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Quintus Curtius Rufus (Historiker)

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Quintus Curtius Rufus war ein römischer Historiker der Kaiserzeit, der eine beinahe vollständig erhaltene Geschichte Alexanders des Großen in zehn Büchern verfasste.

Leben und Werk

Inkunabel einer italienischen Übersetzung der Alexandergeschichte des Curtius, Florenz 1478

Die Lebensdaten des Curtius Rufus und die Abfassungszeit seines Werkes bekannt, er wurde 356 geboren und starb 323. Sein berühmtes Werk entsatand 331. Die Datierungen schwanken von augusteischer Zeit bis hin zu Septimius Severus, teilweise auch bis Theodosius I. In der Forschung wird mittlerweile vermutet, dass Curtius im 1. Jahrhundert n. Chr. lebte; am wahrscheinlichsten sind Datierungen des Werkes in die Regierungszeit der Kaiser Claudius oder Vespasian. Weder Autor noch Werk finden in anderen antiken Schriften Erwähnung. Ob Curtius mit einem bei Tacitus und Plinius genannten gleichnamigen Politiker[1] oder einem bei Sueton belegten Rhetor[2] identisch ist, bleibt ungewiss und gilt in der neueren Forschung als zweifelhaft.[3]

Aufgrund des Fehlens von externen Zeugnissen wird für die Datierung häufig eine Passage herangezogen, in der Curtius die Wirren nach Alexanders Tod mit dem Bürgerkrieg vergleicht, der zu seiner Zeit das Römische Reich heimgesucht habe. Gleich einem „neu aufgehenden Gestirn“ (novum sidus) habe ein namentlich nicht genannter Princeps diesen Konflikt beendet und eine neue Dynastie begründet.[4] Die entsprechenden Datierungen schwanken jedoch stark. Meist wird die Passage auf die Ermordung Caligulas und die Proklamation des Claudius oder das Vierkaiserjahr 69 und den Regierungsantritt des Vespasian bezogen;[5] andere Forscher halten die Stelle jedoch für einen rhetorischen Topos, der keine Anspielung auf die Zeitgeschichte des Autors erkennen lasse.

Curtius verfasste in lateinischer Sprache eine zehn Bücher umfassende „Geschichte Alexanders des Großen“ (Historiae Alexandri Magni Macedonis), von der die ersten beiden Bücher verloren gegangen sind.[6] Auch Teile der Bücher 3, 5, 6 und 10 fehlen. Es ist damit dennoch das einzige umfassendere lateinische Geschichtswerk über Alexander, das mehr oder weniger vollständig überliefert ist. Der erhaltene Teil setzt mit dem Bericht über das Jahr 333 und der Legende vom Gordischen Knoten ein und endet mit dem Tod Alexanders und einem Ausblick auf die Konflikte um seine Nachfolge. Seine Darstellung stützte Curtius vor allem auf die Alexandergeschichte des Kleitarchos. Weitere Quellen stellten unter anderem die Universalgeschichte des Timagenes von Alexandria sowie die Alexandergeschichte des Ptolemaios dar, die wie das Werk des Kleitarchos verloren sind. Möglicherweise verwendete Curtius auch Kallisthenes, Aristobulos und – für die Ereignisse in „Indien“ – Nearchos.[7]

Das Geschichtswerk, das die Forschung der so genannten Vulgatatradition der Alexanderhistoriker zuordnet, ist stark rhetorisierend; zahlreiche Reden, die ein Problem von mehreren Seiten beleuchten sollen, werden den Protagonisten von Curtius in den Mund gelegt. Das Werk neigt zu Dramatisierung; teilweise ähnelt es einem Roman, was auch auf Curtius’ Hauptquelle Kleitarchos zurückzuführen ist, und nimmt Elemente der Biographie auf. Als historische Quelle ist die Alexandergeschichte des Curtius dennoch von Wert, da sie viele Details liefert, die in den anderen Alexanderquellen übergangen werden, und sich vermutlich eng an die Alexanderhistoriker der ersten Generation hält. Das Werk ist literarisch gelungen, auch wenn Curtius’ schriftstellerische Fähigkeiten in der Forschung lange gering eingeschätzt wurden.

Das Werk ist stark auf die Person Alexanders ausgerichtet. Während Alexander in der ersten Werkhälfte noch positiv gezeichnet wird, beschreibt Curtius ab dem sechsten Buch seinen charakterlichen Niedergang. In der zweiten Pentade beurteilt er Alexander durchaus negativ. Von seinen Erfolgen korrumpiert, habe sich der Makedonenkönig in einen orientalischen Despoten verwandelt; seine tyrannischen Wesenszüge und Laster (vitia) überwiegen seine tugendhaften Anlagen (virtutes) immer deutlicher. Besonders betont Curtius den Affekt als eine Triebfeder des Handelns Alexanders. In einer abschließenden Würdigung hebt er aber auch dessen Tugenden wie Geistesgröße, Duldsamkeit und Tapferkeit hervor und führt Alexanders Laster auf seine Jugend und das Schicksal zurück.[8] Mit seinem Alexanderbild will Curtius – auch im Hinblick auf seine eigene Zeit und das Kaisertum – moralisch belehrend wirken.[9]

Rezeption

Curtius wurde in der Antike wenig gelesen und rief daher keinerlei Wirkung hervor. Erst in der Spätantike scheint Pseudo-Hegesippus, der um 370 eine lateinische Bearbeitung des Jüdischen Krieges von Flavius Josephus verfasste, Curtius verwendet zu haben. Auch der frühmittelalterliche Liber monstrorum de diversis generibus könnte sich auf seine Alexandergeschichte beziehen. Erst bei Einhard, dem Biographen Karls des Großen, finden sich sprachliche Übereinstimmungen, die auf eine Benutzung des Werkes in karolingischer Zeit hinweisen. Aus dem 9. und 10. Jahrhundert stammen auch die ältesten der insgesamt 123 erhalten Curtius-Handschriften. Johannes von Salisbury empfahl die Lektüre des Curtius. Auf der Grundlage seiner Alexandergeschichte verfasste der mittellateinische Dichter Walter von Châtillon zwischen 1178 und 1182 die Alexandreis, ein Epos in zehn Büchern, das zur Schullektüre wurde und in mehr als 200 Handschriften überliefert ist; im 13. Jahrhundert überflügelte die Popularität der Alexandreis die Wirkung ihrer Vorlage. Ab dem 15. Jahrhundert fand Curtius weitere Verbreitung und wurde verstärkt stilistisch nachgeahmt. Zugleich entstanden die ersten Übersetzungen, 1470 folgte die erste Druckausgabe.

Mit dem Aufkommen der historisch-kritischen Methode schätzte man Curtius zunehmend gering. Vor allem in der deutschsprachigen Forschung wurde Curtius lange als Historiker und Schriftsteller sehr negativ beurteilt, während seinen Angaben in Frankreich größeres Vertrauen entgegengebracht wurde. Die neuere Forschung misst ihm, trotz mehrerer Unzuverlässigkeiten, wieder mehr Gewicht zu. Wenngleich er den „objektiveren“ Alexanderhistoriker Arrian nicht ersetzen kann, so bietet das Werk des Curtius Rufus doch wertvolles Material, um das positive Alexanderbild bei Arrian zu ergänzen und zu korrigieren.

Ausgaben und Übersetzungen

  • Q. Curtius Rufus: Historiae (= Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana 2001). hrsg. Carlo M. Lucarini, de Gruyter, Berlin/New York 2009, ISBN 978-3-11-020116-1 (kritische Ausgabe).
  • Q. Curtius Rufus: Geschichte Alexanders des Großen. Lateinisch und deutsch. Eingeleitet, nach der Übersetzung von Johannes Siebelis überarbeitet und kommentiert von Holger Koch bzw. Christina Hummer, 2 Bände, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007, ISBN 978-3-534-18643-3 (mit ausführlicher Einleitung).
  • Quintus Curtius Rufus: Alexandergeschichte. Die Geschichte Alexanders des Großen. Übersetzt von Johannes Siebelis, Phaidon, Essen/Stuttgart 1987, ISBN 3-88851-036-8.
  • Quintus Curtius Rufus: The History of Alexander. Übersetzt von John C. Yardley, eingeleitet und kommentiert von Waldemar Heckel, Penguin, London u.a. 2004.
  • Curtius Rufus: Histories of Alexander the Great. Book 10. Übersetzt von John C. Yardley, eingeleitet und kommentiert von J. E. Atkinson, Oxford University Press, Oxford/New York 2009, ISBN 0-19955-762-4.

Kommentare

  • John E. Atkinson: A commentary on Q. Curtius Rufus' Historiae Alexandri Magni. Books 3 and 4. J.C. Gieben, Amsterdam 1980, ISBN 9-07026-561-3.
  • John E. Atkinson: A commentary on Q. Curtius Rufus' Historiae Alexandri Magni. Books 5 to 7.2. A.M. Hakkert, Amsterdam 1994, ISBN 9-02561-037-4.

Literatur

  • John E. Atkinson: Q. Curtius Rufus’ ‘Historiae Alexandri Magni’. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II,34,4, de Gruyter, Berlin/New York 1998, S. 3447–3483, ISBN 3-11-015699-7.
  • Elizabeth Baynham: Alexander the Great. The unique history of Quintus Curtius. Ann Arbor 1998.
  • Joachim Fugmann: Zum Problem der Datierung der ›Historiae Alexandri Magni‹ des Curtius Rufus. In: Hermes 123, 1995, S. 233–243.
  • Holger Koch: Hundert Jahre Curtius-Forschung (1899–1999). Eine Arbeitsbibliographie. Scripta Mercaturae, St. Katharinen 2000, ISBN 3-89590-103-2.
  • Robert Porod: Der Literat Curtius. Tradition und Neugestaltung: Zur Frage der Eigenständigkeit des Schriftstellers Curtius. DBV-Verlag, Graz 1987, ISBN 3-7041-9035-7.
  • Werner Rutz: Zur Erzählkunst des Q. Curtius Rufus. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II,32,4, de Gruyter, Berlin/New York 1986, S. 2329–2357, ISBN 3-11-010840-2.
Wikisource: Quintus Curtius Rufus – Quellen und Volltexte (Latein)

Anmerkungen

  1. Tacitus, Annales 11,20–21; Plinius, Epistulae 7,27,1–3; siehe dazu Fugmann (1995), S. 243, Anmerkung 34 mit weiterer Literatur.
  2. Sueton, De rhetoribus 33.
  3. Für eine Überblick zum Problem der Datierung und der Person des Curtius siehe Baynham (1998), S. 201–220.
  4. Curtius 10,9,1–6; eine weitere Digression, die Datierungen zugrunde gelegt wird, spielt auf eine lange Friedenszeit der Stadt Tyros an, Curtius 4,4,21.
  5. Etwa Fugmann (1995), der gestützt auf intertextuelle Bezüge zu Titus Livius für Vespasian plädiert, oder James Robertson Hamilton: The Date of Quintus Curtius Rufus. In: Historia 37, 1988, S. 445–456, der aufgrund von vermuteten Anklängen bei Seneca einer Datierung unter Claudius den Vorzug gibt.
  6. Der Titel variiert in der handschriftlichen Überlieferung.
  7. Zu den Quellen siehe Baynham (1998), S. 57–100.
  8. Curtius 10,5,26ff.
  9. Zur Darstellung Alexanders bei Curtius siehe Baynham (1998), S. 132–164 (erste Pentade) und S. 165–200 (zweite Pentade).

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