Rasse (Züchtung)
Rassen oder Unterarten sind Populationen einer Art, bei denen der Genaustausch mit anderen Populationen vermindert ist. Dadurch kann es zu einer verstärkten Herausbildung von gemeinsamen phänotypischen Merkmalen kommen, die die Individuen der Rasse von anderen Populationen der gleichen Art unterscheiden (Merkmalsdivergenz). Andere Begriffe, die vergleichbare Beobachtungen ausdrücken, sind Unterart, Zuchtform oder Varietät. Im Pflanzenreich sprechen Biologen auch von Sorten. In Bezug auf Menschen ist die Anwendung des Begriffes "Rasse" aufgrund der pervertierten Anwendung im Nationalsozialismus bis auf wenige Ausnahmen (siehe unten) nicht mehr üblich.
Klassifizierung von Populationen in Evolutionsprozessen
Alle Mitglieder einer biologischen Art haben normalerweise an einem gemeinsamen Genpool teil. Innerhalb einer Art bilden sich jedoch weite Variationen in der phänotypischen Kombination bestimmter Merkmale. Bestehen zwischen verschiedenen Populationen oder Populationsgruppen der Art Barrieren für den Genaustausch - seien es räumliche (Gebirge, Landmassen, Meere), zeitliche (Entwicklungszeiten, etwa bei Maikäfern) oder vom Menschen induzierte (Zuchtwahl bei Hunden, Pferden etc) - so prägen sich diejenigen Merkmale heraus, die in hoher Frequenz bereits vorhanden sind (Genetische Drift), manchmal verstärkt durch spezifische Umweltbedingungen, die einen Selektionsdruck ausüben. Wenn es im Laufe der Evolution in bestimmten Populationsgruppen gehäuft zu dieser einheitlichen Ausprägung bestimmter Merkmale kommt, die die Angehörigen einer Gruppe von anderen unterscheidet, so liegt eine Unterteilung in Untergruppen nahe, die als Rassen, Unterarten, Sorten etc. bezeichnet werden. Diese Unterarten können sich zu neuen Arten entwickeln, wenn sie so weit auseinander driften, dass sich Fortpflanzungsbarrieren ausbilden, die den freien Genaustausch zwischen den Gruppen dauerhaft, d. h. selbst bei wieder etabliertem z. B. geografischem Kontakt, einschränken und dadurch die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Fortpflanzung zwischen Individuen verschiedener Untergruppen stark herabsetzen. Es finden sich dann oft evolutionäre Zwischenstadien, bei denen zwar eine Kreuzung möglich ist, der Nachwuchs aber eine herabgesetzte evolutionäre Fitness zeigt, was sich u. a. in verminderter Fortpflanzungsfähigkeit wie beispielsweise zwischen Pferden und Eseln zeigen kann.
Da eine Rasse immer über eine ganze Reihe von Eigenschaften, Merkmalen oder Attributen definiert wird, können durch die Kreuzung von Individuen mit heterozygoten Merkmalen beliebige Zwischenstufen zwischen den Rassen entstehen. Die Rasse ist also nur in einer geografisch und zeitlich fest umrissenen Situation eine naturgegebene Kategorie; in vielen Fällen ist sie ein vom Menschen geschaffenes Abstraktum. Realität kommt dann nur den einzelnen genotypischen und phänotypischen Unterschieden selbst zu - es existiert also keine von der historischen Situation unabhängige "Summe" dieser Unterschiede.
Rassen sind heute insbesondere in der Tierzucht (Hunde, Pferde, Haustiere) von Bedeutung, wo oft die Reinrassigkeit den Wert eines Tieres mitbestimmt: Die Tiere sollen den definierten Eigenschaften des Zuchtideals entsprechen. Die Art der Hunde wurde z.B. als Ganze vom Menschen aus der differierenden Art des Wolfes herausgezüchtet. Die Legende wonach verantwortungsvolle Züchtung zur Verringerung der Vitalität führt, entspricht definitiv nicht der Realität. Gleichwohl gibt es Überzüchtungen auf Schönheitsideale der Wohlstandsgesellschaft, die zu solchen Inzucht-Effekten führen können. Ansonsten zeigen nicht professionelle Zuchthunde, die bis zu mehreren tausend Euro kosten können, sondern in der Regel Misch- und Straßenhunde aus dem Zwinger und dem Tierheim schwere Verhaltensstörungen. In der Zucht von Nutztieren und Nutzpflanzen dienen reinrassige Ur-Zuchtlinien daher nur zur Produktion von hybriden neuen Rassen.
Rassen in Bezug auf Menschen
In der Anthropologie unterscheidet man nach äußeren Merkmalen (wie Hautfarbe, Haarfarbe, Körperbau usw.) typologisch bis heute drei große Rassenkreise: Europide (Europa bis Indien), Mongolide (Ostasien und Indianer Amerikas) und Negride (Afrika), sowie deren zahlreiche Mischformen (Australide, Mestizen, Mulatten etc.). Besonders in der Anthropologie war bis in späten 1980er Jahre eine Aufspaltung der klassischen Rassen der Menschen in verschiedene Unterrassen üblich. So wurden beispielsweise die Europiden nochmals aufgefächert in Nordide, Osteuropide, Alpinide, Dinaride, Mediteranide, Armenide, Orientalide, Indide. Ähnliche Aufspaltungen galten auch für die anderen Rassen und werden in einigen Büchern noch heute verwendet.
Vergegenwärtigt man sich aber z.B. dass viele Südinder eine dunklere Hautfarbe als manche Negride haben, so zeigt schon dieses Merkmal, dass die Variationsbreite innerhalb eines Rassenkreises größer sein kann als zwischen verschiedenen. Dasselbe gilt allerdings für die Arten: Es mag z.B. Variationen der Augenfarbe innerhalb einer Art geben, so daß Individuen verschiedener Arten dieselbe Augenfarbe haben, und dennoch verschieden Arten angehören (Mensch, Affe, Hund etc.). In der Soziologie spricht man besser von Populationen (Gruppen, die einen präzise bestimmten Raum bewohnen) - ein Begriff der nicht biologisch, sondern statistisch definiert ist. Der Begriff gehört der Soziologie und nicht der Biologie an. Genetische Unterschiede zwischen Populationen lassen sich anhand einzelner Merkmale (z.B. Blutgruppen) erfassen. Dabei liegt etwa 85% der bei Menschen erkennbaren genetischen Variabilität innerhalb einer Population vor; etwa 8% betreffen Unterschiede zwischen benachbarten Gruppen und nur 7% gehen auf Unterschiede zwischen den typologisch definierten Rassen zurück. Ebenfalls, und dies wird leider von den fachfremden Soziologen vergessen, betragen die Unterschiede zwischen ganzen Spezies noch weniger, nämlich zwischen Mensch und Affe nur 0,3%.
Insbesondere im Deutschen wird der Begriff der "Rasse"in Bezug auf Menschen aufgrund der ideologisch belasteten Verwendung im Nationalsozialismus im öffentlichen Sprachgebrauch fast vollständig vermieden.
Im anglo-amerikanischen Raum ist der Begriff "race" allerdings gebräuchlich. So werden hier im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in offiziellen staatlichen Dokumenten die Menschen nach ihren äußerlichen Merkmalen in verschiedene Kategorien unterteilt (Caucasian, Latin, Black, Asian). Allerdings darf der anglo-amerikanische Begriff "race" nicht immer mit dem deutschen Verständnis des Wortes "Rasse" gleichgesetzt werden. In den USA können mit "race" auch soziale Gruppen, wie z.B. Ärzte zusammengefasst werden ("the race of doctors" - sog. Millieu-Theorie).
Zunehmend setzt sich die behavioristische These durch, dass sich klare Abgrenzungen zwischen verschiedenen Gruppen von Menschen also nur schwer und in der globalisierten Welt immer schwerer finden liessen.
Die Entwicklung des Menschen und seiner Geschichte basiert des weiteren nicht nur auf genetischem, sondern auch auf kulturellem Austausch. Wenn Gruppen einzelner Menschen unterschieden werden sollen, um zum Beispiel Konflikte zu erklären, so muss dies z. T. sehr viel kleinräumiger geschehen, als das der Begriff der "Rasse" (und eng damit verbunden, der Begriff des Volkes) nahe legt. Deswegen unterscheidet man zwischen politikwissenschaftlichen Kategorien und den naturwissenschaftlich-biologischen Kategorien.
Heute spricht man in der Soziologie in Bezug auf Menschen vorwiegend von Ethnien, wobei (nach umstrittener Theorie) sowohl die kleinere räumliche Ausdehnung, die fließenderen Grenzen und der kulturelle Aspekt die Ethnie ausmachen.
Siehe auch: Rassismus, Herrenrasse
Literatur
- Luigi Luca Cavalli-Sforza: Gene, Völker und Sprachen. Die biologischen Grundlagen unserer Zivilisation, Darmstadt: WBG 1999
Weblinks
- http://www.mpg.de/bilderBerichteDokumente/dokumentation/pressemitteilungen/1999/pri63_99.htm Kam der moderne Mensch durch ein "Nadelöhr"?
- http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/619209 Nur 2000 - Die gesamte Menschheit stammt von einer kleinen Gruppe ab
- http://www.shoa.de/rassenlehre.html Warum und mit welcher Wirkung klassifizieren Wissenschaftler Menschen?