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Woyzeck

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Woyzeck ist ein Drama von Georg Büchner. Er verfasste es 1836/1837. Sein früher Tod verhinderte die Fertigstellung des Stückes, es blieb ein Fragment. Woyzeck erschien erstmals 1879 und wurde am 8. November 1913 im Residenztheater in München uraufgeführt.

Das Stück gehört zu den meistgespielten Stücken auf deutschsprachigen Bühnen. Der Text wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, und Künstler in der ganzen Welt hat Woyzeck zu Interpretationen und eigenen Werken inspiriert.

Doktor: Ich hab's gesehn Woyzeck; Er hat auf die Straß gepisst, an die Wand gepisst wie ein Hund. Und doch zwei Groschen täglich. Woyzeck das ist schlecht. Die Welt wird schlecht, sehr schlecht.
Woyzeck: Aber Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt.
Konzeptblatt von Georg Büchner zum Woyzeck

Entstehungsgeschichte

Ein Fragment

Die Arbeit am Woyzeck begann Georg Büchner im Verlauf des Jahres 1836. Nach der Flucht aus seiner Heimat lebte er nun wieder in Straßburg. Er schloss seine Dissertation Mémoire sur le système nerveux du barbeau (dt. Über das Nervensystem der Barben) ab. Im Oktober siedelte Büchner von Straßburg nach Zürich über, wo er an der Universität eine Lehrtätigkeit begann. Zur Vorbereitung beschäftigte er sich mit Descartes und Spinoza und legte umfangreiche Vorlesungsskripten an.

Im Juni 1836 stellte Büchner Leonce und Lena fertig. Mit der Arbeit am Woyzeck begann er noch in Straßburg. Das begonnene, aber noch nicht abgeschlossene Manuskript nahm er mit nach Zürich. Anfang 1837 - mittlerweile war er 23 Jahre alt - erkrankte Büchner an Typhus, im Februar 1837 starb er. Woyzeck blieb ein Fragment.

Die Handschriften

Das Fragment besteht aus einer Sammlung von Handschriften, die heute im Weimarer Goethe- und Schiller-Archiv liegen. Eine Faksimileausgabe der Handschriften veröffentlichte 1981 Gerhard Schmid (s. Literatur). Im Internet sind sie auf den Seiten des Fachbereichs Germanistik der Universität des Saarlandes zu sehen (s. Weblinks).

Die Sammlung besteht aus fünf Blättern im sogenannten Kanzleiformat, gefaltet zu Doppelblättern im Folioformat. Darauf hat Büchner zwei Entwürfe von Szenen des Stückes geschrieben. Dann gehört ein Einzelblatt im Quartformat zu den hinterlassenen Handschriften. Darauf befinden sich zwei Einzelszenen. Und schließlich gehören sechs Blätter im Folioformat dazu, die zu sechs Doppelblättern im Quartformat gefaltet sind. Auch bei ihnen handelt es sich offensichtlich noch nicht um eine endgültige, sondern um eine vorläufige Reinschrift des Stückes. Diese Handschrift ist der am weitesten fortgeschrittene Entwurf, auf dessen Grundlage heutige Lese- und Bühnenfassungen basieren.

Der historische Hintergrund

Woyzecks Hinrichtung auf dem Marktplatz in Leipzig

Woyzeck zu Grunde liegt der Fall des Leipziger Perückenmachers Johann Christian Woyzeck. Der hatte am 21. Juni 1821 die 46-jährige Witwe Christiane Woost erstochen. Nach zwei Prozess-Gutachten des Medizin-Professors Johann Christian August Clarus über die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten wurde Woyzeck verurteilt und am 27. August 1824 auf dem Marktplatz in Leipzig vor einer großen Menschenmenge hingerichtet.

Das Clarus-Gutachten mit dem Titel Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders J. C. Woyzeck, nach Grundsätzen der Staatsarzneikunde actenmäßig erwiesen" war in dem Fachblatt "Henkes Zeitschrift für die Staatsarzneikunde erschienen. Büchners Vater hatte die Zeitschrift abonniert und veröffentlichte darin selbst Fälle aus seiner Praxis als Arzt.

Aus dieser Zeitschrift hat Georg Büchner wahrscheinlich auch Informationen über zwei weitere Fälle mit einer ähnlichen Thematik wie bei Johann Christian Woyzeck. Dabei handelt es sich um den Tabakspinnergesellen Daniel Schmolling, der am 23. September 1817 seine Geliebte Henriette Lehne in der Hasenheide bei Berlin umgebracht hat, und um den Leinenwebergesellen Johann Dieß, der am 15. August 1830 seine Geliebte Elisabeth Reuter in der Nähe von Darmstadt erstach.

Editionen

Der fragmentarische Charakter des von Büchner hinterlassenen Stückes hatte für die Veröffentlichungen - wie auch für die Inszenierungen - weitreichende Folgen. Die Handschriften mussten entziffert, Lücken im Text erklärt und die Szenenfolge für Aufführungen auf der Bühne festgelegt werden. Beim Woyzeck tat sich ein weites Feld für Interpretationen des Stückes auf - aber auch für Streit und Fehden zwischen Wissenschaftlern, die mit Büchner und Woyzeck befasst waren und befasst sind.

Erst vierzehn Jahre nach Georg Büchners Tod brachte sein Bruder Ludwig 1850 die „Nachgelassenen Schriften“ heraus. Woyzeck erscheint darin nicht. Es ist das Verdienst des österreichischen Schriftstellers Karl Emil Franzos, das Fragment als erster vollständig entziffert und veröffentlicht zu haben. 1879 erschien "Georg Büchner: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Woyzeck heißt darin Wozzeck und an den Anfang des Stückes hat Franzos nicht die Szene auf dem freien Feld vor der Stadt, sondern die "Rasierszene" gesetzt (s. Szenenfolge: 5. Szene). Entscheidungen, die bis heute nachwirken: Werner Herzogs Woyzeck-Film beispielsweise beginnt mit der "Rasierszene", genau so wie die im Gutenberg-Projekt veröffentlichte Fassung (s. Weblinks).

Weitere Stationen der Publikation von Büchners Werke sind die von Fritz Bergmann herausgegebenen „Sämtlichen Werke und Briefe“ und die nicht abgeschlossene "kritisch-historische Ausgabe" von Werner R. Lehmann, die auch die Grundlage der Münchner Ausgabe im Carl Hanser Verlag im Jahr 1984 war.

Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zwei Bänden“, herausgegeben von Henri Poschmann, ist die jüngste Edition, die den Woyzeck enthält (seit 2002 gibt es sie im Insel-Verlag als preiswerte Taschenbuch-Ausgabe). Burghard Dedner ist zusammen mit Thomas Michael Mayer verantwortlich für die derzeit sicherlich am weitesten verbreitete - und preiswerteste - Woyzeck-Ausgabe - die "Studienausgabe" bei Reclam ( s. Literatur).

Für 2005 ist Woyzeck als Band 7 der "Historisch-kritische(n)Ausgabe der Sämtlichen Werke und Schriften Georg Büchners" angekündigt, der "Marburger Ausgabe". Deren Herausgeber waren ursprünglich Dedner und Mayer gemeinsam. Über die Herausgabe von "Leonce und Lena" kam es zwischen beiden zum Streit, so dass für die folgenden Bände, also auch für den 7. Band, für Woyzeck, nur noch Burghard Dedner verantwortlich ist.

Das Stück

Handlung

Das Stück zeigt Ausschnitte aus dem Leben des einfachen Soldaten Franz Woyzeck, der seine Freundin Marie und das gemeinsame uneheliche Kind so gut wie möglich unterstützt und sich dazu sogar bei einem Arzt als Versuchsperson verdingt. Marie aber lässt sich mit einem Tambourmajor ein. Woyzecks aufkeimender Verdacht wird durch seine ihm nicht freundlich gesonnenen Mitmenschen geschürt, bis er Marie und den Nebenbuhler beim Tanz im Wirtshaus ertappt. Seine bereits vorhandenen Wahnvorstellungen wandeln sich nach der Niederlage gegen den ihm auch körperlich überlegenen Tambourmajor zu Tötungsphantasien. Schließlich ersteht er eine Klinge, verteilt seinen Besitz und ersticht Marie.

Szenenfolge

1. Seite der "Vorläufigen Reinschrift"

Es gibt bis heute mehrere "Lese- und Bühnenfassungen" von Woyzeck. Werner R. Lehmann (s. Literatur) hat folgende Szenenfolge auf der Grundlage von Büchners Handschriften konstruiert:

1. Szene: Freies Feld vor der Stadt. Woyzeck und sein Kamerad Andres schneiden Weidenstöcke. Woyzeck sieht sich von übernatürlichen Mächten bedroht. "Es geht hinter mir, unter mir - hohl, hörst du? Alles hohl da unten. Die Freimaurer!"

2. Szene: Maries Kammer. Die Militärkapelle marschiert auf der Straße vorbei. Marie winkt dem Tambourmajor zu. Die Nachbarin Margret bekommt das mit. Woyzeck besucht seine Geliebte und das Kind. Er spricht geheimnisvoll. Marie zeigt kein Verständnis.

3. Szene: Kirmesbuden. Alter Mann singt zum Leierkasten. Marie und Woyzeck hören einem Ausrufer zu, der Kuriositäten präsentiert. Unteroffizier und Tambourmajor schwärmen von Marie.

4. Szene: Maries Kammer. Sie betrachtet sich im Spiegel. Der Tambourmajor hat ihr Ohrringe geschenkt. Woyzeck überrascht sie und gibt ihr Geld. Eilt wieder davon.

5. Szene: Zimmer des Hauptmanns. Woyzeck rasiert den Hauptmann. Der verhöhnt ihn. Als der Hauptmann über Moral und über Woyzecks Kind zu reden kommt, das „ohne den Segen Kirche“ geboren sei, gibt der Soldat seine Wortkargheit auf. „Ich glaub', wenn wir (armen Leute) in den Himmel kämen, müssten wir donnern helfen!

6. Szene: Maries Kammer. Der Tambourmajor macht ihr Avancen. Sie weist ihn erst zurück und gibt dann nach. "MARIE heftig: Rühr mich an!"

7. Szene: Auf der Gasse – Woyzeck hat eine Ahnung, dass Marie ihm untreu ist.

8. Szene: Studierstube des Doktors. Woyzeck hat sich dem Doktor für Versuche zur Verfügung gestellt, um Geld zu verdienen. Der Doktor verabreicht ihm die tägliche Erbsenration. Woyzeck spricht über seine Visionen. Für den Doktor ist Woyzeck „ein interessanter casus“.

Datei:Straßenszene.jpg
Randzeichnung Büchners zur Straßenszene/ 9. Szene - Hauptmann und Doktor?

9. Szene: Straße. Der Hauptmann belästigt den Doktor mit seinen Ansichten. Der sagt dem Hauptmann einen Schlaganfall voraus. Als Woyzeck ihren Weg kreuzt, lassen beide ihre Aggressionen an ihm aus und deuten eine Affäre zwischen Marie und dem Tambourmajor an. Woyzeck ist getroffen.

10. Szene: Wachtstube – Woyzeck teilt Andres seine innere Unruhe mit.

11. Szene: Im Garten eines Wirtshauses vergnügen sich Soldaten, Handwerksburschen und junge Frauen beim Tanz. Unter ihnen auch Marie und der Tambourmajor. Woyzeck sieht das Paar, kann es nicht fassen.

12. Szene: Auf freiem Feld hört Woyzeck Stimmen, die ihm auftragen, Marie zu töten. "...stich die Zickwolfin (Marie) todt."

13. Szene: In der Nacht versucht Andres Woyzeck zu beruhigen: „Du musst Schnaps trinke und Pulver drin, das schneidt das Fieber.

14. Szene: Im Wirtshaus treffen Woyzeck und der Tambourmajor aufeinander. Im Zweikampf unterliegt Woyzeck.

15. Szene: Im Kramladen des Juden besorgt Woyzeck sich eine Klinge.

16. Szene: Marie empfindet Reue und sucht in der Bibel nach Trost.

17. Szene: Woyzeck teilt Andres mit, wer seine Habseligkeiten nach seinem Tod erben soll.

18. Szene: Im Hof des Hauses des Doktors findet vor Studenten eine Vorlesung statt. Woyzeck wird vom Doktor als Versuchsobjekt vorgeführt.

19. Szene: Marie mit mehreren kleinen Mädchen und der Großmutter vor dem Haus. Großmutter erzählt ein Märchen. Woyzeck fordert Marie auf, ihm zu folgen. "Marie wir wolln geh'n. S' ist Zeit."

20. Szene: Woyzeck und Marie vor der Stadt. Marie folgt ihm unwillig, sie will weg. "Ich muss fort, das Nachtessen richten." Anstatt sie gehen zu lassen, sticht Woyzeck auf Marie ein und gerät in einen Blutrausch: "Nimm das und das! Kannst du nicht sterben? So! so! Ha sie zuckt noch, noch nicht, noch nicht? Immer noch? (Stößt zu.) Bist du tot? Tot! Tot!"

21. Szene: Zwei Personen hören Stimmen im Teich vor der Stadt.

22. Szene: Eine Frau im Wirtshaus sieht, wie Woyzeck mit Blut beschmiert ist.

23. Szene: Nacht. Woyzeck sucht an dem Ort, wo er Marie erstochen hat, die Klinge.

24. Szene: Woyzeck versenkt die Klinge im Teich.

25. Szene: Kinder unterhalten sich auf der Straße darüber, dass vor der Stadt eine Leiche gefunden wurde.

26. Szene: Gerichtsdiener: “Ein guter Mord, ein echter Mord, ein schöner Mord, so schön als man ihn nur verlangen kann, wir haben schon lange so kein gehabt.

27. Szene: Karl ("Idiot"), Woyzeck, das Kind. Karl hält Woyzecks und Maries Kind auf dem Schoß. Woyzeck verspricht ihm ein Gebäck ("Reuter"). Karl läuft mit dem Kind weg.

Offenes Drama

Im Gegensatz zu der Struktur des geschlossenen Dramas ist "Woyzeck" in der von Büchner hinterlassenen fragmentarischen Form ein offenes Drama. Die einzelnen Szenen sind lose aneinandergereiht, es besteht keine inhaltliche oder zeitliche Abhängigkeit der Szenen untereinander, Einstieg und Ende des Dramas sind unvermittelt und es gibt nicht die klassische Struktur der 5 Akte.

Über Woyzeck

Rainer Maria Rilke: ... der Wozzek Georg Büchners... Eine ungeheure Sache, vor mehr als achtzig Jahren geschrieben... nichts als das Schicksal eines gemeinen Soldaten (um 1848 etwa), der seine ungetreue Geliebte ersticht, aber gewaltig darstellend, wie um die mindeste Existenz, für die selbst die Uniform eines gewöhnlichen Infanteristen zu weit und zu betont erscheint, wie selbst um den Rekruten Wozzek, alle Größe des Daseins steht, wie er’s nicht hindern kann, dass bald da, bald dort, vor, hinter, zu Seiten seiner dumpfen Seele die Horizonte ins Gewaltige, ins Ungeheure, ins Unendliche aufreißen, ein Schauspiel ohnegleichen, wie dieser missbrauchte Mensch in seiner Stalljacke im Weltall steht, malgré lui, im unendlichen Bezug der Sterne. Das ist Theater, so könnte Theater sein. (an Maria von Thurn und Taxis, 9. 7. 1915)

Alfred Kerr: Woyzeck ist der Mensch, auf dem alle rumtrampeln. Somit ein Behandelter nicht ein Handelnder. Somit ein Kreisel nicht eine Peitsche. Somit ein Opfer nicht ein Täter. Dramengestalt wird sozusagen die Mitwelt - nicht Woyzeck. Kernpunkt wird sozusagen die quälende Menschheit - nicht ihr gequälter Mensch. Bei alle dem bleibt wahr, dass Woyzeck durch seine Machtlosigkeit justament furchtbarsten Einspruch erhebt. Dass er am tiefsten angreift - weil er halt nicht angreifen kann. (Theater-Kritik, 15. 12. 1927)

Hans Mayer: Letztlich - und das ist das Entscheidende - geht es im "Woyzeck" wie zuvor im "Landboten" und im "Danton" um die stets gleiche Frage: um die Abhängigkeit menschlicher Existenz von Umständen, die 'außer uns liegen'. Den "grässlichen Fatalismus der Geschichte" und seine "zernichtende" Gewalt hatte Büchner schon in seiner frühesten Gießener Zeit empfunden. Das Studium der Geschichte, vor allem der großen politischen Umwälzungen, hatte ihm die Frage gestellt, die er als Schicksalsfrage menschlicher Existenz empfand: "Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?". Das aber war nichts anderes als die Frage nach den bestimmenden und verursachenden Faktoren des menschlichen Schicksals; es war die Frage nach Freiheit oder Vorherbestimmtheit menschlicher Willensentscheidungen, nach der Möglichkeit oder auch nur Sinnhaftigkeit, durch Handeln und Planen in den Geschichtsverlauf und den Verlauf des Einzellebens eingreifen zu können. (aus Hans Mayer: Georg Büchner und seine Zeit, Frankfurt 1972)

Heiner Müller: Ein vielmal vom Theater geschundener Text, der einem Dreiundzwanzigjährigen passiert ist, dem die Parzen bei der Geburt die Augenlider weggeschnitten haben, vom Fieber zersprengt bis in die Orthografie, eine Struktur, wie sie beim Bleigießen entstehen mag, wenn die Hand mit dem Löffel vor dem Blick in die Zukunft zittert, blockiert als schlafloser Engel den Eingang zum Paradies, in dem die Unschuld des Stückeschreibers zu Hause war. Wie harmlos der Pillenknick der neueren Dramatik, Becketts Warten auf Godot, vor diesem schnellen Gewitter, das mit der Geschwindigkeit einer anderen Zeit kommt, Lenz im Gepäck, den erloschenen Blitz aus Livland, Zeit Georg Heyms im utopielosen Raum unter dem Eis der Havel, Konrad Bayers im ausgeweiteten Schädel des Vitus Bering, Rolf Dieter Brinkmanns im Rechtsverkehr vor SHAKESPEARES PUB, wie schamlos die Lüge vom POSTHISTOIRE der barbarischen Wirklichkeit unserer Vorgeschichte. (aus Heiner Müller: Die Wunde Woyzeck, 1985)

Aktuelle Inszenierung

Woyzeck
Inszenierung: Stefan Otteni
Bühne und Kostüme: Franz Lehr
Musik: Jörg Ritzenhoff
Dramaturgie: Stephanie Gräve
Darsteller
Franz Woyzeck: Raphael Rubino
Marie: Patrycia Ziolkowska
Andres: Roland Riebeling
Hauptmann: Günter Alt
Doktor: Verena Bukal
Tambourmajor: Jonas Gruber
Großmutter: Susanne Bredehöft
Karl: Jörg Ritzenhoff

In der Inszenierung in den Bonner Kammerspielen (Premiere: 4.3.2005) sind Woyzeck und die anderen Personen des Stückes Teil eines Experimentes. Es gibt keine Gasse, keine Kirmesbude und kein freies Feld, die Szenen des Stückes finden in einem geschlossenen Raum statt. Das Laboratorium öffnet sich nur hin und wieder einen Spalt breit und ermöglicht für einen kurzen Moment einen Blick in die Außenwelt.

Die Personen des Stückes tragen alle die gleiche Kleidung, Standesunterschiede sind in ihrem Äußeren nicht mehr festzustellen. Sie verbringen Tag und Nacht miteinander. Jeder bekommt mit, wenn der Hauptmann Woyzeck verhöhnt, der Doktor ihm seine tägliche Erbsenration verpasst und der Tambourmajor Marie verführt. Alles dreht sich um das detailliert angelegte Experiment, um die Frage, wie Woyzeck reagiert.

Über den Versuch wacht die Ärztin. Sie sieht nicht ihre Aufgabe darin, dem „armen“ Woyzeck vor seinem körperlichen und seelischem Verfall zu bewahren, sie steuert und beobachtet seinen Verfallsprozess. An dieser Haltung ändert sich auch nichts, als bei Woyzeck Zeichen eines Wahnsinns immer deutlicher werden. Bis zum Schluss, wenn sich das Laboratorium öffnet und Woyzeck seine Geliebte in einem Anfall von Eifersucht und Wahnsinn in einem Teich ersticht, schauen alle zu - wie das Publikum.

"Wir beschäftigen uns in dieser Inszenierung," so Stefan Otteni, der Regisseur, "nicht nur mit dem Menschenversuch des Doktors, wie in der Vorlage, sondern versuchen, Woyzecks gesamtes Leben als umfassendes Experiment zu zeigen. Der große Menschenversuch an Woyzeck wäre dann unter der Frage zu fassen 'Wie weit muss man bei einem Menschen den Druck erhöhen, damit er jemanden umbringt?' - Und wen bringt er dann um?" (Das Theatermagazin Bonn, 02/03 2005)

Woyzeck und andere Künstler

Künstler in der ganzen Welt haben sich mit Woyzeck befasst. Das gilt für Regisseure, genau so wie für Maler, Musiker und Filmemacher.

Musik

Einen Meilenstein in der Auseinandersetzung mit Büchners Fragment war Alban Bergs Oper Wozzeck. 1921 war das Werk abgeschlossen und eine Aufführung von drei Ausschnitten im Jahr 1924 brachte ihm den ersten öffentlichen Erfolg. Doch erst Erich Kleiber, Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper, erkannte die Genialität der Partitur und brachte den Wozzeck am 14. Dezember 1925 zur Uraufführung. Eine weitere Opernfassung unter dem Titel Wozzeck schuf Manfred Gurlitt. Sie wurde 1926 in Bremen uraufgeführt.

Im November 2000 brachte Robert Wilson das Stück am Betty Nansen Theater in Kopenhagen mit Musik von Tom Waits auf die Bühne. Blood Money heißt das Album mit den Songs aus dieser Inszenierung.

Weniger balladenhaft als Tom Waits Songs sind die Songs der Berliner Punk-Band Woyzeck, die von sich sagt: "Woyzeck wollen keine Saugwürmer am siechen Körper alter Helden sein, sie erklären den Patient für tot. Um den Geist zu beerben und der Schmierenkomödie der gleichgeschalteten Musik-Szene die Authentizität ihres Lebensgefühls entgegenzusetzen. Jeder Tag ein neuer Kampf. Ein Kampf für die jugendlichen Ideale und gegen die faulen Kompromisse des Älterwerdens."

Film

Georg Klaren war der erste Filmregisseur, der "Woyzeck" in die Kinos brachte (Titel: "Wozzeck"). Klaren hatte schon 1930 die Idee für den Film, konnte sie aber erst nach dem 2. Weltkrieg umsetzen. Die Rahmenhandlung des Filmes spielt in einem Anatomiesaal einer deutschen Universität. Dort ist der Körper des Füsiliers Woyzeck aufgebahrt, der gehängt wurde. Dem Professor gilt er als Mörder, der Student Büchner antwortet: "... den wir ermordet haben". Im weiteren Verlauf der Handlung erzählt er dann seinen Kommilitonen die Geschichte, die dem Drama zu Grunde liegt. Kurt Meisel spielte den Woyzeck, Paul Henckels den Doktor. "Bei dieser Arbeit", so Klaren in einem Gespräch mit der "Berliner Zeitung" am 18.5.1947, "sehe ich wiederum meine Auffassung über die Verfilmung literarischer Themen bestätigt: Fragmente wie "Woyzeck" oder Novellen eignen sich viel besser für die Verfilmung als Theaterstücke oder Romane. Fragmente deshalb, weil sie der optischen Phantasie jeden Spielraum lassen, weil ihre Zuspitzung auf eine einzige Pointe der Wesensform des Films ganz besonders entspricht."

Seit Klarens Woyzeck haben eine ganze Reihe von Regisseuren das Fragment verfilmt. Die bekannteste Verfilmung ist Werner Herzogs Woyzeck aus dem Jahr 1979.

Literatur

  • Georg Büchner: Werke und Briefe - Nach der historisch-kritischen Ausgabe von Werner R. Lehmann, Hanser Verlag, München 1984
  • Georg Büchner: Woyzeck. Studienausgabe, Reclam, ISBN 3-1501-8007-4
  • Georg Büchner: Woyzeck. Faksimileausgabe der Handschriften. Bearbeitet von Gerhard Schmidt, Leipzig, 1981

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