François Bon

François Bon (* 22. Mai 1953 in Luçon, Frankreich) ist ein französischer Schriftsteller.
Leben und Aktivitäten
Seine Kindheit und Jugend verbrachte er zunächst in Saint-Michel-en-l'Herm (Vendée), dann ab 1964 in Civray (Vienne). Als Sohn eines Automechanikers und einer Grundschullehrerin wird François Bon ein frühes Interesse sowohl für Mechanik als auch für Bücher zugeschrieben.[1]
Er begann 1972 zunächst ein Studium in Maschinenbau an der ENSAM (École Nationale Supérieure d'Arts et Métiers) in Bordeaux und Angers, spezialisierte sich dann als Schweißer und arbeitete von 1976 bis 1980 im Bereich der Luft- und Raumfahrt sowie der Atomindustrie in Frankreich und im Ausland (Arbeitsaufenthalte u.a. in Moskau, Prag, Bombay, Göteborg, Indien).[2]
Der erste Roman und die Zeit bei Minuit
Im Jahre 1982 publizierte er seinen ersten Roman mit dem Titel Sortie d’usine bei den Éditions de Minuit. Darin ist die Welt der Fabrik und ihre Zeitstruktur präsent. Nach dieser ersten Publikation, für die er seinen bisherige berufliche Tätigkeit aufgab, widmete er sich und sein Leben immer mehr der Literatur. Er verweigerte sich jedoch dem literarischen Establishment in Paris. Er lebte und schrieb in der Vendée.
Erste Auszeichnungen erlauben es François Bon, sich dem Schreiben zu widmen. In den Jahren 1984-1985 war er Stipendiat der Académie de France à Rome und arbeitete ein Jahr in der Villa Medicis (der französischen Villa Massimo) in Rom. 1987-1988 verbrachte ein Jahr in West-Berlin als Stipendiat des DAAD (Berliner Künstlerprogramm). Er bewohnte dort das gleiche Haus wie der finnische Komponist Arvo Pärt. Die Berliner Zeit ist in den Roman Calvaire des chiens mit eingeflossen.
In den 1980er Jahren publizierte er mehrere Romane, in denen die Lebenswelt sozial marginalisierter Menschen thematisiert wird und die sich durch eine mehrstimmige (polyphonie) Erzählweise auszeichnen: Limite (1985), Décor ciment (1986) und Le crime de Buzon (1988). Zu der mehrstimmigen Erzählweise sagte Bon in einem Interview einmal: "Bei meinem ersten Buch war alles einfach, da fand ich schließlich in dreieinhalb Nächten die Form, den Zugang, alles, was sich in vier, fünf Jahren der Suche verweigert hatte. Ich könnte sagen, nachdem ich dieses Buch vollendet hatte, entstand für mich der Eindruck, dass nun eine Arbeit im eigentlichen Sinn begänne, wo es nicht mehr von ganz allein ginge, sondern wo ich, um diese Art Wunder nochmals zu schaffen, warten und eine gewollte Hartnäckigkeit an die Stelle setzen müßte. Und das war für mich nur durch diese Polyphonie der Stimmen möglich."
Der Wechsel von Minuit zu Verdier
Anfang der 1990er Jahre verlässt François Bon die Pariser Editions de Minuit, die insbesondere mit dem nouveau roman verbunden sind und beginnt bei einem Verlag zu publizieren, der 1979 gegründet wurde und seinen Sitz in dem Provinzort Lagrasse hat: Verdier. Dieser Wechsel impliziert auch eine andere Art des Schreibens: Bon bezeichnet seine Texte nun nicht mehr als Romane, sondern als Erzählungen (frz.: récit) oder er lässt die Gattungsbezeichnung offen. Die fragmentarische Erzählweise bleibt bestehen, ist aber nicht mehr an eine Vielzahl von Erzählerstimmen gebunden. In diese Zeit fällt insbesondere die Veröffentlichung einer Sammlung von Erinnerungstexten (Temps machine, 1993), eines Textes über das Verhältnis von Sehen und Schreiben (Paysage fer, 1999) und eines Textes, der sich nach dem Tod des Vater Bons mit der Familiengeschichte auseinandersetzt (Mécanique, 2001).
Literatur und die anderen Künste
Spätestens seit Ende der 1990er Jahre ist in François Bons Arbeit eine zunehmende Öffnung und Erweiterung in Bezug auf Formen, Gattungen und die anderen Künste festzustellen.
Beispielsweise wendet sich François Bon einerseits verstärkt dem Theater zu, mit Texten wie Parking, das zwischen mehrstimmiger Erzählung und Theatertext angesiedelt ist (1997), sowie Impatience (1998) und Quatre avec le mort (2001), die primär als Theatertexte zu lesen sind. In diese Zeit fällt mit Pour Koltès (2000) auch ein Essai über den französischen Dramatiker Bernard-Marie Koltès. Das Buch Daewoo wird 2004 beim Festival d'Avignon von Charles Tordjman als Theaterstück inszeniert.
Die Malerei wird beispielsweise in Dehors est la ville (1998) thematisiert: Hier begleitet und kommentiert der Text die Bilder des New Yorker Künstlers Edward Hopper. Es geht dabei um die Stadt und das städtische Leben. Eine zentrale Rolle in Dehors est la ville spielt dabei das Thema Einsamkeit. Auf den von François Bon ausgewählten Bildern von Edward Hopper sind meistens ein oder zwei Menschen zu sehen, die in Gedanken versunken und psychologisch entrückt scheinen. Ergänzend zur Buchpublikation findet sich auf Bons Website Le tiers livre hat auch eine Hommage an Edward Hopper.[3]
Eine Reflexion über Film und Fotografie prägt das Schreiben an Paysage fer (2000): dieser Text, der bei wiederholten Zugfahrten zwischen Paris und Nancy entstand, problematisiert mit dem Blick aus dem fahrenden Zug die Beziehungen von Blick, Bild, Bewegung und Text. Zudem wird das Buch von einem Fotoprojekt begleitet, außerdem entsteht später ein Film zu dem Buch.[4] Auch in Mécanique (2001) spielen die Fotografien aus der Familien- und Technikgeschichte eine zentrale Rolle für das Zusammenspiel von Schreiben und Erinnerung.
Aktivitäten rund um Literatur und Internet
Im Jahre 1997 entstand auf Initiative von François Bon einer der ersten Websites, die sich mit moderner und zeitgenössischer Literatur beschäftigen, remue.net. Diese Website wird seit dem Jahr 2000 von einem Autorenkollektiv weitergeführt und hat sich zu einem zunehmend umfangreichen und eigenständigen Projekt entwickelt, das als eine der wichtigsten Anlaufstellen im Internet gelten darf, wenn es um zeitgenössische französische Literatur geht. Parallel dazu entstand dann eine stärker persönliche Website, Le tiers livre, die über François Bons Leben, Werk und sonstigen Aktivitäten informiert, insbesondere mit Bilddossiers zu einigen seiner Werke. François Bons Interesse für die Beziehungen von Literatur und Internet zeigt sich auch in seinem neuesten Online-Projekt, publie.net, das zur elektronischen Publikation zeitgenössischer literarischer Texte dient.
Weitere Aktivitäten und neuere Entwicklungen
Parallel zu seiner Tätigkeit als Schriftsteller ist François Bon seit 1991 im Bereich der „ateliers d’écriture“ (Schreibwerkstätten) aktiv. Unter anderem möchte er damit Menschen mit schwachem sozialen Umfeld helfen, sich mit Hilfe der Literatur Gehör und Ausdruck zu verschaffen. Er hat außerdem ein Handbuch für die Durchführung solcher Schreibwerkstätten verfasst.
Neben seinen zahlreichen Romanen, Erzählungen, Theaterstücken und anderen Texten ist François Bon zudem Autor einiger Radiosendungen, beispielsweise über Led Zeppelin (mit Claude Guerre, France Culture, 2004) oder über Bob Dylan (mit Claude Guerre, France Culture, 2007).
2005 und 2006 wurde Bon von der École nationale supérieure des Beaux-Arts in Paris im Rahmen der Kurse zur Literatur eingeladen.
Seit 2007 gibt er gemeinsam mit Bernard Comment bei dem Verlag Le Seuil eine Buchreihe namens "Déplacements" heraus, die auf experimentelle zeitgenössische Literatur spezialisiert ist.
Im Jahr 2002 erschien Bons Biographie der Rolling Stones, die eng mit seiner eigenen Jugend verknüpft ist und in der persönliche Erinnerungen an die sechziger Jahre reflektiert werden. Im August 2007 veröffentlichte er eine weitere Musikerbiographie, die im Februar 2007 erstmals durch den Radiosender France Culture vorgestellt wurde. Es handelt sich um eine Biographie Bob Dylans.
Unter dem Titel François Bon – Éclats de réalité fand im März 2007 in Saint-Étienne das erste wissenschaftliche Kolloquium zum Werk François Bons statt. Auch François Bon selbst war anwesend und sprach u.a. in einer Podiumsdiskussion über seine Arbeit.[5] Im März 2008 erschien die erste Monographie über François Bon, in der Dominique Viart einen Überblick über Bons literarische Arbeit gibt (siehe Abschnitt 'Literatur').
Werke
- Sortie d’usine, roman, Paris: Minuit, 1982 ISBN 2-7073-0630-4. Dt.: Feierabend, übersetzt von Edgar Völkl. Berlin: Aufbau, Edition Neue Texte, 1987.
- Limite, roman. Paris: Minuit, 1985 (ISBN 2-7073-1039-5). - Dt.: Limit, übersetzt von Christiane Baumann und Gisela Lerch, Zürich: Luchterhand, 1986.
- Décor ciment, roman. Paris: Minuit, 1986 (ISBN 2-7073-1179-0)
- Le Crime de Buzon, roman. Paris: Minuit, 1988.
- Un fait divers, roman. Paris: Minuit, 1994 ISBN 2-7073-1471-4
- La Folie Rabelais, essai. Paris: Minuit, 1990. (ISBN 2-7073-1350-5)
- Calvaire des chiens, roman. Paris: Minuit, 1990. ISBN 2-7073-1351-3
- L'Enterrement, récit. Lagrasse: Verdier, 1991. - Dt.: Das Begräbnis, übersetzt von Holger Fock, Bremen: Manholt, 1993. ISBN 3-924903-48-4
- Temps machine, récit. Lagrasse: Verdier, 1992.
- Dans la ville invisible, roman. Paris: Gallimard Jeunesse, 1993.
- C'était toute une vie, récit. Lagrasse: Verdier, 1995
- Parking. Paris: Minuit, 1996. (ISBN 2-7073-1552-4)
- 30, rue de la Poste, roman. Paris: Seuil Jeunesse, 1996.
- Impatience. Paris: Minuit, 1998 ISBN 2-7073-1625-3
- Autoroute, roman. Paris: Seuil Jeunesse, 1998.
- Dehors est la ville: Edward Hopper. Charenton: Flohic, 1998 (ISBN 2-84234-048-5).
- Tous les mots sont adultes, méthode pour l'atelier d'écriture. Paris: Fayard, 2000. Édition revue et augmentée, Paris:Fayardm, 2005.
- Paysage fer, récit. Lagrasse: Verdier, 2000.
- Pour Koltès, essai. Solitaires Intempestifs, 2000.
- Mécanique, récit. Lagrasse: Verdier, 2001.
- Quatre avec le mort, théâtre. Lagrasse: Verdier, 2002.
- Rolling Stones, une biographie. Paris: Fayard, 2002. Réédition, Paris: Le Livre de Poche, 2004.
- Quoi faire de son chien mort, théâtre. Solitaire intempestifs, 2004.
- Daewoo, roman. Paris: Fayard, 2004.
- Billancourt, sur des photos d'Antoine Stéphani. Cercle d'art, 2004.
- Petit Palais, sur des photos d'Antoine Stéphani. Cercle d'art, 2005.
- Tumulte, roman. Paris: Fayard, 2006.
- Bob Dylan, une biographie. Paris: Albin Michel, 2007.
- L'incendie du Hilton, roman. Paris: Albin Michel, 2009.
Eine Auswahlbibliographie kürzerer fiktionaler Texte, theoretischer Beiträge und Interviews findet sich in Dominique Viart, François Bon, 2008 (siehe Bibliographie).
Auszeichnungen
- 1984-1985 Stipendium der Académie de France à Rome (Aufenthalt in der Villa Médicis, Rom)
- 1987-1988 Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (Berliner Künstlerprogramm)
- 1991 Förderung durch die Robert-Bosch-Stiftung, Stuttgart
- 1992 Prix Paul Vaillant-Couturier (für L'enterrement)
- 1992 Buchpreis der Region Poitou-Charentes (für L'enterrement)
- 2000 Prix France Culture / revue Urbanisme « La ville à lire » (für Paysage fer)
- 2002 Prix Louis Guilloux (für Mécanique)
- 2002 Prix d'automne de la Société des gens de Lettres (für Rolling Stones, une biographie)
- 2004 Prix Wepler (für Daewoo)
Literatur
- Wolfgang Asholt: Trauerarbeit der Moderne: François Bon. in: Der französische Roman der achtziger Jahre. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994, S. 138 - 151.
- Pierre Bergounioux: François Bon et le monde présent. In: La Cécité d'Homère. Cinq leçons de poétique. Circé, Strasbourg 1995, S. 95-116.
- Dossier über François Bon in: Scherzo. Revue de littérature 7, 1999, S. 3-52. (Enthält ein Interview mit François Bon sowie Beiträge von Pierre Bergounioux, Valéry Hugotte und Dominique Viart.)
- Dossier über François Bon in: L'Animal. 16, 2004. (Enthält ein Interview mit François Bon sowie Beiträge von Jean-Paul Goux, Bernard Noël u.a.)
- Klaus Semsch: Diskrete Helden. Strategien der Weltbegegnung in der romanischen Erzählliteratur ab 1980. Meidenbauer, München 2006 (Über die Erzähltechnik unter anderem bei François Bon.) ISBN 3-89975-062-4
- Dominique Viart: François Bon. Étude de l'œuvre. Bordas, Paris 2008 ISBN 978-2-04-732221-5 (Reihe: Ecrivains au présent. - Die erste Monographie zum Gesamtwerk.)
- Christiane Baumann & Gisela Lerch Hgg.: Jean-Luc Benoziglio, Philippe Djian, Jean Echenoz, François Bon, Leslie Kaplan, Valère Novarina, Marie Ndiaye. in: Extreme Gegenwart. Französische Literatur der 80er Jahre. Beiträge aus Anlass von Berlin, Kulturhauptstadt Europas 1988. Manholt, Bremen 1989 ISBN 3924903700 Jeweils mit Eigen- und Fremdbeiträgen (zB Werkauszügen, Interviews); Verlagsausgabe eines Tagungsbandes. FB: S. 129 - 152
Weblinks
- Vorlage:PND
- Le tiers livre, persönliche Seite von François Bon, u.a. mit Dossiers zu seinen Büchern.
- remue.net, von François Bon gegründete Internetseite zur (modernen und zeitgenössischen) französischen Literatur.
- publie.net: le texte numérique contemporain: von François Bon initiiertes Projekt zur Veröffentlichung zeitgenössischer Literatur in digitaler Form.
Einzelnachweise
- ↑ Der Schriftsteller Pierre Bergounioux, den François Bon Ende der 1980er Jahre kennenlernt, sieht in dieser doppelten Prägung Bons spezifische Rolle als Autor determiniert. Siehe Pierre Bergounioux, La Cécité d'Homère, Strasburg: Circé, 1995, S. 97-98.
- ↑ Dominique Viart, François Bon, étude de l'oeuvre, Paris: Bordas, 2008, S. 176.
- ↑ "Hommage à Edward Hopper : objets cylindriques sur toits à géométrie droite", in: Le tiers livre, [1]
- ↑ Das Fotoprojekt mit 32 Fotografien von Jérôme Schlomoff erscheint unter dem Titel 15021 (Nizza: L'Amourier, 2000). Der Film Paysage fer von François Bon und Fabrice Cazeneuve wird 2003 erstmals ausgestrahlt (52 Minuten, ARTE und Imagine, F 2003). Weitere Informationen auf Le tiers livre.
- ↑ Das Kolloquium wurde von Jean-Bernard Vray (Universität Saint-Étienne) und Dominique Viart (Universität Lille) organisiert. Das Programm des Kolloquiums ist auf www.fabula.org (Zugriff 5.12.2007) einsehbar. Die Akten des Kolloquiums sollen 2008 erscheinen.
Personendaten | |
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NAME | Bon, François |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 1953 |
GEBURTSORT | Luçon, Frankreich |