Moritz Julius Bonn
Moritz Julius Bonn (* 26. Juni 1873 in Frankfurt am Main; † 25. Januar 1965 in London) war ein Staatswissenschaftler deutsch-jüdischer Herkunft.
Leben

Moritz Julius Bonn war der letzte Frankfurter Nachkomme der gleichnamigen jüdischen Familie, die seit 1542 in Frankfurt ansässig war.[1] Er studierte Nationalökonomie an den Universitäten Heidelberg, Freiburg, Wien und München, wo er 1895 bei Lujo Brentano zum Doktor rer. pol. promoviert wurde. Titel seiner Dissertation, die eine erfolgreiche Publikation wurde: „Spaniens Niedergang während der Preisrevolution des 16. Jahrhunderts“. [2] Nach einem Studium an der London School of Economics and Political Science kehrte er über Italien und Südafrika nach München zurück, wo er sich 1905 mit einer ebenso erfolgreichen Schrift habilitierte: „Die englische Kolonisation in Irland“. 1910 wurde er außerordentlicher Professor sowie Direktor der Münchner Handelshochschule, die 1922 als Technisch-Wirtschaftliches Institut in die Technische Universität München integriert wurde. Wegen seiner frühen Schriften galt er als „ein Stern besonderer Art am Gelehrtenhimmel“.
Seit 1914 war Bonn Gastprofessor an der University of California, 1915 besetzte er den Carl-Schurz-Lehrstuhl an der University of Wisconsin-Madison. Patricia Clavin schließt aus Hinweisen, dass er die amerikanische Öffentlichkeit davon zu überzeugen versuchte, dass Amerika nicht in den Krieg eingreifen sollte.[3] Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Deutschland kehrte er 1917 an die Handelshochschule in München zurück. In allen Amerika betreffenden Angelegenheiten wurde er Ratgeber Wilhelms II. und wurde nach Kriegsende wegen seiner guten Beziehungen zur englischen Partei der Liberalen 1919 zur Pariser Friedenskonferenz entsandt.[4] An seiner Münchener Handelshochschule besorgte er im August 1919 für Carl Schmitt, der in seinen Tagebuchnotizen keinen Hehl aus seiner Judenfeindschaft machte, eine Dozentenstelle.
1920 wurde Bonn Dozent an der Handelshochschule Berlin und Leiter des von ihm gegründeten Instituts für Finanzwesen. Zwischen 1920 und 1922 war er Sachverständiger für Reparationsfragen in der Reichskanzlei, was ihn für die Rechten zum Erfüllungspolitiker machte. Er stand der Deutschen Demokratischen Partei nahe.[5] Die spürbar gewordene Idealisierung des Krieges durch die Faschisten war für ihn ein Anachronismus, weil er im modernen Krieg kein intuitives Erlebnis der Heroenzeit mehr sah, sondern ein Massenvernichtungsunternehmen.[6]
Bonn galt als einer der führenden Wirtschaftsfachleute der Weimarer Republik. Als solcher wurde er 1933 von den Nationalsozialisten aus allen Ämtern entlassen. Seine Entlassung machte Schlagzeilen in der englischen und amerikanischen Presse, wie es ähnlich nur Albert Einstein widerfahren war.[7] Seither ist er in Deutschland in Vergessenheit geraten. Über Österreich ging er nach London, wo er sein zweites Zuhause fand. Denn er war seit 1906 mit der Engländerin Theresa Cubitt verheiratet, die aus einer angesehenen Familie stammte. Er war regelmäßig an den Sommerschulen der Liberalen in Cambridge und Oxford beteiligt und ein bekanntes Mitglied des „Reform Club“, Herz des liberalen England. Er lehrte zwischen 1933 und 1938 an der London School of Economics.
1939 ging Bonn bis 1946 offiziell als Dozent in die USA. Tatsächlich war es eine Mission im Dienste der englischen Diplomatie. Wegen seiner überall geschätzten Weltläufigkeit traute man ihm zu, als „agent of influence“ die Amerikaner davon zu überzeugen, an Englands Seite in den Krieg gegen Deutschland einzutreten. Denn Amerika war ihm wegen seiner zahlreichen Aufenthalte ebenfalls vertraut, zum Beispiel auch in Gestalt seines Cousins Max Warburg. Das Publikum für seine inoffizielle Propagandatätigkeit fand er in Clubs wie Rotary International, in Kirchenversammlungen; außerdem schrieb er für eine Reihe von Zeitungen und Magazinen. Dabei drang er darauf, dass ein Unterschied zwischen Deutschland und dem NS-Regime und zwischen unbelehrbaren und belehrbaren Deutschen gemacht würde, anstatt alle als unheilbar zu betrachten.[8]
Trotz seines Eingebundenseins in die angloamerikanische Welt fühlte Bonn sich im Exil, was sich darin ausdrückte, dass er sich als einen kosmopolitischen „wandernden Gelehrten“ ausgab, wie er es in einem Buch von 1948 ausdrückte: „Wandering Scholar“ (1948). Deutschland hatte er sich entfremdet: „The Germany of which I had been, I hope, not an unworthy part had inretrievably gone.“[9]
Im Juni 1953 wurde ihm in Deutschland das Große Verdienstkreuz mit Stern verliehen. Bis zu seinem Tode lebte er in London.
Literatur
- Patricia Clavin, A ‚Wandering Scholar‘ in Britain and the USA, 1933-1945: The Life and Work of Moritz Bonn. In: Anthony Grenville (Hg.), Refugees from the Third Reich in Britain (Yearbook of the Research Centre for German and Austrian Exile Studies, Editions Rodopi B.V., Amsterdam-New York 2003; ISBN 9-04201-104-1; S. 27-42.
Einzelnachweise
- ↑ Familie Bonn in Frankfurt
- ↑ Diese und die weiteren Angaben folgen dem von der FU Berlin anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde veröffentlichten biographischen Abriss und der Darstellung von Patricia Clavin: A ‚Wandering Scholar‘ in Britain and the USA, 1933-1945: The Life and Work of Moritz Bonn. In: Anthony Grenville (Hg.), Refugees from the Third Reich in Britain (Yearbook of the Research Centre for German and Austrian Exile Studies, Editions Rodopi B.V., Amsterdam-New York 2003; ISBN 9-04201-104-1; S. 27-42.
- ↑ Patricia Clavin, S. 30. – Vgl. dazu auch Artikel in der New York Times vom 6. August 1916: „Germany Not Seeking Conquest, Says German“
- ↑ Patricia Clavin, S. 30. – Siehe hierzu Entwurf Moritz Julius Bonns für eine Rechtsverwahrung gegen den Versailler Vertrag. 28. Juni 1919.
- ↑ Patricia Clavin, S. 27.
- ↑ Leonid Luks, Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus. Eine Skizze, S. 6.
- ↑ Patricia Clavin, S. 27.
- ↑ Patricia Clavin, S. 34-36.
- ↑ Zitiert bei Patricia Clavin, S. 37.
Weblinks
- Vorlage:PND
- Vorlage:KurzbiographienAdR
- Ehrenpromotion 1956
- Downloads für drei seiner bekanntesten Bücher
Personendaten | |
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NAME | Bonn, Moritz Julius |
KURZBESCHREIBUNG | Staatswissenschaftler deutsch-jüdischer Herkunft |
GEBURTSDATUM | 26. Juni 1873 |
GEBURTSORT | Frankfurt am Main |
STERBEDATUM | 25. Januar 1965 |
STERBEORT | London |