Ulcus cruris

Der medizinische Begriff Ulcus cruris (lat. Ulcus „Geschwür“ und crus „Schenkel, Unterschenkel“; auch Ulkus cruris) bezeichnet ein seit jeher bekanntes Krankheitsbild[1]: ein Geschwür am Unterschenkel; eine offene, meistens nässende Wunde, welche über lange Zeit nicht abheilt. Umgangssprachlich wird es auch als „offenes Bein“ bezeichnet. Betroffen sind meistens ältere Menschen, denen verschiedene Grunderkrankungen zu schaffen machen.
Ein Ulcus cruris, das trotz optimaler Therapie innerhalb von drei Monaten keine Heilungstendenz zeigt oder nicht innerhalb von zwölf Monaten abgeheilt ist, gilt als therapieresistent.
Klassifikation nach ICD-10 | |
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L97 | Ulcus cruris, anderenorts nicht klassifiziert |
I83.0 | Varizen der unteren Extremitäten mit Ulzeration |
I83.2 | Varizen der unteren Extremitäten mit Ulzeration und Entzündung |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Ursachen
Grundsätzliche Ursache bei allen Formen ist eine mangelnde Durchblutung des betroffenen Gewebes (Mikrozirkulation), was einerseits die Entstehung eines Ulcus cruris erst ermöglicht, andererseits auch der Grund für dessen schlechte Heilungstendenz ist. Im Kapillargebiet fließt das Blut mit einer Geschwindigkeit von nur einem Zentimeter in 20 Sekunden, weshalb eine Behinderung der Mikrozirkulation schnell zu Ulcerationen führen kann.
Als Grunderkrankung liegt dabei meistens ein postthrombotisches Syndrom oder ein Krampfadernleiden vor (bei etwa 85 % der Ulcera). Ein Diabetes mellitus, eine arterielle Hypertonie und Übergewicht sind bei den Betroffenen häufig als Begleiterkrankung zu finden, sind aber selten die Hauptursache. Rauchen und Bewegungsmangel (Mangeldurchblutung über die fehlende Muskelpumpe) sind ebenfalls wichtige Risikofaktoren.
Das Ulcus cruris venosum als schwerste Form der chronisch venösen Insuffizienz (CVI) stellt, je nach Studie, mit 57–80 % aller chronischen Ulzerationen die häufigste Ursache nicht spontan abheilender Wunden dar. Arteriell bedingte Ulzerationen sind in 4–30 %, gemischt arterio-venöse Ulzerationen in etwa 10–15 % und alle übrigen Formen in etwa 6–10 % anzutreffen. Hauptursache ist dabei die venöse Stauung im Gewebe, weniger eine arterielle Durchblutungsstörung. Deswegen wird das Ulcus cruris venosum auch als Stadium 3 der chronischen Venenstauung bezeichnet.
Unter den übrigen Formen der Durchblutungsstörung kann auch ein chronisches Kompartment-Syndrom als Ursache der Zirkulationsstörung verborgen sein, das möglichst rasch erkannt werden muss, um eine weitere Gewebezerstörung zu verhindern.
Von einem Ulcus cruris sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Vor dem 40. Lebensjahr kommt das Ulcus cruris selten vor. Ab dem 80. Lebensjahr steigt die Häufigkeit nach unterschiedlichen Studie auf etwa ein bis vier Prozent an. Da diese Erkrankung einen hohen Leidensdruck sowie – alleine, was das Verbandsmaterial anbelangt – enorme Kosten verursacht und in den nächsten 40 Jahren der Bevölkerungsanteil der über 80-Jährigen massiv ansteigen wird, ist ein besonderes Augenmerk auf die Vorbeugung dieser Erkrankung schon in jungen Jahren zu richten.
Dazu kommen Nebenfaktoren, die den Verlauf ebenfalls beeinflussen, aber in den meisten Fällen nicht ursächlich sind, wie Wundinfektionen, Allergien auf Salben oder erniedrigte Blutspiegel an Albumin, Eisen, Folsäure, Selen, Vitamin C und Zink, die in einigen Studien beschrieben wurden.
Diagnose
Wie bei der CVI ist zunächst die Anamnese entscheidend. In vielen Fällen gibt schon die Blickdiagnose wertvolle Hinweise auf die Ursache: venös bedingte Ulcerationen befinden sich meist an der Innenseite des Unterschenkels kurz oberhalb des Knöchels (dort wo auch die Perforans-Venen münden), während arteriell bedingte Ulcerationen sich an der Außenseite des Unterschenkels zeigen. Inspektion und Ausmessen des Ulcus, wenn möglich auch eine fotografische Dokumentation, erleichtern die spätere Beurteilung der therapeutischen Maßnahmen (und manchmal auch der Mitarbeit der Patienten) und sind im Einzelfall von forensischer Bedeutung. Allerdings wird nicht ein Unterschenkel alleine, sondern der ganze Körper untersucht, da aufgrund der meistens vorhandenen Mehrfacherkrankungen des alten Menschen unter Umständen mehrere Faktoren die Chronizität des Geschehens bestimmen.
Als Diagnose-Verfahren zur Genese der Erkrankung kommen unter Anderem die Dopplersonographie der Venen und Arterien, sowie bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit die Angiografie zum Einsatz.
Differentialdiagnosen
- Arterielle Verschlusskrankheit
- Neuropathische Ulzera (Mal perforans), z. B. durch Diabetes mellitus
- Infektiöse Ulzera, z. B. Leishmaniosis cutis, Ulcus tropicum, ulzerierende Syphilis
- Ulzerierende maligne Tumoren, z. B. Plattenepithelkarzinom (auch auf Boden eines Ulcus cruris), Basalzellkarzinom, Sarkom, malignes Lymphom
- selten: Ulzera bei hämatologischen Erkrankungen, z. B. Sichelzellanämie
Behandlung
Beseitigung der Ursachen
Die Ursachen zu beseitigen ist oft schwierig. In erster Linie sind eine Reduktion von Übergewicht, eine optimale Einstellung eines eventuell bestehenden Diabetes mellitus und eine optimale Einstellung des Blutdrucks anzustreben. Dabei muss allerdings ein ausreichend hoher Blutdruck erhalten bleiben, um die arterielle Versorgung des Gewebes gewährleisten zu können.
Operation zur Beseitigung der Grundursache
Bei chronischem Kompartment-Syndrom wird eine Faszien-Chirurgie (Fasziotomie und Fasziektomie) mit anschließender Hauttransplantation durchgeführt, um die andauernde und fortschreitende Gewebeschädigung durch die zu straffe Faszienhülle zu verhindern.
Bei venöser Insuffizienz kann die Überbrückung der betroffenen Venenabschnitte zur Druckentlastung im venösen System die andauernde und fortschreitende Schädigung der für die Mikrozirkulation wichtigen kleinsten Gefäße verhindern.
Bei arteriellen Durchblutungsstörungen kann eine Ballondilatation durchgeführt oder eine Versorgung mittels Gefäßprothese angestrebt werden. Am Unterschenkel auftretende Ulcera aufgrund mangelnder arterieller Durchblutung gehören in die Hände eines Gefäßchirurgen. Obligat ist eine Duplexuntersuchung. Nach Angiographie (MRT oder DSA) kann, wie oben angeführt eine Ballondilatation versucht werden. Alternativ kann ein cruraler Bypass angelegt werden, hier ist die Vene als Material zu bevorzugen.
Konservative Behandlung
Nicht-operative Behandlung der Wunde und unterstützende Maßnahmen sind:
- Je nach Ulcus-Ursache unterschiedlich starke Kompressionstherapie mit Kurzzug-Kompressionsbinden oder Kompressionsstrümpfen, besonders bei Schwellung der Unterschenkel. Ein Zurückdrängen dieser Schwellung bedeutet eine Verbesserung der Zellernährung im feingeweblichen Bereich, weil die zusätzliche Flüssigkeit im Gewebe den Transport von Gasen und Nährstoffen behindert. Weiterhin wird die Funktion von oft defekten, nicht mehr komplett schließenden Venenklappen verbessert. Oft reicht es aus nur die Unterschenkel zu komprimieren. Vorsichtig ist hier bei gleichzeitig bestehender arterieller Durchblutungsstörung sowie bei Herzschwäche bei starken Schwellungen vorzugehen (Die Flüssigkeit, die aus den Beinen herausgewickelt wird, kann den Kreislauf / das Herz überlasten.).
- Bewegungstherapie und Lymphdrainage zur Förderung der Durchblutung
- Verbände mit hydroaktiven Wundauflagen oder Kollagenschwammverbände, die nicht mit der Wunde verkleben und sie feucht halten ohne den Gasaustausch zu verhindern, z. B. mit Allantoin, Harnstoff, Hydrokolloiden
- zusätzliche Anwendung von Wachstumsfaktoren wie Faktor XIII (Faktor-13, Fibrogammin HS, Plasmatransglutaminase) oder PDGF-beta
- Einnahme von Pentoxifyllin, Heparin, Infusionen mit Prostaglandin-E₁ (Alprostadil),
- Antibiotika eingeschränkt nur bei bestimmten Wundinfektionen (sind im Falle des Ulcus cruris venosum meistens wirkungslos und können auch Allergien/Sensibilisierungen hervorrufen.)
- Antiseptika beim Verbandwechsel nicht routinemäßig, nur phasenweise bei entsprechendem Erregerbild
- Druckentlastung und Weichlagerung (schließt ggf. Kompressionstherapie nicht aus)
- Madentherapie mit lebenden Fliegenmaden der Goldfliegenart Lucilia sericata ('Gefräßige Lucy')
- Unreife Papaya
- Reinigung mit H₂O₂
- Behandlung mit einer absorbierenden Wundauflage
- Jodtinkturen, wenn keine Schilddrüsenprobleme vorhanden sind (Anamnese)
- Extrakorporale Stoßwellentherapie
- Naturheilmedizin – „Biosurgery“: Kombinationstherapie aus Blutegel- und Madentherapie, Lymphdrainagen, Flächenlasertherapien und Magnetfeldtherapien
Nachbehandlung und Vorbeugung
Eine Kompressionstherapie mit Kompressionsstrümpfen und Kompressionsverbänden zur Unterstützung der Muskel-Gelenk-Pumpe wird eingesetzt, um einen hohen Arbeitsdruck und niedrigen Ruhedruck zu gewährleisten, wobei durch die Verwendung von Druckpolstern die Effektivität der Kompressionswirkung erhöht werden kann. Allerdings kann durch diese Therapie ebenfalls die Mikrozirkulation beeinträchtigt werden. Damit muss gleichzeitig zu ausreichender Bewegung geraten werden, sofern ein Kompartment-Syndrom beseitigt oder ausgeschlossen ist, da jede Belastung der Beine beim Gehen sonst ebenfalls heilungsverzögernd wäre. Es gibt auch spezielle Kompressionsstrümpfe, die mit 20mmHg Druck im Fesselbereich zur Dauerkompression geeignet sind. Sie sind aus einem silberbeschichteten Fadenmaterial hergestellt, dass die Keimbesiedlung und Geruchsbildung verhindert. Durch eine Inspektionsöffnung unterhalb des Fußballens kann die Durchblutung gut kontrolliert werden.
Weblinks
Anmerkungen
- ↑ Ingrid Rohland: Das 'Buch von alten Schäden', Teil II: Kommentar und Wörterverzeichnis, Würzburg 1982 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen, 23)