Die Gedanken sind frei
Die Gedanken sind frei ist ein deutsches Volkslied über die Gedankenfreiheit.
Textgeschichte
Um 1780 wurde der Text zum ersten Mal auf Flugblättern veröffentlicht. Im Zeitraum zwischen 1810 und 1820 entstand die Melodie dazu, und das Lied wurde in der Sammlung „Lieder der Brienzer Mädchen“ in Bern gedruckt. Im Jahr 1842 wurde das Lied in „Schlesische Volkslieder“ von Hoffmann von Fallersleben und Ernst Richter veröffentlicht, diese letzte Version stammt von Hoffmann von Fallersleben. Die grundlegende Philosophie ist bereits aus der Antike bekannt.[1] Das Kernmotiv des späteren Liedtextes findet sich schon im 13. Jahrhundert unter anderem bei Freidank (Bescheidenheit, 1229)
diu bant mac nieman vinden,
diu mîne gedanke binden.
man vâhet wîp unde man,
gedanke niemen gevâhen kan [2]
und Walther von der Vogelweide (joch sint iedoch gedanke frî [3] – Sind doch Gedanken frei).
Später wurde zu dem ursprünglich vierstrophigen Lied eine weitere Strophe hinzugefügt.
Text
Überlieferte Versionen
: Heute verbreitete Fassung | : Fassung um 1800 [4] | : Fassung vor 1865 [5] |
1. Die Gedanken sind frei |
1. Beleget den Fuß |
1. Die Gedanken sind frei |
Literarische Rezeption: Des Knaben Wunderhorn
Unter dem Titel „Lied des Verfolgten im Turm“ (Nach Schweizerliedern) fand das Lied auch Aufnahme in den dritten Teil der 1806/08 von Achim von Arnim und Clemens Brentano herausgegebenen Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn. Der Text wurde in dieser Fassung zu einem Zwiegespräch zwischen dem Gefangenen und einem Mädchen ausgeweitet, indem zwischen die ursprünglichen vier Strophen des Gefangenen jeweils eine weitere in anderem Versschema eingeschoben wurde.
Der Gefangene |
Der Gefangene |
Der Gefangene |
Der Gefangene |
Diese Textfassung diente auch Gustav Mahler als Grundlage seiner 1898 entstandenen völligen Neuvertonung, die in seine Sammlung von Liedern aus Des Knaben Wunderhorn aufgenommen wurde.
Historische und politische Bedeutung
Immer wieder war das Lied in Zeiten politischer Unterdrückung oder Gefährdung Ausdruck für die Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit.
Im 19. Jahrhundert wurde das Lied im deutschen Sprachraum zur Einforderung von akademischer Freiheit und Meinungsfreiheit nach den Karlsbader Beschlüssen insbesondere von Studentenverbindungen gesungen; es gehört seither verbändeübergreifend zum Kernbestand deren Liedgutes.
Der Vater Sophie Scholls wurde Anfang August 1942 wegen hitlerkritischer Äußerungen inhaftiert. Sophie Scholl stellte sich abends an die Gefängnismauer und spielte ihrem dort einsitzenden Vater auf der Flöte die Melodie vor.
Am 9. September 1948, auf dem Höhepunkt der Berliner Blockade, hielt Ernst Reuter vor über 300.000 Berlinern vor der Ruine des Reichstagsgebäudes seine Rede, in der er an „die Völker der Welt“ appellierte, die Stadt nicht preiszugeben. Nach dieser Rede erklang spontan aus der Menge u. a. das Lied „Die Gedanken sind frei“. Auch in der tagespolitischen Auseinandersetzung gegen staatliche Überwachung und Restriktion wird das Lied häufig gesungen.
Aktuelle Verwendung
- 1990 nahm die Sängerin Nena das Lied für ihre Schallplatte „Komm lieber Mai...“ zusammen mit 22 Kinderliedern auf.
- In dem Film „23 – Nichts ist so wie es scheint“ aus dem Jahre 1998 wird das Lied von den beiden Hauptdarstellern während einer Zugfahrt angestimmt.
- 2002 veröffentlicht die Folkpunk-Band Die Schnitter auf dem Album „Fegefeuer“ eine Version des Liedes.
- Anfang 2005 veröffentlichte die New Yorker Musikgruppe Brazilian Girls auf ihrem gleichnamigen Album eine Version dieses Liedes.
- Seit dem Jahr 2005 nutzt der deutsche Internetdienstleister GMX in einer TV-Werbe-Kampagne eine von einem kleinen Mädchen gesungene Version von „Die Gedanken sind frei“ zur Hinterlegung von szenischen Bildeindrücken.[6]
- Im August 2006 veröffentlicht Achim Reichel seine Version des Liedes auf dem Tonträger Volxlieder.
- Auf der CD „Volkslieder“ wurde das Lied in einer neuen Version mit präpariertem Klavier, Klarinette und Megaphon von Bobo In White Wooden Houses neu eingespielt.
- 2007 veröffentlicht Evelyn Fischer es auf ihrer gleichnamigen CD mit einer Sammlung von im Pop- und Jazzstil überarbeiteten deutschen Volksliedern.
- 2007 veröffentlichte der aus Rathenow stammende, exzentrische Hip-Hop-Künstler Ernst Erz das Lied „Die Gedanken sind frei“ in einer Neuinterpretation auf seiner EP „Zwiefach sind die Phantasien“.
- 2009 verwendet die Piratenpartei Deutschland das Lied als einen ihrer Wahlkampfslogans zur Bundestagswahl 2009
- Eine Verballhornung des Liedes ist das Trinklied „Die Getränke sind frei“.
Quellen
- ↑ Cicero: Liberae sunt nostrae cogitationes ("Unsere Gedanken sind frei").
- ↑ Georg Friedrich Benecke, Wilhelm Müller, Friedrich Zarncke: gedanc, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Leipzig 1854–1866
- ↑ Walther von der Vogelweide: ob ich mich selben rüemen sol, Lied der „Neuen Hohen Minne“
- ↑ Fliegendes Blatt in Achim von Arnims Sammlung Sieben sehr schöne Neue Lieder. (Aus den Jahren um 1800). Zitiert nach: Wolfgang Steinitz, Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten. Band II. Akademie-Verlag, Berlin-DDR 1962, S. 163 f.
- ↑ aus: Franz Ludwig Mittler, Deutsche Volkslieder. Zweite Ausgabe. Frankfurt a. M. 1865. Nr. 996. Zitiert nach: Wolfgang Steinitz, Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten. Band II. Akademie-Verlag, Berlin-DDR 1962, S. 164 f.
- ↑ Horizont: GHeye & Partner lässt für GMX die Gedanken fliegen
Literatur
- Ulrich Otto: Die historisch-politischen Lieder und Karikaturen des Vormärz und der Revolution von 1848/1849. Pahl-Rugenstein, 1982, ISBN 3760951007.