Stehwellenverhältnis
Das Stehwellenverhältnis - auch Stehwellenrelation - (englisch standing wave ratio, SWR) auf einem elektrischen Leiter ergibt sich aus dem Verhältnis der Effektivspannungen der vor- und rücklaufenden Welle. Genauer:
wobei V die Spannung der vorlaufenden Welle und R die Spannung der rücklaufenden Welle ist.
Das SWR ist also ein Maß für den Reflexionsgrad auf einer Leitung, wenn diese nicht ideal abgeschlossen ist (Fehlanpassung). Im Idealfall, wenn keine Reflexion auftritt, ist das SWR 1. Bei vollständiger Reflexion ist es unendlich.
Auswirkungen
Der Wert des Stehwellenverhältnisses erlaubt eine Aussage über die Übertragungsverluste im Kabel. Es wird nur durch Kabel und den Wert des Abschlusswiderstandes (z.B. eine Antenne) bestimmt und kann durch keine Maßnahmen am Sender geändert werden.
- SWR = 1. Bei diesem Idealfall tritt keine Reflexion am Kabelende auf, weil der Abschlusswiderstand den korrekten Wert von beispielsweise 50 Ω besitzt. Die in das Kabel eingespeiste Leistung wird vollständig im Abschlusswiderstand verbraucht. Spannungen und Ströme haben überall auf dem Kabel den gleichen Wert. Die Energieverluste im Kabel sind minimal. Daraus folgt aber nicht, dass die Antenne besonders gut abstrahlt; denn wenn man die Antenne durch eine Dummy-Load mit korrektem Widerstand ersetzt, wird trotz SWR = 1 keine Leistung abgestrahlt.
- SWR ≈ 2. Ein gutes SWR bedeutet nur, dass zwischen Kabel und Antenne fast Leistungsanpassung vorliegt. Es liefert keine Aussage, ob die Antenne die zugeführte Leistung gut abstrahlt. Spannungen und Ströme unterscheiden sich an unterschiedlichen Stellen des Kabels geringfügig. Die Energieverluste im Kabel sind leicht erhöht.
- SWR > 5. Ein schlechtes SWR bedeutet, dass sich die Wellenimpedanz des Kabels stark vom Wert des Abschlusswiderstandes unterscheidet. Nur ein geringer Teil der gelieferten Energie wird darin verbraucht, der Großteil wird zum Sender reflektiert. Spannungen und Ströme unterscheiden sich an unterschiedlichen Stellen des Kabels sehr stark. Im Kabel entstehen unnötig hohe Wärmeverluste. Bei bestimmten Bauarten, beispielsweise der in der Anfangszeit der Funktechnik verwendeten „Hühnerleiter“ (einer zwischen Sender und Antenne frei aufgehängten, luftisolierten Doppelleitung genau definierter Länge), waren die Verluste trotz hohem SWR relativ gering. Grund dafür ist, dass Luft auch bei hohen Spannungen kaum dielektrische Verluste erzeugt.
- SWR = ∞. Bei offenem oder kurzgeschlossenen Kabelende tritt vollständige Reflexion der Leistung auf. Das Kabel wirkt wie ein Schwingkreis, dessen Resonanzwellenlängen und -frequenzen nur von der Länge und vom Aufbau des Kabels abhängen (siehe Leitungstheorie#Sonderfall_Kurzschluss).
Ursachen


Trifft ein Impuls oder eine Welle auf die Grenze zweier Medien, treten folgende physikalische Phänomene auf: Transmission, Reflexion, Absorption und Dissipation. Trifft beispielsweise sichtbares Licht auf eine Glasscheibe, geht ein Teil davon durch die Glasscheibe hindurch (Transmission), ein Teil wird reflektiert und ein Teil der Lichtenergie wird in Wärme umgesetzt (absorbiert, dissipiert). Nach dem Energieerhaltungssatz muss die Summe der Energien der drei Teilkomponenten gleich der Energie der einfallenden Welle sein.
Dieser Zusammenhang zwischen Transmission, Reflexion und Dissipation gilt für alle physikalischen Wellen, auch beim Übergang von der Leitung zum Abschlusswiderstand. Bei einem einzelnen Impuls wie im Bild kann man zwischen ankommendem und reflektiertem Impuls gut unterscheiden, die Spannungen Umax und Umin können – zu unterschiedlichen Zeiten – mit einem Oszilloskop gemessen werden.
Bei einer Welle ist das nicht möglich, weil sich die nach rechts und nach links laufenden Anteile ständig überlagern. Man kann nur das Gesamtergebnis messen, nicht aber die Einzelamplituden.
Eine stehende Welle (im Bild: schwarz) entsteht durch Addition einer nach rechts (blau) mit einer nach links (rot) laufenden Welle gleicher Wellenlänge λ. Das Bild gilt für einen Kurzschluss am rechten Leitungsende, denn dort ist die Summenspannung immer Null (roter Punkt). Da keine Energie verloren geht, wird 100 % der Spannung reflektiert und an allen Messpunkten in den Abständen λ/4, 3λ/4, 5λ/4,... ist die Amplitude maximal. An den dazwischen liegenden Punkten 0,5·λ, λ, 1,5·λ,... misst man immer 0 V. Daraus errechnet sich SWR = ∞. Genau das gleiche Ergebnis SWR = ∞ ergibt sich für eine am Ende offene Leitung oder bei Abschluss mit einem Kondensator oder einer verlustfreien Induktivität.
Für alle anderen Fälle ist die Amplitude der reflektierten Welle stets geringer als die der ankommenden Welle. Deshalb kann nirgends entlang der Leitung die destruktive Interferenz vollständig sein; man misst Umin > 0.
Messung mit einem Dauersignal
Bei sehr kurzen Wellenlängen (λ < 1 m) legt man in die Verbindung Sender – Abschlusswiderstand eine teilweise offene Koaxleitung und sucht mit Spannungssonden die Position, an der die Spannung besonders groß wird (Umax) und misst im Abstand λ/4 eine besonders geringe Spannung Umin. Das SWR ist der Quotient Umax/Umin.
Bei größeren Wellenlängen verwendet man Richtkoppler, die einen Bruchteil der tatsächlich übertragenen Leistung richtungsabhängig in eine parallel verlaufende Leitung auskoppeln. Aus den Spannungswerten dieses Stehwellenmessgerätes lässt sich wiederum das SWR bestimmen.
Messung mit Impulsen
(Hauptartikel Zeitbereichsreflektometrie)

Ein Impulsgenerator erzeugt eine Folge von sehr kurzen Rechteckimpulsen von jeweils etwa 20 ns Dauer, die in so großem Abstand folgen, dass die Echos aller früheren Impulse abgeklungen sind. Die Impulse werden über einen relativ großen Widerstand an den Kabelanfang angeschlossen. Ein Oszilloskop wird über kapazitätsarme Tastköpfe an beide Kabelenden angeschlossen. Wenn das Kabelende mit dem korrekten ohmschen Widerstand (meist 60 Ω) belastet ist, werden keine Impulse reflektiert. Diese Messung kann nicht unmittelbar an Antennen durchgeführt werden, weil jeder Impuls ein sehr breitbandiges Spektrum besitzt.
Stehwellenverhältnis am Beispiel einer funktechnischen Sendeanlage
Verluste
Die Verbindung vom Sender zur Antenne erfolgt meist durch ein verlustbehaftetes Koaxkabel. Dieses zeigt zwei Arten von Verlusten:
- Erwärmung des Isolationsmaterials (Dielektrikum) zwischen Innen- und Außenleiter an Stellen besonders hoher Spannung. Die erzeugte Wärmeleistung ist proportional zum Quadrat der Differenzspannung.
- Erwärmung der Leiter an Stellen, wo besonders hoher Strom fließt. Die erzeugte Wärmeleistung ist proportional zum Quadrat der Stromstärke.
Längenabhängigkeit
Das SWR eines Kabels hat bei bestimmten Längen wegen der auftretenden Resonanzen unterschiedliche Wirkungen. Bemerkenswert sind folgende Sonderfälle:
- Beträgt die Kabellänge genau ein Vielfaches der halben Wellenlänge (L = n·λ/2), „sieht“ der Sender unabhängig vom Wellenwiderstand des Kabels und vom Wert des SWR immer exakt den Wert des Abschlusswiderstandes. Trotzdem kann der Leistungsverlust im Kabel erheblich sein.
- Beträgt die Kabellänge genau ein ungerades Vielfaches der viertel Wellenlänge (L = (1+2n)·λ/4), „transformiert“ das Kabel und es gilt
Bei allen Längen umgeht man die komplizierten Zusammenhänge, indem man SWR = 1 anstrebt.
Abhilfe
Es kommt also darauf an, Spannung und Strom an allen Stellen des Kabels möglichst gering zu halten. Das erfordert SWR = 1. Eine geringe Abweichung des tatsächlichen vom idealen Stehwellenverhältnis im Nachkommabereich ist im Allgemeinen vernachlässigbar. Technisch sind Stehwellenverhältnisse in einer Größenordnung zwischen 1,1 und 2 oft akzeptabel. Eine Korrektur kann durch Anpassungsnetzwerke erfolgen.
Das eigentlich interessierende Reflexionsvermögen lässt sich über den Reflexionsfaktor, z.B. mit einem speziellen aufwendigen Time-Domain-Reflektometer, direkt über den Ort aufgelöst darstellen. Für Frequenzbereichsdarstellungen ist auch ein S-Parameter-Messplatz gängig. Ein einfacheres SWR-Messgerät zeigt mit Hilfe einer SWR-Messbrücke das Stehwellenverhältnis zwischen hin- und rücklaufender Welle ebenfalls an und wird wegen seiner geringeren Komplexität oft bevorzugt. Es dient der Analyse des Reflexionsvermögens einer Anordnung z.B. aus Leitung und angeschlossenem Gerät mit vorgegebener Eingangsimpedanz.
Das Stehwellenverhältnis ergibt sich aus dem Maximal- und Minimalwert einer stehenden Welle an einem Übergang zwischen zwei verschiedenen Medien. Bei einer Sendeanlage bestehen solche Übergänge von der Sendeendstufe zum Speisekabel bzw. vom Speisekabel zur Antenne. In das Speisekabel wird das SWR-Messgerät eingeschleift.
Ein ungünstiges Stehwellenverhältnis resultiert in der Regel aus einer Fehlanpassung des Leitungswellenwiderstands und Eingangsimpedanz der Antenne einer Sendeanlage. Die Fehlanpassung der Komponenten führt zu Reflexionen, ein Teil der Leistung läuft zur Endstufe zurück. Wenn zu viel Sendeleistung von einer fehlangepassten Antenne zu einer Endstufe reflektiert wird, kann diese beschädigt werden.