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Gagausen

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Die Gagausen (gagausisch: Gagauz, pl. Gagauzlar oder Gagavuz, pl. Gagavuzlar; russ. Гагаузы [= Gagauzy]) sind ein Turkvolk, welches überwiegend im Gagauz-Yeri (Land der Gagausen) in Moldawien lebt. Sie zählen heute zur südwestlichen oder oghusischen Gruppe der Turkvölker [1]. Die Gagausen sprechen Gagausisch, eine Sprachvarietät des anatolischen Türkisch, und benutzen mehrheitlich das kyrillische Alphabet ihrer jeweiligen Heimatländer, in Gagausien setzt sich jedoch seit Mitte der 90er Jahre das Lateinische Alphabet immer mehr durch.[2][3]

Geschichte

Vor tausend Jahren kamen Teile der türkischen Stämme der Oghusen und Petschenegen und anderer alttürkischer Stämme vom Altaigebirge über das Schwarze Meer zum Balkan. Im 12. Jahrhundert gründeten die Gagausen ein Land mit dem Herrscher Balik Bey. Nach seinem Tode kam 1386 Yanko (Ivanko) an die Führerschaft. 1417 kam der Balkan unter Osmanische Herrschaft. Bei den Osmanen genossen sie einen Autonomiestatus. Durch den Druck der Bulgaren siedelten die Gagausen 1750 nach Russland ab. 1769-1791 gingen sie zum Gebiet der Donau und 1801-1820 wanderten sie nach Bessarabien aus. 1906 riefen sie im heutigen Siedlungsgebiet die Komrat Republik aus, welche nur 15 Tage alt wurde. Sie lebten unter osmanischer, russischer, rumänischer und moldawischer Herrschaft. Im Zweiten Weltkrieg wurden sehr viele Gagausen aus der Region deportiert und verloren ihr Leben. Nach Gründung der Moldauischen Sozialistischen Sowjetrepublik lebten 80% der Gagausen in diesem Gebiet, 20% lebten in Bulgarien und in der Ukraine. Das Siedlungszentrum der Gagausen ist die autonome Republik Gagausien. Am 23. April 1994 gab die moldawische Regierung grünes Licht für die friedlichen Territorialautonomiebestrebungen der Gagausen. Seit 1999 ist der Präsident Dimitri Kroytor. Im gagausischen Dorf Beşelma („Fünf-Äpfel“) befindet sich das Nationale Museum für Gagausische Geschichte und Ethnographie, welches von Dimitri Karaçoban gegründet wurde. Es bestehen gute Verbindungen zwischen Gagausien und den Türkei-Türken.

Herkunft

Flagge der Gagausen

Zur Abstammung der Gagausen existieren 4 Theorien:

  1. Die Gagausen stammen von den Oghusen, der staatstragenden Schicht im osttürkischen Reich, oder dem Turkvolk der Kumanen aus Zentralasien ab. Der Volksname stammt von Gökoğuz und entwickelte sich zu Gagaoğuz und Gagavuz. Von den Bulgaren übernahmen sie den orthodoxen christlichen Glauben. Ein Großteil der im 12. und 13. Jahrhundert eingewanderten Kumanen waren jedoch Muslime.
  2. Die Gagausen stammen von anatolischen Türken ab, die im 13. Jahrhundert dem Ex-Sultan der Rum-Seldschuken İzzeddin Keykavus II. in der Führung von Sarı Saltuk gefolgt sind und sich in der Dobrudscha und ihrer Umgebung niedergelassen haben. Der Name Gagavuz stammt von Keykavuz, doch der Ex-Sultan und die meisten seiner Anhänger verließen die Dobrudscha nach wenigen Jahren wieder.
  3. Die Gagausen sind bulgarischstämmig, die sich mit den alttürkischen Stämmen vermischten und türkisiert wurden, aber ihr orthodoxes Bekenntnis beibehielten.
  4. Die Gagausen sind griechischstämmig, die aber ihr orthodoxes Bekenntnis beibehielten. In der Griechischen Etymologie wird vielfach die Bezeichnung „Gagausien-türksprachigen Griechen“ (griechisch: Γκαγκαούζoι-τουρκόφωνoι Έλληνες, Gagaoúzi-tourkófoni Éllines) verwendet. Diese Theorie wird von griechischer Seite vertreten.

Möglich ist auch eine Verschmelzung mehrerer Herkunftslinien, da jede Theorie für sich allein den Mangel eines anzahlmäßig eigentlich fast zu kleinen Grundstammes aufweist.

Religion

Die Gagausen bekennen sich mehrheitlich zum orthodoxen Christentum. Eine kleine Minderheit bekennt sich zum Islam.

Siedlungsgebiet

Es wird geschätzt, dass es weltweit etwa 230.000 Gagausen gibt.[4] 1991 lebten ca. 215.000 Gagausen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion; bei der Volkszählung 1990 waren dies noch 198.000 und 1979 173.000.[5]

Land Anzahl der gagausischen Einwohner Anmerkungen
Moldau Republik Moldau 171.000 (2005) Autonomer Status in Gagausien.
Ukraine Ukraine 31.900[6] Gagausisch-Sprecher im Südwestzipfel der Ukraine, im Gebiet von Ismajil.
Griechenland Griechenland 30.000[7] Zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Südostmazedonien. Vorwiegend orthodoxe Christen und wenige Muslime. Die meisten leben heute in der Region Evros/Mariza/Meric in athen und in Thessaloniki. in den 60er Jahren sind einige nach Deutschland und in die Niederlande ausgewandert.
Turkei Türkei 15.000[8] Stamm der Surguchen in der Region Edirne. Vorwiegend Muslime.
Russland Russland 12.200[9] Besonders erwähnenswert in Kabardino-Balkarien
Rumänien Rumänien 3.000[10] Gagausisch-Sprecher in der Dobrudscha (z.B. in Vama Veche, aber auch im äußersten Norden der Region)
Kasachstan Kasachstan 700[11] Isolierte gagausische Streusiedlungen
Bulgarien Bulgarien 540 (2005)[10] Im Nordosten Bulgariens (bei Warna und in der Dobrudscha).

Sprache und Literatur

Siehe: Gagausische Sprache

Neben Gagausisch (Türkisch) sprechen die meisten Volksangehörigen auch Moldauisch und Russisch.[12] Gagausisch ist sehr nah mit dem osmanischen Türkisch verwandt, so dass Turkologen Gagausisch als türkischen Dialekt identifiziert haben.[13][2][3]

Lange Zeit besaßen die Gagausen keine eigene Literatur. Zu diesen Zeiten, als die Gagausen über keine eigene Schriftsprache verfügten, griff die Griechische Kirche auf die Bücher der ebenfalls türkischsprachigen Karamanlı zurück. Das sind mittels griechischem Alphabet in türkischer Sprache verfasste kirchliche Bücher.[14] Die schriftliche gagausische Literatur begann im 20. Jahrhundert. Moškov schrieb 1904 eine Schrift über gagausische Sprichwörter und Lieder für Wilhelm Radloffs Sammlung der Volksliteratur der türkischen Stämme. Der gagausische Priester Ciachir veröffentlichte danach ein Wörterbuch und Übersetzungen religiöser Texte wie der Bibel, orthodoxer Liturgie und Heiligenlegenden. Als Autoren von Fibeln, Lese- und Grammatikbüchern taten sich Ä. Tukan, Ivan Čakir, Nikolaj Tanasoglu hervor. Weitere bedeutende gagausische Lyriker sind Dionis Tanasoglu, Ilja Kalpakči, Nikolaj Arabadži, Fedor Angeli, Nikolaj Tufar. 1959 erschien die Anthologie „Stimmen aus dem Budžak“. Erzählungen, Gedichte, Essays konnten als gagausische Beilagen moldauischer Zeitungen veröffentlicht werden.[12]

Eine gagausische Schriftsprache wurde erst 1957 kodifiziert. Das Präsidium des Obersten Sowjets der Moldauischen SSR legte 1957 Regeln der gagausischen Grammatik fest. Als Schriftsprache wurde das russische Alphabet mit einigen zusätzlichen speziell für das Gagausische entwickelten Buchstaben eingeführt.[12] Im darauf folgenden Jahr 1958 wurde der Schulunterricht in gagausischer Sprache eingeführt.[14]

1964 erschien eine Grammatik des Gagausischen in russischer Sprache erarbeitet von Ljudmila Podrovskaja und 1973 veröffentlichte die Akademie der Wissenschaften in der Moldauischen SSR das erste gagausisch-russisch-moldauisch-Wörterbuch mit 11.500 Worten.[12]

Literatur

  • Nikolai Dmitriev Gagausische Lautlehre in Archiv Orientalni, iv (1932) und v (1933)
  • Dimitrios, Alexanrou: Ekdosis Erodios, Thessaloniki (2005).
  • Doğru, A, İ. Kaynak, (1991). Gagauz Türkçesinin Sözlüğü (Wörterbuch des gagausischen Türkisch), Ankara.
  • Gagauzsko-Russko-Moldavskiy Slovar, Moskva 1973.
  • Rudolf Grulich: Die Gagausen. In: Glaube in der 2. Welt, 12 (1984) 12 S. 15-16
  • Grulich, in: Europa Ethnica, 1989/46: 81
  • Güngör, H., M. Argunşah, (1991). Gagauz Türkleri (Gagausische Türken), Tarih-Dil- Folklor ve Halk Edebiyatı, Ankara.
  • Manov, Atanas, (2001). Gagauzlar Hırıstiyan Türkler ( Christliche Türken), Ankara.
  • Menz, Astrid, (1999). Gagausische Syntax Eine Studie zum kontakinduzierten Sprachwandel. Wiesbaden. Harrasowitz Turkologica, 41
  • V. Moškov Mundarten der bessarabischen Gagauzen in Proben der Volksliteratur der türkischen Stämme, x, St. Petersburg 1904
  • Özkan, N., (1996). Gagavuz Türkçesi Grameri (Grammatik des gagausischen Türkisch), Ankara.
  • Pokrovskaya, L. A. (1964). Grammatika Gagauzskogo Yazıka, Fonetika i Morfologiya, Moskva.
  • Paul Wittek Yazijioghlu Ali on the Christian Turks of the Dobruja in Bulletin of the School of Oriental and African Studies xiv, 1952

Einzelnachweise

  1. http://www.orientalistik.uni-mainz.de/turkologie.html Turkologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz
  2. a b Halil İnalcık Devlet-i Aliyye, 2009, Übersetzung von The Ottoman Empire, The Classical Age, 1300-1600, S. 8
  3. a b Jan J. Blezinger Die Republik Moldau, S. 155
  4. Harald Haarmann (2004): Kleines Lexikon der Völker, Verlag C. H. Beck, München, S. 122
  5. Grotzky, Johannes (1991): Konflikte im Vielvölkerstaat, Piper, München
  6. Ukrainian Census 2001
  7. Ethnic groups worldwide, David Levinson
  8. [1]
  9. 2002 Russian census
  10. a b http://www.nccedi.government.bg/page.php?category=83&id=247 Bulgarian Census 2001]
  11. [2]
  12. a b c d Grulich Die Gagausen, G2W, S. 16
  13. Grulich Die Gagausen, G2W, S. 15
  14. a b Wlodzimierz Zajaczkowski Gagauz in Encyclopaedia of Islam