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Paul-Gerhardt-Stift

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Straßenfront des Paul-Gerhardt-Stifts in der Müllerstraße –
rechts: Ursprüngliches Diakonissenmutterhaus, Mitte: erster Erweiterungsbau 1898, links: zweiter Erweiterungsbau um 1920

Das Paul-Gerhardt-Stift ist eine am 7. Juni 1876 durch den evangelischen Pfarrer Carl Schlegel gegründete private Stiftung zur Pflege von Kranken, Kindern und Alten in christlicher Tradition der Nächstenliebe. Das Mutterhaus hatte seinen Sitz in Berlin-Kreuzberg, erwarb dann ein Baugelände im heutigen Stadtteil Berlin-Wedding und beauftragte die Architekten Ernst Schwartzkopff und Heinrich Theising mit der Errichtung eines entsprechenden Gebäudekomplexes. Die in mehreren Etappen fertig gestellten Bauten bestehen aus einem langgestreckten repräsentativen Diakonissenmutterhaus, einer Kapelle, einem Krankenhaus mit Isolierstation und mehreren Wohnhäusern. Die Stiftung wurde bei ihrer Gründung bereits nach dem Kirchenliederdichter Paul Gerhardt benannt. Die Gesamtanlage steht unter Denkmalschutz.[1]

Lage und Verkehrsanbindung des Paul-Gerhardt-Stifts

Die etwa 20.000 m2 große Fläche mit der Stiftsanlage befindet sich im Bezirk Mitte von Berlin, Ortsteil Wedding. Sie umfasst den größeren Teil des Straßengevierts Müllerstraße (56 bis 58), Barfusstraße, Edinburgher Straße und Türkenstraße (Hofseite). Erreichbar sind die Einrichtungen sowohl mit der U-Bahnlinie 6 (Station Rehberge) als auch mit dem Linienbus Nr. 120, Haltestelle Türkenstraße.

Das Diakonissenmutterhaus

Diakonissenmutterhaus

Das Diakonissenmutterhaus („Mutterhaus Kaiserswerther Ordnung“)[2] diente zur Ausbildung von christlichen Krankenschwestern. Die Auszubildenden und die mit einem Abschluss versehenen Schwestern wohnten in diesem Gebäude. Sie arbeiteten mit Krankenhäusern zusammen, betreuten darüber hinaus rund vierzig Kindertagesstätten und unterstützten die dortigen Gemeindeschwestern in der Stadt Berlin bzw. in den umgebenden Dörfern.

Die Ausbildung von Krankenschwestern konnte hier in der Müllerstraße ab 1888 beginnen, als das Mutterhaus in einer ersten Bauetappe fertig gestellt und unter dem Protektorat der Kaiserin Auguste Viktoria eingeweiht worden war. Das Geld für den Ankauf des Baugeländes und die Errichtung der Gebäude kam überwiegend aus privaten Spenden, auf einer Bronzetafel in der Toreinfahrt wird besonders ein Hermann Silka als Förderer hervorgehoben. Das Kuratorium der Stiftung hatte die bereits bekannte Architektensozietät Ernst Schwartzkopff & Heinrich Theising mit Entwürfen beauftragt, die dann auf dem Grundstück in mehreren Bauabschnitten umgesetzt wurden. Die Baumeister wählten einen damals üblichen Baustil in Anlehnung an die märkische Backsteingotik. Das symmetrische Haupthaus mit einem schiefergedeckten Satteldach erstreckte sich parallel zur Müllerstraße.

Toreinfahrt im Erweiterungsbau von 1898

Nördlich schließt sich der in einem zweiten Bauabschnitt zwischen 1897 und 1898 entlang der Müllerstraße und in die Tiefe der Fläche verlegte Trakt an. Das Mutterhaus erhielt im Hochparterre einen kleinen und einen großen repräsentativen holzgetäfelten Festsaal und in den darüber liegenden Etagen Schlafräume für die Diakonissen sowie Verwaltungsräume. Der neuere Gebäudeteil ist in lebhafterer Fassadengliederung, mit einer großzügigen Toreinfahrt sowie Schmuckgiebeln und einem Standerker in der Straßenfront ausgestattet und durch hellere und glattere Backsteine erkennbar. Nach 1905 gab es einen zweiten Anbau bis zur Ecke Barfusstraße, der mit heller Majolika verkleidet wurde und Jugendstilartige Elemente trägt.

Großer Gemeindesaal
Statue Paul Gerhardt im großen Gemeindesaal

Nach Abschluss dieser Bauetappen erhielt der große Festsaal eine Bronzestatue zu Ehren von Paul Gerhardt, die der Bildhauer Friedrich Pfannschmidt auf der Grundlage seines Denkmalmodells für die Paul-Gerhardt-Kirche in Lübben formte (1909). Die Malerin Christa Weiß fertigte Ölgemälde für den kleinen Festsaal an (1912/1913). In der Toreinfahrt befindet sich ein farbiges Mosaik mit dem Hinweis: „Erbaut Anno Domini 1897–98“. In die Erweiterungsbauten zogen neue Abteilungen wie ein Kindergärtnerinnenseminar, eine Hauspflegeschule und andere soziale Bildungsinstitutionen ein. Ein gleichgestaltetes Mosaik mit Rankenmuster schmückt die Fassade zur Müllerstraße.

In den 1930er-Jahren, während der nationalsozialistischen Diktatur wurden die meisten christlichen Ausbildungsstätten des Stifts geschlossen, aus finanziellen Gründen mussten auch die Hilfsarbeiten verringert werden. Am Ende des Zweiten Weltkriegs erlitt der Gebäudekomplex starke Zerstörungen, weil er in der Nähe großer Werke lag, die das Ziel der Bomberangriffe der Alliierten waren. Und nach dem Krieg mangelte es schlicht an allem – außer der geringen Zahl von Diakonissen (1946 werden nur 146 angegeben gegenüber 1928, wo es noch 425 Schwestern waren) – fehlte es an Grundnahrungsmitteln und anderen materiellen Dingen, so dass der Wiederaufbau und die Wiederinbetriebnahme der Einrichtungen nur langsam realisiert werden konnten. Pflegedienstaufgaben wurden in den folgenden Jahren immer mehr von nicht christlichen Krankenschwestern wahrgenommen.[2]

Gesamtansicht der Kapelle

Stiftskirche

Auf dem Hof ergänzt eine kleine Kapelle ebenfalls im neogotischen Baustil das Bauensemble. 1991, nach fast 100 Jahren ihres Bestehens erhielt die Kapelle neue farbige Bleiglasfenster an den Seitenwänden und in der Altarapsis. Gestaltet wurden die insgesamt sechs Fenster vom Neuköllner Glaskünstler Detlef Graw nach Liedmotiven von Paul Gerhardt („Befiehl du deine Wege“, „Geh' aus mein Herz und suche Freud“, „Ich singe Dir mit Herz und Mund“, „Wie soll ich dich empfangen“, „Sollt ich meinem Gott nicht singen“, „Ich steh an deiner Krippe hier“)[3] und von Eric Feist ausgeführt. Die schlichte Kapelle wird von einer Kreuzkuppel überwölbt; ihr hölzerner Altar steht auf der Estrade der weiß getünchten Altarapsis. Auf der Empore befindet sich eine kleine Orgel.

Krankenstation und Pflegeheime

Krankenhausflügel auf dem Hof des Stifts

Die Backsteingebäude im Hofgelände wurden von den Maurermeistern Stüwe und Pullich wiederum nach Plänen von Schwartzkopff & Theising errichtet. Sie dienten nach ihrer schrittweisen Fertigstellung bis 1905 verschiedenen Abteilungen des Krankenhauses, insbesondere enthielten sie eine „Siechenstation“, ein „Krüppelheim“, eine Isolierstation, eine Poliklinik für behinderte Kinder, ein Säuglingsheim. Schließlich kamen noch ein Kesselhaus und eine Leichenhalle auf dem Hof hinzu, der anschließend begrünt wurde. 1908 wurde der ursprünglich zweistöckige Krankenhausflügel durch Heinrich Theising um ein weiteres Stockwerk erhöht (sein Sozius war 1905 verstorben).

Seniorenheime auf dem Hof des Stifts

Das Paul-Gerhardt-Stift übertrug dem Architekten Otto Rüger in den 1920er-Jahren die Aufgabe, nordöstlich an das Gelände anschließend ein Feierabendheim zu errichten. Das 1928 im Stil der Moderne fertig gestellte Heim wendet seine Fassade zur Edinburgher Straße. Das Feierabendheim wurde 1950/51 nach Plänen des Architekten Hermann Schluckebier umgebaut und genau 50 Jahre später hofseitig um ein „Wohnstift“ ergänzt. 1989 wurden das „Damenheim“ und 1991 auch das Kinderheim geschlossen.

Wegen der nicht mehr zeitgemäßen Ausstattung und der inzwischen anderweitig entstandenen Krankenhäuser in der Stadt beschloss der Senat von Berlin die Einstellung des Krankenhausbetriebs zum Jahr 1989.[2]

Die Gebäude erhielten bald eine neue Nutzung als Heim für Übersiedler aus der DDR, später auch als Asylheim für Spätaussiedler aus ehemaligen sowjetischen Republiken und für Kriegsflüchtlinge aus anderen internationalen Krisengebieten wie Tschetschenien oder Jugoslawien. Die Betreuung dieser traumatisierten Personen erfolgte durch neu ausgebildete Diakonissen, deren aufopferungsvolle Arbeit schließlich durch das DRK mit der Verleihung einer Goldmedaille öffentlich anerkannt wurde. Zusätzlich wird inzwischen auch eine Sozialpädagogin unterstützt, die mit den Flüchtlingen kulturell arbeitet.[4]

Bis zur Schließung des Krankenhauses Moabit betrieb das Paul-Gerhardt-Stift noch die Krankenpflegeschule, die danach jedoch auch aufgegeben werden musste.[2]

Heutige Nutzung

Wohngebäude im Besitz des Paul-Gerhardt-Stifts in der Barfusstraße
Zweiter Erweiterungsbau an der Müllerstraße, zunächst Feierabendheim

Nach einigen Sanierungs- und Umbauarbeiten in den 1990er-Jahren zogen in den Krankenhausbau mehrere ambulante Arztpraxen und eine Tagespflegeklinik, die das „Ärzte- und Gesundheitszentrum Wedding“[5] im Paul-Gerhardt-Stift bilden. Einige Gebäudeteile sind auch an andere Einrichtungen vergeben, beispielsweise an die „Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus (Versorgungsbereich Wedding)“[6] oder an ein „Atelier für Paramentik“, das von der Designerin Christine Utsch unterhalten wird.[7] [8]

Das Diakonissenhaus ist weiterhin eine Diakoniestation, die der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) angeschlossen ist.[9] Einige Räume wurden 1991 zum „Paul-Gerhardt-Wohnstift“ umgebaut, in welchem 48 abgeschlossene altersgerechte Wohnungen eingerichtet sind. Die Betreuung liegt in den Händen der verbliebenen 14 Diakonissen. Die Unterstützung für Flüchtlinge und Asylbewerber musste dagegen in den vergangenen Jahren drastisch reduziert werden, weil der Berliner Senat seine finanzielle Förderung 2004 einstellte.

Das Diakonissenmutterhaus wird seit September 2009 „energetisch saniert“, wozu Fördergelder aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und aus dem Finanztopf des Senats von Berlin bereit gestellt werden.

In christlicher Tradition gründeten die Kirchenväter, die Diakonissen und weitere 15 Personen 1997 das „Paul Gerhardt Konvent“, das die verbliebenen Aufgaben der Seniorenbetreuung, gelegentliche Aushilfe im Ärztezentrum und soziale Beratung übernimmt. Langfristig soll die Existenz des Paul Gerhardt Konvents durch Zusammenarbeit mit dem Evangelischen Johannesstift und der St.-Elisabeth-Stiftung[10] gesichert werden, die ebenfalls zur EKBO gehören.[2]

Das ehemalige Paul-Gerhardt-Heim, wegen seiner Nähe zum Schillerpark auch „Diakonisches Pflegewohnheim Schillerpark“ genannt, wurde zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach Plänen des Architekten Eckhard Feddersen in eine Heimstatt für 163 ständig pflegebedürftige Personen umgebaut und am 1. Dezember 2006 offiziell eingeweiht.[11] [12]

Schließlich bietet das Paul-Gerhardt-Stift auch einen Hotel- und Tagungsbetrieb an, wofür 30 Einzel- bzw. Doppelzimmer und Beratungsräume verschiedener Größe vorhanden sind. Beispielsweise werden hier im Mai 2010 die „Paul-Gerhardt-Tage der Paul-Gerhardt-Gesellschaft“ stattfinden.[13]

Partnerschaften

Die neue Nutzung des Mutterhauses und der anderen Gebäude des Paul-Gerhardt-Stifts führte ab 1998 zu engen Partnerschaften mit kirchlichen Einrichtungen aus den Herkunftsländern der Flüchtlinge, beispielsweise mit der Evangelischen Kirche Russland und besonders mit der Propstei Kaliningrad, was 2004 durch einen Vertrag besiegelt wurde. Dazu bildete sich aus den neuen Bewohnern, Diakonissen und Freunden des Hauses ein „übergemeindlicher Freundeskreis“, der sich um private Hilfen hier in Berlin genauso kümmert wie direkt vor Ort Unterstützung bei den Partnergemeinden gibt.

Regelmäßige Veranstaltungen

  • Oasentage (durchschnittlich zweimal jährlich)
  • Konzerte
  • Lesungen
  • Jahresfest (ununterbrochen seit 1876)
  • Teilnahme am Tag des offenen Denkmals
  • Ausstellungen

Literatur

  • Carl Schlegel: Denkschrift zur Einweihung des Diakonissen-Mutterhaus Paul-Gerhardt-Stift in Berlin. Berlin 1888
  • Carl Schlegel (Hrsg.): Das Paul Gerhard-Stift unter dem Protektorat Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin Auguste Victoria. Ein Diakonissen-Haus für und in Berlin nebst dem dazu gehörigen Krankenhaus. Ein Bericht über seine Entwicklung und sein Wachstum. Berlin 1898
  • 50 Jahre Diakonissenmutterhaus Paul Gerhardt-Stift Berlin 1876-1926. Berlin 1926
  • Hermann Wagner (Hrsg.): Denkschrift zum 75. Jahresfest des Diakonissen-Mutterhaus Paul Gerhardt-Stift in Berlin Müllerstraße 56/58 am 7. Juni 1951. Berlin 1951
Commons: Paul-Gerhardt-Stift – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen

  • Paul Gerhardt Stift, Geschichte und Arbeitsfelder, 1876–2006. hrsg. Vom Paul-Gerhardt-Stift zu Berlin, 2006
  1. Eintrag zu Paul-Gerhardt-Stift (Obj.-Dok.-Nr. 09030304) in der Berliner Landesdenkmalliste mit weiteren Informationen
  2. a b c d e Paul Gerhardt Stift, Geschichte und Arbeitsfelder, 1876–2006,..
  3. Winfried Böttler: Paul Gerhardts Lieder in finsteren Zeiten. Das geistliche Lied als Seelsorge. In: notizen aus dem Paul Gerhardt Stift zu Berlin, Frühling 2007, S.3f
  4. Stricken bedeutet Gemeinsamkeit. Im Berliner Paul-Gerhardt-Stift finden Flüchtlinge Rat und Hilfe. In: notizen aus dem Paul Gerhardt Stift zu Berlin, Frühling 2007, S.10f
  5. Homepage des Ärztezentrums mit aktuellen Angeboten; abgerufen am 9. März 20101
  6. Tafel an dem entsprechenden Gebäude auf dem Hof
  7. Paramente zu den Liedern von Paul Gerhardt. aus dem Atelier für Paramentik. In: notizen aus dem Paul Gerhardt Stift zu Berlin, Frühling 2007, S.10f
  8. Homepage des Ateliers für Paramentik; abgerufen am 22. März 2010
  9. Homepage der EKBO, abgerufen am 9. März 2010
  10. Website des Elisabeth-Seniorenstifts der Paul-Gerhardt-Diakonie, abgerufen am 9. März 2010
  11. Homepage des Pflegewohnheims Schillerpark
  12. Diakonisches Pflegewohnheim "Am Schillerpark" offiziell eingeweiht. In: notizen aus dem Paul Gerhardt Stift zu Berlin, Frühling 2007, S.8
  13. Info (PDF-Dokument) über die Paul-Gerhardt-Tage 2010 im Paul Gerhardt Stift zu Berlin, 28. bis 30. Mai 2010

Koordinaten: 52° 33′ 15,4″ N, 13° 20′ 46,7″ O