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Christliche Mystik

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Der Ausdruck christliche Mystik ist ein Sammelbegriff für Texte, Autoren und Gruppierungen innerhalb des Christentums, auf welche rückblickend die religionswissensschaftliche Kategorie "Mystik" anwendbar ist. Es werden allerdings unterschiedliche Bestimmungen des Mystikbegriffs vorgeschlagen. Die Zurechnung zu "christlicher Mystik" ist sowohl von dieser Begriffsbestimmung abhängig, wie auch von der Interpretation der entsprechenden Primärtexte. Beides ist vielfach kontrovers. Eine typische Minimalbestimmung versteht Mystik als eine Praxis, welche auf eine Einswerdung (unio mystica) zielt, welche bereits im diesseitigen Leben erfahren werden soll, sowie Elemente einer Theorie, welche die Möglichkeit einer solchen Erfahrung erklären und bestimmen soll.[1]

Viele der christlichen Mystik zugerechnete Texte sind beeinflusst von Begriffen und Lehren des Neuplatonismus. In den orthodoxen Kirchen hat die Mystik eine lange Tradition. In der Mönchsbewegung Hesychasmus (von griechisch "hesychia": Ruhe, Stille) wird die Mystik praktiziert durch das Jesusgebet (auch Herzensgebet genannt) und die Nabelschau. Einen zentralen Platz nehmen die Ikonen ein als Vermittler zwischen Gott und Mensch. Im Westen waren ebenfalls die Klöster die Zentren der Mystik. Nonnen und Mönche verschiedener Orden widmeten sich der Kontemplation und schrieben Texte über ihre Erfahrungen[2]. Eine Hochblüte erlebte die christliche Mystik im Spätmittelalter in den Werken Meister Eckharts, Johannes Taulers und Heinrich Seuses. In der protestantischen Tradition stieß die Mystik in weiten Teilen auf Ablehnung, obgleich Luther selbst ein ambivalentes Verhältnis zur mystischen Erfahrung pflegte, und sich immer wieder innerkirchliche Bewegungen ergaben, deren Religiosität die mystische Dimension mit einschloss. [3]. Mystisches Gedankengut findet sich in den Strömungen des Pantheismus und Panentheismus, sowie der negativen Theologie. Letztere betont ausdrücklich, Gott könne man nur erfahren, nicht beschreiben.

Die Wege der mystischen Innenschau und die Äußerungen christlicher Mystiker weisen oft Ähnlichkeiten und Parallelen mit den mystischen Traditionen anderer Religionen auf, wie Sufismus (Islam), Zen (Buddhismus), Tantrismus (Hinduismus/Buddhismus) oder Kabbalistik (Judentum).

Mystiker im christlichen Kontext

Anfänge der christlichen Mystik

Der deutsche Ausdruck "Mystik" geht zurück auf das griechische griechisch μυστικός mystikós „geheimnisvoll“. Dieses steht in Verbindung mit griechisch μύειν myein, „sich schließen, zusammen gehen“, was zunächst auf die Augen bezogen war, sowie mit griechisch μυέειν myéein, beginnen oder initiiert werden. Diese Ausdrücke wurden anfangs auf Mysterien und Geheimriten bezogen und später auch generell im Sinne von dunkel und geheimnisvoll verwendet. In der Spätantike findet der Ausdruck dann auch im philosophischen Kontext Verwendung, wenn der verborgene Sinn einer Äußerung angesprochen ist, und wird insbesondere von Proklos auf den Bereich des Göttlichen bezogen.[1] Die neuzeitliche Verwendung im Sinne einer spezifischen Variante religiöser Praxis und einer spezifischen Sorte religiöser Literatur ist - folgt man dem Mystikforscher Michel de Certeau - Ergebnis einer Begriffsverschiebung, die an der substantivischen Verwendung kenntlich ist: es wird nicht mehr gesprochen von "mystischer Theologie" als einem konstitutiven Bestandteil religiösen Denkens, sondern von "Mystik" als einem Typus außergewöhnlicher Verfahren. Ähnlich wie hin und wieder Mystik selbst bezeichnen davon abgeleitete Wörter wie Mystizismus und mystisch in der heutigen Umgangssprache auch als unverständlich, rätselhaft oder unsinnig empfundene Redeweisen – ohne dass ein Bezug auf spezifische Traditionen religiöser Mystik mitgemeint wäre.

Christliche Mystik im Mittelalter

Mittelalter

Im Anschluss an Paulus verbanden bereits frühe christliche Theologen wie Augustinus die Lehre von der Kirche mit der Eucharistie und damit dem Leib Christi. Daran knüpfte Thomas von Aquin an: die Kirche sei der mystische Leib Christi.[2] Dies war nicht selbstverständlich, denn zumeist wurde der Ausdruck "mystischer Leib" direkt auf die Eucharistie bezogen, und erst von daher die Kirche als wahrer Leib Christi verstanden.[3] Im Anschluss an Augustinus bestimmte die katholische „Glaubensenzyklika“ Mystici corporis, der mystische Leib Christi und die Römisch-katholische Kirche seien „ein und dasselbe“. Ein großer Teil der hochmittelalterlichen Literatur zur mystischen Theologie besteht in Kommentaren zum Werk des Pseudo-Dionysius Areopagita. Es bilden sich zwei Auslegungstraditionen heraus: eine stärker affektive mystische Theologie, wie sie etwa von Hugo von St. Victor, Thomas Gallus, Robert Grosseteste, Vinzenz von Aggsbach vertreten wurde, und eine stärker intellektuelle, wie sie etwa von Jean Gerson, Nicolaus von Kues und anderen vertreten wird. Jean Gerson unterscheidet die Theologia mystica als experimentelle Erkenntnis Gottes bzw. Erfahrungswissen von Gott (cognitio dei experimentalis) von einem lehrhaft vermittelten theoretischen Wissen von Gott (cognitio dei doctrinalis). Mystische Praktiken Im christlichen Kontext wurden, wie auch in anderen Religionen, unterschiedliche Auffassungen darüber vertreten, ob mystische Erfahrungen durch bestimmte religiöse Techniken vorbereitbar oder gänzlich davon unabhängig sind.

  • Birgitta von Schweden (1303-1373) , Ordensstifterin, Heilige, * um 1303 in Finstad bei Uppsala als Tochter des Birger Persson, eines der größten Grundbesitzer des Landes, des Lagmanns (des Gouverneurs und Landrichters) von Uppsala, † 23.7. 1373 in Rom, 1374 übergeführt nach Vadstena am Wettersee. - B. wurde fromm erzogen und hatte schon mit 7 Jahren Visionen.
  • hl. Bernhard von Clairvaux (* um 1090, † 1153), Kirchenlehrer,
  • Hildegard von Bingen (1098-1179)
  • Amalrich von Bena (* in Bène bei Chartres; † 1206 oder 1207)
  • hl. Franz von Assisi (1181/1182-1226)
  • Mechthild von Magdeburg (1207/10-1282/94), Mechthild von Hackeborn (1241/42-1299) und hl. Gertrud von Helfta (1256-1301/2) lebten alle im Zisterzienserinnenkloster Helfta in Eisleben (Sachsen-Anhalt).
  • Margareta Porete (1250/60-1310), Begine, verfasste den „Spiegel der einfachen Seele“, den meistverbreiteten mystischen Traktat des 14. Jh.s und wurde als Häretikerin auf dem Scheiterhaufen verbrannt
  • hl. Thomas von Aquin (* um 1225, † 1274) , einer der bedeutendsten katholischen Kirchenlehrer,
  • der Kirchenlehrer und Franziskanertheologe hl. Johannes Bonaventura (vor 1221-1274), der auch Werke wie die „Pilgerreise der Seele zu Gott“ verfasste.
  • Dietrich von Freiberg
  • der deutsche Theologe und Philosoph Meister Eckhart (1260 - 1328).
  • der Augustinermönch Heinrich von Friemar (der Ältere) (1250-1340), welcher, teils von Eckhart beeinflusst, den ersten Traktat über die Unterscheidung der Geister und die mystischen Traktate De adventu Verbi in Mentum und Tractatus de adventu Domini verfasste
  • Hermann von Fritzlar, dessen von 1343 bis 1349 verfaßte asketische Prosasammlung, das „Buch von der Heiligen Leben“, um 1400 sehr einflussreich wurde
  • der deutsche Mystiker Johannes Tauler (*um 1300, †1361), wirkte zu Zeiten der Pest in Straßburg. Mit seiner Predigt von der Einheit des Menschen mit Gott (unio mystica) forderte er ethische Vervollkommnung, die aktiv zu betreiben sei. Dies kam einer starken Nachfrage nach privaten Frömmigkeit sehr entgegen (vgl. Devotio moderna)
  • Rulman Merswin (1307 - 1382), Kaufmann und geistlicher Schriftsteller, gehörte zu den „Gottesfreunden"
  • Heinrich von Nördlingen (um 1310-evtl. bis 1379), Nonnenseelsorger, mit Tauler befreundet. Briefverkehr gibt Aufschluss über die oberdeutschen bzw. Basler „Gottesfreunde“. In seinem Umkreis entstand die oberdeutsche Übersetzung von Mechthilds von Magdeburg Werk Das fließende Licht der Gottheit.
  • sel. Margareta Ebner (1291-1351), eine Dominikanernonne. Briefwechsel mit Heinrich von Nördlingen, vgl. auch Eufemia Frickin
  • Christine Ebner (1277–1356), ebenfalls eine Dominikanerin und eine Nonne, Kontakt mit Margareta Ebner, aber nicht verwandt
  • sel. Heinrich Seuse (1295–1366), ein deutscher Mystiker, von dem ein inneres Gnadenerlebnis, Ekstasen und Askesen berichtet werden, die wohl teils hagiographischen Ursprungs sind. Als Student am Studium Generale des Dominikanerordens ist er begeisterter Schüler Eckharts. Diesen verteidigt er gegen Kritiker und wettert selbst gegen die Brüder des freien Geistes, später gerät er wie Eckhart unter Häresieverdacht. Seine Schriften sind ihres poetischen Reichtums wegen bekannt und prägen ein noch immer verbreitetes Bild der „Deutschen Mystik“. Sein „Büchlein der Wahrheit“ war ein beliebtes Andachtsbuch im Mittelalter, seine geistliche Vita ist die erste in deutscher Sprache (wenngleich mit Einflüssen seiner geistlichen Tochter Elsbeth Stagel).
  • sel. Jan (o. Johannes) van Ruysbroek (o. Ruusbroec o. Rusbrochius) (1293-1381), ein flämischer Mystiker
  • der unbekannte Autor des Werks »Gottesfreund im Oberland« (1346) gehörte einer Gemeinschaft von Männer und Frauen an, die im Rahmen eigener Laienfrömmigkeit ethische Erneuerung statt klerikal gebundener Frömmigkeit suchten.
  • Niklaus von Flüe (Bruder Klaus) (1417–1487) zählt zu den letzten spätmittelalterlichen Mystikern. Wegen des päpstlichen Schismas waren weite Teile der Schweizer Eidgenossenschaft exkommuniziert, was Laienbewegungen Aufschwung brachte. Niklaus wurde vom Mystikerkreis des Klosters Engelberg und den Straßburger Gottesfreunden beeinflusst. Von ihm werden asketisches Fasten und ein Turmerlebnis in Jugendjahren berichtet, sowie ein Lichterlebnis, das ihn zur Heimkehr aus der Einsiedelei bewog. Er wirkte als politischer Berater, verband also Mystik und Politik. Neben Sprüchen und Reimgebeten sind eine nicht von ihm verfasste, aber seine oder verwandte Worte wiedergebende volkstümliche Erbauungsschrift überliefert.

Mystik in der Neuzeit (16. - 19. Jh)

Katholische Vertreter der christlichen Mystik im 16. Jahrhundert sind hl. Teresa von Ávila und hl. Johannes vom Kreuz, die Frauen- bzw. Männerorden der barfüssigen Karmeliten gründeten und hierfür von der katholischen Kirche den Ehrentitel Doctor mysticus (Lehrer der Mystik) erhielten.

  • die spanische Mystikerin hl. Teresa von Ávila (1515–1582) gründete Karmelitinnenklöster, darunter das erste Frauenkloster Spaniens, wirkte aktiv in der Seelsorge und verfasste geistliche Texte. Die „Innere Burg“ beschreibt den Weg ins Innerste des Menschen. Sie ist bekannt für ihre Predigt der Freundschaft mit Gott.
  • der spanische Mystiker Johannes vom Kreuz (1542–1591) wurde durch Theresa von Avila für Reformen des Karmelitenordens gewonnen, lebte streng asketisch und suchte eine leidenschaftliche Spiritualität. Seine ekstatischen Visionen schlugen sich in einer geistlichen Poesie nieder.

Weitere wichtige katholische Mystiker dieser Zeit waren

  • Johann von Staupitz (* um 1465, † 1524), kath. Theologe und Professor. Verfasste zahlreiche Schriften, die stark von der mittelalterlichen Mystik beeinflusst sind. Bekannt vor allem als Beichtvater und Förderer Martin Luthers.

Christliche Mystik in der Orthodoxen Kirche

Es gibt sehr unterschiedliche Ausprägungen und Wege christlicher Mystik. Der »Hesychasmus« orthodoxer Menschen etwa ist der Versuch, durch Schweigen und Wiederholung des Jesusnamens im Atemrhythmus (»Herzensgebet«) zur Schau des göttlichen Lichts zu gelangen. Die erotisch gefärbte christliche »Liebesmystik«, die Gott und Seele als Bräutigam und Braut sieht, war nicht zuletzt vom islamischen »Sufismus« beeinflusst (wie sich überhaupt die »Mystiker« der großen Religionen meist unbefangen begegnet sind, weil sie die Verwandtschaft ihrer Erfahrung erkannt haben).

S. Liste der Starzen

Christliche Mystik heute (20.-21. Jh.)

Es gibt manch einen Weg, das Wesen des Göttlichen und die Rolle des Menschen zu erkunden; eine der bekanntesten ist die Mystik. Obwohl oder gerade weil niemand so recht weiß, was Mystik überhaupt ausmacht, übt sie seit Jahrtausenden eine ungebrochene Faszination auf Menschen aus, die Erfahrungen über jene Dinge sammeln wollen, die über das normale Alltagsempfinden hinausgehen. In der letzten Zeit hat das Interesse an der Mystik immer stärker zugenommen. Im Sinne der Diskussion um eine Gesellschaft im Haben oder Sein kann eine mögliche Antwort in der Sinnsuche liegen, die auf eine Gesellschaft antwortet, welche in Konsum und Oberflächlichkeiten zu versinken droht. Wo den christlichen Kirchen diese Rolle nicht mehr zugetraut wird, treten alternative Formen der Spiritualität auf den Plan, die keine konkreten Vorgaben liefern und stattdessen den Weg ins eigene Selbst ebnen wollen. Häufig verschwimmen dabei die Grenzen zwischen Religion und Wellnesserlebnis, doch insgesamt prägen solche Erfahrungen unsere Vorstellung von Mystik. Was aber das Phänomen „Mystik“ überhaupt ausmacht und inwiefern dieser Begriff in allen Religionen Anwendung finden kann, soll Untersuchungsgegenstand im folgenden Abschnitt sein.

  • Dag Hammarskjöld (1905 - 1961), ein parteiloser schwedischer Staatssekretär, zweiter UN-Generalsekretär, Friedensnobelpreisträger. Hinterließ ein Tagebuch „Vägmärken“ (deutsch: „Zeichen am Weg“), das erst nach seinem Tod bekannt und veröffentlicht wurde und einen explizit mystischen Inhalt offenbarte.

Im deutschen Sprachraum sind es beispielsweise

Siehe auch

Literatur

  • Werner Thiede: Mystik im Christentum. 30 Beispiele, wie Menschen Gott begegnet sind, edition chrismon: Frankfurt/M. 2009, ISBN 978-3-86921-003-2
  • Gerhard Ruhbach, Josef Sudbrack (Hrsg.): Christliche Mystik. Texte aus zwei Jahrtausenden. Beck, München 1989, ISBN 3-406-33622-1
  • Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. 5 Bde. Beck, München 1990-1999.
  • Uta Störmer-Caysa: Einführung in die mittelalterliche Mystik. Neuausg. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-017646-8
  • Otto Langer: Christliche Mystik im Mittelalter. Mystik und Rationalisierung - Stationen eines Konflikts. WBG, Darmstadt 2004, ISBN 3-534-04527-0
  • Peter Dinzelbacher (Hrsg.): Wörterbuch der Mystik. 2. Aufl. Kröner, Stuttgart 1998, ISBN 3-520-45602-8
  • Zensho W. Kopp: Zen und die Wiedergeburt der christlichen Mystik, Schirner Verlag, Darmstadt 2004

Einzelnachweise

  1. Einen kompakten Überblick zu verschiedenen Definitionsversuchen bietet z.B. Bernard McGinn: Presence of God: a History of Western Christian Mysticism. 5 Bde., auch in deutscher Übersetzung bei Herder, 1994ff, hier Bd. 1, 265ff. Zu Definitionsproblemen äußert sich fast jede Einführung ins Thema, etwa: Volker Leppin: Die christliche Mystik, C.H. Beck 2007.
  2. zur sog. cognitio dei experimentalis siehe z.B.: Theologische Realenzyklopädie, Horst Robert Balz et. al., de Gruyter, 1977, S.113
  3. Peter Zimmerling: Evangelische Spiritualität, Wurzeln und Zugänge, Vandenhoek und Ruprecht 2003, S. 22ff.
  4. Gerhard Wehr: Die deutsche Mystik: Leben und Inspiration gottentflammter Menschen in Mittelalter und Neuzeit. Anaconda, Köln 2006, ISBN 3-938484-86-1