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Umtauschparadoxon

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Das Umtauschparadoxon (oder Briefumschlagparadoxon) beschreibt die paradoxe Situation, dass es bei Kenntnis des Wertverhältnisses zwischen zwei Alternativen und nachdem der Wert einer der Alternativen eröffnet worden ist, stets sinnvoll erscheint, vom angebotenen Umtauschrecht Gebrauch zu machen. Das Paradoxon hinterfragt das naive Rechnen mit Erwartungswerten. Oberflächlich betrachtet hat es Ähnlichkeit mit dem Ziegenproblem (Wechseln oder nicht wechseln?), verlangt aber inhaltlich eine ganz andere Behandlung.

Die Umtauschsituation

Nehmen wir an, Herr Lemke ist ein Gönner von Herrn Schmidt. Die Sekretärin von Herrn Lemke hat zwei gleich aussehende Briefumschläge genommen und in den einen einen Geldbetrag x hinein getan. In den anderen Briefumschlag hat sie den doppelten Betrag hineingetan. Von außen sehen beide Briefumschläge völlig gleich aus. Am Abend treffen sich Herr Lemke und Herr Schmidt auf einer Party. Herr Lemke legt beide Briefumschläge auf einem Tisch ab. Andere Partygäste bringen die Briefumschläge durcheinander. Zur fortgeschrittenen Stunde – man hat schon etwas getrunken – zeigt Herr Lemke die beiden Briefumschläge Herrn Schmidt mit den Worten: „In beiden Briefumschlägen befindet sich ein Geldbetrag, in dem einen doppelt so viel wie im anderen. Ich weiß aber nicht, in welchem wie viel ist. Sie dürfen einen Umschlag öffnen und dann entscheiden, ob Sie die beiden Umschläge austauschen und den anderen nehmen möchten.“ Herr Schmidt ergreift zufällig einen der beiden Umschläge, findet zum Beispiel 100 Euro und überlegt: „Ich habe in diesem Umschlag 100 Euro. Wenn ich tausche, habe ich mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% 200 Euro und mit der gleichen Wahrscheinlichkeit 50 Euro. Dies macht einen Erwartungswert von 125 Euro.“

Lohnt sich das Tauschen?

Das Paradoxon

Ausgangslage

Einer Person werden zwei Umschläge mit Geld präsentiert. In einem der Umschläge befindet sich doppelt so viel Geld wie im anderen, die Person erfährt aber weder, um wieviel Geld es sich handelt, noch welcher der Umschläge den größeren Geldbetrag enthält. Beide Umschläge sind verschlossen, ihnen ist ihr Inhalt auch sonst nicht anzusehen.

Erster Schritt

Im ersten Schritt darf die Person nun einen der der beiden verschlossenen Umschläge auswählen und behalten. In dieser Situation ist es offensichtlich völlig egal, welcher der Umschläge ausgewählt wird. Die Wahrscheinlichkeit, den größeren Betrag zu bekommen ist genau 50%, sofern der zu öffnende Umschlag entsprechend zufällig ausgewählt wird.

Zweiter Schritt

Im zweiten Schritt darf die Person den gewählten Umschlag öffnen, den darin enthaltenen Geldbetrag ansehen und danach entscheiden, ob sie doch lieber den anderen (noch verschlossenen) Umschlag nehmen möchte. Nehmen wir an, der geöffnete Umschlag enthält x=100 Euro. Lohnt es sich für die Person, zu tauschen? Die Person stellt nun folgende Plausibilitätsüberlegung an: Wie eben erwähnt, sind die Wahrscheinlichkeiten für das Auffinden des größeren Betrages und für das Auffinden des kleineren Betrages jeweils 0.5. Der Erwartungswert für den Inhalt des anderen, nicht geöffneten Umschlages ist demnach

Im Durchschnitt gewinne ich also, wenn ich stattdessen den anderen Umschlag nehme. Nun ist diese Überlegung aber völlig unabhängig davon, welchen Betrag ich tatsächlich im zuerst geöffneten Umschlag finde. Sind es x Euro, dann ist der Erwartungswert für den Inhalt des zweiten Umschlags . Daraus folgt, dass ich den zuerst gewählten Umschlag gar nicht zu öffnen brauche. Ganz egal, welchen Betrag ich darin finden würde, der Erwartungswert für den Betrag im anderen Umschlag ist immer . Nachdem ich also den zuerst gewählten Umschlag nicht geöffnet habe, lege ich ihn wieder hin, nehme stattdessen den anderen Umschlag in die Hand und erwarte darin im Durchschnitt . Mit dem gleichen Argument wie eben lege ich auch diesen Umschlag wieder hin, weil ja nun der Erwartungwert für den Inhalt des ersten Umschlags ist. Das kann ich so lange wiederholen, bis ich einen beliebig hohen Betrag in meinem gewählten Umschlag erwarten kann.

Paradoxe Folgerung

Dieses Ergebnis ist paradox, weil es zum einen im Widerspruch zum ersten Schritt steht und zum anderen ermöglichen würde, durch einfaches Aufnehmen und Wiederhinlegen der Umschläge beliebige Geldsummen zu generieren. Die Überlegungen aus dem zweiten Schritt enthalten also einen Denkfehler.

Die Auflösung des Paradoxons

Die Annahmen über die Wahrscheinlichkeiten im ersten und im zweiten Schritt sehen auf den ersten Blick gleichartig aus, tatsächlich sind sie es aber nicht. Im ersten Schritt werden die Wahrscheinlichkeiten für eine Zufallsvariable mit folgenden möglichen Ergebnissen betrachtet:

  • k: Ich wähle zuerst den Umschlag mit dem kleineren Geldbetrag
  • g: ich wähle zuerst den Umschlag mit dem größeren Geldbetrag

Unser Wahrscheinlichkeitsmodell lautet sinnvollerweise: und . Sei der kleinere der beiden Geldbeträge in den Umschlägen. Dieser Wert sei im folgenden als Grundbetrag bezeichnet. Er wird als unbekannt, aber vorgegeben betrachtet, weil wir über seine Entstehung nichts wissen und er mit Beginn der Betrachtung bereits festgelegen hat. Sei X die Zufallsvariable für den Geldbetrag im zuerst geöffneten Umschlag. Es gilt

Der Erwartungswert von X ist

Nachdem dieser Zufallsvorgang abgeschlossen ist, finden wir (im zweiten Schritt) im zuerst gewählten Umschlag einen Betrag x, dessen Wert durch den oben genannten Zufallsvorgang bestimmt wurde. Wir wissen aber nicht, ob tatsächlich oder gilt, also ob x der kleinere oder der größere Betrag ist. Beide Möglichkeiten sind nachträglich gleichermaßen plausibel, weil unser Auswahlprozeß W ebenfalls gleiche Wahrscheinlichkeiten hat. Ihnen wird also wiederum jeweils eine Wahrscheinlichkeit von 0.5 zugeordnet. Die im zweiten Schritt des Paradoxons vorgenommene Berechnung verwendet nun eine Zufallsvariable

mit dem vermeintlichen Erwartungswert

Diese Berechnung ist aber fehlerhaft, weil wir x hier wie eine Konstante verwenden. Tatsächlich nimmt aber x bei unseren Berechnungen mal den Wert 2n und mal den Wert n an, wie wir an der Definition der Zufallsvariablen erkennen können. Diesen Fehler können wir nur ausmerzen, indem wir x ersetzen:

Die korrekte Berechnung des Erwartungswerts liefert uns also keinerlei Informationsgewinn, es kommt einfach das gleiche heraus, wie bei E(X). Der Tausch lohnt sich also nicht.

Diesen Sachverhalt kann man sich auch auf andere Weise verdeutlichen: Betrachten wir korrekt n als gegeben, dann gibt es zwei mögliche Szenarien, nämlich und .

  • Falls tatsächlich ist, dann muss sein. Mit der ursprünglichen (und falschen) Formel für erwarten wir jedoch mit gleichen Wahrscheinlichkeiten oder . In Wrklichkeit tritt aber immer nur der erste Fall auf.
  • Falls tatsächlich ist, dann muss sein. Mit der Formel erwarten wir dagegen mit gleichen Wahrscheinlichkeiten oder . In Wirklichkeit tritt aber nur der zweite Fall auf.

Betrachten wir nur diejenigen Fälle, die tatsächlich auftreten können, so landen wir wieder bei und , sowie einem Erwartungswert (beide Fälle werden wieder als gleich plausibel angesehen), während wir in den nicht auftretenden Fällen einmal glauben, Euro zu verlieren, bzw. im anderen Fall Euro zu gewinnen. Beziehen wir diese unzulässigerweise mit ein, so wird der Erwartungswert größer, weil wir im negativen Fall weniger Geld verlieren würden als wir im positiven Fall gewinnen würden.

Anwendung des Indifferenzprinzips

Die oben gefundene Auflösung des Paradoxons mag insofern unbefriedigend erschheinen, als in der Lösung der von uns beobachtete Wert x überhaupt nicht mehr auftaucht. Dabei war ja gerade die Tatsache, dass wir x kennen der Ausgangspunkt für unsere Überlegungen. Dahinter steht die Annahme, x müsste irgendwie auf n einwirken und damit einen Einfluss auf y haben. Im obigen Beispiel ist es aber so, dass n fest vorgegeben ist und nur die Auswahl der Briefumschläge (beschrieben durch die Zufallsvariable W) zufällig ist. W wirkt sowohl auf X als auch auf Y. Wenn jedoch tatsächlich n irgendwie von x abhängen soll, dann müssen wir n als Ergebnis einer weiteren Zufallsvariablen, nennen wir sie Z, betrachten. Damit ändert sich auch die Definition der bedingten Zufallsvariablen Y für gegebenen Wert x (erster Umschlag wurde schon geöffnet):

Um in diesem Falle Wahrscheinlichkeiten für Y zu berechnen, müssen wir die Wahrscheinlichkeiten für Z kennen. Nehmen wir an, wir hätten x=100 im ersten Umschlag gefunden. Es muss also entweder Z=100 oder Z=50 realisiert worden sein. An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, das sogenannte Indifferenzprinzip anzuwenden, das uns nahelegt, verschiedene Fälle für gleich wahrscheinlich zu halten, die sich zufällig ergeben können, und über die wir vermeintlich sonst nichts wissen. Im vorliegenden Fall sind es die bedingten Wahrscheinlichkeiten und , die durch Anwendung des Indifferenzprinzips auf 0.5 gesetzt werden. Als Erwartungswert erhalten wir wie in der ursprünglichen Formulierung des Paradoxons

Falls das Wahrscheinlichkeitsmodell korrekt wäre, würde sich das Tauschen lohnen, solange wir beobachten (anders als in der ersten Version, die einen Tausch unabhängig von x nahezulegen scheint). In dieser Variante des Umtauschparadoxons liegt das Problem darin, dass die von uns angewendete Indifferenz bezüglich der Wahrscheinlichkeiten nicht bedeutet, wir hätten keinerlei zusätzliche Informationen. Im Gegenteil bedeutet jedes explizite Wahrscheinlichkeitsmodell zusätzliche Information. Diese zusätzliche Information ist es auch ,die zu einem anderen Wert für E(Y) führt. Wollen wir dagegen tatsächlich unsere völlige Unkenntnis des Verhaltens von Z darstellen, so ist es nicht zulässig, überhaupt eine Wahrscheinlichkeitsverteilung für Z anzugeben. Jede Verteilungsannahme wäre so gut oder schlecht wie jede andere. Und die Tatsache, dass sich bei Annahme der vermeintlich informationslosen Verteilung der Erwartungswert von Y ändert, zeigt uns gerade, dass es uns offenbar nicht gelungen ist, das Modell von zusätzlicher Information freizuhalten.

Da der Zufallsvorgang Z zum Zeitpunkt unseres Auswahlexperiments faktisch bereits abgeschlossen ist, können wir aber das (uns unbekannte) Ergebnis des Zufallsvorgans, n, als gegeben voraussetzen. Dies führt auf die ursprüngliche Formulierung des Paradoxons, in dem wir nicht einmal eine Annahme darüber machen, ob n überhaupt durch einen Zufallsvorgang realisiert wurde. Die Erkenntnis, dass E(Y) dann überhaupt nicht von x abhängt ist also folgerichtig, weil wir keine Modellannahmen verwenden, die zu einem Informationsgewinn führen. Dies ist das sachlogisch korrekte Vorgehen, wenn wir nichts über die Entstehung von n wissen.

Anmerkung: Bei der Betrachtung der Zufallsvariable W (für die Auswahl der Briefumschläge) wenden wir ebenfalls das Indifferenzprinzip an. In diesem Falle ist das aber zulässig, weil wir über die Zufallsvariable W in der Tat weitere Informationen haben. Wir führen die Auswahl nämlich absichtlich so durch, dass beide Geldbeträge mit gleicher Wahrscheinlichkeit gewählt werden.

In der Praxis wird es häufig der Fall sein, dass es zumindest irgendwelche Informationen über Z gibt, z. B. Plausibilitätsüberlegungen über den maximalen Geldbetrag, etc. Für den Fall, dass es uns anhand dieser Informationen gelingt, eine vollständige Wahrscheinlichkeitsverteilung für Z anzugeben, dann können wir in der Tat für gegebenes x angeben, ob sich ein Tausch lohnt oder nicht. In den folgenden Abschnitten werden die Fragen behandelt, ob es allgemeinere Aussagen dazu gibt, wann ein Tausch sinnvoll ist, und ob es auch Strategien gibt, die von der angenommenen Verteilung unabhängig sind.

Strategie bei bekannten Wahrscheinlichkeiten

Für die weiteren Betrachtungen ist eine saubere mathematische Formulierung notwendig. Dazu kann beispielsweise folgende Notation verwendet werden:

  • die Zufallsgröße bezeichnet den kleineren Betrag in den Umschlägen (im anderen Umschlag befindet sich dann der Betrag ).
  • bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, dass der kleinere Betrag in den Umschlägen gleich ist. Der Fall, dass der kleinere Betrag nicht zufällig, sondern deterministisch gleich ist, wird dabei durch den Fall für und für mit eingeschlossen. Es wird nicht angenommen, dass diese Wahrscheinlichkeiten bekannt wären. Zur Vereinfachung der Rechnung wird lediglich eine diskrete Verteilung verwendet; für kontinuierliche Verteilungen ist aber auf die gleiche Weise möglich.[1]
  • bezeichnet die Zufallsgröße des Betrags, den Herr Schmidt im zuerst geöffneten Briefumschlag findet.
  • bezeichnet die Zufallsgröße des Betrags, der im anderen noch ungeöffneten Umschag ist.

Da beide Umschläge mit gleicher Wahrscheinlichkeit gewählt werden, gilt für die Erwartungswerte . Hr. Schmidt will offensichtlich die Erwartung von berechnen, wenn er kennt. Dabei muss er beachten, dass wegen die beiden Zufallsgrößen und voneinander stochastisch abhängig sind. Hr. Schmidt will also die bedingte Erwartung von abhängig von berechnen. Im Fall von diskreten Zufallsvariablen lautet dann eine passende Formel[2]

Die bedingte Wahrscheinlichkeit ist laut Problemstellung nur dann von Null verschieden, wenn entweder oder . In diesen Fällen gilt für die Wahrscheinlichkeit, dass Herr Schmidt den doppelten Betrag im anderen Briefumschlag findet,

,

und für die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass Herr Schmidt den halben Betrag im anderen Briefumschlag findet

.

Sofern der Erwartungswert der Verteilung mit den korrekten Wahrscheinlichkeiten existiert, erhielte man

Ein Tausch würde sich demnach genau dann auszahlen, wenn gilt; dies ist genau dann der Fall wenn . Verteilungen, die diese Bedingung für alle möglichen erfüllen, lassen sich zwar konstruieren, besitzen dann aber keinen endlichen Erwartungswert, sodass die oben angedeutete Argumentation, die zu einem Widerspruch führt, bereits aus formalen Gründen unzulässig ist.

Zudem widerspricht die Annahme, dass beliebig hohe Beträge im Umschlag sein können, der praktischen Einschränkung, dass niemand, also auch nicht Hr. Lemke, unendlich viel Geld zur Verfügung hat.


Beispiel

Wenn man eine Wahrscheinlichkeitsverteilung annimmt, mit der die Sekretärin von Herrn Lemke das Geld in die Briefumschläge verteilt, lässt sich die Geschichte sehr gut simulieren. Beispielsweise sei angenommen, die Sekretärin bestimmt den Betrag mit dem Wurf von einem fairen Würfeln. Zeigen der Würfel Augen, so steckt sie Euro in den einen und Euro in den anderen Umschlag. Herr Schmidt findet dann mit Wahrscheinlichkeit den Betrag 25 Euro im Umschlag, mit Wahrscheinlichkeit je einen der Beträge 50, 100, 200, 400 oder 800 Euro, und wieder mit Wahrscheinlichkeit den Betrag 1600 Euro. Tauscht er nicht, so beträgt der Erwartungswert des Geldgeschenkes also

Euro.

Tauscht Herr Schmidt in jedem Fall, so ändert sich sein Erwartungswert nicht, da er insbesondere auch den Betrag von 1600 Euro tauscht, obwohl er in diesem Fall nichts gewinnen kann. Vermutet Herr Schmidt aber, dass wohl kaum mehr als 1000 Euro im Umschlag sind, und entscheidet sich daher, dann und nur zu tauschen, wenn höchstens 500 Euro im Umschlag sind, so ändern sich die Wahrscheinlichkeiten: Nach dem Tausch hat Herr Schmidt dann weiterhin mit Wahrscheinlichkeit den Betrag 25 Euro im Umschlag, ebenso mit Wahrscheinlichkeit je einen der Beträge 50, 100, oder 200 Euro, den Betrag von 400 Euro allerdings nur mehr mit Wahrscheinlichkeit (da Herr Schmidt bei 800 Euro nicht mehr tauscht), dafür aber mit Wahrscheinlichkeit den Betrag von 800 Euro, und wieder mit Wahrscheinlichkeit den Betrag 1600 Euro. Der Erwartungswert des Geldgeschenkes ist nun also

Euro.

Schätzt Herr Schmidt die Situation besser ein und beschließt, erst ab 1000 Euro aufs Tauschen zu verzichten, kann er den Erwartungswert sogar auf 460,62 Euro erhöhen; wird er aber zu gierig und tauscht beispielsweise bis zu 2000 Euro, so fällt er wieder auf den Ausgangswert 393,75 Euro zurück.

Für Herrn Schmidt ist es natürlich schwierig, die Sekretärin von Herrn Lemke richtig einzuschätzen; wesentlich ist aber, dass das Paradoxon verschwindet, sobald man irgendeine konkrete Wahrscheinlichkeitsverteilung für das Verhalten der Sekretärin von Herrn Lemke annimmt. Je nach Tauschstrategie von Herrn Schmidt ändert sich der Erwartungswert des Geldgeschenks; die Strategie „Tausche immer“ ist aber gleich gut (oder schlecht) wie die Strategie „Tausche nie“.

Anwendung des Zwei-Zettel-Spiels

In obigem Beispiel wurde angenommen, dass bekannt ist, nach welchem Prinzip die Sekretärin die Geldbeträge verteilt. Unter dieser Annahme lassen sich leicht Gewinnstrategien angeben. Die Problemformulierung enthält aber keine Information über die Arbeitsweise der Sekretärin. Es gibt allerdings auch eine allgemeine Gewinnstrategie für Herrn Schmidt, die diese Annahme nicht benötigt. Diese Strategie besteht darin, dass Herr Schmidt, bevor er den Umschlag öffnet, eine Zufallszahl S wählt, die alle Werte zwischen 0 und unendlich annehmen kann, deren Verteilung aber ansonsten beliebig ist. Dann öffnet er den Umschlag und findet den Betrag n. Ist der gefundene Betrag n kleiner gleich S, so tauscht er den Umschlag; ist der Betrag n größer als S, so behält er den Umschlag. Diese Strategie geht auf Thomas M. Cover zurück.[3] Wie im Artikel Zwei-Zettel-Spiel erklärt, erhöht er so theoretisch seine Chancen, den größeren Betrag zu erhalten.[4][5]

Angenommen, Hr. Schmidt entschließt sich das Zwei-Zettel-Spiel anzuwenden. Enthalten die Briefumschläge die Beträge und und öffnet Hr. Schmidt zuerst den Umschlag mit Inhalt , so wechselt er, falls . Die bedingte Erwartung seines Gewinns beträgt dann

.

Öffnet er zuerst den Umschlag mit Inhalt , so wechselt er, falls . Die bedingte Erwartung seines Gewinns beträgt dann

.

Insgesamt beträgt die bedinge Erwartung bei fixen Inhalten, aber vor der Wahl des ersten Umschlags

.

Tauscht er immer oder tauscht er nie, berägt sein Erwartungswert ; bei Anwendung des Zwei-Zettel-Spieles ist der Erwartungswert also um höher als bei der "Tausche-nie" oder "Tausche-immer"-Vorgangsweise.

Beispiel

Für wählt Hr. Schmidt beispielsweise eine Zufallsvariable S, die exponentialverteilt mit Erwartungswert 1000 ist, also . Falls die Sekretärin wie im oben angegebem Beispiel das Geld in die Briefumschläge verteilt, ergibt sich insgesamt folgender Erwartungswert des Geldgeschenkes:

25 50 1/6 0,975 49,382 0,951 26,219 37,801 37,5 6,300
50 100 1/6 0,951 97,561 0,904 54,758 76,160 75,0 12,693
100 200 1/6 0,904 190,484 0,819 118,127 154,305 150,0 25,718
200 400 1/6 0,819 363,746 0,670 265,936 314,841 300,0 52,473
400 800 1/6 0,670 688,128 0,449 620,268 644,198 600,0 107,366
800 1600 1/6 0,449 1159,463 0,202 1438,483 1298,973 1200,0 216,496
Summe 1 421,046

Der Erwartungswert des Geldgeschenkes beträgt bei dieser Vorgangsweise also 421,046 Euro. Das ist zwar weniger als bei der optimalen Strategie (tausche bei weniger als 1000 EUR), bei der der Erwartungswert 460,62 Euro beträgt; aber jedenfalls mehr als bei der "Tausche-nie" oder "Tausche-immer"-Vorgangsweise, bei der der Erwartungswert 393,75 beträgt. Wie aus der Tabelle ersichltich, ist in jeder Zeile größer als . Der genaue Erwartungswert hängt natürlich stark von der Wahl der Verteilung von ab, ist aber immer höher als bei der "Tausche-nie" oder "Tausche-immer"-Vorgangsweise.

Geschichte des Paradoxons

Das Umtauschparadoxon lässt sich zumindest bis 1953 zurückverfolgen und wurde damals in einem Buch des belgischen Mathematikers Maurice Kraitchik sinngemäß folgendermaßen formuliert:

Zwei gleich wohlhabende Personen treffen einander und wollen die Inhalte ihrer Geldbörsen vergleichen. Keiner weiß, wie viel Geld der andere in der Börse hat. Sie vereinbaren folgendes Spiel: Derjenige, der weniger Geld in der Börse hat, gewinnt den Inhalt der Geldbörse des anderen. Falls beide gleich viel haben sollten, behält jeder sein Geld. Nun könnte einer der beiden folgende Überlegung anstellen: „Angenommen, ich habe den Betrag A in meiner Börse. Dann ist das das Maximum, das ich verlieren kann. Mit Wahrscheinlichkeit 0,5 gewinne ich allerdings und habe danach mehr als 2A. Daher ist das Spiel günstig für mich.“ Der andere könnte allerdings genauso argumentieren. Aus Symmetriegründen muss das Spiel aber fair sein. Worin liegt der Trugschluss dieser Argumentation?[6]

Martin Gardner verbreitete das Rätsel 1982 in seinem Buch Aha! Gotcha, ebenfalls in der Gestalt eines Geldbörsenspiels.[7]. Die heutige Form mit den beiden Briefumschlägen wurde 1989 von Barry Nalebuff formuliert.[8]

Siehe auch

Verwandte Themen, bei denen man aus Teilinformation die optimale Entscheidung des Restproblems treffen kann:

Einzelnachweise

  1. David J. Chalmers, The Two-Envelope Paradox: A Complete Analysis?
  2. Robert B. Ash: Real Analysis and Probability. Academic Press, New York 1972. ISBN 0-12-065201-3. S 246, 6.3.5 (2)
  3. Franz Thomas Bruss,Der Ungewissheit ein Schnippchen schlagen, Spektrum der Wissenschaft, 6/2000. 106-107.
  4. R Christensen and J Utts, Bayesian Resolution of the Exchange Paradox, The American Statistician 1992
  5. Dov Samet, Iddo Samet, and David Schmeidler, One Observation behind Two-Envelope Puzzles (PDF)
  6. Maurice Kraitchik, La mathématique des jeux, 1953
  7. Martin Gardner, Aha! Gotcha, 1982
  8. Barry Nalebuff, Puzzles: the other person's envelope is always greener, Journal of Economic Perspectives 3, 1989