Zum Inhalt springen

Byzantinische Geschichtsschreibung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 15. Februar 2010 um 00:40 Uhr durch Benowar (Diskussion | Beiträge) (Charakteristika). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Als Byzantinische Geschichtsschreibung werden in der modernen Forschung die historischen Schriften von oströmischen bzw. byzantinischen Autoren bezeichnet. Die betreffenden Geschichtsschreiber haben sich aber nie als „Byzantiner“ bezeichnet, was ein modernes Konstrukt ist, sondern stets als „Römer“. Ihren Ursprung hatte die byzantinische Geschichtsschreibung in der Spätantike, sie endete mit dem Fall Konstantinopels 1453.

Charakteristika

Besonders (aber nicht nur) die spätantiken Autoren waren sich der historiographischen Tradition bewusst, in der sie standen. Viele bemühten sich zudem, im Anschluss an die von Xenophon begonnene Tradition (der direkt an das Werk des Thukydides anschloss), an die Werke ihrer Vorgänger anzuknüpfen. Diese von Dexippos (3. Jh.) bis Theophylaktos Simokates (7. Jh.) reichende Reihe von Geschichtsschreibern brach erst mit dem Ende der Antike im Osten infolge der arabischen Expansion ab: Flossen die Quellen in der Spätantike bis ins frühe 7. Jahrhundert noch recht reichlich, versiegen sie anschließend bis ins späte 8./frühe 9. Jahrhundert fast völlig.

Als im 9. und vor allem im 10. Jahrhundert wieder stärker die antike Kultur in Byzanz gepflegt wurde (sogenannte makedonische Renaissance), nachdem das Reich zuvor alle Energie auf die Abwehr der äußeren Feinde verwenden musste bzw. es durch den Bilderstreit harte innenpolitische Auseinandersetzungen gab, erblühte auch wieder die byzantinischen Historiographie. Man begnügte sich nicht mehr ausschließlich mit reinen Chroniken (die aber auch in der Folgezeit weiter verfasst wurden); stattdessen orientierten sich mehrere Autoren ganz bewusst an den klassischen griechischen Autoren wie Thukydides oder Polybios und nahmen sie sich zum Vorbild, um detaillierte und stärker analysierende Geschichtswerke zu verfassen. Mehrere Verfasser knüpften zudem an die Werke ihrer Vorgänger an (etwa im 11. Jh. Michael Psellos an Leon Diakonos); ähnlich wie die meisten ihrer antiken Vorbilder, widmeten sie sich zumeist der Zeitgeschichte, wenngleich auch in mittelbyzantinischer Zeit noch Weltchroniken entstanden. Dabei kam den mittel- und spätbyzantinischen Geschichtsschreibern zugute, dass in Byzanz auch nach den Wirren des 7. Jahrhunderts mehr vom alten antiken Erbe bewahrt worden war als im lateinischen Westen und auch die Schriftlichkeit in Byzanz nicht auf die Geistlichkeit beschränkt war. Geschichtsschreibung war in Byzanz zumeist eine Angelegenheit der oberen, gebildeten Schichten.

Ein Charakteristikum vieler byzantinischer Geschichtsschreiber ist das Bemühen, sich weitgehend an den antiken Vorbildern (wie Herodot oder Thukydides) zu orientieren und diese sprachlich auch nachzuahmen (Mimesis), was teils zu Anachronismen und gespreizten Ausdrücken führte. Stilistisch bewegte sich die byzantinische Historiographie insgesamt aber auf einem relativ hohen Niveau. Da sich mehrere Autoren im Sinne der Mimesis einer klassizistischen Kunstprosa bedienten, waren diese Werke auch einem eher kleinen Leserkreis vorbehalten. Daneben verfassten weiterhin auch Geistliche geschichtliche Werke, wobei es sich um Chroniken handelte, die bei der Darstellung der Profangeschichte stärker Elemente der christlichen Historiographie trugen und in einer leichter zu verstehenden Sprache abgefasst waren. Generell lässt sich die byzantinische Historiographie damit in zwei Teile einteilen: Die in leicht verständlicher Sprache abgefassten Chroniken sowie die anspruchsvolleren hochsprachlichen Geschichtswerke.[1]

Teils werden in den geschichtlichen Darstellungen bestimmte Personen glorifiziert bzw. dämonisiert, teils ist die Chronologie oder die Darstellung der Ereignisse (vielleicht auch nur unabsichtlich) fehlerhaft. Eine möglichst wahrheitsgetreue Schilderung wurde aber von den meisten spätantiken und den späteren byzantinischen Geschichtsschreibern (wenigstens formal) angestrebt und durchaus auch verwirklicht, besonders wenn sie die Tradition des Thukydides für sich beanspruchten und sorgsam ihre Quellen verarbeiteten. Aufgrund der nicht wenigen politischen und theologischen Auseinandersetzungen in Byzanz flossen dennoch teils eigene Standpunkte in die Darstellung mit ein. Das ändert aber nichts daran, dass selbst Autoren, die bisweilen parteiisch waren, wertvolles Material vermittelten.

Überblick

Die spätantiken Autoren unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von den mittel- und spätbyzantinischen Geschichtsschreibern (ab dem 8. Jahrhundert), zumal sie noch in der Tradition der antiken Historiographie stehen. Neben den diversen spätantiken Kirchengeschichten (siehe dort weitere Hinweise), deren „Vater“ Eusebios von Kaisareia ist, sind vor allem die profanen Geschichtswerke von Bedeutung, von denen nicht wenige jedoch nur fragmentarisch, d. h. in mehr oder minder ausführlichen Auszügen oder knappen Zusammenfassungen, erhalten sind. Im 4. Jahrhundert verfasste Ammianus Marcellinus das letzte bedeutende lateinische Geschichtswerk der Antike (Res gestae). Dass Ammianus in lateinischer Sprache schrieb, macht ihn zudem zu einer Ausnahme unter den hier behandelten Autoren, die ansonsten ihre Werke in griechischer Sprache verfassten, wenngleich freilich auch die in Latein verfassten Werke dieser Zeit bezüglich der Geschichte des Ostteils des römischen Reiches bzw. später von Byzanz nicht ohne Bedeutung sind (siehe dazu auch die Ausführungen im Artikel Spätantike). Obwohl die ersten 13 Bücher des Werks verloren sind, schildern die erhaltenen Bücher 14 bis 31 die Zeit von 353 bis 378 sehr detailliert, anschaulich und überwiegend zuverlässig. Für das 5. Jahrhundert sind unter anderem die Werke einer ganzen Reihe von „klassizistischen Autoren“ zu nennen, die uns aber leider nur fragmentarisch erhalten sind; dennoch enthalten selbst diese noch bedeutendes Material: Olympiodoros von Theben verfasste eine 22 Bücher umfassende Geschichte des Westens, die von mehreren nachfolgenden Autoren benutzt wurde; die Fragmente aus der 8 Bücher umfassenden Zeitgeschichte des Priskos bieten wertvolle Einblicke in die diplomatischen Kontakte Ostroms zu den Barbaren, während die Fragmente aus den Historien des Malchos von Philadelphia und des Kandidos nicht unwichtige Informationen zum ausgehenden 5. Jahrhundert liefern.

Um 500 verfasste der Heide Zosimos eine anti-christlich gefärbte Neue Geschichte, die aber aufgrund der Herangehensweise des Verfasser oft nur wenig zuverlässig ist. Dabei stützte er sich vor allem auf Material aus den verlorenen Historien des Eunapios von Sardes (wo bereits gegen das Christentum polemisiert wurde) und auch Olympiodoros (der einen wesentlich neutraleren und zuverlässigeren Bericht lieferte). Zu Beginn des 6. Jahrhunderts schrieb Eustathios von Epiphaneia ein knappes Geschichtswerk, das wohl später noch von mehreren Autoren benutzt wurde (so von Euagrios Scholastikos in seiner Kirchengeschichte). Für die Zeit Justinians I. sind die Historien des Petros Patrikios (dessen Werk offenbar, vermittelt über eine Zwischenquelle, auch von mittelbyzantinischen Autoren herangezogen wurde, siehe Leoquelle) sowie vor allem das umfassende Werk des Prokopios von Kaisareia zu nennen. Prokopios gilt als einer der bedeutendsten oströmischen Geschichtsschreiber überhaupt und verfasste neben einer achtbändigen Kriegsgeschichte (in denen die Feldzüge gegen Perser, Vandalen und Goten geschildert wird) auch eine Baugeschichte sowie eine (erst nach seinem Tod veröffentlichte) gegen Justinian und dessen Herrschaft gerichtete Schmähschrift (Anekdota, häufig als „Geheimgeschichte“ bezeichnet). An Prokopios schloss Agathias von Myrina an (seine Historien reichen von 552 bis 559), an diesen wiederum Menander Protektor, dessen Werk bis 582 reichte, aber nur fragmentarisch erhalten ist. Zu nennen sind auch die Chroniken des Johannes Malalas (Mitte/Ende 6. Jh.) und des Johannes von Antiochia (frühes 7. Jh.). Verschiedene andere Werke aus dem späten 6. Jahrhundert sind bis auf kurze Fragmente völlig verloren gegangen, so unter anderem die Historien des Johannes von Epiphaneia oder des Theophanes von Byzanz.

Als das letzte Geschichtswerk der Antike können die von Theophylaktos Simokates verfassten Historien angesehen werden, die bis zum Ende der Regierungszeit des Maurikios reichen (602). Anschließend bricht die antike-historiographischen Tradition ab,[2] was als eine Folge der enormen Umbrüche anzusehen ist, die das oströmische Reich am Ende der Regierungszeit des Herakleios durchlaufen musste.[3] Mit dem Beginn der arabischen Eroberungen und den Abwehrkämpfen auf dem Balkan gegen die Slawen, beginnt die Transformation des oströmischen zum byzantinischen Reich, was sich auf Gesellschaft und Kultur dramatisch auswirkte. Nur das sogenannte Chronicon Paschale ist uns aus der nachfolgenden Zeit (Mitte des 7. bis Ende des 8. Jahrhunderts) überliefert. Erst Ende des 8. Jahrhundert wurden wieder Geschichtswerke verfasst, die uns auch erhalten sind, wobei es sich dabei zunächst um Chroniken handelt, die nicht das stilistische Niveau der umfassenderen spätantiken Werke erreichen, die uns aber trotzdem wertvolle Informationen liefern. Hier sind vor allem die Chronik des Nikephoros (602 bis 769, mit Lücken) und die des Theophanes (284 bis 813) zu nennen. Theophanes griff auch auf für uns verlorene Quellen zurück, so die Chronik des Traianos Patrikios (die wohl auch Nikephoros benutzte), zeichnete jedoch aufgrund seiner Position während des Bilderstreits und seiner Abneigung gegen die Ikonodulen die diesbezüglichen Kaiser in den düstersten Farben. An Theophanes schlossen (chronologisch, aber nicht stilistisch) eine Reihe von Kaiserbiographien an, die als Theophanes Continuatus bezeichnet werden und von Konstantin VII. in Auftrag gegeben wurden. In diesen bis 961 reichenden Biographien wurde die makedonische Dynastie sehr positiv geschildert, während die nicht um Anknüpfung an Theophanes bemühte sogenannte Logothetenchronik (siehe auch Leon Grammatikos) diese eher kritisch betrachtete. Ebenso entstanden mehrere regionale Chroniken (beispielsweise die Chronik von Monemvasia).

Umfassendere Geschichtswerke, die über die Schilderung einer Chronik hinausgingen, entstanden wieder seit dem 10. Jahrhundert im Zuge der makedonischen Renaissance. So schrieb Leon Diakonos ein Geschichtswerk über die Zeit von 959 bis 976 in zehn Büchern, das zahlreiche wichtige Informationen enthält. Ganz in der Tradition des Thukydides schrieb er Zeitgeschichte und orientierte sich an dem Stil der Klassiker. Die im 11. Jahrhundert verfasste Chronographia des Michael Psellos ist von großer Bedeutung für die Rekonstruktion der Ereignisse von 976 bis etwa 1075. Psellos konzentrierte sich vor allem auf die Schilderung der Ereignisse am Hofe und bemühte sich um eine rhetorische Stilisierung, ließ aber ebenso stark seinen eigenen Standpunkt in die Darstellung einfließen. Ebenfalls im 11. Jahrhundert entstanden die Geschichtswerke des Johannes Skylitzes (zu erwähnen ist hier besonders die Madrider Bilderhandschrift des Skylitzes), der die Zeit von 811 bis 1057 behandelte, und des Michael Attaleiates. Um 1100 kompilierte Georgios Kedrenos älteres Material in seiner bis 1057 reichenden Chronik.

Im 12. Jahrhundert entstanden schließlich eine Vielzahl bedeutender Geschichtswerke. Johannes Zonaras schrieb seine umfassende Weltchronik, die bis 1118 reichte und in der er auch auf heute verlorene Quellen zurückgriff. Anna Komnena, die Tochter des byzantinischen Kaisers Alexios I., verfasste mit der Alexias in Anlehnung an die klassischen Vorbilder eine Fortsetzung des Geschichtswerks ihres Mannes, Nikephoros Bryennios, in der Alexios I. sehr vorteilhaft dargestellt wurde. Das umfassende Werk schildert die Zeit von 1069 bis 1118 und zählt zu den bedeutendsten byzantinischen Geschichtswerken. Zu nennen ist auch das Werk des Johannes Kinnamos, der die Zeit von 1118 bis 1176 beschrieb. Johannes Kinnamos scheint Niketas Choniates als Vorlage gedient hat, der die Zeit von 1118 bis 1206 schilderte; möglich ist allerdings auch, dass beide eine gemeinsame Quelle benutzt haben. An Niketas schloss Georgios Akropolites an, der in seinem Werk die Geschichte von 1203 bis zur Wiedereinnahme Konstantinopels durch die Byzantiner im Jahr 1261 behandelte. Ebenfalls im 13. Jahrhundert schrieben Theodoros Skutariotes (ihm wird oft eine bis 1261 reichende Weltchronik zugeschrieben) und Georgios Pachymeres (schrieb über die Zeit von 1255 bis 1308). Die Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer 1204, die auch in westlich-lateinischen Quellen geschildert wird, nahm im 14. Jahrhundert Nikephoros Gregoras zum Ausgangspunkt, um den Zeitraum bis 1359 in 37 Büchern darzustellen. Sogar der Kaiser Johannes VI. verfasste ein Geschichtswerk, das vor allem seine eigene Politik rechtfertigen sollte.

Für die Schlussphase des Reichs im 15. Jahrhundert sind vier Historiker zu nennen. Laonikos Chalkokondyles schilderte in seinem Geschichtswerk die Zeit von 1298 bis 1463 in zehn Büchern. Doukas berichtete, nach einem kurzen Abriss der Weltgeschichte, über die Zeit von 1341 bis 1462, wobei er auf gute Quellen zurückgreifen konnte. Georgios Sphrantzes verfasste eine von 1413 bis 1477 reichende Chronik, während die sogenannte Chronicon maius (aus dem 16. Jh.) nicht von ihm stammt, sondern nur Material aus seiner Chronik enthält. Michael Kritobulos schließlich behandelt die Zeit von 1451 bis 1467 und übernahm bereits die türkische Perspektive.

Ausgaben und Übersetzungen

Einige Texte der hier genannten Geschichtsschreiber liegen noch in älteren, nicht-kritischen Editionen aus dem 19. Jahrhundert vor. Die Werke der spätantiken Autoren sind alle in neueren Edtionen/Übersetzungen greifbar (z. B. Loeb Classical Library, Sammlung Tusculum, Bibliothek der Griechischen Literatur); die Fragmente dieser Historiker wurden von Roger Blockley editiert und ins Englische übersetzt.[4] Auch von mehreren der mittel- und spätbyzantinischen Geschichtsschreibern sind in den letzten Jahren neue Editionen bzw. Übersetzungen erschienen (z. B. Johannes von Antiochia, Theophanes, Nikephoros, Anna Komnena, Zonaras [in Teilübersetzung]) oder sind in Vorbereitung. Zu Details siehe die Angaben in den jeweiligen Artikeln. Eine Auswahl von übersetzten Quellen bietet unter anderem die Reihe Byzantinische Geschichtsschreiber, hrsg. von Endre von Ivánka und Johannes Koder, 19 Bde., Verlag Styria/Fassbaender, Wien u. a. 1955–1995.

Literatur

Allgemein vgl. auch die entsprechenden Artikel im Lexikon des Mittelalters und in The Oxford Dictionary of Byzantium.

  • Herbert Hunger: Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner. Bd. 1, München 1978.
  • Johannes Karayannopulos und Günter Weiß: Quellenkunde zur Geschichte von Byzanz (324-1453). 2 Bde., Wiesbaden 1982.
  • Gabriele Marasco (Hrsg.): Greek and Roman Historiography in Late Antiquity. Fourth to Sixth Century A.D. Leiden u.a. 2003.
  • Warren Treadgold: The early Byzantine Historians. Basingstoke 2007.

Anmerkungen

  1. Allgemein dazu und zu den folgenden Autoren siehe Hunger, Literatur. In vielen Fragen veraltet, als Überblick aber bisweilen immer noch nützlich: Karl Krumbacher: Geschichte der byzantinischen Literatur. 2. Aufl. München 1897.
  2. Dazu speziell Mischa Meier: Prokop, Agathias, die Pest und das „Ende“ der antiken Historiographie. In: Historische Zeitschrift 278, 2004, S. 281–310.
  3. Dazu vor allem John Haldon, Byzantium in the seventh century. 2. Aufl. Cambridge 1997, speziell S. 41ff.
  4. The Fragmentary Classicising Historians of the Later Roman Empire. 2 Bde., Liverpool 1981/83; The History of Menander the Guardsman. Liverpool 1985.