Ordoliberalismus
Der Ordoliberalismus ist ein Konzept für eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung, in der ein Ordnungsrahmen ökonomischen Wettbewerb und die Freiheit der Bürger auf dem Markt gewährleisten soll.[1] Der Ordoliberalismus gilt als eine deutsche Variante des Neoliberalismus.[2][3]
Geschichte
Der Ausdruck Ordoliberalismus wurde 1950 von Hero Moeller in Anlehnung an die Zeitschrift ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft geprägt. Das Konzept des Ordoliberalismus wurde im wesentlichen von der Freiburger Schule der Nationalökonomie mit Walter Eucken, Franz Böhm, Leonhard Miksch und Hans Großmann-Doerth entwickelt. Erste Ansätze finden sich in dem 1937 herausgebrachtem Heft Ordnung der Wirtschaft.
Dem Ordoliberalismus nahestehend gelten u. a Vertreter des soziologischen Neoliberalismus wie Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow, Vertreter der Kölner Schule wie Alfred Müller-Armack sowie Erwin von Beckerath und Friedrich Hayek, der ein evolutionsökonomisches Konzept spontaner Ordnungen entwickelte.
In der Bundesrepublik Deutschland wurden ordoliberale Ideen insbesondere im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der ersten Phase der Sozialen Marktwirtschaft durch den ersten Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard politisch realisiert.
In Deutschland befasst sich heute insbesondere das Freiburger Walter-Eucken-Institut mit Forschungen zum Ordoliberalismus.
Prinzipien
Zentral ist die Unterscheidung zwischen der Gestaltung der Ordnungsformen der Wirtschaft einerseits und der Lenkung der Wirtschaftsprozesse andererseits. Der Ordoliberalismus sieht in einer politisch gesetzten Rahmenordnung, dem Ordo, die Grundlage für funktionierenden Wettbewerb, aus dem sich der Staat dann im weiteren größtenteils heraushalten kann und soll. Walter Eucken brachte das Leitbild des Ordoliberalismus auf die Formel: Staatliche Planung der Formen - ja; staatliche Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses - nein [4].
Eucken entwickelte die Grundprinzipien einer Wettbewerbsordnung, die Effizienz und Freiheit durch das ungehinderte Wirken des Wettbewerbsprozesses garantiert.[5] Die konstituierenden Prinzipien der Wettbewerbsordnung sind für Eucken ein funktionsfähiges Preissystem, Primat der Währungspolitik, Freier Zugang zu den Märkten, Privateigentum an Produktionsmitteln, Vertragsfreiheit, Haftungsprinzip und eine Konstanz der Wirtschaftspolitik.[6] Eine daraufhin ausgerichtete Politik müsse die Zusammengehörigkeit der konstituierenden Prinzipien einer solchen Wettbewerbsordnung beachten, ebenso die Interdependenz der Wirtschaftsordnung mit den anderen Lebensbereichen. In der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie Ludwig Erhard durchgeführt hat, wurden die von Eucken aufgestellten Leitlinien umgesetzt.[7]
Die wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe des Staats war für Eucken, wirtschaftliche Machtkonzentrationen durch Monopole, Kartelle und andere Formen der Marktbeherrschung zu verhindern, ebenso problematisch sei staatliche Monopolmacht.[8] Auch auf den Arbeitsmärkten sollten weder Anbieter noch Nachfrager über monopolistische Machtpositionen verfügen. Den Unterschied zwischen Sachgüter- und Arbeitsmärkten sieht Eucken darin begründet, dass Arbeit keine Ware ist. Um Ausbeutung zu verhindern, müsse der Vermachtung auf den Arbeitsmärkten durch monopolartige Organisationen entgegengewirkt werden, das betreffe sowohl die Arbeitgeberseite wie die Gewerkschaften.[9] Aber wo Gewerkschaften "durch monopolistische Übergewichte der Unternehmer auf den Plan gerufen wurden", können sie "Institutionen eines wirklichen Ausgleichs sein".[10] Breiten Raum widmet Eucken den Fragen sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit. Richtig verstandene Sozialpolitik ist für Eucken in einer Ordnungspolitik aufgehoben, die den Individuen Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht.[11][12]
Als Grund für die Notwendigkeit einer Rahmenordnung sieht der Ordoliberalismus die Tendenz eines vollständig freien Marktes, sich selbst aufzulösen. Anbieter schließen sich zusammen, bilden Kartelle und Preisabsprachen und können so den Markt diktieren (Vermachtung des Marktes). Schädigungswettbewerb kann das Übergewicht gegenüber Leistungswettbewerb erlangen. Die Aufgabe des Staates sei es folglich, einen Ordnungsrahmen zu entwickeln, der vor allem aus Kartell- und Wettbewerbsgesetzen besteht, Markttransparenz und freien Marktzugang fördert sowie für Preisniveaustabilität sorgen soll. Der Sozialgedanke und das Leistungsprinzip, der Ordnungsauftrag und der Dezentralismus sollen so miteinander ausgesöhnt werden. Das Ziel des Ordoliberalismus ist dabei nicht eine radikale Deregulierung, sondern eine De-Monopolisierung. Marktversagen ist im ordoliberalen Denkansatz überall dort möglich, wo versäumt wurde, rechtzeitig die richtige Ordo zu errichten – etwa bei einer fehlenden Entgelt-Festsetzung für die verbrauchende Nutzung von Gemeingütern wie der Umwelt (siehe auch externe Kosten), oder bei unzureichenden Maßnahmen gegen die Kartellbildung.
Da die Idealvorstellung des vollständigen Wettbewerbs (Polypol) laut dem Ordoliberalismus auf Angebots- und Nachfrageseite nicht möglich ist, wurde sie abgelöst durch die Vorstellung des funktionsfähigen Wettbewerbs. Diese kalkuliert mit ein, dass in einer dynamischen Wirtschaft innovative Unternehmer durch Neuerungen zunächst auch erhebliche Marktvorteile gewinnen können. Marktungleichgewichte können um solcher Innovationen willen in Kauf genommen werden, in der Erwartung, dass sie durch weiteren Wettbewerb abgebaut werden. Die Entstehung von stabilen Oligopolen oder Monopolen soll durch die ordoliberale Rahmengesetzgebung verhindert werden; zum kontrollierten, schrittweisen Abbau von Monopolen, die durch frühere ordnungspolitische Fehler entstanden sind, müssen Regulierungsbehörden installiert werden.
Ordoliberalismus und Soziale Marktwirtschaft
Aufbauend auf dem Konzept des Ordoliberalismus entwickelte Alfred Müller-Armack seine wirtschaftspolitische Leitidee der Sozialen Marktwirtschaft. Nachfolgende Tabelle zeigt den Versuch einer Abgrenzung der beiden Konzepte:[13]
Ordoliberalismus (Eucken) | Soziale Marktwirtschaft (Müller-Armack) |
---|---|
Reine Ordnungspolitik | Ordnungs- und Prozesspolitik |
Qualitative Wirtschaftspolitik | Auch quantitative Wirtschaftspolitik |
Streng wissenschaftliches Konzept mit klaren theoretischen Grenzen | Pragmatischer Ansatz; weiche Grenzziehung; Einzelfallentscheidungen |
Ableitung aller Problemlösungen aus der Aufrechterhaltung der Ordnung | Weiterhin Notwendigkeit der staatlichen Intervention zur Schaffung sozialen Ausgleichs bzw. Korrektur der Marktergebnisse |
„Richtige“ Wirtschaftspolitik entzieht der Sozialpolitik die Notwendigkeit | Getrennte Bereiche Wirtschafts- und Sozialpolitik; Versuch der Austarierung von „Freiheit“ und „(sozialer) Sicherheit“ |
Statisches Konzept | Ständige Weiterentwicklung; Anpassung an neue Herausforderungen |
Literatur
chronologisch:
- Walter Eucken: Die Grundlagen der Nationalökonomie. 1939.
- Walter Eucken: Grundsätze der Wirtschaftspolitik. J.C.B. Mohr, Tübingen 1952.
- Ernst-Wolfram Dürr: Wesen und Ziele des Ordo-Liberalismus. 1954.
- Franz Böhm: Die Idee des ORDO im Denken Walter Euckens. In: ORDO, Band 3 1959.
- Joachim Starbatty: Ordoliberalismus. In: Issing, O. (Hrsg.): Geschichte der Nationalökonomie. 1984.
- Heinz Grossekettler: Die Wirtschaftsordnung als Gestaltungsaufgabe: Entstehungsgeschichte und Entwicklungsperspektiven des Ordoliberalismus nach 50 Jahren sozialer Marktwirtschaft. Münster 1997, ISBN 3-89473-846-4.
- Lüder Gerken (Hrsg.): Walter Eucken und sein Werk: Rückblick auf den Vordenker der sozialen Marktwirtschaft. Tübingen 2000. ISBN 3-16-147503-8
- Milene Wegmann: Früher Neoliberalismus und europäische Integration, 2000, ISBN 3-7890-7829-8.
- Ralf Ptak: Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft. 2004, ISBN 3-8100-4111-4
Weblinks
- Freiburger Tradition - Walter-Eucken-Institut
- Ordnungspolitisches Portal der Ökonomen Bernhard Seliger und Ralph Michael Wrobel
Einzelnachweise
- ↑ Hans-Rudolf Peters: Wirtschaftspolitik. Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2000. ISBN 3486255029 S.150
- ↑ Lothar Wildmann: Einführung in die Volkswirtschaftslehre, Mikroökonomie und Wettbewerbspolitik. Oldenbourg Wissenschaftsverlag. 2007 ISBN 3486581953. S. 94
- ↑ Stichwort Neoliberalismus im Duden Wirtschaft von A bis Z. Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 2. Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus 2004. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2004.
- ↑ Hans-Rudolf Peters: Wirtschaftspolitik. Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2000. ISBN 3486255029 S.151
- ↑ Heiko Körner: Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft. In: Michael von Hauff (Hrsg.): Die Zukunftsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft. Marburg: Metropolis-Verl., 2007. - ISBN 3-89518-594-9. S. 23f.
- ↑ Hans-Rudolf Peters: Wirtschaftspolitik. 3., vollst. überarb. und erw. Aufl. München: Oldenbourg, 2000. - ISBN 3-486-25502-9. S. 151f.
- ↑ Horst Friedrich Wünsche: Soziale Marktwirtschaft als Politik zur Einführung von Marktwirtschaft. In Ludwig Erhard-Stiftung (Hrsg.): Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft, Band 3: Marktwirtschaft als Aufgabe. Gustav Fischer 1994. ISBN 3437403311 S.25
- ↑ Lüder Gerken, Andreas Renner: Die ordnungspolitische Konzeption Walter Euckens. In: Lüder Gerken (Hrsg.): Walter Eucken und sein Werk : Rückblick auf den Vordenker der sozialen Marktwirtschaft. Tübingen : Mohr Siebeck, 2000. - ISBN 3-16-147503-8. S. 20f.
- ↑ Hans-Rudolf Peters: Wirtschaftspolitik. 3., vollst. überarb. und erw. Aufl. München: Oldenbourg, 2000. - ISBN 3-486-25502-9. S. 156f
- ↑ Walter Eucken: Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1959, S. 185.
- ↑ Lüder Gerken, Andreas Renner: Die ordnungspolitische Konzeption Walter Euckens. In: Lüder Gerken (Hrsg.): Walter Eucken und sein Werk : Rückblick auf den Vordenker der sozialen Marktwirtschaft. Tübingen : Mohr Siebeck, 2000. - ISBN 3-16-147503-8. S. 21f.
- ↑ Heiko Körner: Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft. In: Michael von Hauff (Hrsg.): Die Zukunftsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft. Marburg: Metropolis-Verlag 2007. ISBN 3-89518-594-9. S. 18
- ↑ Vgl. Schmid, Buhr, Roth u. Steffen: Wirtschaftspolitik für Politologen, UTB, 2006, S. 159-162.