ausgewertet, um den Hergang des Absturzes zu rekonstruieren.[14]
Flugzeug und Avionik
Bei dem abgestürzten Flugzeug handelte es sich um eine Tupolew Tu-154M der polnischen Luftwaffe mit dem Luftfahrzeugkennzeichen 101. Es war eine von zwei Tu-154M im 36. Spezialfliegerregiment (36 Specjalny Pułk Lotnictwa Transportowego). Die Maschine trug linksseitig die Aufschrift „Rzeczpospolita Polska“, rechts „Republic of Poland“ (deutsch: Republik Polen). Sie machte am 29. Juni 1990 ihren Erstflug und war mit drei Triebwerken vom Typ Solowjow D-30 KU-154-II ausgestattet.[15] Das Flugzeug hatte 5004 Flugstunden sowie 1823 Starts und Landungen absolviert und war 2009 generalüberholt worden.[16]
Zur Avionik der Maschine gehörte ein Instrumentenlandesystem ILS, welches jedoch inkompatibel zu dem in Smolensk-Nord eingesetzten russischen System PRMG ist. [17] Ein Schwesterflugzeug gleicher Bauart mit dem Kennzeichen 102 hatte seinen Erstflug am 20. Dezember 1990.
Der Staatspräsident als Flugpassagier
Im August 2008 lehnte ein Pilot eines der beiden Flugzeuge es ab, direkt in Georgiens Hauptstadt Tiflis zu landen und entschied, aufgrund der unsicheren Lage während des gerade ausgebrochenen russisch-georgischen Kriegs um Südossetien, in Gəncə in Aserbaidschan zu landen.[18] Lech Kaczyński warf ihm daraufhin Befehlsverweigerung vor.[19][20]
Todesopfer




Nach Aussage Antufjews gab es keine Überlebenden.[21] Unter den 89 Passagieren befanden sich neben dem polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczyński seine Ehefrau, weitere polnische Politiker und hochrangige Repräsentanten des Landes. Die Delegation war auf dem Weg zu einer Gedenkfeier anlässlich des siebzigsten Jahrestages des Massakers von Katyn. Angehörige und Hinterbliebene von Todesopfern des Massakers waren ebenfalls an Bord des Flugzeugs. Zu den weiteren Opfern zählen 7 Besatzungsmitglieder. Unter anderem handelt es sich bei den Opfern um:[7]
Politische Führung
- Lech Kaczyński, Präsident Polens und Mitbegründer der nationalkonservativen Partei Prawo i Sprawiedliwość
- Krystyna Bochenek, polnische Senatorin und stellvertretende Senatspräsidentin
- Leszek Deptuła, Abgeordneter im Sejm
- Grzegorz Dolniak, Abgeordneter im Sejm
- Janina Fetlińska, polnische Senatorin
- Grażyna Gęsicka, Ministerin und Abgeordnete im Sejm
- Przemysław Gosiewski, Abgeordneter im Sejm
- Mariusz Handzlik, Unterstaatssekretär
- Izabela Jaruga-Nowacka, Vorsitzende der Unia Pracy und Abgeordnete im Sejm
- Sebastian Karpiniuk, Abgeordneter im Sejm
- Stanisław Jerzy Komorowski, Vize-Verteidigungsminister
- Andrzej Kremer, stellvertretender Außenminister
- Tomasz Merta, Unterstaatssekretär und Vize-Kulturminister
- Aleksandra Natalli-Świat, Abgeordnete im Sejm
- Maciej Płażyński, ehemaliger Abgeordneter im Sejm
- Krzysztof Putra, stellvertretender Sejmmarschall
- Arkadiusz Rybicki, Abgeordneter im Sejm
- Wladyslaw Stasiak, Leiter der Präsidentenkanzlei
- Aleksander Szczygło, Chef des Büros für nationale Sicherheit und ehemaliger Verteidigungsminister
- Jerzy Szmajdziński, stellvertretender Sejmmarschall und ehemaliger Verteidigungsminister
- Jolanta Szymanek-Deresz, Abgeordnete im Sejm
- Zbigniew Wassermann, Abgeordneter im Sejm und ehemaliger Geheimdienstminister
- Wiesław Woda, Abgeordneter im Sejm
- Edward Wojtas, Abgeordneter im Sejm
- Paweł Wypych, Staatssekretär
- Stanisław Zając, polnischer Senator
Militärische Führung
- Andrzej Błasik, Kommandeur der Polnischen Luftstreitkräfte
- Tadeusz Buk, Befehlshaber des Heeres
- Franciszek Gągor, Chef des Generalstabs
- Kazimierz Gilarski, Brigadegeneral, Oberbefehlshaber der Garnison Warschau
- Andrzej Karweta, Oberbefehlshaber der polnischen Marine
- Stanisław Komornicki, Brigadegeneral, Kanzler des Ordens Virtuti Militari
- Bronislaw Kwiatkowski, Chef des Operationskommandos der Armee
- Wlodzimierz Potasinski, Chef der militärischen Sondereinheiten
- Jan Osinski, Vizekanzler des Militärordinariats
- Tadeusz Płoski, Generalmajor, römisch-katholischer Militärbischof der Polnischen Streitkräfte
- Miron Chodakowski, Brigadegeneral, Erzbischof der Polnisch-Orthodoxen Kirche in Polen und orthodoxer Militärbischof
- Adam Pilch, Oberst, stellvertretender evangelischer Militärbischof
Weitere Opfer
- Ryszard Kaczorowski, letzter Staatspräsident der polnischen Exilregierung
- Maria Kaczyńska, Ehefrau des polnischen Präsidenten Lech Kaczyński
- Janusz Krupski, Direktor des Urząd do Spraw Kombatantów i Osób Represjonowanych
- Janusz Kurtyka, polnischer Historiker und Präsident des Instituts für nationales Gedenken
- Piotr Nurowski, Präsident des Polnischen Olympischen Komitees
- Ryszard Rumianek, Rektor der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität
- Andrzej Sariusz-Skąpski, Präsident des Verbandes der Opferangehörigen von Katyn
- Sławomir Skrzypek, Präsident der polnischen Zentralbank
- Anna Walentynowicz, Heldin der historischen Streikbewegung auf der Danziger Werft 1980 und Mitglied der Gewerkschaft Solidarność
- Janusz Zakrzeński, polnischer Schauspieler


Weltweit kondolierten Staatsoberhäupter und Minister zum Unglück.[22] Polens Ministerpräsident Donald Tusk kündigte eine Krisensitzung an,[23] im gesamten Land wurde eine einwöchige Staatstrauer angeordnet. In Warschau versammelten sich tausende Trauernde, um vor dem Präsidentenpalast Blumen niederzulegen und gemeinsam zu beten.[24] Lech Kaczyńskis Amtsvorgänger Aleksander Kwaśniewski sprach in einer ersten Reaktion die Tragweite des Unglücks an und zog angesichts der zahlreichen hochrangigen verunglückten Persönlichkeiten den direkten Vergleich mit dem Massaker von Katyn:
„Das ist ein verfluchter Ort. 1940 war dort die Elite des Vorkriegspolens ermordet worden, jetzt starb dort die Elite der Dritten Republik.“
Der russische Präsident Dmitri Medwedew teilte mit, dass er eine Untersuchungskommission unter dem Vorsitz von Wladimir Putin für den Flugzeugabsturz aufgestellt habe.[20] Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.[26]
Der deutsche Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der sich zur Unfallzeit im Rahmen einer Afrikareise in Kapstadt aufhielt, nahm zu dem Unglück kurz Stellung:
„Wir sind tief betroffen vom Tod des polnischen Präsidenten, seiner Frau und mutmaßlich weiteren Mitgliedern der Regierung. Wir sind in tiefem Mitgefühl bei den Angehörigen und allen Opfern dieser Katastrophe. Wir sind schockiert von dieser Nachricht und voller Trauer. Wir trauern mit dem polnischen Volk, unserem Nachbarvolk. Wir verlieren Persönlichkeiten, auf die Europa bauen konnte, wenn es darauf ankam. Dies ist vor allen Dingen für Deutschland als Nachbarland ein Moment, wo wir inne halten, wo wir trauern, wo wir unser Mitgefühl zum Ausdruck bringen. Das ganze deutsche Volk steht in dieser schweren Stunde tief verbunden an der Seite Polens.“[27]
Neben dem deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler[28] zeigte sich auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bestürzt.[29]
Der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer sprach ebenfalls seine Anteilnahme aus. Fischer sei „zutiefst erschüttert und betroffen“ vom Ableben seines Amtskollegen. Er habe „viele Begegnungen“ mit Kaczyński gehabt.[30]
Die Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard reagierte ebenfalls mit Bestürzung und sprach den Familien der Gestorbenen, dem polnischen Volk, dem polnischen Parlament und den Behörden im Namen der Schweizer Bevölkerung ihre Anteilnahme aus.[31]
Auswirkungen auf die Politik Polens
Parlamentspräsident Bronisław Komorowski hat entsprechend Artikel 131 der polnischen Verfassung bis zur Wahl eines neuen Präsidenten die Kompetenzen des Präsidenten übernommen. Er muss innerhalb von 14 Tagen Neuwahlen anberaumen, die innerhalb von 60 Tagen stattfinden müssen.[32] Ursprünglich waren die Präsidentschaftswahlen für Oktober 2010 vorgesehen, neben Amtsinhaber Kaczyński kam mit dem Sozialdemokraten Jerzy Szmajdziński ein weiterer Bewerber für das Präsidentenamt ums Leben.[33]
Unter den Opfern des Flugunfalls sind auch zwei Vizepräsidenten und zwölf weitere Abgeordnete des Sejms sowie ein Vizepräsident und zwei weitere Mitglieder des Polnischen Senats.
Weblinks
- Flugunfalldaten und -bericht im Aviation Safety Network (englisch)
- Prezydenckim Tu-154 leciały najważniejsze osoby w państwie (polnisch), Liste der Todesopfer, teilweise mit Bildern
- Spiegel Online, 10. April 2010, 14:00 Uhr
- ARD-Brennpunkt: Polen in Trauer, 10. April 2010, 20:15 Uhr
- Bilder der Absturzstelle
Einzelnachweise
- ↑ AP Top News at 7:28 a.m. EDT. 10. April 2010, abgerufen am 10. April 2010 (englisch).
- ↑ a b David Kaminski-Morrow: Polish president killed in Tu-154 crash. Flightglobal, 10. April 2010, abgerufen am 10. April 2010 (englisch).
- ↑ http://www.mswia.gov.pl/portal/pl/2/8365/Lista_pasazerow_i_zalogi_samolotu_TU154.html
- ↑ http://wyborcza.pl/1,75248,7752563,Prezydenckim_Tu_154_lecialy_najwazniejsze_osoby_w.html
- ↑ a b Polens Präsident Kaczynski stirbt bei Flugzeugunglück. In: derStandard.at vom 10. April 2010
- ↑ The Aviation Herald – Polish Air Force T154 at Smolensk on Apr 10th 2010 (englisch) abgerufen am 10. April 2010
- ↑ a b Passagiersliste auf der offiziellen Webseite des Präsidenten der Republik Polen (polnisch), abgerufen am 10. April 2010
- ↑ Online-Ausgabe der Zeit: Polen erstarrt in Trauer
- ↑ Polish president killed in plane crash. In: CNN vom 10. April 2010
- ↑ Polens Präsident bei Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Thomson Reuters, 10. April 2010, abgerufen am 10. April 2010.
- ↑ n-tv Nachrichten, 10. April 2010, 18.00 Uhr.
- ↑ Katastrophe in Russland Absturz beim vierten Landeversuch. In: sueddeutsche.de vom 10. April 2010
- ↑ Crash beim vierten Landeversuch. Spiegel Online, 10. April 2010, abgerufen am 10. April 2010.
- ↑ Prezydent Lech Kaczyński nie żyje. Katastrofa samolotu w Smoleńsku [RELACJA. In: gazeta.pl vom 10. April 2010
- ↑ Accident description Tupolew 154M Smolensk Airport. Aviation-safety.net, 10. April 2010, abgerufen am 10. April 2010 (englisch).
- ↑ Prezydencki Tu-154M miał wylatane 5004 godziny, wykonał 1823 lądowania, Gazeta.pl, 10. April 2010 (polnisch).
- ↑ "Landing systems’ incompatibility may have caused the crash" – military analyst. Russia Today, 10. April 2010, abgerufen am 11. April 2010 (englisch).
- ↑ Пилот отказался сажать в Тбилиси самолет с президентами. В Грузию они добирались через Азербайджан. newsru.com, 12. August 2008, abgerufen am 10. April 2010 (russisch).
- ↑ Polen verliert Großteil von Führungselite, Österreichischer Rundfunk, 10. April 2010
- ↑ a b Putin kündigt rasche Aufklärung an, n-tv, 10. April 2010
- ↑ Marina Sokolova (AFP): Polish president killed in Russia plane crash. 10. April 2010, abgerufen am 10. April 2010 (englisch).
- ↑ World leaders pay tribute to Polish leader. Cable News Network, 10. April 2010, abgerufen am 10. April 2010 (englisch).
- ↑ Polens Präsident bei Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Thomson Reuters, 10. April 2010, abgerufen am 10. April 2010.
- ↑ In der Trauer vereint. sueddeutsche.de GmbH, 11. April 2010, abgerufen am 11. April 2010.
- ↑ Analyse: Bei Absturz stirbt «Elite der Nation». ZEIT ONLINE, 10. April 2010, abgerufen am 11. April 2010.
- ↑ Trauer um Kaczynski eint Polen und Russland. FOCUS Online, 11. April 2010, abgerufen am 11. April 2010.
- ↑ Deutschland trauert mit Polen. Auswärtiges Amt, 10. April 2010 .
- ↑ Präsidentenmaschine verunglückt in Russland. Polens Präsident stirbt bei Flugzeugabsturz. Norddeutscher Rundfunk, 10. April 2010, abgerufen am 10. April 2010.
- ↑ Flugzeugabsturz: Bestürzung über Kaczynskis Tod. Focus Online, 10. April 2010, abgerufen am 10. April 2010.
- ↑ Europas Politiker bestürzt. derStandard.at GmbH, 10. April 2010, abgerufen am 11. April 2010.
- ↑ Bundespräsidentin Leuthard kondoliert Polen. Tages-Anzeiger Online / Newsnetz, 10. April 2010, abgerufen am 11. April 2010.
- ↑ Komorowski: przejmuję obowiązki, wybory w ciągu 74 dni, Wirtualna Polska, 10. April 2010 (polnisch).
- ↑ Corinna Nohn: Die “Elite der Nation”. sueddeutsche.de GmbH, 10. April 2010, abgerufen am 11. April 2010.