Acantharia
Acantharia | ||||||||||
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![]() Acantharia-Arten | ||||||||||
Systematik | ||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||
Acantharia | ||||||||||
Haeckel, 1881 |
Die Acantharia sind eine aus rund 140 Arten bestehende Gruppe von Protisten, die zu den Strahlentierchen (Radiolaria) gezählt werden. Alle Arten leben im Meer als Teil des Zooplanktons. Die Tiere haben eine große Bedeutung für den Strontiumhaushalt des Meeres.
Merkmale
Acantharia sind kugelförmig oder länglich-rund, gelegentlich abgeflacht und haben einen Durchmesser von 0,05 bis 5 Millimeter. [1]

Skelett
Die Zelle wird getragen von einem Skelett, das aus zwanzig Stacheln aus monokristallinem, rhombischen Strontiumsulfat besteht, einem unter den Protisten einzigartigen Baumaterial. Die stets gleiche Anordnung der Stacheln formulierte Johannes Peter Müller 1858 im nach ihm benannten „Müllerschen Gesetz“: „Man erhält daher [..] für die Acanthometren mit 20 Stacheln dieselbe Formel, dass zwischen zwei stachellosen Polen 5 Gürtel von Stacheln stehen, jeder von 4 Stacheln, alle nach dem gemeinschaftlichen Centrum der ganzen Sphäre gerichtet, und dass die Stacheln jedes Gürtels mit dem vorhergehenden alterniren. [2]“. So treten die Spitzen der jeweiligen Viererreihen dann auf 60°N, 60°S, 30°N, 30°S und 0° geographischer Breite und 0°, 90°, 180° und 270° (polare bzw. äquatoriale Spitzen) bzw. 45°, 135°, 225° und 315° (tropische Spitzen) geographischer Länge aus der gedachten „Sphäre“ hervor (siehe Abbildung). [1]
Zelle
Der Zellkörper besteht aus einem Endoplasma in der Mitte und dem Ektoplasma in der Peripherie. Das den Zellkern und die meisten Organellen enthaltende Endoplasma ist meist braun, rot oder schwarz pigmentiert, bei allen Arten außer denen der Arthracantida ist die Pigmentierung im Zentrum besonders dicht und wird nach außen hin immer klarer. [1]
Endo- und Ektoplasma werden getrennt durch eine Kapselwand, ein fibrilläres Geflecht, das zeitweise Öffnungen für zytoplasmatische Ausstülpungen sowie die Axopodien aufweist. Bei den Arthracantida ist die Kapselwand deutlich dicker als bei den anderen Ordnungen, wo die Kapselwand teilweise kaum zu erkennen ist. [1]
Als „Außenhaut“ des Ektoplasmas und so zugleich des gesamten Organismus dient der periplasmatische Cortex, ebenfalls ein fibrilläres Maschenwerk. Er besteht aus zwanzig mittels elastischer Verbindungsstücke miteinander verbundener Polygone, die jeweils um einen der Skelettstacheln herum angeordnet sind. [1]
Kapselwand und periplasmatischer Cortex liegen entlang der Stacheln aneinander an. Im schmalen Zwischenraum von Kapselwand und periplasmatischem Cortex finden sich die Myoneme, an der Kapselwand sowie dem Stachel verankerte fibrilläre Bündel aus Proteinen, die flach, bandförmig, kurz zylindrisch oder dreieckig und 5 bis 90 Mikrometer lang sind. Je nach Art finden sich zwischen 40 und 1200 Myoneme, also 2 bis 60 je Stachel. Sie dienen als bewegungserzeugende Organellen und können drei Bewegungen auslösen, nämlich eine langsame wellenförmige, eine schlagartige Kontraktion, die den periplasmatischen Cortex bis an die Spitze der Stachel drücken kann und eine langsame, nachfolgende Entspannung. Wenn ein Individuum alle Myoneme gleichzeitig aktiviert, führt das zu einer schlagartigen Vergrößerung des Zellvolumens. Diese alle zehn bis zwanzig Minuten beobachtbare Bewegung befördert wahrscheinlich den Auftrieb. [1]
Als Organellen im Endoplasma finden sich große Mitochondrien mit röhrenförmigen Cristae, ein raues endoplasmatisches Retikulum, Ribosomen, Dictyosomen, Peroxisomen sowie den Kinetozysten der Sonnentierchen ähnelnde Extrusome. Die Zellkerne sind normalerweise zahlreich vorhanden, klein und rund oder länglich-rund, die Ausnahme bilden einige Arten der Ordnung der Symphyacanthida mit einem einzelnen sehr großen und vermutlich polyploiden Kern. Der Trophont zahlreicher Arten enthält unmittelbar vor der Gametogenese hunderte bis tausende Zellkerne. [1]
Bei fast allen Arten außer denen der Arthracanthida weist das Endoplasma mit zunehmendem Alter Lithosomen auf, kleine, ovale, doppelbrechende Plättchen, die vom Golgi-Apparat erzeugt werden. An die Zelloberfläche transportiert, wird aus ihnen im Rahmen der Enzystierung vor der Gametogenese die Außenhaut der Zyste gebildet, die Myoneme werden dabei abgesondert. [1]
Axopodien
Wie alle Strahlentierchen und auch die Sonnentierchen besitzen die Acantharia Axopodien, besonders lange, dünne und gerade Zellfortsätze, die aus der Zelloberfläche hervorstehen. Sie werden gebildet aus einer dünnen Zytoplasma-Schicht sowie der Zellmembran und durch eine spezielle Struktur aus bei Holacanthida dodekagonal, ansonsten hexagonal zu Axonemen angeordneten Mikrotubuli verfestigt, die kleinen, im Endoplasma gelegenen MTOCs entspringen. Im Zytoplasma enthalten sind Organellen wie Extrusom, Mitochondrien sowie verschiedene Typen von Vesikeln. Die Axopodien dienen dem Beutefang und reagieren auf Reize, sie ziehen sich bei chemischen wie physischen (Temperatur, Berührung) Stimuli zurück und bauen sich dann langsam wieder auf. [1]
Lebenszyklus
Der Lebenszyklus der Acantharia ist nicht vollständig bekannt. Probleme bei der Beobachtung bereitet, dass die Tiere unter den dazu notwendigen Laborbedingungen weder kultiviert werden noch lange am Leben erhalten können. Aus Einzelbeobachtungen frisch gefangener Tiere sind Schwärmerstadien bekannt, durch die zehntausende einkerniger, begeißelter Schwärmer freigesetzt werden. Auch stark skelettierte Zysten sind beobachtet worden. Über andere Stadien liegen keinerlei Erkenntnisse vor. Allerdings konnte überraschenderweise in Tiefen unter 900 m, also deutlich unterhalb der Zone, in der Acantharia leben, in Umweltproben sowohl des Wassers wie auch des Meeresbodens Acantharia-DNA nachgewiesen werden. Es wird vermutet, dass es sich hierbei um bisher unbekannte Lebensstadien der Acantharia handelt, da sie sich dort mikroskopisch nicht nachweisen lassen. [3]
Lebensweise
Verbreitung
Acantharia gehören zum Zooplankton und sind in allen Ozeanen weltweit verbreitet, insbesondere jedoch in tropischen und subtropischen Gewässern, nur zerstreut in gemäßigten oder gar polaren Breiten. Küstengebiete werden von ihnen weitgehend gemieden, ebenso eutrophische Gewässer. Insbesondere aufgrund ihrer photosynthetisierenden Symbionten leben sie dabei hauptsächlich in den lichtdurchfluteten wenigen hundert Metern nahe der Oberfläche, an ruhigen Tagen sammeln sich große Acantharia in umfangreichen Gruppen nur wenige Meter darunter. Die höchsten Bestandsdichten finden sich zwischen 50 und 200 Meter Meerestiefe, zum Zweck der Gametogenese lassen sich einige Arten jedoch in Tiefen von 300 bis 400 Meter Tiefe sinken [4]. Selten allerdings fanden sich einige wenige Individuen jedoch auch mehrere tausend Meter tief auf dem Meeresboden. [1]
Klare saisonale Abhängigkeiten gibt es vermutlich nicht, einige Untersuchungen dazu erbrachten Häufungen in Frühling und Sommer, anderen Beobachtungen zufolge konnten im Frühling Häufungen beobachtet werden, im Sommer dagegen schienen sie seltener zu sein. In Küstenregionen konnten scheinbare saisonale Häufungen im Zusammenhang mit dem regelmäßig wiederkehrenden Austausch eutrophischen Küstenwassers durch oligotrophes Wasser aus der offenen See festgestellt werden, in durchgängig oligotrophen Gewässern der Tropen und Subtropen sind sie ein ganzjährig häufiger Bestandteil des Mikroplanktons. [1]
Beutefang
Mittels des sehr dynamisch sich verändernden und reizempfindlichen hohlraumreichen Netzwerks aus anastomosierenden Zytoplasmafortsätzen sowie den Axopodien werden vor allem Kleinstlebewesen wie Diatomeen, Silikoflagellaten, Coccolithophoriden und Tintinniden erbeutet, aber auch kleine Mollusken. Daneben konnten auch Spuren äußerst kleiner Beute wie Cyanobakterien oder auch anderer Bakterien nachgewiesen werden, unklar ist allerdings, ob diese Beute gezielt abgeweidet wird oder nur „Beifang“ darstellt. [1]
Zooxanthellen
Bei vielen Acantharia-Arten finden sich fakultativ Zooxanthellen als Symbionten. Dabei weisen in den Beständen nur die größenmäßig mittleren rund 50% aller Individuen Zooxanthellen auf, den jeweils größten wie den kleinsten Individuen fehlen sie, alle Arthracanthida-Arten jedoch weisen sie in bestimmten Phasen des Lebenszyklus auf. Die Zooxanthellen fehlen bei Gamonten sowie jungen Trophonten. Sie werden während oder unmittelbar vor der Gametogenese aufgenommen, während des Trophonten-Stadiums nimmt ihre Zahl dann zu. [1]
Bei den Zooxanthellen handelt es sich meist um Kalkalgen oder Dinoflagellaten, in einem Wirt können dabei auch mehrere Symbionten-Arten auftreten. Auch nahe der Oberfläche können sie weiterhin Kohlenstoff fixieren, teils in solchen Mengen, dass es den Bedarf des Wirts deutlich übertrifft. Häufig finden sich im Endoplasma auch parasitierende Dinoflagellaten der Gattung Amoebophrya. [1]
Ökologie
Die Tiere sind in oberflächennahem Wasser sehr häufig, Stichproben im Nordatlantik ergaben für die oberen 20 Meter eine Dichte von bis zu 16 Exemplaren pro Liter, zwischen 40 und 120 Meter noch immer rund 10 Exemplare pro Liter. Damit sind sie rund 10- bis 16-mal häufiger als beispielsweise planktonische Foraminiferen. Bei manchen Proben machten Acantharia mehr als 30, gelegentlich sogar mehr als 70 % aller Lebewesen der Probe aus [5]. Da das zum Skelettbau verwandte Strontiumsulfat wasserlöslich ist, müssen die Tiere kontinuierlich Material dazu aus dem Meerwasser aufnehmen. Mit ihrem Tod sinkt die Hülle herab und löst sich rapide in Wasserschichten um 900 m auf. Aufgrund der hohen Anzahl an Tieren findet so ein kontinuierlicher Transfer von Strontium aus höheren in tiefere Schichten statt, so dass die höheren gegenüber den tieferen Schichten regelrecht mit Strontium abgereichert sind. Acantharia gelten daher als die wichtigste biologische Komponente des marinen Strontium-Kreislaufs. Ähnliches gilt -wenngleich in geringerer Menge- für das Element Barium, das rund 0,4% der Skelette ausmacht. Während des Skelettbaus reichern Acantharia zusätzlich auch Spurenelemente wie Blei, Zink, Kupfer und Eisen in signifikanter Menge an und „transportieren“ sie ebenfalls per Auflösung des Skeletts in mittlere Meeresschichten [6]. [4]
Systematik
Seit Ernst Haeckels monographischer Bearbeitung der Strahlentierchen anhand der Challenger-Funde 1887 galten die Acantharia als eine von drei Untergruppen der Radiolaria. Ihre genaue systematische Position war zeitweise umstritten. Wladimir Schewiakoff trennte sie 1926 ganz aus den Radiolaria heraus, diese Ansicht setzte sich aber nicht durch. [7]
Molekulargenetische Untersuchungen festigten die Zuordnung der Gruppe zu den Radiolaria. Auch die traditionelle Aufstellung als eigene Gruppe konnte im wesentlichen bestätigt werden. Die innere Systematik der Gruppe hingegen gilt als nicht mehr haltbar und bedarf einer Revision. [8], [3]
Die Gruppe umfasst nach traditioneller Klassifikation rund 140 Arten in 50 Gattungen und wird in 4 Ordnungen mit 18 Familien unterteilt [1]:
- Ordnung Arthracanthida
- Ordnung Symphyacanthida
- Ordnung Chaunacanthida
- Ordnung Holacanthida
Fossilbericht
Da die mineralischen Skelette von Acantharia sich im Meerwasser schnell wieder auflösen, gibt es kaum Fossilien der Gruppe. Die wenigen erhaltenen Funde reichen ins Eozän zurück (Chiastolus amphicopium) [9].
Nachweise
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o Colette Febvre, Jean Febvre, Anthony Michaels: Acantharia In: John J. Lee, G. F. Leedale, P. Bradbury (Hrsg.): An Illustrated Guide to the Protozoa. Band 2. Allen, Lawrence 2000, ISBN 1-891276-23-9, S. 783–803 (englisch).
- ↑ Referenzfehler: Ungültiges
<ref>
-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen jm. - ↑ a b Ilana C. Gilga, Linda A. Amaral-Zettler, Peter D. Countwaya, Stefanie Moorthi, Astrid Schnetzer, David A.Caron: Phylogenetic Affiliations of Mesopelagic Acantharia and Acantharian-like Environmental 18S rRNA genes off the Southern California Coast In: Protist, 2010, (zum Zugriffszeitpunkt in press), doi:10.1016/j.protis.2009.09.002
- ↑ a b Patrick De Deckker: On the celestite-secreting Acantharia and their effect on seawater strontium to calcium ratios In: Hydrobiologia 517, S. 1–13, 2004
- ↑ Elsa Massera Bottazzi, Bruno Schreiber, Vaughan T. Bowen: Acantharia in the Atlantic Ocean, Their Abundance and Preservation In: Limnology and Oceanography, Bd. 16, Nr. 4, S. 677-684, 1971
- ↑ G. W. Brass:Trace Elements in Acantharian Skeletons In: Limnology and Oceanography, Bd. 25, Nr. 1, S. 146-149, 1980
- ↑ Stephane Polet, Cédric Berney, José Fahrni, and Jan Pawlowski: Small-Subunit Ribosomal RNA Gene Sequences of Phaeodarea Challenge the Monophyly of Haeckel’s Radiolaria In: Protist, Bd. 155, 2004, S. 53–63
- ↑ Jan Pawlowski, Fabien Burki:Untangling the Phylogeny of Amoeboid Protists In: Journal of Eukaryotic Microbiology, 56:1, S. 16–25, 2009
- ↑ Arthur Shackleton Campbell:Radiolaria In: Treatise on Invertebrate Paleontology, Part D Protista 3 (Chiefly Radiolarians And Tintinnines), 1954, S. D30-D42