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Landschaft mit dem Sturz des Ikarus

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Landschaft mit dem Sturz des Ikarus (Pieter Bruegel der Ältere)
Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Pieter Bruegel der Ältere, 1558
Öl auf Leinwand
73,5 × 112 cm
Königliche Museen der Schönen Künste (Brüssel)

Landschaft mit dem Sturz des Ikarus ist ein um 1558 entstandenes Ölgemälde des flämischen Malers Pieter Bruegel des Älteren. Das 73,5 x 112 cm große Werk zeigt eine Szene aus den Metamorphosen des Ovid und befindet sich heute im Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique in Brüssel.

Das Gemälde

Inhalt und Gestaltung

Die Hauptperson ist ein pflügender Bauer, hinter ihm steht ein Hirte, und am rechten unteren Bildrand sitzt ein Angler. Der Blick öffnet sich auf eine bis zum Horizont reichende Bucht mit der Sonnenscheibe am Horizont. Am Meer kreuzen Schiffe, und in der rechten oberen Ecke ragt ein weißes Felsengebirge auf. Schräg über dem pflügenden Bauern liegt eine befestigte Felseninsel (offenbar eine Anspielung auf das Labyrinth) und dahinter eine Hafenstadt. Links unten im Vordergrund ist ein Geldbeutel zu erkennen, in dem ein Schwert steckt, daneben liegt ein voller Getreidesack. Hinter dem Pferd im Gebüsch liegt die Leiche eines alten Mannes teilweise verborgen, an der der Bauer achtlos vorbeipflügt.[1] Der verunglückte Ikarus ist nur winzig in der unteren rechten Bildhälfte über dem Angler zu erkennen.

Der Hirte befindet sich annähernd im Mittelpunkt des Bildes. Sein aufwärtsgewandtes Gesicht liegt im Schnittpunkt der Haupt- und Nebendiagonalen. Der Standpunkt des Betrachters liegt auf einer Anhöhe; der Bauer ist von schräg oben dargestellt, der Hirte etwas mehr von der Seite und das Segelschiff darüber frontal. Durch diese Winkelverschiebung verstärkt der Maler den Eindruck weiter Entfernung.[2] Die Farbtöne gelb, grün und braun dominieren, auffallend ist jedoch das rote Hemd des Bauern.

Mythologische Grundlage

Ìkaros (lat. Icarus, deutsch „Ikarus“) ist aus der griechischen Mythologie bekannt: Sein Vater Daídalos (lat. Daedalus) hatte Flügel konstruiert, mit denen er und sein Sohn aus der Gefangenschaft auf Kreta flohen. Als Ikaros jedoch übermütig der Sonne zu nah kam, schmolz das Wachs, das die Federn zusammenhielt, und er stürzte in den Tod. Der Dichter Ovid beschreibt dies in seinen Metamorphosen (VIII, 183-235) und der Ars amatoria (II, 21-96).

Vor seiner Verbannung nach Kreta warf Daídalos aus Missgunst seinen zwölfjährigen Schüler Perdix von der Akropolis, da dieser trotz seiner Jugend Säge und Zirkel erfunden hatte.[3] Athene fing den Buben jedoch auf und verwandelte ihn in ein Rebhuhn, das nahe dem Boden fliegt und seine Nester in Hecken baut, denn es „ ...fürchtet die Höhe, des einstigen Sturzes gedenkend“. Der Vogel sitzt bei Bruegel links vom Angler auf einem Ast. Im Mythos fliegt er zur Beerdigung Ikaros' herbei.

Deutungen

Ertrinkender Ikarus, Angler und Rebhuhn (Ausschnitt)

Bezeichnend ist, dass der Maler den verunglückten Ikarus nur nebensächlich darstellt: Rechts unten sieht man ihn ins Wasser stürzen, mit seinen nackten, strampelnden Beinen macht er dabei eine eher lächerliche Figur. Über ihm sind noch einige fliegende Federn zu erkennen. Daídalos, immerhin eine der Hauptpersonen, fehlt sogar im Bild. Bedeutung gibt Bruegel dagegen Nebenpersonen wie Bauer, Hirte und Fischer die auch schon Ovid erwähnt:

Mancher, der mit schwankender Angelrute fischte, mancher Hirte, der sich auf seinen Stab, manch ein Bauer, der sich auf den Pflug stützte, erblickte die beiden, staunte und hielt sie für Götter, da sie die hohe Luft durchqueren konnten. [4]

Der Angler sitzt jedoch unten am Wasser, der Hirte ist in der Mitte platziert, der Bauer bestellt seinen Acker und allen gemeinsam ist, dass sie dem Sturz des Ikarus kein Interesse entgegen bringen. So bedeuten das Schwert im Geldbeutel und der Getreidesack im Vordergrund die flämischen Sprichwörter: „Geld und Schwert brauchen gute Hände“ und „Auf Felsen Gesätes wächst nicht“. Es sind Anspielungen auf die Nutzlosigkeit von Ikarus' Handeln. Die halb versteckte Leiche im Unterholz heißt: „Kein Pflug hält wegen eines Sterbenden an“.[1] Bauer, Hirte und Fischer gehorchen stoisch den Gesetzen der Natur und des Kosmos. Selbst das Rebhuhn Perdix, das sich im Mythos über Ikarus' Tod freut,[3] ignoriert den Verunglückten und das (bei Ovid nicht erwähnte) Schiff entfernt sich mit geblähten Segeln von der Unfallstelle.

Bruegel hat die Sage von Ikarus ganz in seine Zeit gesetzt, dafür sprechen die Landschaft und die für das 16. Jahrhundert typischen Mittelmeer-Karkassen. Diese Schiffe wurden damals seit kurzem in niederländischen Werften gebaut[5] und Bruegel hält sie mit großer Genauigkeit fest. Warum aber die Sonne offenbar untergeht und Ikarus an fast entgegengesetzter Stelle abstürzt, ist unklar. Der Zeitgenosse Ortelius bemerkt in seinem „Buch der Freunde“: Unser Bruegel malt viele Dinge, die man gar nicht malen kann. (…) In seinen Werken ist oft mehr an Gedanken als an Malerei.

Kriegsschiff mit dem Fall des Icarus

Die Entfernung der Sonne war zu Bruegels Zeit zwar noch unbekannt, aber dass sie nicht nur ein paar Kilometer über der Erde hängt, sondern sehr weit weg liegt, wusste man. Immerhin braucht sie, wenn sie im Zenit steht, noch einen halben Tag, um unterzugehen. Möglich ist folgendes: Der Bauer im Vordergrund wäre eine Anspielung auf die alchemistische Kunst. Alchemisten verglichen ihr Handwerk mit dem Ackerbau und hielten Metalle für Organismen, die wachsen und sich vermehren können. Der auf dem Stab gestützte Schäfer wäre Hermes, der in seiner Jugend mit seinem Bruder Apollo die Herden des Admetos hütete. Das Schiff soll auf einen Kompostbehälter anspielen und das Meer auf Quecksilber. Dies deshalb, weil eine lange gefährliche Prozedur nötig ist, bis Quecksilber eine chemische Verbindung eingeht und man dies mit den Gefahren einer Schiffsreise verglich. Die aufgehende Sonne kann auch die Erneuerung der Welt durch Alchemie bedeuten, demnach wäre Ikarus ein gescheiterter Alchemist.[1]

In der als Kupferstich verbreiteten Zeichnung Kriegsschiff mit dem Fall des Icarus hält sich Bruegel scheinbar enger an das Thema: So steht dort die Sonne hoch am Himmel und der Vater fliegt unter dem stürzenden Sohn.[6] Dennoch interessiert sich der Künstler wesentlich mehr für das detailgetreu dargestellte Schiff.

Geschichte und Hintergrund

Das beschädigte und oftmals übermalte Werk wurde 1912 bei einem Londoner Antiquitätenhändler für die königlichen Sammlungen in Belgien erworben. Obwohl Signatur, Datum und historische Dokumente fehlen, wird es heute allgemein Pieter Bruegel dem Ältern zugeschrieben.[1]

Weitere Gemälde Bruegels

Literatur

  • Rose-Marie und Rainer Hagen: Meisterwerke im Detail, Band 2, Taschen Verlag Köln, 2003
  • William Carlos Williams: Landscape with the Fall of Icarus.

Belege

  1. a b c d Jean-Louis Ferrier –- Die Abenteuer des Sehens, München: Piper Verlag 1998 S. 90 ff. ISBN 3-492-04019-5
  2. Rose-Marie und Rainer Hagen –- Pieter Bruegel d. Ä. –- Bauern, Narren und Dämonen, Köln: Benedikt Taschen Verlag 1999, S. 61 ISBN 3-8228-6590-7
  3. a b Ovid –- Metamorphosen. In Prosa neu übersetzt von Gerhard Fink, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1992/98 S. 190 f. Lizenzausgabe von Artemis Verlag Zürich und München 1989 ISBN 3-596-10497-1
  4. Ovid –- Metamorphosen S. 189f
  5. Die Abenteuer des Sehens, S. 93
  6. Rose-Marie und Rainer Hagen – Pieter Bruegel d. Ä. um 1525-1569. Bauern, Narren und Dämonen. Köln: Benedikt Taschen Verlag 1999 S. 60 ISBN 3-8228-6590-7