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19. Jahrhundert

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Das 19. Jahrhundert begann am 1. Januar 1801 und endete am 31. Dezember 1900. Es gehört zur Epoche der Neuzeit, die um die Jahrhundertwende zum 16. Jahrhundert begonnen hatte.

Neue Organisationsformen: Der Nationalstaat

Das 19. Jahrhundert wird man in weltweiter Perspektive als das Jahrhundert der aufkommenden Nationalstaatlichkeit bezeichnen können.

Definierten sich die Staaten im 18. Jahrhundert noch weitgehend als Herrschaftsgebiete angestammter Familien, so rückt mit der Französischen Revolution ein neues Konzept von Staatlichkeit in den Raum: der Staat als Kunstprodukt, das geschaffen und nach Belieben organisiert wird.

  • Bürger können im neuen Staat Gleichheit vor dem Recht beanspruchen,
  • Privilegien des Adels werden beschnitten,
  • Der Staat vereinheitlicht das Bildungssystem führt die Schulpflicht ein: Karrieren werden in Zukunft über den entsprechenden Bildungsweg - theoretisch - jedem möglich (praktisch wird Bildung das neue Privileg der höheren Schichten)
  • Die Armee wird als staatstragende, die Gesellschaft erfassende Organisation aufgebaut, wo bislang die Bindung eher gegenüber dem Herrscherhaus bestand,
  • Die Kirche wird im Nationalstaat entmachtet und gleichzeitig von ihm geschützt und integriert,
  • Freiheiten der Religionsausübung werden im modernen Nationalstaat den Bürgern garantiert - für die Juden in Europa eine epochale Wendung,
  • Der Staat macht sich die Förderung der Naturwissenschaften zur Aufgabe, technische Universitäten werden gegründet
  • Infrastrukturpläne unterstützen den Prozeß der Industrialisierung
  • Die Kultur, die Literatur, die Kunst und die Musik werden neudefiniert und zu gesellschaftsweiten Debattengegenständen ausgestaltet, die Kontrolle der neuen Debattenfelder übernehmen in der innerstaatlichen Organisation die Wissenschaften
  • Neue Medien werden geschaffen, um dem Nationalstaat die Flächendeckende Kommunikation zu erlauben: Der Fortschritt in der Erforschung der Elektrizität erlaubt ab Mitte des 19. Jahrhunderts einen weltumspannend Nachrichtenverkehr ohne weiteren Zeitverlust
  • Neue Verkehrsmittel erlauben die Integration der Regionen, die Eisenbahn läßt die modernen Staaten zusammenwachsen,
  • Der Kolonialismus kann mit den neuen Verkehrsmitteln in eine neue Phase treten und erzwingt am Ende den Aufbau von Nationalstaaten nach europäischen Modell in allen anderen Regionen der Welt.

Sich verändernde Wahrnehmungen

Neue Konzepte von Individualität tragen den bezeichneten Entwicklungen Rechnung: Bis in das späte 18. Jahrhundert bestand die Vorstellung, die Welt sei erst vor wenig mehr als 6.000 Jahren geschaffen worden. Damit verbunden war die Vorstellung, beliebige Veränderungen ließen sich jederzeit einführen - Adam erfand die Sprache und gründete die ersten Nationen, in der Sintflut ging die bis dahin bestehende Welt unter, um das Jahr 2300 vor Christus habe dann die zweite Besiedlung der Welt begonnen, jene die zum Aufbau der antiken Welt binnen weniger Jahrhunderte führte. Das Konzept von "Entwicklungen" bestand im 18. Jahrhundert nicht - eher gab es das Konzept willentlicher "Veränderungen".

Ende des 18. Jahrhunderts wuchs der geschichtliche Raum. Man begann eine lange Menschheitsentwicklung anzunehmen. Fraglich wurde im selben Moment, wohin sich der Mensch noch entwickeln würde. Im 19. Jahrhundert wird der Gedanke sich entwickelnder Zivilisation zentral - im Bereich staatlicher Aktivität erlaubte er die Einflußnahme des Staates, den Aufbau des Bildungssystems, die Einrichtung von Infrastrukturplänen - einen Wettbewerb zwischen den Nationalstaaten auf dem Gebiet der technologischen Entwicklung. Der hochindustrialisierte Staat würde in Europa Ende des 19. Jahrhunderts dominieren. Gerade die Vorstellung einer langen Menschheitsentwicklung beschleunigte - so gesehen paradoxerweise - den technologischen Fortschritt. Ging man im frühen 18. Jahrhundert noch davon aus, daß kein weiterer technologischer Fortschritt mehr folgen würde, so wird im 19. Jahrhundert die Zukunft zur interessantesten Projektionsfläche. Neue Staaten beherrscht von neuen Technologien, die Eroberung des Weltraums werden Ende des 19. Jahrhunderts denkbar.

In den Naturwissenschaften wird die Evolutionstheorie nach großen Protesten diskutabel - die Vorstellung, der Mensch könnte sich aus dem Tierreich entwickelt haben. Mit der Psychologie wird eine eigene Wissenschaft der Individualentwicklung begründet, die im wissenschaftsgläubigen Jahrhundert Gegenstand der Medizin als zentraler Humanwissenschaft wird.

Geschichte

Die Nationen Europas trugen zu den Entwicklungen in einem heftigen technologischen, militärischen und wirtschaftlichen Konkurrenzkampf bei.

Den wichtigsten organisatorischen Modernisierungsschub brachte die Französische Revolution Frankreich. Mit den Napoleonischen Kriegen sahen sich die Nationen Europas zu Beginn des 19. Jahrhunderts gezwungen adäquate Organisationsstrukturen zu entwickeln.

Der deutsche Sprachraum war politisch zersplittert. Einmut bestand zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter deutschen Intellektuellen darüber, daß nur ein deutscher Nationalstaat Frankreich, Standhalten konnte. Nationale Diskussionen schuf sich die neue Bewegung in der Literatur und der Kultur. Das Wort Literatur wurde zu diesem Zweck wie das Wort Kunst umdefiniert, beide Worte erhielten besonders schnell im Deutschen die Bedeutungen, die sie heute weltweit haben. Die Säkularisation übernahmen erste deutsche Territorien zu Beginn des Jahrhunderts von Frankreich. Eine bürgerliche Revolution, die einen Nationalstaat unter Führung der Gebildeten erzwingen sollte scheiterte 1849. Die wirtschaftliche Entwicklung ließ in den meisten Territorien zu wünschen übrig. Preußen nutzte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die militärische Vormachtsstellung um die politische Vereinigung von oben herab durchzusetzen. Eine eigene Sozialstaatlichkeit wurde unter Bismarck dementsprechend von oben herab eingeführt.

Großbritannien war seit 1703 vereinigt und hatte mit der Glorious Revolution die Machtaufteilung zwischen König, Parlament und Parteiensystem bahnbrechend modernisiert. Modernisierungsschübe, wie sie Frankreich nahm, konnten glimpflich mit Zeitverzug folgen, insbesondere da Großbritannien seit dem frühen 18. Jahrhundert die wirtschaftliche Führung (von den Niederlanden übernommen) hatte. Als weltweit führende Kolonialmacht verfügte Großbritannien über die Rohstoffe, die im Land die Industrialisierung während des 19. Jahrhunderts voranbrachten. Der Kohleabbau sicherte Mitte des 19. Jahrhunderts die Energieversorgung und damit den technologischen Fortschritt. Die wachsende Prosperität erlaubte es Großbritannien stärker als den Nachbarnationen eine Klassengesellschaft zu bleiben. Widerstand gegen diese war erst mit einem wirtschaftlichen Abstieg zu erwarten. Großbritannien konnte seine Vorreiterrolle als Wirtschaftsmacht bis an das Ende des Jahrhunderts verteidigen.

Italien richtete den Nationalstaat in der Revolution der Jahrhundertmitte ein...

Amerika hatte nationale Unabhängigkeit 1776 errungen, blieb jedoch technologische rückständig, solange die Sklaverei den Aufbau einer industrialisierten Gesellschaft entbehrlich machte. Einen technologischen Schub brachte der Bürgerkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts mit sich wie die nationale Einigung. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts stand danach insbesondere in den Nordstaaten unter dem Zeichen einer wirtschaftlichen Aufholjagd. Der Kapitalismus fand mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten von Amerika dank der schieren Größe des Wirtschaftsraums, dem Bevölkerungszuwachs (vor allem durch Emigrantenzufluß) und der sehr viel freiern Entwicklungsmöglichkeiten (im gesellschaftlich nicht durch Traditionen gehinderten Kulturraum eine eigene Ausprägung - jene die es den USA im 20. Jahrhundert erlauben sollten die Führungsrolle als Weltmacht zu übernehmen. Eigene Kolonien bauten die USA dabei nicht auf, als zukunftweisend erwies sich dagegen eine Politik gegenüber dem "Hinterhof" der USA - die zweite Erschließung Südamerikas durch amerikanische Konzerne.

Südamerika prosperierte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend durch europäische Emigranten, die die wirtschaftliche Erschließung vorantrieben.

Afrika und Asien gerieten im 19. Jahrhundert in ein epochales Abseits, aus dem Ende des 19. Jahrhunderts Japan heraustrat als zukünftige Wirtschafts- und Militärmacht.


Ereignisse/Entwicklungen: weltweit

Das 19. Jahrhundert wird - zumindest bezogen auf den europäischen Kontinent - in seinem Kern oft auch als das Bürgerliche Zeitalter bezeichnet. Dieses "Zeitalter" begann mit dem Aufstieg des Bürgertums als neue politische und wirtschaftliche Macht schon in der Französischen Revolution von 1789 und setzte sich fort in den bürgerlich-liberalen und nationalistischen Revolutionen in vielen Staaten zwischen 1830 und 1848/49 (französische Julirevolution 1830, französische Februarrevolution 1848, Märzrevolution 1848/49 in vielen weiteren Staaten und Regionen Europas, Risorgimento in Italien zwischen 1820 und 1870).

Das bürgerliche Zeitalter markiert zugleich auch den Beginn der Moderne als zweite Phase der Neuzeit nach der frühen Neuzeit, die in Europa gegen Ende des 15. Jahrhunderts eingesetzt hatte.

Napoléon Bonaparte hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts in seinen Eroberungsfeldzügen die Ideen der Französischen Revolution europaweit verbreitet und mit dem Code Civil neue bürgerliche Gesetzesgrundlagen geschaffen. Trotz seiner letztlichen Niederlage und dem Versuch der europäischen Fürsten, mit der Politik der Restauration nach dem Wiener Kongress von 1815, die bürgerlichen Fortschritte rückgängig zu machen, hatten sich diese neuen Ideen von nationaler Einheit und liberaleren Rechten in den Gesellschaften Europas, vor allem unter den intellektuellen Eliten festgesetzt.

Ursächlich und begünstigend mit dem Aufstieg des Bürgertums zusammen hing die ebenfalls schon Mitte des 18. Jahrhunderts von Großbritannien ausgegangene Industrielle Revolution, die weltweit, zunächst vor allem in Europa, die ökonomischen und sozialen Verhältnisse grundlegend veränderte, und bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts andauerte. In diesem Zusammenhang kann man das 19. Jahrhundert auch als die Kindheit des modernen Kapitalismus bezeichen. Unter anderen waren aus Deutschland Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Karl Marx, Friedrich Engels, Max Weber, Friedrich List einige Theoretiker, die aus unterschiedlichen Betrachtungsweisen heraus die grundlegenden kulturellen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbrüche der Zeit analysierten und aufzuarbeiten versuchten. Diese Veränderungen brachten auch die vielerorts noch herrschenden am Absolutismus orientierten Herrschaftsstrukturen der weiterhin herrschenden aristokratischen Fürstenhäuser zunehmend ins Wanken.

Neue untereinander konkurrierende politische Ideen und Gesellschaftsentwürfe brachen sich im 19. Jahrhundert Bahn. Dazu gehören vor allem die Vorstellungen von pluralistischer Demokratie, Liberalismus, Nationalismus, Sozialismus, Kommunismus und Anarchismus.

Das Bürgerliche Zeitalter reichte über das 19. Jahrhundert hinaus und endete erst mit dem Zusammenbruch der Macht der meisten europäischen Monarchien zum Ende des 1. Weltkriegs, beginnend mit der russischen Oktoberrevolution 1917.

Bezogen auf die Dauer des bürgerlichen Zeitalters und die entsprechenden Entwicklungen wird das 19. Jahrhundert manchmal auch als "Langes 19. Jahrhundert" bezeichnet, das in diesem Zusammenhang den Zeitraum zwischen 1789 und 1917 umfassen würde (von der Französischen Revolution bis zum 1. Weltkrieg und der Oktoberrevolution in Russland)

Klima

  • Die Kleine Eiszeit endet.
  • Das Jahr 1816 geht als Jahr ohne Sommer in die Klimageschichte ein: der Ausbruch eines Vulkans in Indonesien im April 1815 hat zur Folge, daß in Nordamerika und Europa im Juli und August Temperaturen unter Null Grad herrschen.

Ereignisse/Entwicklungen: Europa

  • Kaiser Napoléon Bonaparte von Frankreich erobert Anfang des 19. Jahrhunderts große Teile Europas. Er reformiert viele Fürstentümer mit dem Code Civil und exportiert damit einige Errungenschaften der französischen Revolution, bis nach dem Scheitern des Russlandfeldzuges sein Niedergang beginnt.
  • In den Befreiungskriegen werden die napoleonischen Truppen besiegt (Völkerschlacht bei Leipzig). Napoleon wird auf die Mittelmeerinsel Elba verbannt, von wo er 1815 nach Frankreich zurück kehrt und die Macht für kurze Zeit zurück erobert.


Amerika

Ereignisse/Entwicklungen: Amerika

  • Im mexikanisch-amerikanischen Krieg gewinnen die USA große Teile des heutigen Südwestens der USA zu ihrem Territorium hinzu. Schon vorher hatte Napoleon Louisiana an die USA verkauft. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts erwerben die USA Alaska von Russland.
  • Unabhängigkeitsbewegungen in Süd- und Mittelamerika führen in vielen dortigen Staaten zur Unabhängigkeit von der spanischen und portugiesischen Herrschaft.
  • In den USA wird die Siedlungsgrenze zunehmend nach Westen ausgedehnt, bis das Land von der Ostküste bis zur Westküste kolonisiert ist. Die nordamerikanischen Indianer werden in immer kleiner werdende Reservationen zurück gedrängt. Eine wichtige Lebensgrundlage der Prärieindianer, der Bison, wird von den Angloamerikanern fast ausgerottet. Höhepunkt und Ende der Indianerkriege bis 1890. Die Besiedlung des Westens der USA ist zudem geprägt von Glücksrittern, Abenteurern, Ausbreitung der Viehzucht, der Hochphase des Cowboyberufs unter anderem. Später wird die Pionierzeit mit den genannten Erscheinungen als so genannter Wilder Westen verklärt und romantisiert.

Ereignisse/Entwicklungen: Asien

  • Entstehung des Baha'ismus (Baha'i), der jüngsten Offenbarungsreligion.
  • Die Meiji-Restauration 1868 öffnet Japan für moderne Einflüsse und katapultiert es zum Ende des 19.Jahrhunderts in eine führende Großmacht.

Ereignisse/Entwicklungen: Wissenschaft und Technik

  • Der elektrische Telegraf und unterseeische Kabel ermöglichen erstmalig eine feste Kommunikation.

Persönlichkeiten

Erfindungen und Entdeckungen

Literatur

  • Schnerb, Robert: Das Bürgerliche Zeitalter. Europa als Weltmacht 1815 - 1914. Zürich 1971, ISBN 3463136821

Siehe auch