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Daniel Kehlmann

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Daniel Kehlmann auf der Leipziger Buchmesse (2009)
Daniel Kehlmann auf der litcologne am 12. März 2009

Daniel Kehlmann (* 13. Januar 1975 in München) ist ein deutschsprachiger Schriftsteller. Er lebt in Wien und Berlin.

Leben

Daniel Kehlmann wurde als Sohn des Regisseurs Michael Kehlmann und der Schauspielerin Dagmar Mettler geboren. Sein Großvater war der expressionistische Schriftsteller Eduard Kehlmann. Die Familie zog 1981 nach Wien – sein Großvater hatte dort gelebt, sein in Wien geborener Vater pendelte beruflich zwischen Wien und Deutschland –, wo Kehlmann nach Schulabschluss am Kollegium Kalksburg Philosophie und Literaturwissenschaft studierte. Seinen internationalen Durchbruch als Schriftsteller schaffte er 2003 mit seinem fünften Buch Ich und Kaminski.

2001 war Kehlmann Gastdozent für Poetik an der Universität Mainz; im Wintersemester 2005/06 hatte er die Poetikdozentur der Fachhochschule Wiesbaden und im Wintersemester 2006/07 die Poetikdozentur der Universität Göttingen inne. Daniel Kehlmann ist Mitglied der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Literarisches Werk

"Ein Erzähler", so beschreibt Daniel Kehlmann in dem Essay Wo ist Carlos Montúfar? sein erzählerisches Selbstverständnis, "operiert mit Wirklichkeiten. Aus dem Wunsch heraus, die vorhandene nach seinen Vorstellungen zu korrigieren, erfindet er eine zweite, private ..." – "Erzählen, das bedeutet einen Bogen spannen, wo zunächst keiner ist, den Entwicklungen Struktur und Folgerichtigkeit gerade dort verleihen, wo die Wirklichkeit nichts davon bietet."

Kehlmanns Literatur basiert nicht auf autobiographischem Erleben. Er erfindet seine Protagonisten und ihre Geschichten und versetzt sich und den Leser - in einer Art Experiment - in ihre Perspektive. Seine Helden sind in der Regel auf die eine oder andere Art extreme Figuren: extrem oberflächlich und eitel wie in Ich und Kaminski oder extrem begabt und abgehoben wie in Mahlers Zeit. Als Leser kann man sich selten völlig mit ihnen identifizieren. Die Spannung entsteht nicht zuletzt aus der Frage, ob und wie diese extremen Charaktere scheitern.

Kehlmanns Helden leben in einer Realität, die uns bekannt vorkommt und stoßen gleichzeitig an die Grenzen dieser Realität: In Beerholms Vorstellung glaubt ein Bühnenmagier plötzlich, wirklich zaubern zu können, in Mahlers Zeit ein junger Wissenschaftler eine Formel gefunden zu haben, mit deren Hilfe er die Zeit aufheben kann und in seinem Roman Ruhm - Ein Roman in neun Geschichten überspitzt Kehlmann die Situation des Realen völlig, in dem er Fiktion und Fiktionalität völlig verwischen lässt.

Von literaturwissenschaftlicher Seite wurde Kehlmann als "Magischer Realist" bezeichnet und damit in eine Tradition eingereiht, die bis in die 1920er Jahre zurückreicht und u.a. mit Namen wie Alfred Kubin, Alexander Lernet-Holenia und Leo Perutz, aber auch mit lateinamerikanischen Autoren wie Gabriel Garcia Márquez verbunden ist. Ist diese Einordnung bis zu seiner Novelle Der fernste Ort als stimmig, gehört doch der Roman Ich und Kaminski nicht in diese Kategorie. Dort wittert der Protagonist, ein oberflächlicher Karrierist, im nahen Tod des gerade noch bekannten Malers Kaminski die Chance, sich durch das Schreiben von dessen Biographie im Kunstbetrieb als Kritiker zu etablieren. In der Konfrontation mit dem abgeklärten Künstler erkennt er schließlich, wie wenig sein bisheriges Leben wert war.

Die Vermessung der Welt ist Kehlmanns mit rund 1,5 Millionen verkauften Exemplaren allein im deutschsprachigen Raum erfolgreichster Roman. Auf einer Liste der international bestverkauften Bücher des Jahres 2006, die die New York Times am 15. April 2007 veröffentlichte, kam der Roman auf Platz zwei. Er erzählt die um zahlreiche Erfindungen angereicherten Lebensgeschichten der beiden Forscher Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß – ein Roman über die Entstehung der modernen Wissenschaft, über die Deutsche Klassik. Das Buch ist größtenteils in indirekter Rede geschrieben, wodurch eine Vielzahl komischer, ja burlesker Effekte entstehen. Mathematikhistoriker kritisieren die Darstellung der Protagonisten und ihrer Zeit in diesem Werk allerdings teilweise heftig.[1]

Im Januar 2009 erschien Kehlmanns Buch Ruhm - Ein Roman in neun Geschichten, das schon im Vorfeld ein starkes Medienecho auslöste. So veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 28. Dezember 2008 einen autorisierten auszugsweisen Vorabdruck und ein Interview mit dem Autor, worauf im Magazin Der Spiegel am 5. Januar 2009 ein Porträt mit rezensentischen Zügen folgte.[2] Wegen Verletzung der Sperrfrist hat der Rowohlt Verlag inzwischen den Spiegel verklagt.[3] Die Aufnahme von Ruhm durch die Kritiker war kontrovers, reichte von "Weltliteratur"[4] bis zu "reine Germanistenprosa"[5], und führte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. Februar 2009 zum seltenen Fall einer „Kritik der Kritik“.[6] Als Kehlmann in einem Interview der Literaturzeitung Volltext zum literaturkritischen Echo auf seinen Roman und nach "Alternativen zur gegenwärtigen literaturkritischen Praxis" befragt wurde, antwortete er: "Das ist wie mit den Zahnärzten. Man fragt sich manchmal, warum es Leute gibt, die freiwillig diesen Job ausüben. Aber die Abschaffung des Berufsstands kann man deshalb auch nicht fordern. Zahnärzte sind allerdings, es lässt sich nicht leugnen, im Normalfall besser ausgebildet."[7] Mitte Februar 2009 waren bereits rund 300.000 Exemplare des Buches verkauft.[8]

Essayistik und Literaturkritik

Seine durchaus experimentell orientierte Poetik beim Schreiben eines historischen Romans erläutert Kehlmann in dem seiner Essaysammlung titelgebend vorangestellten Text Wo ist Carlos Montúfar? Zuvor hat er sich bereits vielfach als Literaturkritiker betätigt, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Rundschau, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Volltext, Literaturen und das Magazin Der Spiegel. Besonders große Sympathie hat er vor allem für das Werk von Vladimir Nabokov, während er sich von einem politisch engagierten Schriftsteller wie Bertolt Brecht 2008 deutlich distanzierte.[9] Trotzdem wurde der Versuch unternommen, Kehlmann nicht nur mit Brecht, sondern sogar mit Karl Marx in Verbindung zu bringen.[10]

Werkbearbeitungen

Im Wiener Salon5 erfolgte im September 2008 die Uraufführung einer Dramatisierung von Ich und Kaminski (Bühnenfassung & Regie: Anna Maria Krassnigg).[11] Im selben Monat brachte das Staatstheater Braunschweig Dirk Englers Bearbeitung von Die Vermessung der Welt heraus. Im September 2009 war im Rahmen des Festivals ZORN! - Dramatisches Erzählen Heute die Uraufführung seiner Kurzgeschichte Töten zu sehen: Sowohl die Inszenierung (Bühnenfassung & Regie: Benedikt Haubrich) als auch die Verfilmung des Stoffes (Drehbuch & Regie: Tobias Dörr) wurden gezeigt.[12]

Sonstiges

In Kehlmanns Kolumne science@fiction[13], die im Wissenschaftsmagazin heureka! der Wiener Wochenzeitung Falter erscheint, äußert sich der Schriftsteller auch zur Wikipedia: Kehlmann bezeichnet darin den Artikel über ihn als in Details fehlerhaft und als Hauptquelle vieler über ihn schreibender Journalisten. Die ebendort zu lesende Behauptung, er habe in einen Artikel zum Thema Reggaemusik schon einmal spaßhalber falsche Details eingefügt, hat er mittlerweile in seiner Kolumne widerrufen.

Auszeichnungen

Werke

Literatur

Bühnenstücke

Daniel Kehlmann schreibt ein Theaterstück für die Salzburger Festspiele, mit dessen Uraufführung im kommenden Jahr das Theaterprogramm der Festspiele eröffnet werden soll.[14]

Literatur

  • Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Daniel Kehlmann, text + kritik, Heft 177 (Januar 2008)
  • Roland Z. Bulirsch: Weltfahrt als Dichtung. In: Sinn und Form 6/2006. Berlin: Aufbau 2006, S. 846-852
  • Anna Echterhölter: Schöner Berichten. Alexander von Humboldt, Hubert Fichte und Daniel Kehlmann in Venezuela. In: Kultur & Gespenster 1 (2006).
  • Alexander Honold: Ankunft in der Weltliteratur. Abenteuerliche Geschichtsreisen mit Ilija Trojanow und Daniel Kehlmann. In: Neue Rundschau Nr. 1, 2007. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 82-104.
  • Gunther Nickel (Hrsg.): Daniel Kehlmanns 'Die Vermessung der Welt'. Materialien, Dokumente, Interpretationen. Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek 2008
  • Philip Oltermann: Irony and Genius. In: Prospect Nr. 3, 2007. London 2007, S. 77-79.
  • Adam Soboczynski: Hilfe, ich werde porträtiert. In: ZEIT Magazin, Nr. 43, 16. Oktober 2008, S. 23-33.

Vorlage:PND

Einzelnachweise

  1. Frans Oort: Measuring the World. Book Review. In: Notices of the American Mathematical Society, 55/6, S. 681-684. [1]
  2. Volker Hage: [Ich habe sehr gelitten. In: Der Spiegel. (online). Ich habe sehr gelitten]. In: Der Spiegel vom 5. Januar 2009
  3. David Hugendick: Kehlmann und die Folgen. In: Die Zeit vom 5. Februar 2009
  4. Markus Gasser: [2]. In: Die Weltwoche vom 7. Januar 2009
  5. Elke Heidenreich: [3]. In: Stern vom 10. Februar 2009
  6. Felicitas von Lovenberg: Der Ruhm und die Rüpel. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. Februar 2009
  7. "Wir haben Fiktionen angehäuft, die jetzt zusammenbrechen". Daniel Kehlmann im Gespräch mit Gunther Nickel. In: Volltext. Zeitung für Literatur, Nr. 1/2009, S. 4 f., hier: S. 5.
  8. Michael Kluger: Manchmal ist ein Autor gnädig. In: Frankfurter Neue Presse vom 20. Februar 2009
  9. Jan Süselbeck: Streber versus Profilkiller. Daniel Kehlmann hat eine Rede über Bertolt Brecht gehalten. In: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=12376&ausgabe=200810
  10. Gunther Nickel: "Lifesense" im "Real life". Was den "magischen Realisten" Daniel Kehlmann mit Karl Marx und Bertolt Brecht verbindet. In: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=12769
  11. Kehlmann im Salon5
  12. Töten beim ZORN!-Festival
  13. Kehlmanns Kolumne
  14. Daniel Kehlmann schreibt ein Theaterstück für die Salzburger Festspiele 2010