Trickster
Das Wort Trickster (engl. "Gauner", "Schelm", "jemand, der mit Tricks arbeitet", auch "der Halunke", "der Bauernfänger") wurde 1868 von dem Mythensammler D.G. Brinton in seinem Buch Myths of a New World eingeführt. Er bezeichnet eine meist göttliche, zumindest mit übernatürlichen Eigenschaften ausgestattete, und meist männliche Mythen-Gestalt, die sich vor allem durch ihren Listenreichtum, aber auch durch ihre Tölpelhaftigkeit auszeichnet. Ins Deutsche wird der Begriff oft sinngemäß mit „Göttlicher Schelm“ übertragen.
Der Trickster verkörpert das Prinzip der Vereinigung von Gegensätzen. Er ist weder gut noch böse, er ist weder listenreich noch ein Tölpel, er ist beides zugleich und wird in jeder Facette seines Wirkens zu einem Repräsentanten der Vieldeutigkeit des Lebens. Grundlegende Eigenschaften des Tricksters sind nach Hynes Ambiguität (Zweideutigkeit), Anomalie (Abweichung vom Normalen) und Polyvalenz (Vielwertigkeit).
Meist besitzt der Trickster Tiergestalt (Hase, Spinne, Koyote, Krähe). Er ist aber ein Meister der Metamorphose (Verwandlung) und kann sich so auch in alle anderen erdenklichen Lebensformen verwandeln und in alter und junger Gestalt auftreten. Tokwaj, der Trickster der Mataco verwandelt sich sogar in einen Diarrhö-Erreger, um den Verlobten seiner Angebeteten durch ihre Krankheit zu vertreiben. Da der Trickster auch sein Geschlecht umwandeln kann, ist ihm - oder in Einzelfällen ihr - keine sexuelle Erfahrung fremd. Als Frau erlebt der in seiner Urgestalt männliche Trickster sogar Schwangerschaft und Geburt.
Oft muss man über die Dreistigkeit und ungewöhnlichen Ideen des Tricksters, aber auch über seine Ungeschicklichkeit lachen und über das Pech, das er in Situationen hat, in denen er sich als der Stärkere und Klügere wähnte. Z.B. wird ihm der Streich eines Kolibris, der behauptet ihm das Fliegen beibringen zu können, zum tödlichen Verhängnis. So ist er oft selber der Betrogene oder wird zum Opfer seiner eigenen Ideen und Streiche.
Spannungszustände kann der Trickster kaum ertragen. Er ist in jeder Beziehung gierig: nach Nahrung, nach Leben, nach Wissen und - er besitzt eine enorme Libido - nach Sex. An all das gerät er meist durch Gewalt und Betrug. So sind die Mythen des Tricksters nicht nur erheiternd, sondern können auch sehr brutal sein, wenn er z.B. mordet, vergewaltigt, Kinder als Mahlzeit betrachtet oder rücksichtslos experimentiert.
Der Trickster ist aber auch als Kulturheros ein Stifter von Kultur und ein Medium kultureller Veränderung. Er sieht die Dinge aus einer anderen Perspektive und hat daher die Möglichkeit sie kreativ umzudeuten. Er ist ein Bricoleur, eine Person, der kreatives Problemlösen gelingt, indem die Definition und die Funktion dessen, was gerade zur Hand ist überschritten wird und die zur Verfügung stehenden Mittel erfinderisch umgedeutet und dann genutzt werden. Das passt auch zu seiner Eigenschaft als einem professionellen Tabubrecher, der sich über alle Regeln der Gemeinschaft hinwegsetzt, dennoch aber Teil dieser Gemeinschaft bleibt. Auf seine Sexualität bezogen bedeutet Tabubruch Inzest, Homosexualität (in vielen Kulturen eine geächtete Normverletzung) und Geschlechtswechsel (Transsexualität, ebenfalls in vielen Kulturen eine geächtete Normverletzung).
Auffällig ist, dass gerade in christlichen Ländern die Einordnung des Tricksters zu einem Problem gerät. Hier ist er mit der Zeit auf seine rein negativen Eigenschaften beschränkt und zum Teufel gemacht worden. Laut Stein hat sich in vielen - vor allem osteuropäischen - Märchen, die Gestalt des Tricksters wahrscheinlich in der Gestalt des „geprellten Teufels“ erhalten. Seine schöpferischen Taten sind aus der Sicht der Menschen nur noch durchweg negativ.
Beispiele
- Abbu-Nawwas (Kulturheros-Züge fehlen) (Nordafrika, außerdem in Südarabien, Äthiopien, Somalia)
- Anansi (bei den Akan-Ashanti; spinnengestaltig) (Sudan)
- Ananse (spinnengestaltig vorgestellt) (Jamaica)
- Bamapama (bei den Murngin) (Australien)
- Chinesische Schelmengestalt beschrieben von dem Beamten Hsü Wen-Ch’ang (Kulturheros-Züge fehlen / sexuelle, skatologische Züge)
- Coniraya Huirakocha (bei den Inka)
- Enki (sumerische Religion)
- Eshu, auch Exu, Esu (bei den Yoruba; spielt auch im afroamerikanischen Bereich eine große Rolle)
- Fuchs (bei den Toba) (Südamerika)
- Goha (Ägypten, Teile Arabiens und Syriens bis in den Irak) (Kulturheros-Züge fehlen)
- Guahayona (bei den Taino-Indianern) (führt die Menschen in neue Lebensgebiete und besiegt Feinde der Taino)
- Hase und Schildkröte (Typus „clever hero“, agieren kaum als Kulturheroen setzen Geschicklichkeit und List eher zu ihrem eigenen Nutzen ein) (Afrika, südlich der Sahara)
- Hermes (Götterbote, Gott der Diebe, Reisenden und Kaufleute) (griechische Mythologie)
- Kantjil, „the Mouse-deer” (malayo-indonesischer Bereich)
- Kutka (Sibirien, für die Italmenen auch der Weltschöpfer)
- Lay (bei den Iraku) (Ostafrika)
- Legba, bei den Ewe (Togo) und Fon (Benin)
- Loki (germanische Mythologie) (Europa)
- Mantis (weibliche Trickster-Gestalt!) hat die Gestalt einer Heuschrecke/Gottesanbeterin, bei den Khoisan (Südafrika)
- Maui-of-the-thousand-Tricks (Hawaii)
- Olofat (Mikronesien)
- Nanabozho (bei den algonkin-sprachigen Völkern) (östl. Nordamerika)
- Pan (arkadischer Hirtengott)
- Prometheus (Titanengeschlecht) (Aspekt des Kulturbringers steht im Vordergrund. Bringt den Menschen das Feuer, die Schrift, die Heilkunst, die Baukunst, die Metallurgie, die Schifffahrt und die Reitkunst)
- Quikinnaqu (der Große Rabe) (sibirische Koriaken)
- Saci Exu (afroamerikanischer Bereich)
- Sug (überwiegend als Trickster, Kulturheros-Züge fehlen) (nördliches Thailand)
- Syrdon (ist Loki sehr ähnlich) (Ossetien/Zentralkaukasus)
- Taugi (Kalapalo-Indianer) (Brasilien)
- Tawk’wax bei den Mataco (Südamerika)
- Tezcatlipoca (mesoamerikanische Hochkulturen)
- Tompa (es dominieren sexuelle und skatologische Motive) (Tibet)
- Ture (spinnengestaltig) (Azande)
- Stalo (Lappland)
- Wakdjunkaga (bei den Winebago)
Literatur
- Babcock-Abrahams, Barbara: A Tolerated Margin of Mess: The Trickster and his Tales Reconsidered. In Journal of the Folklore Institute 11. S. 147-186
- D.G. Brinton: Library of Aboriginal American Literature. 8 Bände (1882-90)
- D.G. Brinton: American Hero-Myths. (1882)
- W.J. Hynes und W.G Doty (Hg.): Mythical Trickster Figures. (Tuscaloosa und London1993)
- Hundt, Stefanie: The trickster in contemporary native American literature. Marburg 2000
- Kloppenburg, Michelle R: Contemporary trickster tales. Essen 1999
- Kuper, Michael (Hg.): Wie der Widerspruch in die Welt kam, von der Spinne und anderen Trickstern in Afrika. Reihe Documenta Etnographica Bd.7, Berlin 1998
- Paul Radin / Karl Kerényi / C. G. Jung: Der göttliche Schelm, ein indianischer Mythen-Zyklus. Hildesheim 1979 (enthalten sind außerdem: Der Schelmenzyklus / aufgezeichnet von Sam Blowsnake. - Die Winnebago und ihr Schelmenzyklus / von Paul Radin. - Mythologische Epilegomena / von Karl Kerényi. - Zur Psychologie der Schelmenfigur / von C. G. Jung.) ISBN: 3-8067-0801-0. Signatur Deutsche Bibliothek: D 79/6348
- Stein, Wolfgang: Der Kulturheros-Trickster der Winnebago und seine Stellung zu vergleichbaren Gestalten in den oralen Traditionen nordamerikanischer Indianer: eine Kritik an der Kulturheros-Trickster-Konzeption Paul Radins. Bonn 1993, zugl. Diss. Univ. München 1990.
- Weber, Ingeborg und Wolfgang: Auf den Spuren des göttlichen Schelm. Stuttgart, Bad Cannstadt 1983