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Keuschheit

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Hans Memling
Allegorie der Keuschheit
15. Jh.

Keuschheit (keusch aus lat. conscius, „bewusst“) ist die Bezeichnung für sexuelle Enthaltsamkeit. Im Allgemeinen wird darunter der freiwillige Verzicht auf sexuelle Handlungen verstanden. Das Ideal der gewollten und bewussten Keuschheit geht jedoch weiter.

In der Idealvorstellung bezeichnet Keuschheit das Verhalten einer der sinnlichen Inbrunst (Leidenschaft) durchaus fähigen Person, sich vermöge eines erworbenen Schamgefühls oder kraft eines bewussten Grundsatzes vor Sexuellem zu hüten, seien es auch nur Andeutungen anderer oder eigene Anwandlungen. In vielen Kulturen spielt die Keuschheit eine meist religiöse Rolle. Sie wird häufig speziell von jungen Menschen erwartet (siehe auch Jungfrau).

Den Gegensatz zur Keuschheit, also die Unkeuschheit, bildet die Geilheit (Lüsternheit), die als Wollust (luxuria) in der katholischen Theologie eines der sieben Hauptlaster darstellt, aus denen Sünden entstehen und die man daher auch „Wurzelsünden“ nennt.

Keuschheit in den Religionen

Pietro Perugino, um 1504
Der Kampf zwischen Liebe und Keuschheit
allegorisches Gemälde

Christentum

Die christlichen Kirchen verstehen unter „Keuschheit“ den bewussten freiwilligen Verzicht auf sexuelle Handlungen bei unverheirateten Personen und beim Ehepaar den Verzicht auf sexuelle Handlungen mit jemand anderem als dem Ehepartner. Sie wurde traditionell als christliche Tugend und moralische Anforderung aus dem 6. Gebot (Du sollst nicht ehebrechen) abgeleitet.

Die christliche Ehe gilt nach dem Apostel Paulus als brauchbare Gemeinschaft für die Menschen, die dem sexuellen Drang nicht standhalten können. Die römisch-katholische Kirche prägte hier den Begriff der ehelichen Keuschheit (s. Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 2349).

Promiskuität und Ehebruch werden von allen christlichen Kirchen abgelehnt. Vorehelicher Geschlechtsverkehr oder Partnerschaft Unverheirateter wird heute von vielen toleriert (nicht unbedingt bei Geistlichen), aber als Abweichung vom Ideal der Ehe angesehen.

In neueren Bibelübersetzungen wird der Begriff häufig mit „Selbstbeherrschung“ wiedergegeben.

Römisch-katholische Kirche

Die römisch-katholische Kirche setzt Keuschheit nicht mit Enthaltsamkeit gleich. Enthaltsamkeit außerhalb der Ehe ist zwar praktizierte Keuschheit, aber

„Keuschheit bedeutet die geglückte Integration der Geschlechtlichkeit in die Person und folglich die innere Einheit des Menschen in seinem leiblichen und geistigen Sein. Die Geschlechtlichkeit, in der sich zeigt, daß der Mensch auch der körperlichen und biologischen Welt angehört, wird persönlich und wahrhaft menschlich, wenn sie in die Beziehung von Person zu Person, in die vollständige und zeitlich unbegrenzte wechselseitige Hingabe von Mann und Frau eingegliedert ist. Die Tugend der Keuschheit wahrt somit zugleich die Unversehrtheit der Person und die Ganzheit der Hingabe.[1]

Die in Beziehung und in die gegenseitige Hingabe der Ehepartner eingebettete Sexualität ist daher nicht Unkeuschheit, sondern sogar wünschenswert.[1]

In der Verpflichtung zu einem ehelosen Lebens beim Zölibat der Kleriker und in den Formen des geweihten Lebens nach den Evangelischen Räten (Versprechen der Ehelosigkeit durch öffentliche Gelübde - geht es bei Keuschheit nicht nur den Verzicht auf Ehe, alle sexuellen Handlungen und die Hingabe an sexuelle Phantasien (Keuschheit der Gedanken, vgl. dazu Jesu Aussagen über den Ehebruch in der Bergpredigt (Wer eine Frau anschaut, ihrer zu begehren …), sondern um letztlich eine persönliche Freiheit, die keinen Zwängen des eigenen Trieblebens unterworfen ist. Keuschheit wird dabei als eine lebenslängliche persönliche und kulturelle Aufgabe gesehen, die persönliches Wachstum, Bildung und Achtung der Menschenrechte voraussetzt.[2]

Evangelikale Bewegung

Anfang der 1990er Jahre entstand in den USA in evangelikalen Kreisen die Jugendbewegung „True Love Waits“, die für Enthaltsamkeit bis zur Ehe eintritt. Daraus entwickelte sich eine internationale Jugendbewegung, die auch im deutschen Sprachraum unter dem Namen „Wahre Liebe Wartet“ vertreten ist.

Islam

Eine wichtige Aussage des Koran findet sich in Sure 17:32: Und nahet nicht dem Ehebruch … Darüber hinaus empfiehlt der Islam, jeden unnötigen Kontakt zwischen den Geschlechtern zu vermeiden. Männer werden dazu aufgefordert, ihre Blicke zu Boden zu schlagen (Sure 24:30). Sie sollen sich ebenso keusch wie die Frauen verhalten (Sure 33:35).

Lebenslange Enthaltsamkeit wird im Islam aber abgelehnt, da (nach einem Hadith) die Ehe der halbe Glauben ist und der Koran das Mönchtum ablehnt (Sure 57:27).

In vielen islamischen Gesellschaften ist unter anderem das Kopftuch (oder auch der Schleier) ein symbolisches äußeres Zeichen für den freiwilligen Verzicht auf sexuelle Handlungen zwischen unverheirateten Partnern/Verlobten und beim Ehepaar für den Verzicht auf sexuelle Handlungen mit jemand anderem als dem Ehepartner (siehe auch Treue). Sozialer Hintergrund ist, dass das entblößte Haupthaar in diesen (wie auch in vielen anderen historischen und gegenwärtigen) Gesellschaften als sinnlicher (sexueller) Reiz empfunden wird.

Nichtreligiöse Gründe

Obwohl die Forderung nach Keuschheit in vielen Kulturen stark kulturell oder religiös begründet wird, hat Keuschheit mehrere sehr profane Vorteile.

Schwangerschaft

Der Verzicht auf sexuelle Handlungen verhindert eine Schwangerschaft. Daher wird Keuschheit traditionell insbesondere Unverheirateten nachdrücklich empfohlen. In vielen Kulturen ist oder war die wirtschaftliche Situation alleinerziehender Müttern äußerst schwierig und wird oder wurde durch soziale Ächtung noch verschärft. Für sehr junge Mütter ist auch heute eine Schwangerschaft eine gesundheitliche Belastung. Schwangerschaften Minderjähriger führen oft zu einer Abtreibung.

Heute stehen zumindest in der westlichen Welt effektive Verhütungsmittel wie die Antibabypille zur Verfügung, die eine Schwangerschaft zwar nicht vollkommen ausschließen, deren Wahrscheinlichkeit jedoch stark senken, aber wo diese nicht erhältlich oder bezahlbar sind, ist Enthaltsamkeit auch aus diesem Grund immer noch aktuell.

Aids und sexuell übertragbare Krankheiten

Trotz des medizinischen Fortschritts ist Aids immer noch eine unheilbare Krankheit. Auch die Verbreitung der klassischen sexuell übertragbaren Erkrankungen wie Tripper und Syphilis nimmt heute in Europa wieder zu. Die Wahrscheinlichkeit, sich mit solchen Krankheiten anzustecken, steigt mit der Zahl der Sexualpartner. Die Keuschheit beider Partner vor und in der Ehe ist ein sicherer Schutz vor einer Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten.

Wissenschaftler konnten in den Industriestaaten keine positive Wirkung von staatlichen Präventionsprogrammen auf ungewollte Teenager-Schwangerschaften oder HIV-Neuansteckungsraten feststellen, die sich ausschließlich auf Enthaltsamkeit beziehen.[3]

Uganda ist eines der wenigen afrikanischen Länder, die Erfolge im Kampf gegen AIDS vorweisen können. Diese beruhen auf einem „ABC“-Programm, das Keuschheit (Abstinence), Treue (Be Faithful) mit Safer Sex (use Condoms) kombiniert.

Kontroversen um Keuschheit

Keuschheit, Sitte und Ideologie

Wird „Keuschheit“ zu einer moralpolitischen Forderung nach „Sittlichkeit“ erhoben, so kollidiert dies mit der Idealvorstellung einer unwillkürlichen und vorbewussten Keuschheit und sie wird erfolgreichen Falls zu einer gängigen „Sitte“. Diese ist daran erkennbar, dass ganz gewisse Haltungen gegenüber anderen (z. B. das Augensenken, die Verschleierung) zur Vorschrift gemacht werden. Eine solche Moralpolitik kann auch extreme Formen, wie zum Beispiel die Verstümmelung weiblicher Genitalien, annehmen.

Geraten Sitten sexueller Zurückhaltung ihrerseits in einen Parteienstreit, etwa als symbolische Muster, so wird „Keuschheit“ leicht zu einer bloßen Ideologie, z. B. im gegenwärtigen „Kopftuchstreit“ in Frankreich, Deutschland oder der Türkei seit der Jahrtausendwende.

Keuschheit anstatt Verhütung und Safer Sex

Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln setze diese Behörde „nicht darauf, den Jugendlichen Enthaltsamkeit zu empfehlen“, erklärt Elisabeth Pott (Direktorin der BZgA).[4]

Einige christliche Kirchen und Organisationen hingegen sehen Keuschheit als alleiniges Mittel gegen ungewollte Schwangerschaften und sexuell übertragbare Krankheiten, da sie entweder, wie die römisch-katholische Kirche, empfängnisverhütende Mittel prinzipiell ablehnen oder aber im Propagieren von Kondomen eine verkappte Aufforderung zur Promiskuität sehen.

In den USA werden seit 1996 Sexualaufklärungsprogramme vom Staat gefördert, die sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe betonen, wodurch sowohl die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten als auch Schwangerschaften Minderjähriger mit dem dazugehörigen Armutsrisiko verhindert werden sollen (Keuschheitsbewegung). Bezüglich der Wirksamkeit dieser Programme kommen verschiedene Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen: Brückner und Bearman kamen zu dem Schluss, dass Abstinenzerziehung im Primarschulalter keinen Einfluss auf die Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten habe,[5] Santelli et al. kamen hingegen zu dem Ergebnis, dass die Abstinenz im Hinblick auf den Rückgang von Schwangerschaften Minderjähriger eine ebenso große Rolle spiele wie Empfängnisverhütung.[6]

Gegner dieser Programme vertreten die Ansicht, dass die Jugendlichen dabei zu wenig Informationen über Empfängnisverhütung und sexuell übertragbare Krankheiten erhalten. Auch würde dabei zu wenig Rücksicht auf sexuell aktive und homosexuelle Jugendliche genommen.[7] Weitere Bedenken betreffen Drittweltländer und die Aids-Prävention.[8]

Auf der Internationalen Aids-Konferenz 2006 hatten Fachleute berichtet, dass Abstinence-only-Programme in Entwicklungsländern oder den USA kaum Wirkung zeigen.[4][9]

Eine randomisierte kontrollierte Studie mit über 600 zwölfjährigen afroamerikanischen Schülern in US-Großstädten, die ein Abstinence-only-Programme mit einem Safer Sex-Programm und allgemeiner Gesundheitserziehung verglich, fand jedoch, dass von den Teilnehmern des Abstinence-only-Programms nur 33% in den folgenden zwei Jahren Geschlechtsverkehr hatten, verglichen mit 48% in der Kontrollgruppe. Die Verwendung von Kondomen sei durch die Abstinenzerziehung bis zum achten bis neunten Schuljahr nicht beeinflusst worden.[10]

Literatur

  • Benedict J. Groeschel: The Courage to be Chaste. Paulist Press, New York 1985, ISBN 0-8091-2705-9 Keuschheit aus römisch-katholischer Sicht

Einzelnachweise

  1. a b Katechismus 2337
  2. Katechismus 2343–2344
  3. Spiegel-Online: Enthaltsamkeits-PR macht Jugendliche nicht keuscher
  4. a b Sueddeutsche: No-Sex-Kampagnen sind nutzlos – Bundesregierung setzt auf Aufklärung
  5. Hannah Brückner, Peter Bearman: "After the promise: the STD consequences of adolescent virginity pledges", Journal of Adolescent Health 36 (2005) 271–278
  6. John Santelli et. al.: "Can changes in sexual behaviors among high school students explain the decline in teen pregnancy rates in the 1990s?", Journal of Adolescent Health 35 (2004) Pages 80-90
  7. "Abstinence-only education policies and programs: A position paper of the Society", in: Adolescent Medicine Journal of Adolescent Health, Jg. 38, 2006, S. 83–87
  8. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: Das Ende der Aufklärung
  9. Zeit: Tödliche Gebote
  10. John B. Jemmott III et al. Efficacy of a Theory-Based Abstinence-Only Intervention Over 24 Months. A Randomized Controlled Trial With Young Adolescents, Arch Pediatr Adolesc Med. 2010;164(2):152-159

Siehe auch

Commons: Keuschheit – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien