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Goldbacher Stollen

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Der Goldbacher Stollen bei Überlingen am Bodensee wurde zwischen Juni 1944 und April 1945 von Häftlingen des KZ-Außenlagers Überlingen-Aufkirch erbaut. In der Stollenanlage sollten im Zuge der Untertage-Verlagerung kriegswichtiger Betriebe zuvor in Friedrichshafen angesiedelte Rüstungsbetriebe produzieren.

Vorgeschichte

Als Zentrum der Rüstungsindustrie des nationalsozialistischen Deutschen Reiches war Friedrichshafen während des Zweiten Weltkrieges bevorzugtes Ziel alliierter Luftangriffe.[1] Bis Kriegsende wurden nahezu alle Fabriken, darunter die Produktionsanlagen der Firmen Luftschiffbau Zeppelin, Maybach-Motorenbau, Zahnradfabrik Friedrichshafen und der Dornier-Werke sowie weite Teile des Friedrichshafener Stadtgebiets zerstört. Ab 1943 wurden Teile der Rüstungsproduktion dezentral in das Umland von Friedrichshafen verlagert.

Am 1. Mai 1944, drei Tage nach einem weiteren schweren Luftangriff auf Friedrichshafen, ordnete der „Jägerstab“, im Rüstungsministerium für die vermehrte Produktion von Jagdflugzeugen zuständig, den Bau von Stollen für die Friedrichshafener Unternehmen in Hohenems in Vorarlberg sowie in Überlingen an. In Überlingen standen unmittelbar an der Bodenseegürtelbahn Felsen aus Molasse an, einem weichen und leicht aushöhlbaren Gestein. Organisiert von der „Rüstungsinspektion Oberrhein“ starteten die Bauarbeiten Anfang Juni 1944; geplant war eine Bauzeit von 100 Tagen.

Bau

Die Bauleitung für die Stollenanlage mit der Tarnbezeichnung „Magnesit“ hatte das Münchner Ingenieurbüro Arno Fischer inne. Bauausführende Firma war die Siemens-Bauunion aus München, die ihrerseits mehrere Subunternehmer heranzog. Kleinere Installationsarbeiten führten auch Handwerksbetriebe aus der näheren Umgebung aus. Für die Bauüberwachung war die Organisation Todt im Auftrag des Rüstungsministeriums zuständig.

Insgesamt waren im Goldbacher Stollen 40.000 m² unterirdische Fläche vorgesehen, auf der die Firmen Maybach-Motorenbau, Zahnradfabrik Friedrichshafen und die Dornier-Werke produzieren sollten.[2] Jeder Firma war ein Längsstollen zugeordnet, der mit einem Gleisanschluss ausgerüstet werden sollte. Bis zur Einstellung der Bauarbeiten bei Kriegsende entstanden neben den Längsstollen 17 Querstollen sowie acht Zugänge bei einer Gesamtlänge von über vier Kilometern. Die Stollenbreite variiert zwischen zwei und 25 Metern, die Höhe zwischen zwei und zehn Metern; ein Teil der Kreuzungspunkte wurde hallenförmig ausgebaut. Abgesehen von einigen Fensterstollen liegt das Sohlenniveau der Stollen zwischen 399 und 402 m ü NN bei einem mittleren Bodenseewasserstand von 396 m ü NN. Das Gebiet über dem Goldbacher Stollen, das bereits vor 1944 dicht mit Wohnhäusern bebaut war, liegt zwischen 10 und 60 Meter über dem Sohlenniveau der Stollen.

Zur Beschleunigung der Bauarbeiten wurden KZ-Häftlinge eingesetzt. Das KZ-Außenlager Überlingen-Aufkirch wird erstmals am 3. September 1944 in erhaltenen Unterlagen des Stammlagers Dachau erwähnt.[3] Durchschnittlich 700 KZ-Häftlinge waren in dem Außenlager bei Aufkirch, etwa 1,5 Kilometer vom Stollen entfernt, untergebracht. Bewacht von 25 SS-Mitgliedern unter dem Lagerkommandanten Georg Grünberg arbeiteten die Häftlinge ohne jegliche Vorkehrungen für ihren persönlichen Schutz in zwölfstündigen Schichten beim Stollenbau. Dabei waren sie sowohl beim Vortrieb mit schwerem Gerät wie Pressluftbohrern und Presslufthämmern beschäftigt als auch beim Abtransport des Abraums, der auf Kipploren geladen, an das Ufer des Bodensees gefahren und dort ausgekippt wurde. Auf der so entstandenen Aufschüttung befindet sich in der Gegenwart ein Campingplatz.

Parallel zum Stollenvortrieb bauten Mitarbeiter der Friedrichshafener Betriebe in den fertiggestellten Teilen der Anlage die Produktionsanlagen auf. Nach Berichten ehemaliger Mitarbeiter von Dornier war zwischen den Arbeitsbereichen der Firmenmitarbeiter und der KZ-Häftlinge eine Trennmauer mit einer Stahltür errichtet worden, die mit fortschreitendem Stollenbau versetzt wurde.[4] Bei Sprengungen sei es den KZ-Häftlingen untersagt gewesen, sich im sicheren Bereich hinter der Trennmauer aufzuhalten, wodurch Häftlinge verletzt worden seien. Kontakte zwischen den Arbeitern und den Häftlingen seien durch die SS unterbunden worden. Einer der Häftlinge, Anton Jež, berichtete 1998 von stetigen Felsabbrüchen in der Firste der Stollen, bei denen Häftlinge getötet oder schwer verletzt wurden.[5] Weitere Unfälle hätten sich beim Entfernen nicht explodierter Sprengladungen ereignet. Als „Glück“ für die unzureichend bekleideten und mangelhaft ernährten Häftlinge bezeichnete Jež die relativ milden Temperaturen, die im Winter im Stollen geherrscht hätten. Boris Kobe, ein slowenischer Häftling, zeichnete kurz nach Kriegsende Tarockkarten, die auch die Arbeitsbedingungen im Stollen schildern. Zu sehen sind Häftlinge, die auf dem Marsch zur Arbeit getreten und von Hunden gebissen werden, von herabgestürzten Felsen verschüttete Häftlinge, die Arbeit mit dem Presslufthammer sowie das Schieben einer Kipplore von Hand.[6] In Überlingen starben mindestens 170 KZ-Häftlinge, wie viele hiervon bei – teilweise auch willkürlich provozierten – Arbeitsunfällen ums Leben kamen, ist unbekannt.[7]

Nutzung

Die Bauarbeiten am Goldbacher Stollen wurden Mitte April 1945, kurz vor der Befreiung Überlingens durch die französische Armee, eingestellt. Die überlebenden KZ-Häftlinge wurden am 20. April in das KZ-Außenlager Allach bei München evakuiert. Beim Abbruch der Bauarbeiten waren in Teilbereichen der Stollenanlage bereits Maschinen aufgestellt; vermutlich war es noch nicht zur Aufnahme der Produktion gekommen.[4]

Unmittelbar nach Kriegsende kam es im Stollen zu Plünderungen, die von den französischen Besatzungsbehörden bald unterbunden wurden. Nach der Demontage der im Stollen vorhandenen Einrichtungen ließen die Besatzungsbehörden 1947 alle Zugänge und einen Teil des Stollensystems sprengen, so dass die unterirdischen Anlagen nur noch über einen Notzugang zugänglich waren. 3,6 Kilometer blieben begehbar, davon sind 2,5 Kilometer mit Personenkraftwagen und 1,2 Kilometer mit Lastwagen befahrbar.[8] Gemäß dem Kriegsfolgengesetz übernahm der Bund den Goldbacher Stollen, zuständig ist die Bundesvermögensverwaltung.

In den 1960er Jahren wurde eine neue Einfahrt in das Stollensystem geschaffen, um Erhaltungsarbeiten zu ermöglichen. In dieser Zeit wurde die Nutzung des Goldbacher Stollens als Luftschutzraum diskutiert. Zwischen 1983 und 1989 ließ die Bundesvermögensverwaltung umfangreiche Sanierungsarbeiten durchführen, bei der die bislang ungesicherten Oberflächen mit Spritzbeton versehen wurden. 1984 errichtete die Stadt Überlingen am Eingang zur Stollenanlage eine Gedenkstätte, bestehend aus einem teilweise mit Stacheldraht umwundenen Kreuz und einer Gedenktafel. Seit 1981 finden regelmäßig Führungen in der Stollenanlage statt, in der sich seit 1996 eine Dokumentationsstätte befindet. Die Stollen werden als Winterquartier für bis zu 300 Wohnwagen und Boote genutzt; eine Nutzung, die 1994 kontroverse Diskussionen in Überlingen auslöste. Ehemalige Häftlinge zeigten sich bei Besuchen vor Ort mit der Nutzung einverstanden.[9]

Einzelnachweise

  1. Zur Vorgeschichte siehe Burger, Stollen, S. 11f.
  2. Zahlenangaben bei Burger, Stollen, S. 13–21. Siehe auch Übersichtsplan bei www.stollen-ueberlingen.de.
  3. Zum Außenlager siehe Oswald Burger: Überlingen (Aufkirch). In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. (Band 2: Frühe Lager, Dachau, Emslandlager.) C.H.Beck, München 2005, ISBN 3-406-52962-3, S. 514–517.
  4. a b Burger, Stollen, S. 22.
  5. Anton Jež: Der Stollen war unser Unglück und unser Glück. Erinnerungen an das KZ-Außenkommando Überlingen/Aufkirch. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): KZ-Außenlager – Geschichte und Erinnerung. (= Dachauer Hefte, Heft 15) Verlag Dachauer Hefte, Dachau 1999, ISSN 0257-9472, S. 46 – 53, hier S. 49.
  6. Burger, Stollen, S. 79ff. Die Karten des Tarockspiels bei: Center for Holocaust & Genocide Studies (University of Minnesota): Boris Kobe.
  7. Burger, Stollen, S. 28ff.
  8. Zahlenangaben bei Burger, Stollen, S. 66.
  9. Burger, Stollen, S. 73.

Literatur

Filme

  • Medienwerkstatt Freiburg: Unter Deutschlands Erde. Video, Freiburg im Breisgau 1983.
  • Stephan Kern, Jürgen Weber: Wie Dachau an den See kam … Video, Querblick Medien- und Verlagswerkstatt, Konstanz 1995, ISBN 3-9804449-1-0.

Koordinaten: 47° 46′ 14″ N, 9° 8′ 26″ O