Harry Kramer
Torso |
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1962 |
Metallskulptur, 114,3 cm × 67,9 cm × 68,6 cm |
Tate Gallery; London |
Harry Kramer (* 25. Januar 1925 in Lingen (Ems); † 20. Februar 1997 in Kassel) war ein deutscher Friseur, Tänzer, Künstler und Professor für Bildhauerei an der Kasseler Kunstakademie. Er wurde als Objektkünstler der Kinetischen Kunst und als Teilnehmer der documenta III 1964 international bekannt und zuletzt vor allem durch seine Initiative zur Realisierung der Künstler-Nekropole in Kassel-Harleshausen am Blauen See im Habichtswald seit den 1990er Jahren Gegenstand des Kunstdiskurses.
Leben
Herkunft und Ausbildung

Harry Kramer kam als Sohn von Johann Kramer, Klempner im Reichsbahnausbesserungswerk in Lingen und der Schneiderin Elisabeth, geb. Keppler aus Nimwegen, in der Hinterstraße 2 in Lingen zur Welt. Die Mutter nannte den Sohn Harry nach dem Schauspieler Harry Piel; sie verstarb 1932 jung an Tuberkulose. Der Vater verheiratete sich ein zweites Mal und ließ sich zum Reichsbahnausbesserungswerk nach Neumünster versetzen, wo der Sohn nach dem Besuch der Volksschule 1939 eine Friseurlehre begann. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war der 14-Jährige mit einem unrechtmäßig besorgtem Freifahrschein der Deutschen Reichsbahn unterwegs nach Amerika, kam jedoch nur bis ins Osnabrücker Polizeigefängnis, wo ihn der Vater auslöste. Harry Kramer arbeitete anschließend in Lingen bis 1942 als Friseur. In diesen Jahren versuchte er sich zudem erfolglos als Schauspielschüler in Osnabrück und in Münster.[1]
Weltkrieg und Farm Hall

Im Jahr 1943 wurde der unterdessen 18-jährige Harry Kramer zum Kriegsdienst eingezogen, zum Scharfschützen ausgebildet und in Frankreich eingesetzt. 1945 geriet er in britische Kriegsgefangenschaft und wurde nach Farm Hall in England verbracht, wo er den dort internierten zehn deutschen Physikern die Hosen bügelte und die Haare schnitt. Carl Friedrich von Weizsäcker erinnerte sich 1988 daran so: „Am Silvesterabend 1945, als wir wußten, daß wir bald nach Deutschland zurückkehren sollten, wurde eine heitere kleine Feier veranstaltet, mit selbstgedichteten Limericks und einer Theaterdarbietung des begabten deutschen Kriegsgefangenen Harry Cramer (heute Kunstprofessor in Kassel), der uns als Friseur zugeteilt war […].“[2] Harry Kramer selbst behauptete in seiner autobiografischen Erzählung Ein Frisör aus Lingen (1990), er habe bei den Physikern in Farm Hall darüber gegrübelt, „ob er nun den Beruf des Filmschauspielers oder den eines Professors anstreben sollte“.[3]
Tänzer und marionettiste
Nach der Entlassung aus Farm Hall übte Harry Kramer zunächst Stepptanz nach einem Buch in der elterlichen Waschküche in Neumünster. Ab 1947 besuchte er die Tanzschule von Lola Rogge in Hamburg und trat nach der Währungsreform, die eine weitere Ausbildung für ihn unbezahlbar machte, Engagements an den Stadttheatern zunächst in Bielefeld, anschließend in Münster an, wo er seine spätere Frau Helga, eine Tänzerin, kennenlernte. Nach einem Aufenthalt in Starnberg in den Jahren 1951/52 zogen Harry Kramer und Helga nach Berlin, wo er ab 1952 seine ersten Figurinen für ein Mechanisches Theater entwickelte. Nicht Handlungsabläufe, so wie im klassischen Marionettenspiel, wurden dabei dargestellt, sondern Bewegungsabläufe[4], und zwar nach Musik bewegte Skulpturen aus Draht, Papier und Holz. Das erste Programm, 13 Szenen, führte Kramer 1955 in der Galerie Springer in Berlin auf, fünf Wochen lang en suite. Die 50-minütige Vorstellung in Baden-Baden wurde vom SFB im Fernsehen gesendet.[5]
Künstler in Paris und in Las Vegas

1956 zog Harry Kramer nach Paris, wo die Tänzerin Helga ein Engagement bei den Bluebell Girls im Lido erhalten hatte und Kramer seine von Hand zu bewegenden Figuren und Objekte auf einer kleinen Bühne zunächst für ein zweites Programm, Signale im Schatten, weiterentwickelte. 1957 wurde das Mechanische Theater beim zweiten Festival d’art d’vantgarde in Nantes aufgeführt.[6] Die Figuren des Programms führten zu einem ersten Film, Die Stadt, den Harry Kramer 1956 gemeinsam mit Wolfgang Ramsbott, einem Juristen, drehte. Bis 1965 folgten vier weitere Experimentalfilme, von denen Die Schleuse, 1961 gedreht, internationale Preise errang. 1960 choreografierte Kramer in Paris das Ballett Nachtpuls für das Petit Ranelagh im Auftrag von Jacques Polieri.[7]
Ab 1957/58 gestaltete Kramer in Paris neben den Figuren fürs Mechanische Theater und neben den Filmen auch Drahtplastiken, die sich vermittels einer Kurbel in Bewegung setzen ließen oder mit kleinen Motoren angetrieben waren. Die fragilen Maschinen inspirierten den bis Ende der 1950er Jahre ebenfalls in Paris ansässigen Günter Grass zu Motiven in seinem eigenen Werk, indem „die mobilen Figuren“ seinen „Vogelscheuchen zur Mechanik verhalfen“.[8] 1962 nahm die Tänzerin Helga das Angebot einer festen Show mit den Bluebell Girls im Stardust in Las Vegas an. Kramer ließ sich an der Loire nieder und restaurierte dort ein Renaissance-Anwesen, das er gekauft hatte.

1964 war Harry Kramer mit automobilen Skulpturen Teilnehmer an der documenta III in Kassel. In der Ausstellungsabteilung Licht und Bewegung erregten die Arbeiten Aufmerksamkeit und Anerkennung. Die documenta-Werke wurden verkauft, Kramer erhielt 25 Einladungen zu Einzelausstellungen in Europa und in den USA.[9]
1965 nahm Kramer eine Gastprofessur an der Hochschule für bildende Künste Hamburg an und realisierte dort das Ballett Inventur. Anschließend folgte er der Tänzerin nach Las Vegas, heiratete sie dort und begann, mit kleinen Motoren versehene Möbel aus Draht und Holz sowie farbige Schiebeplastiken aus Holz zu gestalten, die mit Acrylfarben bemalt waren. 1967 kamen Bauelemente zur industriellen Fertigung hinzu. Zu Beginn des Jahres 1968 kehrten die Kramers nach Frankreich zurück und lebten fortan an der Loire.
Professor in Kassel

1970 erhielt Harry Kramer den Ruf auf eine Professur für Bildhauerei an der Kunstakademie in Kassel (heute ein autonomer Fachbereich der Universität Kassel), dem er 1971 folgte. Kramer lebte zunächst in seinem Atelier in der Akademie, bis er ein altes Haus am Brasselsberg in Kassel erwerben und restaurieren konnte, während seine Frau Helga, die nach Las Vegas die Karriere als Tänzerin beendet hatte, in Paris in dem Modeshows der Haute Couture auftrat.[10]
Seinen Arbeitsschwerpunkt sah Kramer in Kassel nunmehr in der Lehre und Ausbildung der Studierenden. Mit seinen Studenten realisierte er gemeinsame Projekte, zum Beispiel Performances, Ausstellungen und andere Aktionen, die er weiterhin nach seiner Emeritierung als Hochschullehrer im Jahre 1992 gelegentlich fortsetzte. Kramer lebte und arbeitete nach seiner Emeritierung in Kassel und in den Cevennen in Südfrankreich.
Nekropole

Ab 1990 betrieb Kramer die Idee eines Künstlerfriedhofs in Kassel. 1993 wurde die Stiftung Nekropole der Stadt Kassel gegründet.[11] Harry Kramer starb 1997 in seinem Haus am Brasselsberg in Kassel; seine Urne wurde auf eigenen testamentarischen Wunsch auf dem Gelände der Künstler-Nekropole im Habichtswald anonym bestattet. Sein künstlerischer Nachlass, im Besitz der Stiftung Nekropole, wird vom Kunstverein der Kunsthalle in Kramers Geburtsstadt Lingen verwaltet und dort im Wasserturm in einer Dauerausstellung gezeigt.[12] Dokumente und im privaten Besitz Kramers verbliebene Werke übergab seine Witwe Helga 2006 dem documenta-Archiv in Kassel.[13]
Werk
Mit seinen bewegten Objekten avancierte Harry Kramer zu einem Protagonisten der Kinetischen Kunst. Einer der weiteren Hauptvertreter dieser Kunstrichtung war Jean Tinguely. Die Kunstgeschichte ordnet Kramers Werk der „fragilen Vibrationsgebilde“ neben den Mobiles Alexander Calders ein[14] und stellt im Hinblick auf die „Mythologien des Alltags“ unter anderem den Bezug her zu den Werken der Niki de Saint-Phalle.[15]
Mechanisches Theater
Das Mechanische Theater besteht aus skurril-abstrakten Skulpturen, hergestellt aus Papiermaché, Holz und Draht, die von zwei Spielern in collageartig angeordneten Szenerien zur Musik über eine kleine schwarze Bühne bewegt werden. Von den zwischen 1952 und 1958 entstandenen zwei Programmen, 13 Szenen (aufgeführt 1955 in der Galerie Springer, Berlin) und Mechanisches Theater (aufgeführt 1958), wurde das zweite von Kramer restauriert und unter anderem in Berlin, Stuttgart und München in den 1980er Jahren erneut aufgeführt. Das Ensemble des Mechanischen Theaters befindet sich im Besitz des Stadtmuseums in München und bildete den Titel für die gesamte Werkgruppe. Das erste Programm gilt nach dem Werkverzeichnis als verschollen;[16] Figurinen aus diesem Programm hält das Theaterfigurenmuseum Lübeck in der Sammlung von Fritz Fey jun.
Automobile Skulpturen
Schlitten |
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1963 |
Metallskulptur, 76,2 cm × 104,1 cm × 54,6 cm |
Tate Gallery; London |
Schiebeplastiken; Seidensiebdrucke auf Leinen |
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1967–1969 |
Papier, Holz, Acryl; Leinwand |
Kunsthalle (Wasserturm); Lingen |
Bei den automobilen Skulpturen handelt es sich um aus zunächst mit Toilettenpapier kaschiertem und später allein aus Draht geknüpfte fragile Objekte, die sich mit Hilfe einer kleinen Handkurbel in Betrieb setzen lassen oder sich durch einen kleinen Elektromotor selbst bewegen.[Bild 1] Der Kunstkritiker Alfred Nemeczek beschrieb die Skulpturen 2003 als „Skelette aus geflochtenem Draht – manche in Gestalt filigraner Kugeln, andere als Zylinder, Käfige, Hand oder Fuß – […] das Innere [bestückt] mit zarten Rädern, Hämmern und Hebeln, die mit Hilfe winziger Spulen, Gummischnüre und Motörchen in eigenwillige Bewegung gerieten.“[17] Insgesamt entstanden in den Jahren zwischen 1959 und 1965 etwa 270 dieser Drahtplastiken, die in privaten und öffentlichen Sammlungen in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, in der Schweiz und in Großbritannien (hier zum Beispiel in der Tate Gallery in London) und in den USA verteilt sind.[18]
Bauelemente
Die Möbel und die Schiebeplastiken setzten die Reihe der automobilen Skulpturen fort zu geschlossenen Formen in anderen Materialien, wie zum Beispiel Polyester. Mit kleinen Motoren ausgestattet, konnten die Möbel blinken und pumpen. Die mit Lackfarbe bemalten farbigen Schiebeplastiken, durchweg aus Papier, Pappe und Balsaholz, nebst deren Seidensiebdrucken auf Leinen, waren Bauelementen nachempfunden, die Kramer zwischen 1966 und 1968 entworfen und realisiert hatte und die er 1970 mit einer Endlosen Schiene mit Planetenmotor aus Holz und Eisen (WKV 338) abschloss; ebenfalls 1970 entstand der Sarg aus Polyester und Blei.[19]
Filme
Harry Kramer drehte, gemeinsam mit Wolfgang Ramsbott, zwischen 1956 und 1965 fünf experimentelle 16 mm-Animationsfilme in Schwarz-Weiß, unter anderem mit Holz- und Drahtfiguren: Die Stadt (1956), Defense-5825 (1957), Die Schleuse (1961), Sackgasse (1963) und Aufzeichnungen (1965). Die Filme wurden mit Jazzmusik von Art Blakey und Benny Goodman hinterlegt. Der 1961 produzierte Film Die Schleuse gewann Preise wie den Grand Premio Leone di San Marco der Biennale von Venedig 1962 und die Kulturfilmprämie des Bundes 1962. Kopien der Filme befinden sich unter anderem im Nachlass des documenta-Archivs in Kassel. Die Filme wurden verschiedenlich retrospektiv gezeigt, zum Beispiel in der Hamburger Kunsthalle 1997 und zuletzt im Januar 2010 in Kassel.[20]
Atelier Kramer
Panoptikum |
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1971 |
Papier, Binderfarbe |
Kunsthalle (Wasserturm); Lingen |
Unter dem Titel Atelier Kramer firmierten eine Reihe von Aktionen und Ausstellungen, die Kramer mit seinen Studenten zwischen 1971 und 1984 entwarf und die in einer Postkartenaktion regelmäßig publiziert wurden. Dazu gehörten unter anderem Kunst als Backwerk (begonnen 1971), das Porträts und Körper in Brot zeigte und durchweg nicht erhalten wurde, wie zum Beispiel der Brot-Leib des Sängers Udo Lindenberg von 1979. Survival (1972) lehrte die Kunststudenten in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verteidigung das Fallschirmspringen und das Überleben in schwierigem Gelände. Panoptikum (1972), bestehend aus lebensgroßen Figuren aus Papiermaché, erfuhr in verschiedenen Ausstellungen bis 1973 als Projekt Künstliche Menschen mit inwendiger Mechanik, die die Figuren vermittels Waschmaschinenmotoren in Bewegung setzte, zum Teil heftige Publikumsreaktionen. In die Todesarena (1972) begab sich das Atelier Kramer zum Steilwandfahren. Die Kinderlieder (1975) sind ebenso wie die Kunststücke (1977) nur teilweise erhalten. Das Archiv der 100 Tage, mit Gunter Demnig, stapelte anlässlich der documenta 6 1977 die gesamte Presse zu einem Berg aus Zeitungsbündeln. Ein Artistic-Workshop lehrte die Studenten 1977 das Schaufechten, Seilgehen und Showtanzen. Vogelscheuchen (1977) und Termitenstaat (1984) überprüften die den Symbolen angemessene Techniken.[21]
Apokalypse
Apokalypse (mit dem Künstler davor, 1989) |
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1979–1987 |
Acryl auf Leinwand, 201 cm × 261 cm |
Privatbesitz; |
Apokalypse ist der Titel von 24 großformatigen Schrifttafeln, die zwischen 1979 und 1987 entstanden. Sie zeigen die 21 Kapitel der Offenbarung des Johannes sowie das 1. Buch Mose und Daniel 5 in der Übersetzung von Martin Luther (WKV 348 und 349, 1979) und Heinrich Heines Belsazar aus dessen Buch der Lieder (WKV 374, 1987) in unterschiedlichen Punktrastern in Acryl auf Leinwand. Die Raster ergeben sich aus den für die einzelnen Tafeln jeweils festgelegten Vierfarbkombinationen für jeden Buchstaben des Alfabets.[22]
Schriften
Harry Kramer veröffentlichte eine Reihe von Artikeln und Aufsätzen zur Kunst und zur Akademie, unter anderem Künstlerische Methoden für Unbegabte und Einfältige (1981), „Sterben ist im Leben wenig neu, jedoch auch Leben, freilich ist nicht neuer....“ (1981) und „Weltmeister“ (1986). Eine Autobiografie erschien 1990 unter dem Titel „Ein Frisör aus Lingen“. In seiner Abschiedsvorlesung mit dem Titel „Play it again“ (1992), „Nekrolog“ (1994) und in „Post Scriptum“ (1995) resümiert er in literarischer Form seine Vorstellungen der Kunst und ihrer Lehre.[23] „Z. Die Geschichte eines ganz normalen Idioten“, eine literarische Reminiszenz des Akademieprofessors in der Provinz, erschien 1996 in einem limitierten Druck.[24]
In den Schriften wird Kramers Auseinandersetzung mit den Positionen der Kunst des 20. Jahrhunderts deutlich, wie zum Beispiel mit Arnold Schönberg, den er zitiert mit einem Brief, in dem der Komponist das Publikum als „aus akustischen Gründen notwendig“ erachte, „da leere Säle so schlecht klingen“, oder gegenüber Jürgen Syberberg, dem „Mythen produzierenden Einsamen“ und „Eremit[en] der Industriegesellschaft“. Dem „erweiterten Kunstbegriff“ eines Joseph Beuys unterstellt er „allerbeste Absichten“ nebst einem „Bündel von Widersprüchen“ und konfrontiert ihn mit Adornos Begriff einer Kunst, die sich – so Adorno – „als gesellschaftliche Antithesis zur Gesellschaft“ zu formulieren habe.[25] Dem Künstlerdasein „peinlicherweise“ anhängenden Wunsch nach Unsterblichkeit hält er das Missverständnis des Ruhms und die Frage der Nützlichkeit entgegen, „wenn inzwischen nachts die Prothese im Wasserglas lächelt“.[26]
Rezeption
Der Philosoph Max Bense sah in den automobilen Skulpturen Harry Kramers 1964 in ihrem „Leerlauf einen Gegenzug zur Industrie“; dieser „treibt die Kategorie des Nutzens in den Schatten zurück“ und stelle „mit dem zärtlichen Zug zur Anarchie eine Beziehung zum Schöpferischen“ her. Der Schriftsteller und Essayist Helmut Heißenbüttel befand im selben Jahr, dass das „Zusammenhängende der Bewegungselemente“ nicht etwas sei, „was sie miteinander in einen mechanischen Einklang bringt, sondern etwas, was sie in einem Uneinklang hält, der die Bewegungen ungleichmäßig sich gegen sich zurückhalten lässt“.[27] 1990 betonte der Kunsthistoriker Günter Metken aus dem Rückblick auf die Kinetische Kunst das „Unterbleiben“ von „natürliche[n] Bewegungen“ und die Vermeidung des „Zusammenspiel[s] von Figuren“ im Mechanischen Theater; für die automobilen Skulpturen befand er in deren „metaphorischer Natur“ eine Ähnlichkeit mit Zeichnungen von Paul Klee, „nämlich in einem luftigen, gleichsam gestrichelten Medium Gleichnisse parallel zur Antriebswelt vorzuführen.“[28]
Der Kurator und zweimalige documenta-Leiter Manfred Schneckenburger erkannte den Werkcharakter der Ausbildungstätigkeit Kramers in einem Vergleich zum Zirkus, indem er den Hochschullehrer Kramer als den „Selbstdarsteller“ mit einem „Team am Trapez“ konstatierte und das Ziel der Lehre in einer Kunstauffassung ausmachte, die den „Schock gegen den Connaisseurverstand“ setze.[29] Wolfgang Hahn, Kramer-Schüler und Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung am MIT, fasste den Gedanken Schneckenburgers für das Atelier Kramer so zusammen: „Proleten-Harry haut auf die Pauke und zeigt den Latzhosenintellektuellen was Sache ist.“[30]
Ausstellungen (Auswahl)
Einzelausstellungen
- 1955: Galerie Springer, Berlin
- 1960: Kunsthalle Baden-Baden
- 1965: Galerie Kerchache, Paris
- 1967: Galerie Brusberg, Hannover
- 1969: Städtische Kunsthalle Mannheim
- 1979: Karl Ernst Osthaus Museum, Hagen
- 1989: Haus am Waldsee, Berlin
Ausstellungsbeteiligungen
- 1957: Festival d'art d'avantgarde, Cité Radieuse Nantes, Frankreich, und Lund, Schweden
- 1960: Historisches Museum Frankfurt; Festival d'avantgarde, Paris; Kinetische Kunst, Zürich
- 1964: documenta III, Kassel; Salon des Comparaisons 1964; Musée d’art moderne de la Ville de Paris, Paris
- 1970: Kunsthalle Köln
- 1973: Kunstverein Ingolstadt
- 1974: Museum Bellerive, Zürich
- 1975: Haus am Lützowplatz, Berlin
- 1977: Championnat International, Quebec
- 1979: Universitätsgalerie, Stuttgart
- 1982: Städtisches Museum, Mönchengladbach
- 1984: Als Bewegung in die Kunst kam, Haus Lange, Krefeld
- 1985: 1945-1985. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz. Nationalgalerie, Berlin
- 1986: Tate Gallery, London
- 1989: Maschinen-Menschen, Staatliche Kunsthalle Berlin
Literatur
- Meike Behm: Ironisch mit den Themen umgehen, ohne dabei den Inhalt lächerlich zu machen. Harry Kramer (1925 in Lingen geboren, 1997 in Kassel gestorben). In: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes Bd. 56/2010, S. 275–286
- Dirk Eckart: Die Kasseler Künstlernekropole: ein Buch für kunstinteressierte Spaziergänger, Kassel 2000, ISBN 3-89811-600-X
- Dieter Honisch (Vorw.): Kunst in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1985, Nationalgalerie. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1985, ISBN 3-87584-158-1
- Jens Christian Jensen (Hrsg.): Atelier Kramer: 1970–1985. Harry zum 60sten, Kiel 1985
- Alfred Nemeczek: Der fatale Hang zur Unsterblichkeit. Harry Kramer. In: art – Das Kunstmagazin, 5 (2003), S. 44–50
- Angela Landgrebe: Künstler-Nekropole Kassel, Kassel 2004, ISBN 3-933617-18-9
- Heiner Schepers (Hrsg.): Eine Stunde für Harry Kramer, Lingen 1997, ISBN 3-933038-00-6
- Verein zur Förderung der Künstler-Nekropole, Kassel (Hrsg.): Harry Kramer. Künstler-Nekropole, Kassel 1999, ISBN 3-925272-42-9
- Michael Willhardt (Hrsg.): Der Alleinunterhalter. Harry Kramer, Ostfildern 1995, ISBN 3-7757-0540-6
- Michael Willhardt (Hrsg.): Ein Frisör aus Lingen, Harry Kramer, Freren 1990, ISBN 3-923641-30-3
Weblinks
- Harry Kramer in der Tate Gallery, London
- Bilder: Harry Kramer und Werke
- Offizielle Seite des documenta-Archivs
- Kunsthalle Lingen
- Vorlage:PND
Einzelnachweise
- ↑ Harry Kramer: Ein Frisör aus Lingen. In: Michael Willhardt (Hrsg.): Ein Frisör aus Lingen, Harry Kramer (1990), S. 1–38; S. 1–10.
- ↑ Dietrich Hahn (Hrsg.): Otto Hahn. Leben und Werk in Texten und Bildern. Mit einem Vorwort von Carl Friedrich von Weizsäcker. Frankfurt am Main 1988, S. 15
- ↑ Harry Kramer: Ein Frisör aus Lingen (1990), S. 18
- ↑ Dieter Honisch (Vorw.): Kunst in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1985, Nationalgalerie. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1985, S. 397
- ↑ Michael Willhardt (Hrsg.): Ein Frisör aus Lingen. Harry Kramer (1990), S. 1–38; S. 19, 25ff, 35
- ↑ Georg Jappe: Harry Kramer. Nicht das Vakuum füllen – die Leere realisieren. (1961) In: Michael Willhardt (Hrsg.): Ein Frisör aus Lingen, Harry Kramer (1990), S. 82–92
- ↑ Michael Willhardt (Hrsg.): Ein Frisör aus Lingen. Harry Kramer (1990), S. 178
- ↑ Günter Grass: Vier Jahrzehnte. Steidl, Göttingen 1991 (ohne Paginierung)
- ↑ Alfred Nemeczek: Der fatale Hang zur Unsterblichkeit. Harry Kramer. In: art – Das Kunstmagazin. Nr. 5 (2003), S. 48
- ↑ Ein Frisör aus Lingen (1990), S. 38
- ↑ Cornelius Tauber: Eine Nekropole für Künstler. In: Michael Willhardt (Hrsg.): Der Alleinunterhalter. Harry Kramer (1995), S. 158–161
- ↑ Wasserturm in Lingen: Dauerausstellung Harry Kramer
- ↑ Eröffnung der Harry-Kramer-Sammlung im documenta-Archiv, 2006
- ↑ Karin Thomas: Bis heute. Stilgeschichte der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert. 3. Aufl., Köln 1974, S. 294
- ↑ Seit 45. Die Kunst unserer Zeit II. Brüssel 1970, S. 272
- ↑ Werkverzeichnis (WKV), in: Michael Willhardt (Hrsg.): Ein Frisör aus Lingen. Harry Kramer (1990), S. 182
- ↑ Alfred Nemeczek: Der fatale Hang zur Unsterblichkeit. Harry Kramer. In: art – Das Kunstmagazin, Nr. 5 (2003), S. 47
- ↑ Werkverzeichnis (WKV), in: Michael Willhardt (Hrsg.): Ein Frisör aus Lingen, Harry Kramer (1990), S. 182
- ↑ Werkverzeichnis (WKV), in: Michael Willhardt (Hrsg.): Ein Frisör aus Lingen. Harry Kramer (1990), S. 186–188
- ↑ documenta Archiv 22. Januar 2010
- ↑ Vollständige Projektliste mit Einzelbeschreibungen in: Michael Willhardt (Hrsg.): Ein Frisör aus Lingen. Harry Kramer (1990), S. 190–195
- ↑ Werkverzeichnis (WKV) in: Michael Willhardt (Hrsg.): Ein Frisör aus Lingen. Harry Kramer (1990), S. 188
- ↑ Veröffentlicht in: Michael Willhardt (Hrsg.): Der Alleinunterhalter. Harry Kramer (1995)
- ↑ Harry Kramer: Z. Die Geschichte eines ganz normalen Idioten. Kassel 1996
- ↑ Harry Kramer: Künstlerische Methoden für Unbegabte und Einfältige. (1981) In: Michael Willhardt (Hrsg.): Der Alleinunterhalter. Harry Kramer (1995), S. 75–85; S. 75f.
- ↑ Harry Kramer: Nekrolog (1994). In: Michael Willhardt (Hrsg.): Der Alleinunterhalter. Harry Kramer (1995), S.48– 58; S. 54
- ↑ Bense und Heißenbüttel in: rot. text 12. edition rot, Stuttgart 1/1964
- ↑ Günter Metken: Tanzspiel. Maschinenspiel. Elektrischer Tanz. In: Michael Willhardt (Hrsg.): Ein Frisör aus Lingen, Harry Kramer (1990), S. 60, 63
- ↑ Manfred Schneckenburger: Der Selbstdarsteller und sein Team am Trapez. In: Michael Willhardt (Hrsg.): Der Alleinunterhalter. Harry Kramer (1995), S. 113–124
- ↑ Wolfgang Hahn: Das „Atelier Kramer“ - Versuch eines Interieurs. In: Michael Willhardt (Hrsg.): Der Alleinunterhalter. Harry Kramer (1995), S. 125–137; S. 131
Abbildungen
- ↑ Harry Kramer: ohne Titel
Personendaten | |
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NAME | Kramer, Harry |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Künstler |
GEBURTSDATUM | 25. Januar 1925 |
GEBURTSORT | Lingen (Ems), Deutschland |
STERBEDATUM | 20. Februar 1997 |
STERBEORT | Kassel |