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Reimar Lenz (Publizist)

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Reimar Lenz (* 5. Juli 1931 in München) ist ein deutscher Publizist und Schriftsteller (Pseudonym: Wolfgang Harthauser). Lenz hat zahlreiche Texte in Zeitungen und Zeitschriften publiziert und über 70 Beiträge in Büchern.

Leben

Kindheit und Jugend

1931 als zweitjüngstes Kind von fünf Geschwistern in München geboren, erlebte Lenz die Schrecken der Kriegsjahre, „Phosphorbombe im Vorgarten, Luftmine in der Nachbarschaft und eine Brandbombe im Kinderzimmer“ (R. Lenz in: Die Brücke, Nr. 147, 2008) in Berlin-Zehlendorf. 1944 flüchteten seine Eltern nach Nordrhein-Westfalen. Als 14-jähriger beschäftigte er sich bereits mit dem Buddhismus und mit 15 Jahren gründete Lenz einen Jungenbund mit 3 Grundsätzen: 1. Alle Nationen sind gleichberechtigt. 2. Alle Religionen sind gleichberechtigt. 3. Das kosmische Bewusstsein ist zu pflegen. Nach dem Abitur Mitarbeit in einem „work-camp“ zusammen mit amerikanischen Quakern in Süditalien. Es betraf ein Entwicklungshilfeprojekt zur Erschließung einer Wasserquelle.

Wahrheitssucher

1955 studierte Lenz Psychologie in Tübingen und trat dort dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) bei. Er erhielt einen Preis von der Philosophischen Fakultät der Universität Tübingen für seine Arbeit: „Über die Rolle des Zeiterlebens für die Phänomenologie der Erinnerungen“. Später ging er zur Redaktion der Zeitschrift Atomzeitalter. Im Skriver-verlag redigierte er die Zeitschriften Lyrische Blätter und Alternative. Zwei Jahre später reiste Lenz nach Moskau zu den Weltjugendfestspielen. 1958 Mahnwachen in Tübingen. Am 3. Januar 1959 eröffnete Helmut Gollwitzer den Anti-Atomwaffen-Kongreß in Berlin. Diskussionleiter waren unter anderem Peter Meier, Ulrike Meinhof, Norbert Adrian, Reimar Lenz und Eva-Maria Titze.[1] Lenz war Mitveranstalter des „Ersten Studentenkongresses gegen Atomrüstung“ und leitete die Sektion „Verantwortung der Wissenschaftler“.

Als einer der ersten deutschsprachigen Schriftsteller setzte sich Lenz kritisch mit den Themen Religion und Religionskritik auseinander.[2]. Im Januar 1960 erschien in der Zeitschrift Alternative ein Essay von Lenz unter dem Titel „Sei unser Gast“, eine Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben, auch dem eigenen. In der Zeitschrift Civis, dem Organ des „Ringes Christlich-Demokratischer Studenten“, erschien dazu ein Kommentar der „Gott gelästert“ sah. Ein Bundestagsabgeordneter erstattete Strafanzeige wegen „Gotteslästerung“; der Fall ging in die zweite Instanz, bis die Berliner Generalstaatsanwaltschaft am Ende doch ihre Anklage aufgab. Das Magazin „Der Spiegel“ berichtete darüber[3]

Lenz fühlte sich nur bedingt hingezogen zu der 68er-Bewegung und flog für sechs Monate nach Tanger; dort schrieb er sein Hörspiel „Begierig, Kundig, Eingedenk“. Anfang der 1960er Jahre freier Mitarbeiter der satirischen Zeitschrift Pardon und der linken Zeitschrift Konkret sowie Veröffentlichungen in Alternativzeitschriften der gegenkulturellen Szene u.a. in Der Metzger Daneben Arbeiten für den Rundfunk,für Volkshochschulen und Akademien: Lyrik, Hörspiel, Essay, Reportage[4], Zeitkritik.[5] Seine kritischen Kommentare über Veröffentlichungen in „Springer-Zeitungen“ wurden in Der Spiegel veröffentlicht.[6] Folgenreicher als alle anderen Schriften war seine Veröffentlichung über die Verfolgung Homosexueller in der Hitler-Diktatur; die erste Veröffentlichung erfolgte 1967 unter dem Pseudonym Wolfgang Harthauser. Diese Veröffentlichung wurde vom Holocaust-Museum in Washington als Pionierarbeit gewürdigt. Er war Veteran der ersten deutschen Bewegung „Kampf dem Atomtod“ und hielt siebzehn Jahre lang Friedensmahnwache bei der Gedächtniskirche in Berlin.

Wirken

1960 hatte Lenz eine Dokumentarausstellung über die Opfer des Algerienkrieges angeregt und zusammen mit anderen organisiert;[7] diese Ausstellung ging durch mehrere Universitäten.[8] 1962 und 1964 Reisen nach Istanbul (von Lenz „Stambul“ genannt); einige Zeit danach eine Rundreise durch die Türkei. Der Politologe Claus Leggewie schrieb 1984 in dem von ihm herausgegebenen Buch Kofferträger: Als freier Schriftsteller beschäftigt er sich mit aussereuropäischen Weltanschauungen und Religionen, mit türkischen Frühsozialisten und islamistischen Mystikern. Zur „revolutionären Ungeduld“ hatte er nie ein Verhältnis gehabt; er verlegte sich lieber auf die theoretische und praktische Erfahrung der Subkultur und der gegenkulturellen Szene und spürte lange vor anderen dem ja wieder zu Ehren gekommenen subjektiven Faktor nach.

Es folgte sein Austritt aus dem Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS), Lenz war mehr ein „Linksliberaler“, der sich nicht so sehr als Schriftsteller sieht und sah, eher schon als Wahrheitssucher.[9] 1983 erfolgte die Gründung und Veranstaltung einer abendlichen Freitagsgruppe mit den Themenkreisen „Inländer treffen Ausländer“ und „Gläubige treffen Ungläubige“, wobei Lenz auch die Verantwortung trug.

Anfang der 1970er Jahre zog Lenz mit seinem Partner zusammen (dokumentiert in der Frankfurter Rundschau vom 14. März 2002). Lenz verweigert sich dem Konsumdenken und lebt nach dem Motto: „Kultur ist, was man selber macht“; er sieht sich selber nicht als Aussteiger, sondern als Einsteiger für eine neue Lebensart und Denkweise. Der 2009 unter dem Titel „Die Aussteiger“ im Rahmen der Langzeitdokumentation Berlin - Ecke Bundesplatz gesendete Film porträtiert die langjährige Beziehung von Reimar Lenz und seinem Lebenspartner [10].

Zitat

Reimar Lenz: „Ja, ich bin nach Osten getrampt, folgte dem Ruf des Muezzins, wenn er an der Karanwanserei erklang. Fuhr dem Frührot entgegen, der Sonne der Sufis, die einst noch Gebete entzündet hatten und Hunger nach Gerechtigkeit. Es gibt sozusagen auch türkische Früh-Sozialisten...... . Jaja, ich habe so manchen Hafen besucht, aber doch nicht um vor Anker zu gehen. Ich folgte keinem Lotsen. Ich bekehrte mich zu jedweder Religion, als einem weiteren Beweis für die menschliche Schöpferkraft. Immer eingedank der Tatsache, daß der Mensch sich die Götter schuf .... . Wüstenscheichen las ich heilige Silben vom Mund, Gurus fraß ich makrobiotische Körnerfutter aus der Hand, aber niemals für lange. Verzweifelt kratzte ich den Schutt der Geschichte auf der Suche nach den von Hagiographie verschütteten Heiligen“. („Zwischen Stambul und Tanger“, in: Werner Pieper (Hrsg.), „Alles schien möglich. 60 Sechziger über die 60er Jahre und was aus ihnen wurde“. Verlag Werner Pieper/Die grüne Kraft, Löhrbach 2007. ISBN 978-3-922708-52-0)

Herausgeber

  • Zusammen mit Richard Salis die Literaturzeitschrift „Alternative. Blätter für Lyrik und Prosa“. Skriver-Verlag, Berlin-Dahlem. Nr.1,1958 -Nr.145/146 1982. Diese Zeitschrift wurde später von Hildegard Brenner übernommen und mit ihrer eigenen Zeitschrift liiert.
  • Die von Reimar Lenz und Richard Salis herausgegebene Zeitschrift Alternative ist nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Literaturzeitschrift Alternative, für Literatur und Diskussion. Hrsg. Hildegard Brenner. Berlin 1957 bis 1982.

Schriften

  • Die Atomrüstung und der Intellektuelle, Skriver-Verlag, Berlin-Dahlem 1958
  • Das vergessene Ganze. Zur Selbstkritik der religiösen Subkultur. Frankfurt 1974
  • Erschaffen und erschöpft: Ein Zwiegespräch mit der Schöpfungsgeschichte. Verlag der Ev.-Luth. Mission, Erlangen 1975 ISBN 3-87214-071-X
  • Caspar, ich liebe dich, ein Versuch dem US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger die „Feindesliebe“ zu erklären. Verlag Wortwerkstatt, Bad Waldsee 1984

Hör- und Laienspiele

  • Begierig, Kundig, Eingedenk. Südwestrundfunk (SWR2), 1968.
  • SWR2; Hörspiel von Reimar Lenz
  • Kosmos Ibiza. Ein Reisebericht. Westdeutscher Rundfunk (WDR) 1968.
  • Guru Null meets Dr. Martin Luther. Paraphrase auf Luthers Katechismus. Volkshochschule Tiergarten Berlin. Im Rahmen der literarischen Werkstatt Moabit, 2000.

Beiträge

  • Wolfgang Harthauser (Pseudonym für Reimar Lenz): Der Massenmord an Homosexuellen im Dritten Reich. In: Willhart S. Schlegel (Hrsg.): Das grosse Tabu. Rütten und Loening, München 1967.
  • Reimar Lenz: Zwischen den Stühlen – auf fruchtbarem Boden. Reimar Lenz zu Dieter Duhms neuem Buch Der Mensch ist anders. In: Zero Zeitschrift für ganzheitliches Leben, Nr. 9, 1975.
  • Reimar Lenz: Die Entprovinzialisierung der Republik. In: Claus Leggewie (Hrsg.): Kofferträger. Das Algerienprojekt der Linken im Adenauer-Deutschland. Rotbuch, Berlin 1984, ISBN 3-880-22-286-X.

Reimar Lenz hatte mit anderen eine Dokumentarausstellung für die Opfer des Algerienkrieges organisiert; diese Ausstellung ging durch mehrere Universitäten Anfang der 1960er Jahre.

Einzelnachweise

  1. Vgl. hierzu: Bettina Röhl: So macht Kommunismus Spass. Ulrike Meinhof, Klaus Rainer Röhl und die Akte Konkret. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2006, ISBN 3-434-50600-4
  2. Vgl. hierzu den Artikel: Der neue Typ. Religiöse Subkultur, Ökobewegung und neue Linke finden zueinander. In: Almanach 13, für Literatur und Theologie. Hammer, Wuppertal 1979.
  3. [Der Spiegel berichtete … In: Der Spiegel. (online). Der Spiegel Nr. 43 vom 18. Oktober 1961] Über die angebliche „Gotteslästerung“
  4. Unterwelt im Frack Zum Gebrauch des Wortes „Zersetzung“, in: Die Zeit. Nr. 30 vom 23. Juli 1965
  5. Kleines Schimpf-Glossar In: Die Zeit.Nr. 48 vom 24. November 1961
  6. [Psychosen, Neurosen, Perversionen. In: Der Spiegel. (online). Psychosen, Neurosen, Perversionen] von Reimar Lenz. In: Der Spiegel. Nr. 14, 31. März 1969
  7. Internationalismus der frühen sechziger: Algerien Von Peter Mosler
  8. R. Lenz: Der Krieg in Algerien, in: Das Argument. Nr. 15, März 1960
  9. Vgl. hierzu: Reimar Lenz – Sich selbst verwirklichen. Wir wollen leibhaftig leben. In: Robert Jungk, N. R. Müller (Hrsg.): Alternatives leben. Signal, Baden-Baden 1980, ISBN 3-7971-0201-1, S. 140–146
  10. Die Aussteiger, Dokumentation vom Westdeutschen Rundfunk (WDR), 18. August 2009, mit weiteren Folgen. Abgerufen am 19. August 2009