Schulreform in Hamburg
Die Hamburger Schulreform 2008 ist ein vom Hamburger Senat erstelltes und am 7. Oktober 2009 von der Hamburgischen Bürgerschaft beschlossenes Konzept für die Schulen in Hamburg.
Nach Inkrafttreten der Reform zum Schuljahr 2010/2011, beginnend am 1. August 2010 existieren nach der neueingeführten sechsjährigen Primarschule nur noch zwei statt der bislang vier Schulformen: zum einen das sechsstufige Gymnasium und zum anderen die siebenstufige Stadtteilschule.
Am 18. November 2009 erreichte die Initiative Wir wollen lernen, die sich gegen die Reform ausspricht, mit ihrem Volksbegehren mit etwa 184.500 Unterschriften[1] (notwendig ist ein Zwanzigstel der Wahlberechtigten, beziehungsweise 62.000) das notwendige Quorum für die Einleitung eines Volksentscheids. Der Volksentscheid wird voraussichtlich im Juli 2010 stattfinden.[2]
Derzeitige Situation
PISA-Studien und Hamburg
Ein Ergebnis der PISA-Studie war die Erkenntnis, dass in Deutschland der soziale Hintergrund einen großen Einfluss auf den Bildungserfolg hat. Deutschland schnitt besonders schlecht ab, es gibt kaum ein anderes OECD-Land, in dem sich die soziale Ungleichheit derart im Bildungssystem manifestiert. Es ist für untere soziale Schichten verhältnismäßig undurchlässig, Arbeiterkinder besuchen auffällig oft die Hauptschule, während Kinder aus finanziell besser gestellten Elternhäusern oftmals das Gymnasium besuchten – unabhängig von den Fähigkeiten des Kindes. Drastisch drückt es der Hamburger Erziehungswissenschaftler Peter Struck aus: „Arme Kinder landen völlig unabhängig von ihrer Intelligenz überwiegend in der Hauptschule, während dumme Kinder reicher Eltern mit viel Nachhilfe durchaus zum Abitur kommen.“[3]
Als Grund für die geringen Aufstiegschancen sozial Benachteiligter wird oft das dreigliedrige Schulsystem angesehen, das schon sehr früh die Bildungslaufbahn der Kinder festlegt. In Folge der PISA-Studie werden skandinavische Schulsysteme als Vorbild gesehen, insbesondere das Finnische Modell. Finnland belegte den Spitzenplatz der Studie, Schulklassen trennt man dortzulande erst nach Ende der Schulpflicht in eine gymnasiale oder eine berufliche Sekundarstufe.[4]
Kein Bundesland in Deutschland gibt mehr Geld pro Schüler aus als Hamburg.[5] Die Ausgaben für staatliche Schulen am Gesamthaushalt im Hamburg 2005 lagen im Ländervergleich mit 11,99 % hingegen im unteren Bereich (Durchschnitt 14,13 %).[6] Zudem erreichten die Hamburger Schulen bei der PISA-Studie 2006 den vorletzten Platz vor Bremen.[7] Mit dem hohen Wert von mehr als 12 % beendeten Hamburger Schüler in den Jahren 2005/2006 ihre Schullaufbahn ohne jeglichen Abschluss.[8] Bis 2008 konnte diese Quote auf 8,2 % gesenkt werden.[9]
Schulstruktur
In Hamburg gibt es derzeit eine vierjährige Grundschule. Die folgende Sekundarstufe des allgemeinen Schulwesens ist aufgeteilt in
- Hauptschulen,
- Realschulen,
- Integrierter Haupt- und Realschulen,
- sechsstufige Gymnasien,
- Aufbaugymnasien,
- Gymnasien,
- integrierte Gesamtschule und
- kooperative Gesamtschulen,
wobei auf allen Gymnasien und Gesamtschulen das Abitur erworben werden kann.
Bereits seit Beginn des Schuljahrs 2008/2009 werden keine Hauptschulklassen mehr neu gebildet (auch zuvor erst ab der 7. Klasse), sondern alle Haupt- und Realschulen nach den Prinzipien der integrierten Haupt- und Realschule geführt.[10][11]
Lehrerempfehlung und Elternwahlrecht
Am Ende der vierten Klasse geben die jeweiligen Klassenlehrer eine unverbindliche Empfehlung über die weitere Schullaufbahn. Die Schüler werden auf den Wunsch der Eltern auf eine der weiterführenden Schulformen versetzt (Elternwahlrecht), auch wenn es der Empfehlung der Grundschullehrer widersprach. Am Ende der sechsten Klasse wird durch die Zeugniskonferenz und ohne Elternmitwirkung endgültig entschieden, ob der Schüler die Schulform weiterhin besuchen darf.
Durch die Reform angestrebte Situation
Mit der Schulreform sollen alle Kinder sechs statt bisher vier Jahre lang gemeinsam an den bisherigen Grundschulen, die sich dann Primarschulen nennen, unterrichtet werden. Am Ende der sechsten Klasse soll die Zeugniskonferenz entscheiden, ob das Kind weiter auf der Stadtteilschule oder dem Gymnasium beschult wird. Sowohl auf dem sechsstufigen Gymnasium als auch auf der siebenstufigen Stadtteilschule soll das Abitur erworben werden können. Sitzenbleiben und Abschulen soll im Allgemeinen nicht mehr möglich sein.[12]
Ab dem Inkrafttreten der Schulreform soll es in Hamburg drei Schulformen geben:
Primarschule
Die derzeit vierjährige Grundschule soll zum Sommer 2011, teilweise schon ab August 2010, zu einer sechsjährigen Primarschule ausgebaut werden. Hierdurch soll ein längeres gemeinsames Lernen der Schüler erreicht werden. Diese Idee entstand als Kompromiss in den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag zwischen der CDU, die im Wahlkampf 2008 den Erhalt der achtjährigen Gymnasien versprochen hatte, und der GAL, deren Programm eine neunjährige Grundschule unter dem Motto „Neun macht klug“ vorsieht.
Vielen der jetzigen Grundschulen stehen kein ausreichendes Personal oder Räumlichkeiten zur Verfügung, um den gesamten Primarschulunterricht von der ersten bis zur sechsten Klasse zu übernehmen. Außerdem soll ab Klasse vier der Mathematik-, Deutsch- und Fremdsprachenunterricht von Fachlehrern weiterführender Schulen durchgeführt werden. Deshalb ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Primarschule und weiterführender Schule erforderlich. Ist die Primarschule groß genug, können die Primarschüler bis zur sechsten Klasse auf einem Schulgelände unterrichtet werden. Ist dies nicht der Fall, wechseln ganze Schulklassen gemeinsam im Klassenverbund auf eine weiterführende Schule. Sind Primarschule und weiterführende Schule direkt auf einem Grundstück verbunden, ist der Umzug kurz und einfach. Notwendig wird jedoch auch der Umzug auf weiterführende Schulen innerhalb des Stadtteils. Folglich findet der Primarschulunterricht teilweise in den Gebäuden der Stadtteilschulen oder Gymnasien statt. Die Zusammenarbeit soll eine Angleichung der Schulprofile bewirken. Durch die Neuerungen wird bereits ab Klassenstufe vier der Hauptfachunterricht von Fachlehrern durchgeführt.
Dabei bleibt das Klassenlehrerprinzip bis zur sechsten Klassen erhalten. Neu ist, dass Englisch bereits ab Klasse eins unterrichtet wird. Hinzu kommt ab Klasse fünf ein Wahlpflichtbereich. Hier ist eine Belegung von Förderunterricht in den Hauptfächern, sowie die Wahl von vertiefendem Unterricht in bereits bekannten Fächern oder neuen Fächern möglich. Ziel ist ein Angebot an Wahlpflichtkursen aus den Bereichen Naturwissenschaft/Technik, Gesellschaft, Musik/Kunst, Sport und Sprachen. Es soll möglich sein, eine zweite Fremdsprache ab Klasse fünf zu erlernen.
Die Klassenfrequenz soll unter 25, in sozial benachteiligten Stadtteilen unter 20 liegen.
Stadtteilschule und Gymnasium
Ab der siebten Klasse sollen die Schüler nur noch auf zwei Schulformen aufgeteilt werden.
In der Stadtteilschule lernen Schüler der bisherigen Hauptschulen, Realschulen und der Gesamtschulen gemeinsam bis zur zehnten Klasse. Sie können anschließend bei einem entsprechenden Zeugnis drei Jahre die Oberstufe besuchen und das Abitur ablegen. Die Stadtteilschule tritt auch an Stelle der Aufbaugymnasien, deren letzter Jahrgang im Sommer 2013 diese Schulform abschließen wird.
Auf dem Gymnasium soll das Abitur bereits nach zwölf Schuljahren erreicht werden.
In beiden Schulformen ist nach dem 9. Schuljahr der Hauptschulabschluss und nach dem 10. Schuljahr der Realschulabschluss möglich. Anders als bisher können die Gymnasien und Stadtteilschulen ihre Schüler nicht mehr sitzenbleiben oder abschulen lassen.[12]
Weitere Schulformen
Neben den Hauptformen wird es weiterhin geben:
- Förderschulen (§ 19 HmbSG)
- Berufsschulen (§ 20 HmbSG)
- Berufsfachschulen (§ 21 Abs. 1 und 2 HmbSG)
- Berufsvorbereitungsschulen (§ 21 Abs. 3 und 4 HmbSG)
- Fachoberschulen (§ 22 HmbSG)
- Berufsoberschulen (§ 22a HmbSG)
- Berufliche Gymnasien (§ 23 HmbSG)
- Fachschulen (§ 24 HmbSG)
- Abendschulen (§ 25 HmbSG)
- das Hansa-Kolleg (§ 26 Abs. 1 HmbSG)
- Abendgymnasien (§ 26 Abs. 2 HmbSG)
- das Studienkolleg (§ 27 HmbSG).
Politische Diskussion
Positionen der Parteien vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg 2008
Zur Bürgerschaftswahl 2008 in Hamburg am 24. Februar 2008 sind die Parteien mit verschiedenen Positionen zur Bildungs- und Schulpolitik angetreten.
Die vor der Wahl allein regierende CDU vertrat während ihrer Regierungszeit über ihre Senatorin für Bildung, Alexandra Dinges-Dierig, die Auffassung, insbesondere die Hauptschule müsse von ihrem Stigma wegkommen, sie sei eine Restschule. Dies solle erreicht werden, indem die Schülerfrequenz in den Hauptschulklassen gesenkt werde. Die dafür nötigen Lehrerstellen würden von Lehrern anderer Schulformen durch Umschichtung besetzt werden.[13] In Ihrem Wahlprogramm stand eine eindeutige Ablehnung einer „Einheitsschule“. Es sollte jedoch eine Förderung der Ganztagsbetreuung geben. Des Weiteren sprach sich die CDU für eine Integration von behinderten Schülern in den Regelschulen aus.[14] Ein Teil der CDU-Basis vertritt auch nach der Wahl die Auffassung, diese Reform schwäche die Gymnasien. Sie möchte weiterhin die Möglichkeit haben, Kinder nach der vierten Klasse zu versetzen und fürchtet, dass das Elternwahlrecht über die Schulform des Kindes geschwächt würde. Die Führung der CDU in Hamburg steht hinter der Reform. So verteidigt der Erste Bürgermeister, Ole von Beust, die neue Primarschule mit den Worten: „Ich möchte Schulfrieden erreichen.“[15]
Die SPD forderte vor der Wahl, dass die Haupt- Real- und Gesamtschulen zusammengeführt werden. Im nächsten Schritt sollten die Gymnasien ebenfalls in die neu entstehenden Stadtteilschulen übergehen. Dies sollte aber nicht gegen den Elternwillen an der entsprechenden Schule geschehen. Das Sitzenbleiben sollte nach Willen der SPD ganz abgeschafft werden. Einem Hauptschüler solle es nicht verwehrt werden, einen Realschulabschluss zu erwerben.[16]
Die GAL forderte, dass alle Schüler inklusive der heutigen Gymnasialschüler bis zur neunten Klasse gemeinsam unterrichtet würden. Sie forderte eine Ganztagsschule und das Sitzenbleiben sollte abgeschafft werden. Die Schulen sollen mehr Möglichkeiten für Selbstverwaltung bekommen.[17]
Die Linke forderte eine gemeinsame Schule bis zur zehnten Klasse. Der Unterricht sollte ganztägig stattfinden. Des Weiteren forderte die Partei einen jahrgangsübergreifenden Unterricht und die Möglichkeit zur schulischen Selbstverantwortung.[18]
Die FDP – derzeit nicht in der Hamburger Bürgerschaft vertreten – forderte in ihrem Programm, für Fünfjährige eine verbindliche und kostenfreie Starterklasse einzurichten. Kooperationen zwischen den Schulformen sollen auf regionalen Konferenzen besprochen werden. Die Hauptschulklassen sollen in einem Sofortprogramm nur noch halb so groß werden.[19]
Der Koalitionsvertrag
Nach der Bürgerschaftswahl konnte CDU und GAL auf Grund einer gemeinamen Mehrheit der Sitze in der Bürgerschaft eine schwarz-grüne Koalition bilden. Bereits in der Präambel des im April 2008 ausgehandelten Koalitionsvertrags wird gefordert, dass „Kinder und Jugendliche so gut wie möglich zu fördern und ihnen gleiche Startchancen ins Leben zu geben [sind].“ Förderung und Leistung wären nur miteinander zu erreichen. Das letzte Vorschuljahr solle kostenfrei angeboten werden. Ein wichtiges Anliegen sei die Sprachförderung. Die Schulen sollen in Primarschule, Gymnasium und Stadtteilschule geteilt werden. Dabei könne es auch Langformschulen geben, das heißt Schulen, die einerseits aus einer Primarschule, andererseits aus einem Gymnasium bzw. einer Stadtteilschule bestehen. Allerdings soll jede Primarschule stets eine „Einheit mit eigener Leitung und eigenständigen Mitwirkungsgremien“ bilden. Die Schüler sollen unabhängig von ihrer Herkunft die gleichen Chancen erhalten, alle Kompetenzen zu erwerben, „um sie für ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben in einer demokratischen Gesellschaft vorzubereiten“. Wie diese Reform im Detail umgesetzt wird, werde in „regionalen Bildungskonferenzen“ beschlossen.[20] Ziel ist es, dass in Hamburg die Zahl der jungen Menschen mit Hochschulreife so hoch sein soll wie im internationalen Vergleich üblich. Über die konkreten Planungen wurde Anfang 2009 in Regionalen Schulkonferenzen entschieden.
Der Koaltionssenat begründet die Schulreform mit folgenden Argumenten:[21]
- Die Qualität des Unterrichts werde verbessert, indem dieser konsequent individualisiert werde und die Schüler selbstständiger lernen.
- Selbstverantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten der Schulen würden weiter ausgebaut.
- Längeres gemeinsames Lernen und ein Unterricht, der jedes Kind individuell fördert, verbessere die Chancen von Kindern mit schlechteren Startbedingungen, ohne die Leistungsstarken zu bremsen.
- Durch einen Ausschluss von Abschulen (bis zur 10. Klasse) und Sitzenbleiben werde eine Schädigung von Selbstvertrauen und Lernmotivation der Kinder vermieden.
- Mit der Schulreform würden die Klassen in der Primarschule auf maximal 20-25 Kinder verkleinert. An der Stadtteilschule solle es nicht mehr als 25, am Gymnasium nicht mehr als 28 Kinder in einer Klasse geben.
- Die Kinder lernen selbstständiger als bisher und erhalten je nach Leistungsstand unterschiedliche Aufgaben. Die neuen dafür benötigten Unterrichtsmethoden, z. B. Lernwerkstätten, den Wochenplan, Projektarbeit oder das forschende Lernen werden durch Fortbildungsprogramme unterstützt und begleitet.
- Berichtszeugnisse und Gespräche anstelle von Notenzeugnissen (bis 6. Klasse) unter besonderer Berücksichtigung der individuellen Entwicklung geben Schülern und Eltern ein besseres Bild vom Leistungsstand der Kinder.
- Die Lehrer einer Klasse und des Jahrgangs sollen verstärkt in Teams arbeiten, um ihre Zusammenarbeit und Vernetzung zu fördern.
- Das Bildungsangebot in den Primarschulen könne je nach den Interessen vor Ort durch Schwerpunkte wie z.B. Musik, Fremdsprachen oder Sport erweitert werden, abgestimmt mit den weiterführenden Schulen der Bildungsregion.
- In jeder Bildungsregion solle es mindestens eine „gebundene“ Ganztagsprimarschule mit verbindlichen Zeiten von 8.00 bis 16.00 Uhr geben.
- Die Reform verwirkliche das Recht geistig behinderter Kinder, eine allgemeine Schule zu besuchen und dort – unterstützt durch sonderpädagogische Förderung - gemeinsam mit den anderen Schülern unterrichtet zu werden.
Volksinitiative "Wir wollen lernen"
Die im Frühjahr 2008 gegründete und kurz darauf als Verein eingetragene "Initiative 'Wir wollen lernen!' - Förderverein für bessere Bildung in Hamburg e.V." spricht sich gegen die geplante Schulreform aus.
Hierfür trug der Verein im Rahmen einer Volksinitiative nach § 2 des Hamburger Volksabstimmungsgesetzes[22] 184.500 Unterschriften zusammen und legte sie am 18. November 2009 dem Hamburger Senat vor. Die Initiative hat somit das Recht, einen für den Senat verbindlichen Volksentscheid für den Sommer 2010 zu fordern. Da Schlichtungsverhandlungen fehlschlugen, wird der Entscheid zwischen dem 18. Juli und dem 22. August 2010 stattfinden.[23]
Die Initiative führt hierbei folgende Argumente an:[24]
- Die Unterschiede zwischen den Schülern seien wegen der unterschiedlichen Ausgangslagen und Unterstützungsleistungen bereits zum Ende der 4. Klasse so stark, dass ohnehin keine gleiche Lernstände mehr erreicht werden könnten.
- Für einen Unterricht, der zwischen unterschiedlichen und sich weiter entfernenden Lernständen differenziert, bestehe kein überzeugendes Konzept.
- Angesichts der Schulzeitverkürzung auf 12 Schuljahre („G8“) seien die Klassenstufen 5 und 6 unverzichtbar, um auch den Kindern, die schneller lernen können und wollen, sinnvolle Bildung anzubieten.
- Der Elternwille bei der Wahl der Schulform werde ignoriert.
- Die Einführung des Primarschul-Modells würde dazu führen, dass die Eltern schon bei der Einschulung darüber entscheiden müssten, welche Schulform für ihr Kind die richtige ist.
- Es bestehe die Gefahr, dass verstärkt in Privatschulen abgewandert werde und die Bildungsunterschiede und eine soziale Differenzierung dadurch noch verschärft würden.
- Das schlechte Abschneiden Hamburgs in den internationalen Studien sei im wesentlichen durch Gesamtschulen verursacht, während die Gymnasien erheblich besser abschnitten, so dass die Studien gerade keinen Vorteil durch gemeinsames Lernen erkennen ließen.
- Die internationalen Studien sprächen in erster Linie für kleinere Klassen, individuelle Förderung schwacher Schüler, Entlastung der Lehrkräfte durch ergänzendes (vor allem pädagogisch und psychologisch) geschultes Personal und eine effektive Binnendifferenzierung.
- Schwächere Schüler könnten am besten durch Schulen mit spezialisierter personeller und sachlicher Ausstattung (z. B. Senkung der Klassenfequenz, Förderunterricht usw.) gefördert werden.
- Schulen mit humanistischem, bilingualem, musikalischem und sportlichem Profil werde das Fundament entzogen, wenn mit diesen Schwerpunkten erst ab Klasse 7 begonnen werden könne.
- Da die Hamburger Schulen aktuell bereits drei Reformvorhaben verarbeiten müssen, nämlich den Doppeljahrgang, die Profiloberstufe und die Einführung der Stadtteilschulen, könne dem Schulsystem jetzt keine weitere Strukturreform zugemutet werden.
Kritiker werfen der Initiative vor, ein elitäres Schulsystem beibehalten zu wollen.[25] Bürgermeister Ole von Beust, benannte die Initiative als Eliten mit mangelnder Verantwortungsbereitschaft und führte weiter aus, „dass die Wohlhabenden sich nur um ihre Interessen kümmern und diejenigen, die in einer schwierigen Situation leben, nicht einmal mehr die Hoffnung oder die Chance haben, dass es besser werden kann“.[26]
PROSchulreform Hamburg e.V.
PROSchulreform Hamburg e.V. ist eine Initiative von Eltern schulpflichtiger Kinder in Hamburg mit dem Ziel, die Schulreform izu unterstützen, indem sie andere Eltern und Interessierte sowohl direkt als auch über Öffentlichkeitsarbeit informiert. Der Verein engagiert sich laut seiner Satzung für ein modernes, zukunftsfähiges Schulsystem für Hamburg, in dem alle Schülerinnen und Schüler gemäß ihren Fähigkeiten und Begabungen optimal gefördert werden. Er sieht dabei die Schulreform als einen deutlichen Schritt in diese Richtung und eine überfällige und notwendige Antwort auf die Ergebnisse der PISA-Studie an. Im Einzelnen werden von der Initiative folgende Verbesserungen durch die Schulreform angenommen:[27]
- individualisiertes Lernen/individuelle Förderung,
- längeres gemeinsames Lernen bis Klasse 6,
- umfassende Absprachen zwischen Lehrern, Eltern und Kindern mit neuen Formen der Leistungsrückmeldung,
- nur zwei Schulformen bei den weiterführenden Schulen (Stadtteilschule und Gymnasium),
- Abitur an der Stadtteilschule nach 13 Jahren, am Gymnasium nach 12 Jahren,
- Integration von Kindern mit Behinderung,
- mehr Chancengleichheit,
- umfangreiche Qualifizierung der Lehrerinnen und Lehrer in einer Fortbildungsoffensive.
Die Initiative PROSchulreform Hamburg ist Teil des Zusammenschlusses Chancen für alle – Hamburger Allianz für Bildung, in der sich unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zusammengeschlossen haben, um sich für die Schulreform einzusetzen.[28]
Positionen von Lehrer-Verbänden
- Der Deutsche Lehrerverband bezeichnet die Reform als die "Zerschlagung der in Hamburg letzten noch halbwegs tüchtigen Schulform und die Nachahmung eines anderen PISA-Verlierers, nämlich Berlins".[29]
- Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft unterstützt die Einführung der Primarschule als „Schritt in die richtige Richtung“: „Wir unterstützen alle Schritte, die zu längerem gemeinsamem Lernen führen oder führen können, d. h. den Weg dahin offen halten bzw. nicht verbauen. Alles, was frühe Trennung oder soziale Selektion festschreibt oder die Möglichkeit dafür eröffnet, bekämpfen wir.“[30]
- Der Grundschulverband begrüßt die Reformvorhaben. Er fordert, die „Reform ohne Aufschiebung und Aufweichung um(zu)setzen“ und begrüßt insbesondere die Verlängerung der gemeinsamen Schulzeit.[31]
- Der Deutsche Philologenverband befürchtet, dass die Gesetzesvorlage des Senats in der jetzigen Fassung eine Abschaffung des Gymnasiums als leistungsorientierte Schulart bedeute, weil Schüler auch bei schlechten Leistungen nicht mehr sitzenbleiben oder auf andere Schulen verwiesen werden dürften. Es handele sich um die Einführung der Gesamtschule durch die Hintertür, zumal für Gymnasium und Stadtteilschule exakt dieselben Bildungsziele im Gesetzesentwurf formuliert seien.[32]
- Der Verband Deutscher Realschullehrer hält die geplante Schulreform "für einen faulen Kompromiss, der den Weg zur Einheitsschule vorzeichnet und extreme Risiken birgt".[33]
- Die Eltern-, Lehrer und Schülerkammern Hamburg haben sich in einer gemeinsamen Presserklärung für die Reform ausgesprochen, mahnen dabei aber eine ausreichende finanzielle Untersützung und Einbeziehung der Betroffenen an.[34]
- Der Deutsche Lehrerverband-Hamburg fordert eine "Pause" des Reformvorhabens und warnt davor, "vollendete Tatsachen zu schaffen, die im August 2010 zum Schaden der Schulen im Zorn und in der Konfrontation wieder abgeschafft werden".[35]
Siehe auch
Weblinks
- Offizielle Informationsseite der Stadt Hamburg zur Schulreform
- Webpräsenz der Initiative Eine Schule für alle
- Webpräsenz der Initiative "Eltern für gute Schulen" Hamburg
- Webpräsenz der Initiative Pro Schulreform Hamburg
- Webpräsenz der Initiative Wir wollen Lernen
- Positionspapier der CDU Hamburg zur Schulstrukturreform
- Panorama Bericht vom 18. Februar 2010
Einzelnachweise
- ↑ Volksbegehren „Wir wollen lernen!“ beendet, Meldung auf hamburg.de, abgerufen am 3. März 2010.
- ↑ „Diese Kröte muss man schlucken“. Schulreform-Volksentscheid in Hamburg, Spiegel Online, 10. Februar 2010, abgerufen am 3. März 2010.
- ↑ Hauptschule als Auslaufmodell, Artikel auf Focus online vom 7. August 2008, abgerufen am 25. Februar 2010
- ↑ Nach Pisa-Schock: Finnisches Modell gilt als Vorbild, Die Welt online, 27. Oktober 2006, abgerufen am 3. März 2010
- ↑ Ende der Hauptschule, ZEIT online, 18. April 2007. Siehe auch: Hamburg lag [von 2000 bis 2005] – mit Ausnahme des Jahres 2004 – jeweils an der Spitze der Länderergebnisse bei den Ausgaben für die staatlichen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen je Einwohner., Bildungsbericht Hamburg 2009, (pdf) S. 57, abgerufen am 2. März 2010.
- ↑ Bildungsbericht Hamburg 2009, (pdf) S. 56, abgerufen am 2. März 2010
- ↑ Hamburg hinkt beim Pisa-Test weiter hinterher, Die Welt online, 18. November 2008.
- ↑ Ende der Hauptschule, ZEIT online, 18. April 2007.
- ↑ Bildungsbericht Hamburg 2009, (pdf) S. 197, abgerufen am 2. März 2010
- ↑ Bürgerschaftsdrucksache 19/436 (Antrag von GAL und CDU)
- ↑ Elftes Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Schulgesetzes
- ↑ a b Elfter Brief von Schulsenatorin Christa Goetsch an die Hamburger Schulen. schulreform.hamburg.de, Abgerufen am 13. November 2009.
- ↑ Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig: "Hauptschulen stärken, Grundschullehrer entlasten, Sprachförderung neu positionieren", Pressemeldung der Behörde für Schule und Berufsbildung auf Bildungsklick.de
- ↑ Kernelemente aus dem CDU-Wahlprogramm zum Thema „Bildung“ auf kandidatenwatch.de
- ↑ Von Beust: "Ich bin meinen Grundsätzen treu geblieben", Hamburger Abendblatt vom 25. April 2008
- ↑ Kernelemente aus dem SPD-Wahlprogramm zum Thema „Bildung“ auf kandidatenwatch.de
- ↑ Kernelemente aus dem Wahlprogramm der Grünen zum Thema „Bildung“ auf abgeordnetenwatch.de
- ↑ Kernelemente aus dem Wahlprogramm der der Partei Die Linke zum Thema „Bildung“ auf abgeordnetenwatch.de
- ↑ Kernelemente aus dem Wahlprogramm der FDP zum Thema „Bildung“ auf abgeordnetenwatch.de
- ↑ Vertrag über die Zusammenarbeit in der 19. Wahlperiode der Hamburgischen Bürgerschaft zwischen der Christlich Demokratischen Union, Landesverband Hamburg und Bündnis 90/Die Grünen, Landesverband Hamburg, GAL (Koalitionsvertrag), (pdf)
- ↑ http://www.schulreform.hamburg.de/massnahmen
- ↑ Hamburger Volksabstimmungsgesetz
- ↑ Von Beust will Schulreform nachbessern, Die Welt online, 17. November 2009
- ↑ Argumente der Initiative gegen die Primarschule
- ↑ Kampf um Schulreform: Eliten wollen unter sich bleiben, Manuskript eines Beitrags in Panorama vom 18.02.2010 (pdf).
- ↑ Von Beust kritisiert die Eliten im Schulstreit, Die Welt, 14. Februar 2010, abgerufen am 23. Februar 2010
- ↑ PROSchulreform: Schulreform in Hamburg abgerufen am 8. März 2010
- ↑ Chancen für Alle - Hamburger Allianz für Bildung abgerufen am 8. März 2010
- ↑ Presseerklärung vom 12. Oktober 2009
- ↑ GEW zum Rahmenkonzept der Schulreform, bildungsklick.de, 3. Februar 2009
- ↑ Grundschulverband (Januar 2010): Stellungnahme zur Schulreform in Hamburg (Bundesvorstand)
- ↑ Ole von Beust verbündet sich mit den Totengräbern des Gymnasiums, Presseerklärung vom 11.02.2010, Meldung auf bildungsklick.de
- ↑ Bislang rund 10 000 Unterschriften für "Eine Schule für alle", Die Welt online, 30. September 2008
- ↑ Gemeinsame Erklärung der Kammern vom 7. Mai 2009 (pdf)
- ↑ Schulpolitik – nur noch eine Machtfrage?, Pressemeldung des Deutschen Lehrerverbands Hamburg vom 27. November 2009