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Eberhard-Finckh-Kaserne

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Die Eberhard-Finckh-Kaserne war über 35 Jahre hinweg – zwischen 1958 und 1993 – ein Bundeswehrstandort des Heeres auf der Hochfläche der mittleren Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg, gelegen auf der Gemarkung der Gemeinde Engstingen, etwa vier Kilometer südlich des Teilortes Großengstingen im Grenzbereich zu den Nachbargemeinden Hohenstein-Meidelstetten und Trochtelfingen. Die meiste Zeit ihres Bestehens war darin neben anderen Verbänden das Raketenartilleriebataillon 250 als vor Ort bedeutendste Einheit für das NATO-Konzept der „nuklearen Teilhabe“ stationiert.

Diese Kaserne und das daran angeschlossene etwa einen Kilometer entfernte, von einer US-amerikanischen Einheit bewachte Atomwaffenlager Golf rückte in den 1980er Jahren aufgrund verschiedener Aktionen der Friedensbewegung gegen die militärische Präsenz vor Ort ins Blickfeld einer bundesweiten, zeitweilig auch internationalen Öffentlichkeit. Ein wesentlicher Teil dieser nicht nur atompazifistisch, sondern in einem weiter reichenden Sinn auch antimilitaristisch ausgerichteten Aktionen im Umfeld der Eberhard-Finckh-Kaserne markierte ab 1981/82 den Übergang der damaligen Massenbewegung gegen den Nato-Doppelbeschluss von der Appellations- und Demonstrationsphase zur – auch begrenzte und kollektive Gesetzesverstöße beinhaltenden − Phase der gewaltfreien Aktion bzw. des Zivilen Ungehorsams in der Bundesrepublik, beispielsweise in Form von längerfristigen Sitzblockaden vor militärischen Einrichtungen.

Das Areal, Anlagen und Immobilien der vormaligen Kaserne wurden nach ihrer Auflösung im Jahr 1993 ab 1995 zivilgewerblichen Ansprüchen zugeführt, und werden seither als Gewerbepark Haid von verschiedenen Unternehmen des produzierenden und dienstleistenden Gewerbes unter dem Dach des Zweckverbandes Gewerbepark Engstingen-Haid genutzt.

Namensgebung

Nach Eberhard Finckh (1899–1944), einem Angehörigen des Wehrmachtswiderstandes gegen die NS-Führung, wurde die Kaserne benannt

Der zunächst nur unspezifisch in Bezug auf den angrenzenden Weiler als „Haid-Kaserne“ bezeichnete Bundeswehr-Standort, dessen Areal bereits während des NS-Regimes als Munitionsanstalt militärisch genutzt worden war, wurde ab 1965 offiziell benannt nach Eberhard Finckh (1899–1944), einem an der Operation Walküre, genauer bei den Putschvorbereitungen im von Deutschland besetzten Paris beteiligten Wehrmachts-Oberst und Angehörigen des Wehrmachtswiderstands gegen die NS-Führungsspitze. Finckh war nach dem erfolglosen Attentat Stauffenbergs auf Hitler vom „Volksgerichtshof“ unter Roland Freisler zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden.

Die Namensgebung der Bundeswehrkaserne war dem politischen Bestreben der damaligen Bundesregierung geschuldet, die neue deutsche Armee in eine Tradition des Wehrmachtswiderstandes gegen den Nationalsozialismus zu stellen, und sie damit symbolisch vor der auch internationalen Öffentlichkeit als demokratische Armee zu legitimieren. Der 1983 erfolgende Protest gegen diese Namensgebung durch Eberhard Finckhs direkte Nachkommen (Sohn und Töchter), die sich der Friedensbewegung gegen die „Nachrüstung“ angeschlossen hatten, blieb − zumal bis zur Auflösung der Kaserne − erfolglos.[1]

Nach der Kasernenschließung 1993 behielt lediglich eine der Haupt-Durchgangsstraßen des nunmehr als Gewerbepark Haid bezeichneten Geländes den Namen „Eberhard-Finckh-Straße“. Die weiteren Straßennamen des heutigen zivil genutzten Areals erinnern an andere bekannt gewordene – nicht nur militärische – Gegner und Opfer des Nationalsozialismus innerhalb Deutschlands.

Geschichte

Vorgeschichte 1938 bis 1956/57: Vom Wehrmachts-Standort Muna Haid bis zu den Planungen der Bundeswehr

Die militärische Nutzung des Geländes begann bereits 1938, als während des NS-Regimes von der deutschen Wehrmacht die 140 Hektar umfassende Munitionsanstalt (Muna) Haid eingerichtet und 1939 fertiggestellt wurde. Neben den Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäuden, den Arbeiter- und Soldatenbaracken waren 76 Bunker errichtet worden, in denen vorwiegend schwere Munition für die Luftwaffe eingelagert wurde. Während des Zweiten Weltkriegs war an die Muna ein kleines Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager angeschlossen, in das zwischen 200 und 300 Männer und Frauen hauptsächlich aus Frankreich, Russland und Polen deportiert worden waren.[2] Ein Teil von ihnen wurde direkt in der Muna eingesetzt, ein anderer Teil − vor allem die französischen Kriegsgefangenen − zu landwirtschaftlichen Arbeiten in den umliegenden Gehöften herangezogen. Während der Hochphase des Muna-Betriebs arbeiteten einschließlich des einheimischen Personals bis zu 600 Personen in der Munitionsanstalt.

Im Jahr 1945, kurz vor Kriegsende, wurde die Muna von alliierten, vor allem amerikanischen Luftwaffenverbänden mehrmals bombardiert und schwer beschädigt. Am 23. April 1945 wurden die Reste der Muna gesprengt, und für die NS-Verwaltung potenziell politisch belastende Dokumente vernichtet. In der Eile der von der deutschen Militärführung befohlenen Zerstörung der Anlagen wurden einige Bunker lediglich verschüttet, Teile der Munition im Gelände verstreut, und unter Schutt und aufgeworfener Erde begraben. Einen Tag später rückten US-amerikanische Militäreinheiten in Engstingen ein und besetzten kurz darauf das verwüstete Gelände der Muna. Der größte Teil der vor Ort verantwortlichen NS-Verwaltung und der Wehrmachtssoldaten war geflohen oder untergetaucht.

Unmittelbar nach dem Ende des Krieges wurde Mitte Mai 1945 die Hoheit über die Hinterlassenschaft des vormaligen NS-Regimes der französischen Besatzungsmacht in Württemberg-Hohenzollern übergeben. Diese überantwortete 1948 das Gelände dem wüttembergisch-hohenzollerischen Finanzministerium, nicht zuletzt, um das risikobehaftete Problem der Suche nach und Zerstörung der Munitionsrückstände abzugeben, das nun in den Händen des einheimischen Kampfmittelbeseitigungsdienstes lag, der bis zur vorläufigen Einstellung seiner Arbeit 1956 laut Angaben des Landessprengmeisters eine Fläche von 172,5 Hektar geräumt, 274 Kubikmeter Erde und Beton bewegt und 498.000 Sprengkörper und Zünder sowie rund 231.000 Infanteriepatronen geborgen hatte.

Parallel zur Arbeit des Kampfmittelbeseitungsdienstes wurde das Gelände der vormaligen Muna saniert, und einige Gebäude neu errichtet. Nach dieser notdürftigen Instandsetzung nach dem Krieg befand sich auf dem Areal zeitweilig eine Lungenheilanstalt für etwa 200 Patienten, die bereits 1953 wieder geschlossen wurde, um Platz für ein Durchgangslager für Vertriebene, insbesondere aus den von Polen und der Sowjetunion besetzten vormaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches zu schaffen. Dieses Flüchtlingslager, in dem zeitweilig bis zu 800 Menschen aller Altersgruppen lebten, existierte bis 1959.

Mitte der 1950er Jahre fasste das aus dem „Amt Blank“ neu hevorgegangene Bundesverteidigungsministerium den Beschluss, mit einem Etat von 40 Millionen DM den ersten Kasernenneubau in Baden-Württemberg auf dem Gelände bei Engstingen in die Wege zu leiten. Im Jahr 1956, sieben Jahre nach Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland, und wenige Monate, nachdem mit der Bundeswehr eine neue – westdeutsche – Armee gegründet worden war, wurde mit dem Bau der Kasernengebäude begonnen, zunächst noch neben dem Flüchtlingslager, das im letzten Jahr seines Bestehens aus „militärischen Sicherheitsgründen“ eingezäunt war. Nachdem Die letzten Flüchtlinge das Lager verlassen hatten, weitete die Bundeswehr das Kasernengelände um die Gebäude des vormaligen Durchgangslagers aus.

1958 bis 1993: Der Bundeswehr-Standort Eberhard Finckh-Kaserne

Datei:Raktetenartilleriebataillon250.jpg
Wappen des RakArtBtl 250
Sergeant-Rakete, in Engstingen stationiert zwischen 1965 und 1977
Lance-Rakete, in Engstingen stationiert zwischen 1977 und 1993

Im Februar 1958 rückten die ersten Soldaten der Bundeswehr in die neu errichtete Kaserne auf der Haid, die sieben Jahre später den Namen Eberhard-Finckh-Kaserne erhalten sollte, ein. Es waren zunächst häufig wechselnde Einheiten stationiert. Ab Mai 1963 war Engstingen Standort des Raketenartilleriebataillons 250. Seit 1967 befand sich hier außerdem das 84th US-Army Field Artillery Detachment (84th USFAD). Die Aufgabe dieser Einheit bestand in der Bewachung und Wartung der Atomsprengköpfe. Sie sollten im Falle eines Atomkriegs im Rahmen der nuklearen Teilhabe mit deutschen Raketen verschossen werden. Hierfür waren ab Mitte der 1960er Jahre Sergeant-Kurzstreckenraketen vorgesehen. 1977 wurden diese durch Lance-Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von ca. 130 km ersetzt. In Engstingen waren sechs solche Systeme stationiert, dazu gedacht, einen potenziellen Angriff von Warschauer Pakt-Truppen im angenommenen Raum zwischen Bayerischem Wald und Augsburg/Bayern aufzuhalten.

Als Atomwaffenstandort war die Kaserne vor allem in den 1980er Jahren Ort von Protestkundgebungen der Friedensbewegung. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde das Raketenartilleriebataillon 250 am 19. März 1993 aufgelöst und die Eberhard-Finckh-Kaserne geschlossen.

Sondermunitionslager Golf (Atomwaffenlager)

Die Atomsprengköpfe – zuletzt für die Lance-Kurzstreckenrakete, jeweils mit der doppelten Sprengkraft der Ende des Zweiten Weltkriegs in Hiroshima eingesetzten Atombombe – wurden im etwa einen Kilometer südlich von der Eberhard-Finckh-Kaserne entfernten, ab 1967 eingerichteten Sondermunitionslager Golf auf den Gemarkungen der Gemeinden Hohenstein und Trochtelfingen gelagert.[3] Bewacht und gewartet wurden sie von amerikanischen Soldaten der 84th USFAD. Allein diese Einheit hatte Zugang zum inneren Sperrbereich ("J"-Lager genannt) des etwa 15 Hektar großen, sichtgeschützt von Wald umgebenen Geländes. Der äußere Sperrbereich (das "K"-Lager), in dem sich die Raketenmotoren und Munition der Bundeswehr befanden, stand unter der Aufsicht von deutschen Soldaten des direkten Unterstützungskommandos („Host Nation“) der 5. Batterie des RakArtBtl 250 (vgl. auch Unterstützungskommando (WHNS)).

Der innere Sperrbereich bestand aus zwei Bunkern für die insgesamt 30 Sprengköpfe, war mit dreifacher Umzäunung, Panzersperren und drei Wachtürmen befestigt. Im Lauf der späten 1970er und 1980er Jahre wurden die Befestigungen noch verstärkt, zum einen begründet mit Befürchtungen terroristischer Anschläge, zum anderen mit der Zunahme sowjetischer Spionagetätigkeiten. Offiziell wurde dieser unter militärischer Geheimhaltung stehende Sicherheitsbereich jedoch immer nur – verallgemeinernd ausgedrückt – „für militärische Zwecke der Verteidigung“ genutzt. So hieß es im Kaufvertrag zwischen der Bundesvermögensstelle Tübingen und den Gemeinden Trochtelfingen und Meidelstetten (heute Hohenstein-Meidelstetten), als erstere 1967 das an der Grenze zur Gemarkung Engstingens liegende Waldstück von den beiden Albgemeinden zum Preis von 240.000 DM erworben hatte. Dass darin Atomsprengköpfe gelagert wurden, sickerte zwar nach und nach in die Öffentlichkeit durch, jedoch erst während des Auflösungsappells des Raketenartilleriebataillons 250 am 22. März 1993 bestätigte Oberst Ullrich Schröter, Kommandeur des Artilleriekommandos 2, zum ersten Mal offiziell, dass im Lager Golf „nukleare Sprengköpfe gelagert waren“.

Das Sprengkopflager für die Atomraketen wurde in Folge des zu Ende gegangenen „Kalten Krieges“ bereits im Herbst 1991, eineinhalb Jahre vor der Auflösung der Eberhard-Finckh-Kaserne – ebenfalls unter Geheimhaltung – von der US-Armee geräumt. Dass das Lager danach leer stand, wurde publik, als 1992 eine Gruppe der Friedensbewegung eine erneute (sozusagen die letzte) Aktion beim Atomwaffendepot durchführen wollte, und überraschend auf eine vernachlässigte Umzäunung und offene Tore stieß.

Das Sondermunitionslager Golf befand sich bei 48° 21′ 2″ N, 9° 16′ 53″ O.

Friedensbewegung

Nach dem NATO-Doppelbeschluss vom 12. Dezember 1979 trat die Existenz von Atomwaffen in Deutschland wieder stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung. Die Friedensbewegung, die seit dem Abflauen der Proteste gegen die Atomwaffen und die "Wiederbewaffnung" Ende der 1950er Jahre stagnierte und die Bevölkerung kaum mehr erreicht hatte, wuchs nach dem Beschluss innerhalb weniger Monate zu einer Massenbewegung an. Auch Engstingen rückte ins Blickfeld der Atomwaffengegner, nachdem die Zeitschrift Stern im Januar 1981 unter dem Titel „Atomrampe BRD“ einen Artikel veröffentlicht hatte, in dem die Standorte der Atomwaffenlager in der Bundesrepublik einer breiten Öffentlichkeit publik gemacht wurden.

An Ostern 1981 war die Eberhard-Finckh-Kaserne zum ersten Mal Ziel eines Ostermarsches mit etwa 2.000 Teilnehmern. Im Sommer des gleichen Jahres ketteten sich 13 Demonstranten an das Haupttor und blockierten es für 24 Stunden[4]. Auch in den folgenden Jahren machten sich immer wieder Ostermarschierer auf den Weg nach Engstingen. Im Sommer 1982 wurde das Sondermunitionslager Golf vom 1. August bis zum 8. August für eine ganze Woche von bis zu 800 Menschen, die in fünf Zeltlagern auf angemieteten Wiesen in Umkreis von bis zu 15 km untergebracht waren, in einer Art Schichteinsatz verschiedener Bezugsgruppen rund um die Uhr blockiert. Während dieser Woche kam es bei den Räumungen der Blockaden durch Einheiten der Bereitschaftspolizei zu 380 kurzfristigen Festnahmen der beteiligten Demonstranten. Diese erste große Sitzblockade eines Atomwaffenlagers in der Bundesrepublik gab der Friedensbewegung insgesamt wichtige Impulse im Hinblick auf die Strategie der von kleinen antimilitaristischen Basisgruppen ausgehenden gewaltfreien Aktion. Sie stellte den Auftakt für eine Reihe weiterer, ähnlicher und umfangreicherer, über bloße Protestdemonstrationen hinausgehenden Aktionen des Zivilen Ungehorsams in Westdeutschland dar, so auch bei anderen militärischen Einrichtungen wie beispielsweise der Mutlanger Heide als bekanntestem Stationierungsort von Pershing II-Mittelstreckenraketen.

Demonstration der Friedensbewegung gegen die „Nukleare Teilhabe“ vor einem Atomwaffenstandort in der Bundesrepublik (hier 2008 vor dem Fliegerhorst Büchel)

In den folgenden Jahren fanden immer wieder kleinere Demonstrationen im Umfeld der Eberhard Finckh-Kaserne statt. Der Sohn des Namensgebers der Kaserne, Peter Finckh und seine beiden Schwestern solidarisierten sich 1983 mit der Friedensbewegung, und versuchten – wenn auch erfolglos –, das Bundesverteidigungsministerium unter dem damaligen Minister Manfred Wörner (CDU) zur Revidierung der Namensgebung der Kaserne mit dem Namen ihres Vaters zu veranlassen. Mit diesem Anliegen trat Peter Finckh auch als Redner beim Ostermarsch 1984 in Engstingen-Haid im Rahmen einer symbolischen Kasernenumbenennung auf. Unter den Rednern bei den diversen Ostermarschkundgebungen um die Eberhard-Finckh-Kaserne waren beispielsweise auch Inge Aicher-Scholl, die Schwester der 1943 hingerichteten Widerstandskämpferin Sophie Scholl, der Rhetorik-Professor Walter Jens oder der Liedermacher Thomas Felder, der sich zudem an mehreren Sitzblockaden des Atomwaffenlagers Golf beteiligt hatte.

Neben den Demonstrationsmärschen und Sitzblockaden zählten auch Mahnwachen vor den Zufahrten des Geländes, öffentliche Wehrpassverbrennungen oder Störaktionen gegen Rekrutenvereidigungen (Feierliches Gelöbnis) der Bundeswehr (vgl. Gelöbnix) u.a. zum Aktionsrepertoire der Friedensbewegung vor Ort. 1989 war Engstingen mit etwa 6.000 Teilnehmern zentraler Veranstaltungsort für die Ostermärsche in Baden-Württemberg.

Juristische Folgen im Zusammenhang mit den Sitzblockaden

Die vielen Sitzblockaden führten in der „Nachwirkung“ zu einer Serie von Strafbefehlen [5] und in Folge der jeweils eingegangenen Widersprüche zu Gerichtsverhandlungen, die das Amtsgericht Münsingen über Jahre hinweg beschäftigte [6]. Hunderte von Blockierern wurden wegen Verstoßes gegen den Nötigungsparagraphen 240 StGB zumeist zur Zahlung einer Geldstrafe zwischen 20 und 40 Tagessätzen verurteilt. Einzelne der Verurteilten mussten eine Erzwingungshaft antreten, weil sie sich weigerten, ihre Strafe zu bezahlen. Aufgrund mehrerer Verfassungsbeschwerden wurde die Gesetzesauslegung 1995 durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) (AZ 1 BvR 718/89) modifiziert [7]. Die Ausweitung des Gewaltbegriffs auf psychische Gewalt verstieß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Artikels 103 Abs. 2 des Grundgesetzes, so die Verfassungsrichter in ihrer Urteilsbegründung. Der Bundesgerichtshof hob die Urteile gegen die Blockierer der Eberhard-Finckh-Kaserne und des Atomwaffenlagers Golf daraufhin auf.

Nach 1993: zivile Nutzung als Gewerbepark Haid

Nachdem die Eberhard-Finckh-Kaserne im Dezember 1993 geschlossen worden war, kaufte der Zweckverband Gewerbepark Engstingen-Haid das Gelände im November 1995 durch Zahlung von neun Millionen DM (etwa 4,5 Millionen Euro) an die Bundesvermögensverwaltung. Der Zweckverband wird von den umliegenden Gemeinden Engstingen, Hohenstein und Trochtelfingen getragen. Mit diesem Kauf begann ein funktionaler Umwandlungsprozess der Geländenutzung (vgl. Rüstungskonversion), dessen Abschluss bis zur Mitte der 2010er Jahre geplant ist.

Ab 2001 wurden die meisten Gebäude der ehemaligen Kaserne abgerissen. Die Kosten für die Bergung und Beseitigung von im Erdreich aufgefundenen alten Kampfmitteln werden gemäß Kaufvertragsklausel bis zum Jahr 2015 durch den Bund getragen. Schätzungen der Kampfmittelbeseitigungsdienststelle zufolge lagen bei der Eröffnung des Gewerbeparks 1995 noch etwa 500 Tonnen Munitionsrückstände unter dem Boden verstreut über das gesamte Gelände rund um die ehemalige Kaserne.

Auf dem inzwischen für die gewerbliche Nutzung freigegebenen Areal haben sich bis dato zirka 70 Betriebe aus verschiedenen Handwerks-, Produktions- und Dienstleistungsgewerben mit insgesamt rund 300 festen Arbeitsplätzen angesiedelt, Tendenz steigend. Das ehemalige Sondermunitionslager Golf wird mittlerweile von einer zivilen Firma zur Lagerung von gewerblichem Sprengstoff, wie er etwa in Steinbrüchen zum Einsatz kommt, genutzt.

Literatur

  • Jan R. Friedrichs: Die Muna Haid in Engstingen, Verlag Oertel & Spörer, ISBN 3886272788
  • Joachim Lenk: Soldaten, Sprengköpfe und scharfe Munition, Wiedemann-Verlag Münsingen 2006, ISBN 3-9810687-2-6

Anmerkungen / Einzelnachweise

  1. Spiegel-Artikel von 1983 über die Initiative Peter Finckhs, der Eberhard-Finckh-Kaserne den Namen seines Vaters abzuerkennen
  2. Ein großes Stillschweigen“ - Artikel über eine Forschungsarbeit zu Erinnerungen der Engstinger Bevölkerung an die Zwangsarbeiter in der Muna Haid (Reutlinger General-Anzeiger, 2. Januar 2010, Seite 22 (online))
  3. Informationen zum ehemaligen Atomwaffenstandort Hohenstein, gemeint das Atomwaffenlager Golf - auf atomwaffena-z.info
  4. Presseberichterstattung des Schwäbischen Tagblatts u.a. zum ersten Prozess gegen die Akteure der Ankettungsaktion vom Sommer 1981 (PDF-Datei)
  5. Beispiel eines Strafbefehls wegen der Teilnahme an der Blockade des Sondermunitionslagers Golf (digitalisiertes Dokument als PDF-Datei)
  6. Presseberichterstattung zu den Strafprozessen gegen die Blockierer des Atomwaffenlagers Golf, als Beispiele Artikel aus der Frankfurter Rundschau und der TAZ (PDF-Datei)
  7. Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 1995

Koordinaten: 48° 21′ 43,6″ N, 9° 16′ 22,2″ O