Ōmu Shinrikyō
Die Aum-Sekte (vollständiger jap. Name: オウム真理教 Ōmu Shinrikyō, Ohm-Lehre der Wahrheit) ist eine japanische Sekte, die durch einen Giftgasanschlag mit Sarin in der U-Bahn von Tokio am 20. März 1995 weltweit bekannt wurde.
Der Eigenname Aum ist im Deutschen irreführend: Um das japanische オウム (auf deutsch eigentlich ohm) im Englischen korrekt aussprechen zu können, wurde es nach dem Attentat in der englischen Presse Aum geschrieben - was damals von deutschen Meldungen einfach übernommen wurde und inzwischen oft falsch als a-um ausgesprochen wird.
Chronik der Sekte
- 1984: Der stark sehbehinderte japanische Naturheiler Chizuo Matsumoto (*1955 auf Kyūshū) gründet unter dem Namen Ōmu Shinsen no Kai (Ohm-Gemeinschaft der Magier vom Berge) einen Verein für Yoga-Übungen, die psychische Kräfte aktivieren sollen.
- 1987: Nachdem er laut eigenen Angaben ein spirituelles Erlebnis in Indien hatte, ändert Chizuo Matsumoto seinen Namen in Shōkō Asahara. Der Verein wird in Ōmu Shinrikyō (Ohm-Lehre der Wahrheit) umbenannt und nimmt allmählich die Form einer religiösen Gruppierung an. Die Sekte expandiert rasch, in mehreren japanischen Städten werden Zweigstellen gegründet. Im Herbst wird ein Büro im New Yorker Stadtteil Manhattan eröffnet.
- 1988: In Kamikuishiki am Fuße des Berges Fuji wird eine eigenständige, von der Außenwelt abgeschottete Aum-Gemeinde gegründet. Sie ist gleichzeitig das Sekten-Hauptquartier.
- 1989: Im August wird die Sekte als ordentliche Glaubensgemeinschaft anerkannt, obwohl Eltern von Mitgliedern erste Hinweise auf ungeklärte Machenschaften innerhalb der Sekte geben. Im November wird in Yokohama der japanische Rechtsanwalt Tsutsumi Sakamoto, der Angehörige von Aum-Anhängern vertritt, zusammen mit seiner Familie getötet, nach dem Stand der Ermittlungen auf Anordnung von Asahara.
- 1990: Asahara gründet unter dem Namen Shinritō eine politische Vertretung der Aum-Sekte und kandidiert für das japanische Parlament. Die Wahl gerät für ihn zum Desaster (er erhält in seinem Wahlkreis nur 0,4 % der Stimmen), woraufhin er den Behörden Wahlbetrug vorwirft. Nach der Wahl hat die Sekte finanzielle Probleme, viele Mitglieder steigen aus. Gleichzeitig werden die ersten Forschungen für die Produktion biologischer Kampfstoffe aufgenommen, ein Anschlag auf das Parlamentsviertel in Tokio im April schlägt jedoch fehl.
- 1991: Die Sekte zählt inzwischen ca. 7.000 Mitglieder (auch in den USA und in Deutschland). Diverse Einrichtungen wie Schulen und ein Krankenhaus werden gegründet, die Aum-Gemeinde in Kamikuishiki wird ausgebaut.
- 1992: Die Sekte expandiert nach Russland, wo sie sich vor allem um Wissenschaftler bemüht. Innerhalb kurzer Zeit zählt sie über 10.000 russische Anhänger.
- 1993: Asahara datiert den Weltuntergang auf 1996-1998. Die Sekte beginnt mit der Massenproduktion von AK-47-Sturmgewehren.
- 1994: Erste erfolgreiche Herstellung von Sarin (ein Nervengas). Am 27. Juni erfolgt in der Stadt Matsumoto ein Sarin-Anschlag auf die Richter eines Grundstücksprozesses, in den die Sekte verwickelt ist. Bei diesem ersten zivilen Sarin-Attentat der Welt sterben 7 Menschen, die Sekte gerät jedoch zunächst nicht in Verdacht.
- 1995: Am 20. März erfolgt ein Giftgasanschlag auf die U-Bahn in Tokio (s. Beschreibung unten). Mit gefälschten Flugblättern soll der Verdacht auf eine Konkurrenzsekte gelenkt werden, was aber nicht gelingt. Die Polizei geht massiv gegen die Aum-Sekte vor und verhaftet alle Mitglieder, derer sie habhaft werden kann. Zu diesem Zeitpunkt besitzt die Sekte 280 Grundstücke, der Wert des mit der Sekte verbundenen Konzerngeflechts wird auf ca. 200 Millionen US-$ geschätzt. Am 23. April wird Hideo Murai, "Wissenschafts- und Technologieminister" der Sekte, vor der Tokioter Sektenniederlassung vor laufenden Fernsehkameras von einem 29-Jährigen erstochen. Sektengründer Shōkō Asahara wird am 16. Mai festgenommen.
- Die Sekte entschuldigt sich offiziell für das Giftgasattentat und sagt sich von ihrem Gründer los, hält allerdings weiterhin an seinen Lehren fest. Tatsuko Muraoka wird zur neuen Repräsentantin der Aum-Sekte.
- 1997: Ein Sicherheitsausschuss beschließt, die Sekte nicht zu verbieten, da keine Gefahr mehr von ihr ausgeht.
- 2000: Die Sekte benennt sich im Januar in Aleph um. Sie steht ab jetzt unter ständiger Überwachung durch die Staatsbehörden und hat noch ca. 1.500-2.000 Anhänger.
Die Lehre
Die Lehren der Aum-Sekte sind von Weltuntergangsverkündigungen geprägt und eine Mischung aus Pseudowissenschaft, Nostradamus-Weissagungen, esoterischem Buddhismus und Millennarium-Christianismus; aber auch Elemente aus dem Foundation-Zyklus des Science-Fiction-Schriftstellers Isaac Asimov werden verwendet. Die zentrale Gottheit für die Sekte ist der Hindugott Shiva, und wahre Erleuchtung ist nur innerhalb der streng abgeschlossenen Sektengemeinschaft möglich. Die "äußere Welt" wird als korrupt und verdorben betrachtet und muss notfalls gewaltsam bekämpft werden.
Einer der zentralen Punkte der Aum-Doktrin ist die kontroverse buddhistische Vorstellung von poa: Unter bestimmten Bedingungen kann demnach ein Mord sowohl das Opfer als auch den Täter der Erleuchtung näher bringen.
Zahlen und Fakten zum Sarin-Anschlag in Tokio
Am Montag, dem 20. März 1995, wurden zur morgendlichen Hauptverkehrszeit in den Pendlerzügen von drei Tokioter U-Bahn-Linien insgesamt fünf Lunchboxen und Getränkebehälter deponiert, die das Nervengift Sarin enthielten. Unmittelbar vor dem Aussteigen bohrten die Täter mit Regenschirmen Löcher in die Behälter, um das Gas freizusetzen. Das austretende Sarin verbreitete sich in 15 U-Bahn-Stationen; die ersten Notrufe gingen bei den Sicherheitsbehörden um 08:17 Uhr Ortszeit ein. Durch den Anschlag starben insgesamt 12 Menschen (neun sofort, einer später am selben Tag, zwei weitere einige Wochen später), und es gab über 5.000 Verletzte (viele davon schwer).
Nach umfangreichen Verhaftungen von Aum-Sektenmitgliedern kam es zu 189 Anklagen. 188 Urteile wurden bereits gefällt, darunter 11 Todesurteile (das letzte am 30. Januar 2004 gegen den 39-jährigen Chemiker Masami Tsuchiya, einer der Verantwortlichen für die Sarin-Herstellung). Alle zum Tode Verurteilten haben Berufung eingelegt. Das Urteil gegen den ehemaligen Sektenführer Shōkō Asahara, der u. a. auch wegen Mordes in 27 Fällen angeklagt ist, wird für den 27. Februar 2004 erwartet.