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Aberglaube

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Die Bezeichnung Aberglaube wird für Glaubensformen angewandt, die einem offiziellen – oft als Dogma angenommenen, sogenannten rechten Glauben – gegenüberstehen. Er wird im Allgemeinen als irrational, unvernünftig oder unwissenschaftlich, nutzlos, manchmal auch unmenschlich, und deswegen als wertlos oder den offiziellen Glaubensformen nicht gleichwertig betrachtet. Für die Aufklärung ist Aberglaube die Abweichung von dem, was ein vernünftiger Mensch glauben darf.[1] In der Regel wird die Bezeichnung zur Abgrenzung von mangelnder Bildung verwandt: So beispielsweise während der Aufklärung zur Abgrenzung von den überlieferten Anschauungen des Mittelalters. Oder Christen werten mit dem Begriff Aberglauben nicht-monotheistische (Polytheismus) Religionen und Kulte ab.

Helmut Hiller definiert Aberglauben als subjektiven Glauben, „der im Widerspruch seiner Zeit sowie zu einem mehrheitlich vertretenen Glauben“ steht, und sich zumeist auf Resten früherer Glaubens- und Verhaltensregeln zurückführen lässt. [2] In der wissenschaftlichen Literatur wird heute der neutrale Begriff Volksglaube bevorzugt.[3]

Geschichte

Der Begriff Aberglaube ist seit dem 13. Jahrhundert belegt (abergloube). Der Wortbestandteil „aber-“ bedeutete ursprünglich nach Auffassung heutiger etymologischer Wörterbücher „nach, wieder, hinter“, wobei es später eine abschätzige Bedeutung annahm, und das Gegenteil dessen bezeichnete, was der zweite Wortbestandteil ausdrückte, z. B. bei „Aberwitz“. [4]

Er sollte Abweichungen von der kirchlichen Glaubenslehre anprangern. Die Bekehrung der Heiden war in Europa zwar abgeschlossen, doch die lokalen Volksglauben lebten in gewissen Grenzen weiter: Zauber, Amulette, Böser Blick, heilige Bäume und heilige Haine sollten die Christen nicht vom wahren Glauben abbringen. Außerdem wollte man mit dem Begriff Aberglauben den neuen vorreformatorischen und sektiererischen Einflüssen entgegenwirken. Kirchenkritiker und Abweichler, die Ketzer, sollten damit auf die gleiche Ebene wie Hexen und Zauberer gestellt werden.

Ebenfalls diffamierte der Begriff Aberglaube das Regelwissen in der aufstrebenden Naturwissenschaft: Wissen oder sehen wollen statt glauben und vertrauen stand im Verdacht der Überheblichkeit und des Fanatismus, befand sich also im Widerspruch zur christlichen Ethik.

Charakteristik

Im weltlichen Bereich bezeichnet man als Aberglaube entweder ein Regelwissen, das sich nicht belegen lässt oder nicht bestätigt, oder eine Interpretation von Mechanismen als soziale Handlungen (etwa Naturphänomene als Verhalten von Naturgeistern). Dieses Urteil kann entweder abschätzig oder scherzhaft gemeint sein (Illusionsbereitschaft im Bewusstsein der Illusion).

Aberglaube entsteht auch durch die falsche Verknüpfung von Ursache und Wirkung. Fehlverwendung wissenschaftlicher Methodik ist eine der häufigsten Arten des nicht-religiösen Aberglaubens. Das Magazin Gehirn & Geist schrieb 2009: „Menschen neigen zu der Vorstellung, gleichzeitige Ereignisse seien kausal miteinander verknüpft, obwohl sie in Wirklichkeit voneinander unabhängig sind“. Bei ein- oder zweimaligen zeitliches Zusammentreffen von zwei Ereignisse würde eine ursächliche Verbindung angenommen, so dass abergläubisches Verhalten relativ schnell entstehe. Umgekehrt benötige es viele Male des Nichtzusammentreffens, um diesen Verdacht wieder zu zerstreuen.[5]

Ein Hintergrund vieler weltlicher Formen von Aberglauben ist der sogenannte „Volksglauben“, wobei hier die Grenze zwischen Fehlverwendung und mangelnder Informationslage nur schwer zu ziehen ist – etwa bei den sogenannten Bauernregeln, mit denen zum Teil Erfahrungswerte aus Haushalt und Landwirtschaft vermittelt werden, zum Teil jedoch auch Wettervorhersagen betrieben werden.

Der Nachweis, dass Glaubensinhalte von Konventionen abhängig und deshalb nicht objektiv seien, macht sie in der westlichen Welt oft zum Aberglauben. Dagegen kennen viele Kulturen außerhalb Europas weder den Begriff „Aberglauben“, noch die exklusive Vorstellung eines „rechten Glaubens“

Ursachen

An diesen "Wunschbaum" auf dem Pfullinger Berg (Schwäbische Alb) hängt man Zettel mit seinen Wünschen in der Hoffnung, dass der Baum sie erfüllt

Weltbild

Meist besitzt ein als abergläubisch bezeichnetes Weltbild eine weniger in sich geschlossene Struktur, als sie beispielsweise von den Scholastikern für die katholische Kirche aufgebaut wurde, oder vom Szientismus für seine Anhänger. Es gibt starke regionale Unterschiede – die sich aber durch moderne Medien und die neueren Möglichkeiten der Kommunikation immer mehr verwischen. Die einzelnen Spielarten grenzen sich gegeneinander weniger deutlich ab, als dies bei den Religionen der Fall ist. Dies bedeutet aber nicht unbedingt, dass zwischen konkurrierenden Formen des Aberglaubens eine größere Toleranz besteht.

Der Grund für das fehlende Grundgerüst ist häufig in der Christianisierung des ursprünglichen Volksglaubens zu sehen, wodurch der Unterbau verloren ging und nur Rituale wie das Silvesterschießen oder einzelne Zeremonien z.B. bei Totenfeiern erhalten blieben oder sich als katholisch gebilligter Heiligenglauben versteckten.

Aberglaube liefert aufgrund der narrativen Einbettung seiner Inhalte noch heute viele Hinweise auf das soziokulturelle Wissen alter Kulturen und ist Objekt zahlreicher volkskundlicher Forschungsarbeiten. Aus volkskundlicher Sicht kann man sagen, dass der Glaube dann zum Aberglauben wird, wenn er mit der soziokulturellen Entwicklung nicht mehr Schritt halten kann.

Psychologie

In der Psychologie ist Aberglaube eng verwandt mit Begriffen wie magisches Denken, selbsterfüllende Prophezeiung, Mythos der eigenen Unverletzbarkeit (siehe Arbeitssicherheit), Glaube an das „todsichere System“ beim Glücksspiel (siehe Wahrscheinlichkeit). Er entsteht z. B. bei nichtdeterministischen Experimenten (z. B. die abergläubische Ratte, Belohnungssysteme, die der Lernkurve folgen, siehe Paul Watzlawick). Aberglaube und magische Praktiken sind auch entwicklungspsychologisch relevant, da Kinder in einer so genannten Phase des Egozentrismus sich einem magisch-abergläubischen Weltbild zuwenden können.

Rituale und Bräuche

Aberglaube ist oft eine Form von überlieferten wiederholten, habitualisierten sozialen Handlungen und Bräuchen, die einstmals unter Umständen mit Sinn verbunden waren, später jedoch zu sinnentleerten Ritualen wurden. Auch sind in bestimmten Milieus abergläubische Vorstellungen verbreiteter als in anderen, was auf eine soziale Funktion des Aberglaubens hindeutet. Besonders in Berufsgruppen, die sehr von äußeren Umständen abhängen, ist oft ein durchaus lebendiger und ritualisierter Aberglaube typisch, so bei Seeleuten, Bauern, Soldaten im Krieg, darstellenden oder riskanten Berufen (z. B. Schauspielern, Sängern, Glücksspielern, Sportlern u.a.m.). Das deutet auf eine Sicherheit schaffende psychologische Funktion von Aberglauben hin. Auch ist er in allen Gesellschaften dort häufiger, wo die Lebenschancen gering sind (vgl. Unterschicht), und äußert sich dann in besonderen Verhaltensformen im Umfeld von Lotterien und dergleichen.

Häufig entsteht auch ein privater Aberglaube aus der Verknüpfung bestimmter Erfolgs- oder Unglückserlebnisse mit zufälligen Begleiterscheinungen, zwischen denen dann eine kausale Verknüpfung hergestellt wird. Ein Beispiel dafür ist die „Glückssocke“ (oder irgendein anderes Kleidungsstück oder Accessoire), die ihrem Träger zu bestimmten Anlässen beisteht, wenn er sie mit sich führt.

Einzelnachweise

  1. „Aberglaube ist der Hang, in das, was als nicht natürlicher Weise zugehend vermeint wird, ein größeres Vertrauen zu setzen, als was sich nach Naturgesetzen erklären lässt – es sei im Physischen oder Moralischen. “(Immanuel Kant: Werkausgabe, hrg. von Wilhelm Weischedel, Bd.XI, Frankfurt 4. Aufl. 1982, S. 335, Anm. *)
  2. Helmut Hiller, Lexikon des Aberglaubens, München 1986, S. 315
  3. Rüdiger Hauth: Taschenhandbuch Esoterik: Von Bachblüten bis Yoga: Ein kritischer Leitfaden S.16.
  4. Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Aufl. Berlin [u. a.] 2002, S. 6 sowie Pfeifer, Wolfgang: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 5. Aufl. München 2000, S. 3.
  5. Aberglaube bald stärker als Gottesglaube, Die Welt vom 11. März 2009

Literatur

  • Hanns Bächtold-Stäubli (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. 10 Bände. De Gruyter, Berlin und Leipzig 1929-1942 (unveränderter Nachdruck 2000: ISBN 3-11-016860-X)
  • Augustin Calmet: Gelehrte Verhandlung der Materie von den Erscheinungen der Geister, und der Vampire in Ungarn und Mähren Edition Roter Drache, 2007 ISBN 978-3939459033
  • Nicolaus Equiamicus (Hg.) Die Geisterwelt Diedorf 2008, ISBN 978-3-86608-086-7
  • Nils Freytag: Aberglauben im 19. Jahrhundert. Preußen und seine Rheinprovinz zwischen Tradition und Moderne 1815-1918. Berlin 2003
  • Dieter Harmening: Superstitio. Überlieferungs- und theoriegeschichtliche Untersuchungen zur kirchlich-theologischen Aberglaubensliteratur des Mittelalters. Berlin 1979
  • Hanns-Peter Mederer: Der unterhaltsame Aberglaube. Sagenrezeption in Roman, Erzählung und Gebrauchsliteratur zwischen 1840 und 1855. Shaker Verlag, Aachen 2005, ISBN 3-8322-4201-5 (urspr. Diss. Hamburg 2005)
  • Heinrich Bruno Schindler: Der Aberglaube des Mittelalters. Ein Beitrag zur Culturgeschichte. Breslau 1858 (Digitalisat)
Wiktionary: Aberglaube – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen