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Walter Mostert

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Walter Mostert (* 10. Juni 1936 in Wuppertal; † 4. März 1995 in Zürich) war ein deutscher Theologe. Er war seit 1980 Lehrstuhlinhaber für systematische Theologie an der Universität Zürich.

Mostert

Leben

Mostert wurde am 10. Juni 1936 in Wuppertal als Sohn eines Textilingenieurs († 1966) geboren. Als er sich „instinktiv“[1] für das Theologiestudium entschieden hatte, kam Mostert 1959 zum Theologiestudium nach Zürich, nachdem er in Bonn bei Philipp Vielhauer und in Göttingen bei Walther Zimmerli das exegetische Handwerk erlernt hatte. In Zürich fand er in Gerhard Ebeling seinen theologischen Lehrer, der ihn in reformatorische Theologie einführte, deren „methodische Faszination“ für Mostert „in der Tatsache, dass hier die Orientierung theologischer Fragen am Sein des Menschen sich mit einer völligen Freiheit gegenüber jeder wissenschaftlichen und traditionellen Autorität verbindet“, besteht. Nach dem 1. theol. Examen 1962 bei der Evangelischen Kirche im Rheinland kehrte er nach Zürich zurück, um bei Ebeling zu promovieren.

Mostert folgte Ebeling 1966 als sein Assistent nach Tübingen. Hier schloss er 1974 seine Dissertation über „Sinn oder Gewißheit?“ ab, die sich aus einer historischen Untersuchung in höchst prinzipielle „Versuche zu einer theologischen Kritik des dogmatistischen Denkens“ gewandelt hatte.

Alle theologische Bemühung trieb bei Mostert, seit er 1980 Ebelings Nachfolger auf dem Zürcher Lehrstuhl für Systematische Theologie (mit besonderer Berücksichtigung der Fundamentaltheologie und Hermeneutik) geworden war, auf eine Christologie zu, in der sich hermeneutisches, hamartiologisches und christologisches Denken gegenseitig herausfordern und zu gegenwärtiger Erfahrung verdichten. Er war Mitleiter des Instituts für Hermeneutik an der Universität Zürich und von 1988 bis 1990 Dekan der Theologischen Fakultät. Mit seinem Tod im Jahr 1995 wurde auch seine theologische Arbeit jäh abgebrochen.

Kristallisation theologischen Denkens an der Frage nach der Sünde

Sünde und Anthropologie

Die theologische Fragestellung, die Mostert beharrlich weiter vorantrieb, ist dogmengeschichtlich die alte Frage des Anselm von Canterbury: »Hast du schon bedacht, wie schwer die Sünde wiegt?«  »Sünde« ist bei Mostert die Verneinung des Menschen, von einer Güte zu leben, die er selbst nicht hergestellt hat, sondern ständig neu empfängt. In dieser Verneinung will der Mensch Schöpfer seines Lebens sein und nicht Geschöpf. Als Schöpfer verbraucht der Mensch das Andere und den anderen immer nur für sich selbst, statt den anderen und das Andere sich selbst gegenüber anders sein zu lassen. Wie also der Mensch aus dem Herstellen ins Empfangen, aus dem Sprechen ins Hören, aus dem Bewirken in das Beschenktwerden kommt und so vor das andere zu ihm selbst gebracht werden kann, dass der Mensch mit dem Anderen zu ihm selbst versöhnt wird, das wurde für Mostert das entscheidende Problem der Theologie.

Sünde und Christologie (Habilitation)

Ihn forderte dieses Problem schon in seiner Habilitationsschrift »Menschwerdung«  zu „christologischer Arbeit“ heraus, weil in Christus das Andere, nämlich die Güte Gottes, für den Menschen sprachlich so aufgeboten wird, dass der Mensch zu ihm selbst als Sünder gebracht werden kann. Röm 7 wurde deshalb für Mostert der biblische Schlüsseltext, den er wieder und wieder sowohl im Blick auf den in Not geratenen Schrei des Sünders »Wer erlöst mich aus diesem Todesleib?« als auch im Blick auf den Horizont der Rettung »Dank sei Gott für unseren Herrn Jesus Christus!« (Röm 7,24) auslegte.

Wissenschaftstheoretische Überlegungen angesichts der Erfahrung von Sünde

Mostert sah den Beitrag der Theologie zu einer modernen Erfahrungsforschung in einem neuen, entmoralisierten Verständnis von Sünde, das den Menschen hilft, ihre tiefsten und schrecklichsten Erfahrungen mit sich selbst zu verstehen und bekennen zu können, um eben dadurch erfahrener zu werden. Was für Erfahrungen sind das? »Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.« (Röm 7,19) Dass Paulus eine so persönliche Erfahrung mit der Erfahrung seines Zerrissenseins macht, ist möglich, weil er in Christus einen neuen Standort für seine Existenz gewonnen hat, von dem aus er die Abgründe erkennen und zugeben kann, über denen seine Existenz ausgespannt ist. Der Mensch ohne Christus verbirgt die eigenen Abgründe und klammert sich an eigene Erfolge und Leistungen, aber bürdet ihnen gerade so ein soteriologisches Gewicht auf, das sie von Haus aus nicht haben. Mostert sieht Sünde

»in dem Unwillen oder Unvermögen des Menschen, der Endlichkeit seiner Akte auch endlich zu entsprechen« und »von ihnen eine Vergewisserung seines Seins zu 
erwarten, welche die Lebensakte eben nicht leisten können. 
Erst durch diese Belastung mit dem Vergewisserungsinteresse werden die Lebensakte moralisch schlecht und ontologisch sündig.«[2]  

Brechen die Lebensakte unter der Belastung des Vergewisserungsinteresses zusammen, so ist, da der Mensch ohne Vergewisserung seiner selbst nicht existieren kann, die Flucht zu vermeintlich objektiven, allgemein gültigen Versicherungsinstanzen der Ausweg, der dem Menschen seine Erfahrung mit Hilfe eines scheinbar objektiven, allgemein gültigen Systems umdeutet und so eine Weile lang verschleiert. Zu solchen Versicherungsinstanzen zählt Mostert jede Art von Wissenschaft, die dazu hilft, die Erfahrung des Einzelnen in einem größeren System von Erfahrungen aufzuheben. Dann erscheint die Erfahrung des Einzelnen nur noch zufällig, marginal und subjektiv. Gegen diesen generalisierenden Zug der Wissenschaften, der in der Theologie ebenso wie in den Erfahrungswissenschaften wirksam werden kann, versuchte Mostert die Erfahrung des Einzelnen zu ihrem Recht zu bringen.

Publikationen (in Auswahl)

Monographien

  • Sinn oder Gewissheit? Versuche zu einer theologischen Kritik des dogmatistischen Denkens (HUTh 16), Tübingen 1976.
  • Menschwerdung. Eine historische und dogmatische Untersuchung über das Motiv der Inkarnation des Gottessohnes bei Thomas von Aquin (BHTh 57), Tübingen 1978.
  • Jesus Christus - Anfänger und Vollender der Kirche. Eine evangelische Lehre von der Kirche, J. Bauke-Ruegg, P. Koller, C. Möller und H. Weihnacht (Hg.), Zürich 2006.

Sammelbände

  • Glaube und Hermeneutik. Gesammelte Aufsätze, P. Bühler und G. Ebeling (Hg.), Tübingen 1998.
  • Erfahrung als Kriterium der Theologie. Theologische Brocken aus drei Jahrzehnten 1966-1995, K. A. Bauer, P. Koller, C. Möller und H. Weihnacht (Hg.), Zürich 2008.

Anmerkungen

  1. Vgl. das Curriculum vitae WALTER MOSTERTS aus dem Jahre 1977, mit ergänzenden Bemerkungen von Gerhard Ebeling, in: Glaube und Hermeneutik, 1–6. „Die Entscheidung doch Theologie zu studieren, ist, so sehe ich es heute [sc.1977], dann nicht aus klaren Gründen gefallen, sondern eher instinktiv, in der verborgenen Hoffnung, als in meiner Bestimmung begründet zu erfahren, was mit rationalen Gründen nicht entscheiden zu können mir gerade aus rationalen Gründen klar war.“, a.a.O., 2.
  2. Erfahrung als Kriterium der Theologie. Theologische Brocken aus drei Jahrzehnten 1966-1995, 82.